Torsten Schneider (42) ist seit 2011 Director Human Resources bei Luther. In unseren fünf Fragen berichtet er, wie sich Geschäfts- und Karrieremodelle von Kanzleien in Zeiten von Google und Generation Y ändern werden, und erklärt die neue Funktion der HR in dem Prozess.
Torsten Schneider
LTO: Herr Schneider, Ihr Leadership-Blog im Internet hat eine vielbeachtete Bandbreite und Sie haben im Verlauf Ihrer Karriere Berufserfahrungen in den unterschiedlichsten Branchen sammeln können. Bitte schildern Sie unseren Lesern, über welche Zwischenstationen Sie in die Welt der Wirtschaftskanzlei geraten sind, und ob dies womöglich schon von klein auf Ihr Berufsziel war?
Schneider: Oh nein. Dort wo ich aufgewachsen bin, in der ehemaligen DDR, gab es nur sehr begrenzte Karriereperspektiven. Allerdings glaube ich, dass ich zu dieser Zeit bereits zwei Wesenszüge in mir hatte, von denen ich heute profitiere: die Bereitschaft zur Veränderung und den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus, um daraus zu lernen. Doch der Reihe nach:
Nach dem Realschulabschluss schloss ich eine Ausbildung zum Automechaniker ab. Parallel zur Berufsausbildung holte ich am Abendgymnasium mein Abitur nach. Anschließend studierte ich Jura in Gießen. Allerdings spürte ich auch, dass Jura allein mir zu wenig ist und ich ein breites Aufgabenspektrum suchte, bevorzugt in der freien Wirtschaft. Und so kam es dann auch.
Ich startete meine berufliche Karriere 1999 beim Gerling Konzern in Köln im Grundsatzreferat des Personalbereichs. Ich war sehr nah am Vorstand angesiedelt und befasste mich mit Themen aus den Bereichen Personalstrategie, Vergütungsmanagement und der betrieblichen Mitbestimmung. Um das operative Geschäft kennenzulernen, wechselte ich nach 2 1/2 Jahren Personalarbeit intern zur Gerling Pensionsmanagement GmbH, einer Beratungsgesellschaft für Industriekunden im Bereich der betrieblichen Altersversorgung.
2003 tauchte ich dann noch tiefer in der Welt der Unternehmensberatung ein und wechselte zu Mercer Human Ressource Consulting. Parallel erwarb ich an der European Business School in Oestrich Winkel einen General Management Abschluss.
Von 2006 bis 2011 war ich bei der Rhein Energie AG als Leiter Personal Zentrale Aufgaben für Impulse bei der Weiterentwicklung des Personalmanagements verantwortlich. Ich führte einen Bereich mit 16 Mitarbeitern und kümmerte mich u.a. um alle Fragen der Personalpolitik und die Führungskräfteentwicklung. 2011 dann der entscheidende Wechsel zu Luther.
"Personalentwicklung der Führungskräfte fällt zu oft hinten runter"
LTO: Wie groß sind denn die Unterschiede oder auch die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Branchen aus dem Blickwinkel Human Resources und wo liegen gemeinsame Chancen und Gefahren?
Schneider: Die Gemeinsamkeiten sind größer als ich erwartet hatte. Aus dem Blickwinkel Human Resources sticht meiner Meinung hier besonders ins Auge, dass einige zentrale Versäumnisse in den jeweiligen Branchen nahezu identisch sind. Beispielhaft erwähnen möchte ich insoweit die Personalentwicklung im Kreis der Führungskräfte. Dieses Thema müsste eigentlich mit höchster Priorität betrieben werden, fällt aber viel zu oft hinten runter, meist aufgrund eines vorgeblichen Zeitmangels oder weil die Führungskräfte glauben, es nicht nötig zu haben. Das ist natürlich besonders gefährlich in Branchen die darauf angewiesen sind, die besten Leute an Bord zu haben und diese konstant zu Höchstleistungen zu motivieren.
Bei der Personalauswahl und auch der Personalentwicklung insgesamt – ob nun für Führungskräfte oder Mitarbeiter – lenken zudem viele den Blick nur auf das Fachwissen und weniger auf die Persönlichkeit und die Social Skills. So lebt gerade die Welt der Wirtschaftskanzleien von der sozialen Interaktion, ob nun bei der Mandatsanbahnung und oder bei der Mandatsbearbeitung. Wer insoweit nicht von Natur aus mit einzigartigen Talenten gesegnet ist, sollte sich zumindest die Zeit nehmen, daran zu arbeiten. Für mich ist ein Unternehmen aus HR-Sicht jedenfalls nur dann gut für die Zukunft aufgestellt, wenn es über eine ausgeprägte Weiterbildungskultur verfügt: Das gilt übrigens unabhängig von der Branche. Hier liegen meines Erachtens die größten Chancen und Risiken zugleich.
Selbstverständlich gibt es auch Unterschiede zwischen der Branche der Wirtschaftskanzleien und den anderen Branchen, die ich kennengelernt habe. Als ein Beispiel sehe ich hier die Sensibilität für die Veränderungen und die Bereitschaft darauf zu reagieren. Ob sie nun die Versicherungswirtschaft, die Energieversorgung oder die Unternehmensberatung nehmen, alle diese Branchen haben die harten Einschnitte erlebt, die folgten, als disruptive Veränderungen die alten Geschäftsmodelle ins wanken brachten. Zwischenzeitlich haben die meisten Unternehmen in diesen Branchen, sich auf die Notwendigkeit zu kontinuierlichen Veränderungen eingestellt, Flexibilität als Voraussetzungen für Anpassungsfähigkeit erkannt und entsprechende Fähigkeiten entwickelt. Wirtschaftskanzleien – zumindest in Deutschland – hängen hingegen immer noch zu sehr an ihren etablierten Geschäftsmodellen und Strukturen. Zwar gewinnt die Einsicht an Bedeutung, dass sich etwas ändern muss, die Konsequenzen in Bezug auf das, was angepackt werden soll, haben jedoch allenfalls eine homöopathische Dosis.
2 /2: "Vielleicht ist nicht die Generation Y das Problem, sondern es sind die Alten"
LTO: Was meinen sie konkret und hat das was mit der Generation Y zu tun?
Schneider: Lassen Sie mich mit der Generation Y beginnen. Ja, es hat etwas mit dieser Generation zu tun, aber anders als die meisten denken. Schon Sokrates soll beklagt haben, dass die Jugend den Luxus liebt, schlechte Manieren hat, die Autorität verachtet und keinen Respekt mehr vor älteren Leuten hat. Vielleicht ist die Generation Y tatsächlich anfälliger für die Einschränkungen, welche das traditionelle Verständnis von Autorität und etablierten Arbeitsmo-dellen mit sich bringt. Vielleicht ist aber auch nur die gleiche Dynamik, wie sie sich von Generation zu Generation seit buchstäblich Tausende von Jahren wiederholt. Sokrates hin oder her, der Generationenkonflikt ist weder neu noch überraschend. Und vielleicht ist deshalb nicht die "Jugend" das Problem, sondern sind es die "Alten", weil sie Schwierigkeiten damit haben, hinterfragt zu werden.
Eine andere Ursache dafür, warum der Lebenszyklus der heutigen Geschäftsmodelle sich offensichtlich seinem Ende nähert, sind die Erwartungen der Mandanten. Mandanten werden sich künftig noch stärker fragen, warum sie für Routinearbeiten und die Ausbildung von Berufseinsteigern hohe Gebühren an teuren Standorten zahlen sollen. Die klassische Unternehmensberatung hat das bereits vor mehr als 10 Jahren zu spüren bekommen und harte Einschnitte erfahren. Mandanten erwarten, dass Kanzleien selbst nach preiswerteren Möglichkeiten für diese Arbeiten suchen. Sie wollen sich darauf verlassen, dass ihre Kanzlei es versteht, die zu erledigende Arbeit flexibel in der kostengünstigsten Art und Weise zu managen. Hinzu kommt, dass Mandanten mehr und mehr Arbeit im eigenen Haus wahrnehmen. Dafür haben sie viele ehemalige Mitarbeiter aus Wirtschaftskanzleien in die eigenen Reihen geholt. Dadurch kennen Sie die Geheimnisse und Kalkulationsmodelle der Kanzleien sehr genau. Das drückt die Margen nach unten und die Erwartungen an Service und Output nach oben. All das sind die Faktoren, die zur Entwicklung neuer Formen der Zusammenarbeit zwischen Mandanten, Anwälten und externen Dienstleistern führen. Dies wird neue Formen, Netzwerke und Wertschöpfungsketten bei der Erbringung von Rechtsdienstleistungen zur Folge haben.
"Globalisierung und technologischer Fortschritt verschonen Anwälte nicht"
LTO: Inwieweit werden sich diese Veränderungen auf die Karrieremodelle auswirken?
Schneider: Man muss beachten, dass die Generation Y nicht nur in den Kanzleien Einzug hält, sondern auch bei den Mandanten. Viele Dinge die heute noch von gut bezahlten Rechtsanwälten erledigt werden, sind zukünftig immer öfter substituierbar. So wie Naschlagewerke wie die Brockhaus Enzyklopädie durch Wikipedia & Co. vom Markt gefegt wurden, werden intelligente semantische Suchmaschinen auch anwaltliche Arbeit subsituieren. Dort wo das nicht geht, stehen Unternehmen für Legal Process Outsorcing oder Projektjuristen schon in den Startlöchern, um den etablierten Kanzleien Marktanteile abzujagen. Man kann die Arbeiten also dorthin auslagern, wo die Kosten geringer sind, oder man bedient sich bei der Erledigung solcher Juristen, die nur projektbezogen ausgeliehen werden.
Um weiter an der vollen Wertschöpfung beteiligt zu bleiben und erster Ansprechpartner für die Mandanten zu bleiben, werden die Kanzleien über alternative Karrieremodelle nachdenken müssen. Sie werden prüfen, ob es sich rechnet, zunehmend auch solche Mitarbeiter einzusetzen, die zwar keine zwei juristischen Staatsexamina, aber bspw. ein juristisches Bachelor-Studium oder eine andere vergleichbare Qualifikation vorweisen können. Nicht zu vergessen auch die Diskussion um das Schlagwort Work-Life-Balance und die damit verknüpften Folgen. Möglicherweise haben der erreichte Wohlstand und die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung dazu beigetragen, dass viele exzellent ausgebildete Juristen gar nicht mehr den Partnerstatus in einer Kanzlei anstreben und – ob nun aus familiären oder anderen persönlichen Gründen – längere Auszeiten bzw. eine Teilzeitbeschäftigung wollen. Demzufolge scheint der Counsel an Attraktivität zu gewinnen.
Alle diese Rahmenbedingungen zusammen, könnten zu einem Paradigmenwechsel für die Karrieremodelle in Wirtschaftskanzleien führen. Wie diese neuen Karrierepfade im Detail aussehen, ist die spannende Zukunftsfrage. Ganz sicher ist jedoch, dass dies auch Auswirkungen auf die Vergütungsstrukturen und Führungsaufgaben haben wird. Von einigen HR-Kollegen weiß ich, dass sie dieses Thema ebenfalls mit ihren Managing Partnern diskutieren. Mit einem Blick über den Tellerrand sollten wir hier von anderen Branchen lernen. Unter den Stichworten "Fachkarriere und Führungskarriere" beschäftigt sich die Industrie beispielsweise seit Jahren mit dieser Herausforderung.
"HR ist die Funktion des Veränderungsmanagers"
LTO: Welche Rolle kommt in dieser Hinsicht den HR-Abteilungen zu?
Schneider: HR hat zunächst einmal generell die Aufgabe, die Organisation dabei zu unterstützen besser zu werden. Hierfür muss HR dabei unterstützen, Prozesse und Systeme zu entwickeln, um die vorhandenen Ressourcen effizienter zu nutzen. Im Bereich des Talent Managements erwarten die Mitarbeiter Antworten auf grundlegende Fragen: Wofür bin ich verantwortlich? Woran werde ich gemessen? Was muss ich tun? Für die Antwort darauf muss HR einen Rahmen schaffen, der diese Orientierung möglich macht. Und selbstverständlich muss HR alles tun, damit die richtigen Mitarbeiter an Bord sind. Dies betrifft sowohl die fachliche Seite als auch die Persönlichkeit, die erforderlich ist, um auf Veränderungen flexibel zu reagieren.
HR-Manager müssen für diese Aufgabe in der Lage sein, in ganzheitlichen Systemen zu denken. Sie müssen über die Zusammenhänge und Rahmenbedingungen der Wertschöpfung und den daraus resultierende Veränderungsnotwendigkeiten im Unternehmen genauso Bescheid wissen, wie über Recruiting und Talent Management. HR ist daher nicht die Funktion des Personalverwalters, so wie sie vielfach noch vorzufinden ist, sondern die Funktion des Veränderungsmanagers.
LTO: Herr Schneider, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Christian Pothe.
Christian Pothe, Fünf Fragen an…Torsten Schneider: "Wirtschaftskanzleien hängen zu sehr an ihren etablierten Geschäftsmodellen" . In: Legal Tribune Online, 17.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12589/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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