Widerwillig zur Arbeit gehen, vom Chef zu Überstunden gezwungen werden – es gibt viele Gründe für eine Kündigung. Das muss aber nicht immer sein. Karriereberaterin Carmen Schön sagt, wann es Zeit ist zu gehen und wann sich kämpfen lohnt.
Es gibt Momente, da möchte jeder Associate das Handtuch werfen. Er malt sich aus, wie schön es wäre, dem Chef die Kündigung auf den Tisch zu knallen und dann hoch erhobenen Hauptes aus der Kanzlei zu spazieren. Doch unüberlegt sollte man diese Phantasie nicht in die Wirklichkeit umsetzen, warnt die Karriereberaterin Carmen Schön. "Bei der Entscheidung über einen Kanzleiwechsel spielen Ratio und Emotionen eine wichtige Rolle", sagt sie. "Fragen Sie sich zunächst, ob Sie sich an Vernunftgründen oder an Ihrem Bauchgefühl orientieren." Ihr Ratschlag: "Beides sollte im Einklang sein, eine reine Bauchentscheidung wäre falsch."
Die Karriereberaterin und Coach nennt vier Kriterien, die jeder anlegen sollte, der prüfen will, ob die Kanzlei die noch die Richtige ist: Passt die Kanzleikultur? Entspricht der Bereich, in dem ich arbeite, meinen Neigungen und Stärken? Wie sind die Karriere-Optionen? Und wie sieht es mit den Rahmenbedingungen aus?
"Mit welchem Gefühl gehe ich jeden Morgen zur Arbeit - das ist die wichtigste Frage, die sich jemand stellen sollte, der darüber nachdenkt, die Kanzlei zu wechseln", sagt Carmen Schön.
Ein angestellter Anwalt hat drei Gruppen von Kontaktpersonen, mit denen er möglichst gut zusammenarbeiten sollte: Erstens der Partner, dem er unterstellt ist. Zweitens die Kollegen, mit denen er auf Augenhöhe zusammenarbeitet. Und drittens das Sekretariat und andere Mitarbeiter, die ihm hierarchisch untergeordnet sind.
"Leitfragen, die man sich stellen kann, sind: Wie ist mein Verhältnis zu all diesen Gruppen? Wie verläuft die Kommunikation? Gibt es gegenseitiges Vertrauen, Verbindlichkeit? Teilen alle ähnliche Wertvorstellungen?", sagt Schön.
Wenn hier etwas nicht harmonisch ist, empfiehlt es sich weiter zu fragen: Liegt es an mir selbst? Inwiefern kann ich mein Verhalten ändern, um kritische Situationen zu entspannen? Gibt es auch Dinge, die sich von selbst erledigen werden – verlässt z.B. der ungeliebte Partner ohnehin bald die Kanzlei oder ist es denkbar, in das Team eines anderen Partners zu wechseln?
"Ziehen Sie ein Fazit: Lohnt es sich, auf eine positive Entwicklung zu hoffen? Wie fühlt sich dieser Gedanke für Sie an?", empfiehlt die Karriereberaterin. Ihrer Erfahrung nach entscheiden viele Anwälte bei der Wahl des Arbeitgebers vor allem nach rationalen Gründen und vernachlässigen den Faktor "Kanzleikultur". "Sie gehen etwa dorthin, wo sie das höchste Gehalt bekommen und merken leider dann erst später, dass es menschlich nicht passt", erzählt Schön.
Klar, im Beruf bekommt man nicht immer nur Aufgaben übertragen, die uneingeschränkt Spaß machen. "Allerdings sollte man sich schon überlegen, ob man in der gegenwärtigen Kanzlei seine fachlichen Vorlieben und Stärken ausleben kann", meint Carmen Schön. Dabei helfe oft ein Rückblick: "Was hatte ich mir vorgenommen im Studium? Welches sind die Fachgebiete, die mich interessieren und in denen ich gut bin?", seien Leitfragen, an denen man sich bei einer Bestandsaufnahme orientieren kann.
Wer sehr unglücklich damit ist, statt im heißgeliebten Familienrecht im Baurecht eingesetzt zu werden, sollte zunächst herausfinden, ob er das Dezernat wechseln kann. "Wenn das nicht möglich ist, kommt der zweite Schritt", sagt Schön. "Überlegen Sie, ob Sie aus diesem Grund tatsächlich die Kanzlei wechseln wollen oder ob es andere Aspekte gibt – etwa ein gutes Team – die für 'Bleiben' sprechen."
"Wichtig ist, dass man seine Wünsche in der Kanzlei, gegenüber den verantwortlichen Personen, klar kommuniziert", betont die Karriereberaterin. Sie hat es häufig erlebt, dass eine Kanzlei durchaus gewillt gewesen wäre, den Wunsch des Anwalts nach einem internen Wechsel zu erfüllen, aber schlicht nichts davon wusste - weil der Anwalt es nicht klar genug gesagt hatte.
Ein möglichst hohes Gehalt und Aussichten auf eine Partnerschaft sind nach wie vor für viele Associates ausschlaggebend, wenn sie sich für einen Arbeitgeber entscheiden. "Eines sollten sie sich dabei aber klar machen", sagt Carmen Schön: "Je höher das Gehalt, desto mehr hat man möglicherweise unter anderen Faktoren zu leiden, etwa unter einer sehr hohen Arbeitsbelastung oder einem Umfeld, das nicht zu einem passt."
In vielen Großkanzleien gibt es die Vorgabe, dass angestellte Anwälte rund 1.800 abrechenbare Stunden pro Jahr leisten müssen - hinzu kommen nochmals viele weitere Arbeitsstunden, die dem Mandanten nicht in Rechnung gestellt werden. "Das Privatleben wird also zwangsläufig unter der Arbeit in einer Großkanzlei leiden", resümiert Schön. "Jeder sollte sich fragen, ob er der Typ dafür ist und das auf Dauer schaffen kann", rät sie. Eine Alternative wäre der Wechsel in eine kleinere Kanzlei, wo die Vorgaben womöglich niedriger sind. Auch der Wechsel in ein Unternehmen sei denkbar, wobei die Arbeitsbelastung jedoch stark von der Firma und der Position abhänge.
Die Gehälter in kleinen Kanzleien und Unternehmen sind in der Regel deutlich niedriger als in den internationalen Law Firms, wo Berufseinsteiger schon mit sechsstelligen Einstiegsgehältern rechnen können. Ein Jobwechsel kann daher auch mit erheblichen Gehaltseinbußen verbunden sein. "Wer sich fragt, ob er auch mit weniger Geld auskommen könnte, sollte einmal durchrechnen, was das Minimum ist, das er zum Leben braucht", empfiehlt Schön.
Ein weiterer Grund, warum Anwälte über den Kanzleiwechsel nachdenken, sind enttäuschte Hoffnungen auf eine Partnerschaft. Oft ist es gerade in kleineren Kanzleien absehbar, dass im eigenen Fachgebiet in den nächsten Jahren keine neuen Partner gemacht werden. Dann also sein Glück bei einer neuen Adresse versuchen? Carmen Schön meint, dass man nicht zu früh aufgeben solle. "Das ist ein Fehler, den viele Anwälte machen", hat sie beobachtet. "Es ist wichtig, seine Pläne und Ziele gegenüber den Verantwortlichen klar zu kommunizieren", sagt sie. "Wer erst im Kündigungsgespräch sagt, dass er geht, weil er keine Partnerchancen sieht, hat es definitiv falsch gemacht - denn dann ist es zu spät."
Geld, Karriere, Kanzleikultur und Arbeitsaufgaben - alle diese Kriterien sind wichtig für die Entscheidung, ob ein Anwalt die Kanzlei wechseln will oder nicht. Doch es bleibt jedem Einzelnen überlassen, wie er diese Aspekte für sich gewichtet, meint die Karriereberaterin: "Dem einen mag die gute Atmosphäre im Team wichtiger sein als die Aussicht auf die Partnerschaft, für die andere ist es genau anders herum."
Ihr Rat: "Schmeißen Sie nicht einfach das Handtuch. Der Wunsch zu gehen fühlt sich in der Phantasie meist besser an, als es in der Realität ist. Prüfen Sie rechtzeitig Ihre Optionen."
Jeder Wechselwillige sollte sich deshalb überlegen, welche der vier Kriterien ihm besonders wichtig sind und wo er Möglichkeiten sieht, diese zu realisieren. "Das muss nicht zwangsläufig eine Kanzlei oder eine Rechtsabteilung sein, sondern könnte auch ein Arbeitgeber sein, den man zunächst nicht auf dem Schirm hat", gibt Schön zu Bedenken. Wenn es ernst wird mit dem Wechsel, dann gilt: vorab informieren, viele Gespräche führen und im Gespräch mit dem neuen Arbeitgeber die Themen direkt ansprechen, die einem wichtig sind.
Denn eines ist sicher, im neuen Job wird es anders sein - aber nicht zwangsläufig besser.
Anja Hall, Bleiben oder gehen?: Wann es Zeit wird, die Kanzlei zu wechseln . In: Legal Tribune Online, 13.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20568/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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