Die Vergaberecht-Teams in den Wirtschaftskanzleien haben es zunehmend schwer. Baurechtler, Ingenieure und sogar die eigenen Mandanten machen ihnen Konkurrenz, Nachwuchsjuristen begeistern sich nicht unbedingt für die Materie. Um ihr Rechtsgebiet zu retten, geht eine Gruppe Hamburger Vergaberechtler einen ungewöhnlichen Weg: Kanzleiübergreifend gründen sie ein eigenes Institut.
300 Milliarden Euro im Jahr, mindestens. Auf diese Summe beziffert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie das Beschaffungsvolumen in Deutschland. 300 Milliarden gibt die Öffentliche Hand im Jahr für neue Büromöbel, IT-Infrastruktur, Architektur- oder Marketingleistungen aus. Vergaberechtler begleiten die Kommunen und Behörden bei den Einkäufen von Gütern und Dienstleistungen, insbesondere wenn das Volumen die Schwellenwerte übersteigt und öffentlich ausgeschrieben werden muss. Doch was jahrelang eine lukrative Einkommensquelle für Kanzleien war, hat sich grundlegend gewandelt.
Denn zunehmend führen die öffentlichen Auftraggeber einfache Ausschreibungsverfahren selbst durch. Mit Commodity-Beratung, also der Durchführung von standardisierten Vorgängen bei öffentlichen Ausschreibungen, lässt sich in Kanzleien heute kaum noch Geld verdienen.
Dabei haben die Vergaberechtler ihre Mandantschaft selbst emanzipiert. Mit Schulungen, Workshops und Infoveranstaltungen professionalisierten sich Behörden und Kommunen so weit, dass sie heute etwa in der Lage sind, Teilnahmewettbewerbe eigenständig durchzuführen. Aus diesem Grund werden Vergaberechtler vermehrt nur noch für komplexe Vorgänge beauftragt, wie etwa bei der jüngsten Herkules-Ausschreibung der Bundeswehr mit einem Volumen von mehr als vier Milliarden Euro.
Konkurrenz von vielen Seiten
Das Commodity-Geschäft brach auch weg, weil neue und günstigere Akteure im Markt auftauchten. Ingenieursgesellschaften übernehmen vermehrt die Betreuung von Vergabeverfahren von Bauprojekten für die Öffentliche Hand - aus Sicht der Kanzleien zu Dumpingpreisen, bei denen sie nicht mithalten können.
Hinzukommen die erstarkten Rechtsberatungsarme der Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaften. So verfügen KPMG Law und PwC Legal längst über beste Kontakte zur öffentlichen Hand und gewinnen immer lukrativere Aufträge.
Auch die Baurechtler, die oft Vergabe- und baurechtliche Beratung aus einer Hand anbieten, erweisen sich als hartnäckige Konkurrenten. Letztlich beschäftigt auch der ausbleibende Nachwuchs die Vergaberechtler.
2/2: Die Rettung der Zunft?
Das Hamburger Vergabeinstitut (HVI), gegründet im März 2015, trägt also einen großen Berg Hoffnungen auf seinen jungen Schultern. Das eigene Fachpersonal stärken und sich von benachbarten Bereichen wie dem Baurecht abgrenzen, junge Berufseinsteiger mit einem Spezialtitel locken, die Billig-Konkurrenz abwehren, für Mandanten relevant bleiben - die Wunschliste der Initiatoren ist lang.
Die Besonderheit des HVI: Die Gründer haben sich über Kanzleigrenzen hinweg zusammengeschlossen, um für ihre Zunft zu kämpfen. Mit dabei sind Berater, die seit Jahrzehnten im Markt agieren: Prof. Heiko Höfler von Bird & Bird, der langjährige Taylor Wessing-Partner Dr. Klaus Willenbruch sowie Dr. Martin Schellenberg von Heuking Kühn Lüer Wojtek. Mit dabei ist auch Kristina Wieddekind, ehemals Taylor Wessing-Vergaberechtlerin und heute in eigener Kanzlei in Hamburg tätig. Wieddekind soll HVI-Geschäftsführerin werden.
Der erste Schritt zur Rettung ihres Fachbereichs war die Durchsetzung des Fachanwalt-Titels. Dieser wurde am 16. März dieses Jahres von der Bundesrechtsanwaltskammer beschlossen, insbesondere Höfler und Schellenberg betrieben dafür seit vielen Monaten Überzeugungsarbeit. Denn unumstritten ist der Fachanwalt für Vergaberecht nicht. So hörte man im Markt des Öfteren ein Stöhnen und die Meinung, dass man "so etwas" nicht brauche. Insbesondere erfahrene Berater erachten den Fachanwaltstitel als nicht notwendig.
Handlungsempfehlungen für die Öffentliche Hand
Doch nun ist er da, der Fachanwalt Vergaberecht, und die HVI-Gründer planen, ab Spätsommer dieses Jahres eine entsprechende Ausbildung anzubieten. Momentan werden geeignete Dozenten gesucht. Der Fachanwaltstitel soll vor allem Berufseinsteigern, jungen Anwälten oder auch Anwälten fernab der großen Wirtschaftszentren zur Profilschärfung dienen. Dass die Initiative aus großen Wirtschaftskanzleien entstanden ist, ist eher den persönlichen Beziehungen der Gründer zuzuschreiben als dass strategische Gründe dahinter stünden.
Doch nicht nur an ihre Anwaltskollegen, auch an die Öffentliche Hand sind die Projekte des HVI adressiert. "Wir planen, gemeinsam mit Wirtschaftsteilnehmern – etwa aus der Verwaltung – Leitlinien zu entwickeln", erzählt Heuking-Partner Schellenberg. "In den Leitlinien sollen die unübersichtlichen Regelwerke in konkrete Handlungsempfehlungen für Vergabeverfahren umgesetzt werden."
Einen Wegfall der anwaltlichen Beratung sieht Schellenberg damit nicht. "Unser Vorbild sind die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Hier sind medizinische Handlungsempfehlungen für Ärzte in Bezug auf einzelnen Krankheitsbilder aufgelistet." Auch potenzielle Mandanten sollen in das Institut gelockt werden. So planen die HVI-Gründer, für Vertreter der Öffentlichen Hand Fortbildungen anzubieten.
Ob die Hamburger Keimzelle es schafft, das Rechtsgebiet deutschlandweit wirklich wiederzubeleben, muss sich zeigen. Ein weiteres Ausbildungsinstitut im Meer der privaten Anbieter jedenfalls ist noch längst keine Revolution. Leitlinien zu formulieren, könnte dem HVI zu Profil verhelfen – aber nur, wenn sie von den Mandanten auch angenommen werden.
Désirée Balthasar, Gründung des Hamburger Vergabeinstituts: Wiederbelebung eines Rechtsgebiets . In: Legal Tribune Online, 04.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15409/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag