Im Kampf um die Talente macht ein neues Schlagwort die Runde unter Personalfachleuten: Candidate Experience. Sie ist Teil des wichtiger werdenden 'Employer Branding'. Martin Wollziefer und Christine Sauerwald erklären den Trend.
LTO: Was verbirgt sich hinter dem neuen Trendwort Candidate Experience?
Christine Sauerwald: Es geht schlicht darum, Bewerberinnen und Bewerber nicht nur über den Firmennamen, die spannende Aufgabe oder das attraktive Gehalt für den Arbeitgeber zu gewinnen. Im Bewerbungsverfahren kann man vielmehr auch durch professionellen Umgang punkten.
LTO: Sollte das nicht selbstverständlich sein? Von Bewerbern erwarten die Kanzleien schließlich auch Professionalität.
Sauerwald: Eigentlich ja. Aber tatsächlich spielt dieses Thema auch aus einem anderen Grund eine große Rolle in den Kanzleien. Denn hier hat sich der Arbeitsmarkt gedreht: Mittlerweile finden sich die Kanzleien in der Rolle des Bewerbers wieder. Die wenigen passenden Talente sind kaum noch zur Bewerbung zu bewegen - schon gar nicht per Online-Formular.
LTO: Was ist so schlimm an einem Online-Formular?
Martin Wollziefer: Laut der Candidate Experience Studie 2014 von Christoph Athanas und Professor Peter Wald bevorzugen rund 70 Prozent der Bewerber eine Bewerbung per E-Mail. Jeder zehnte Bewerber lehnt Online-Bewerbungsformulare komplett ab und verzichtet im Zweifel auf eine entsprechend Bewerbung. Wir glauben, dass diese Quoten bei jungen Juristinnen und Juristen noch höher sind.
Juristen haben keine Lust auf Bewerbungsformulare
LTO: Warum sperren sich ausgerechnet Juristen gegen Online-Bewerbungsformulare?
Wollziefer: Ich glaube nicht, dass man von 'sperren' reden kann. Aber der allgemeine Personalmarkt und auch meine langjährige Erfahrung als Personalverantwortlicher zeigen, dass die Abneigung gegen Onlineformulare in dem Maße wächst, wie das Angebot an guten Kandidaten sinkt. Anders gesagt: Je umworbener die Kandidatinnen und Kandidaten, umso weniger Lust haben die auf ein solches Web 2.0-Formular.
Es gibt sogar eine Kanzlei, die per Muster auf ihrer Homepage Bewerbern zeigt, wie sie sich die ideale Bewerbung vorstellt. Da kann man nur viel Glück wünschen! Geeignete Kandidaten werden so vermutlich eher abgeschreckt. Gerade wenn eine Kanzlei nicht zu den großen, bekannten Namen gehört, ist es umso wichtiger, gegenüber dem qualifizierten Nachwuchs äußerst geschmeidig zu sein und Bewerber nirgendwo anecken oder abprallen zu lassen.
LTO: Man soll sich dem Bewerber also anbiedern?
Sauerwald: Nicht anbiedern. Aber in jedem Kontakt der neuen Mitarbeiterin oder dem neuen Mitarbeiter Wertschätzung entgegenbringen. Im Gegensatz zu vielen anderen Employer Branding-Maßnahmen kann eine Kanzlei tatsächlich mit einem guten Auftritt gegenüber den Kandidaten ohne jeden Kostenaufwand andere Wettbewerbsnachteile im Kampf um die Talente ausgleichen.
2/2: Headhunter für Berufsanfänger
LTO: Warum bewerben sich Juristen kaum noch? Viele wollen doch in Kanzleien arbeiten.
Sauerwald: Das ist richtig. Aber in den letzten Jahren sind immer mehr Kanzleien auf den deutschen Markt gekommen und haben mit immer höheren Gehältern den Kampf um die Talente stark befeuert. Kandidatenmessen, Schnuppertage, Events schon in der Uni, all das gibt den künftigen Beschäftigten das Gefühl, dass man sich um sie bewirbt. Das ist auch so. Manche Kanzleien suchen sogar per Headhunting nach Berufsanfängern. Warum also noch mühevoll Anzeigen studieren und unaufgefordert Papier absenden? Natürlich wird das noch gemacht. Aber sicher immer seltener im Bereich der Top-Juristen.
LTO: Wie sieht eine effektive Candidate Experience denn nun konkret aus?
Sauerwald: Eine Kanzlei sollte von Anfang an einen persönlichen Ansprechpartner für alle Fragen des künftigen Mitarbeiters benennen. Dies ist für fast alle Bewerber von hoher Bedeutung und sorgt für Klarheit. Im Vorstellungsgespräch muss sich auch die Kanzlei vorstellen. Wer hier keine gute Figur macht, wird nicht genommen. Dies gilt für die Kanzlei genau so wie für den künftigen Mitarbeiter.
"Geschwindigkeit ist zentral"
LTO: So weit, so normal. Und sonst?
Sauerwald: Ein ganz zentraler Punkt ist die Geschwindigkeit. Dies gilt vom Eingang der Bewerbung bis zur Vertragsunterzeichnung. Lange Reaktionszeiten werden bei Kandidaten oft als mangelndes Interesse oder Wertschätzung empfunden, und das ist Gift für den weiteren Prozess. Bewerbungen sollten also niemals liegengelassen werden. Noch am Tag des Eintreffens einer Bewerbung sollte entschieden werden, ob man den Kandidaten zum Gespräch einlädt. Die Bewerbung wird weder besser noch schlechter, wenn sie lange liegt.
Und das berühmte Abwarten, ob da noch was Besseres kommt, kann dazu führen, dass gute Kandidaten verloren gehen, weil sie ein anderes Angebot annehmen, zugleich aber keine besseren Bewerbungen eintreffen.
Termine sollten sehr schnell gemacht werden. Wir kennen einen Fall, in dem eine Kanzlei für den ganzen Vorgang vom Bewerbungseingang bis zum unterzeichneten Vertrag durch den Kandidaten genau sieben Tage benötigt hat. Gratulation – alles richtig gemacht! Eine renommiertere Kanzlei hingegen verlor einen Top-Kandidaten nur wegen mangelnder Geschwindigkeit – und das ist sicher kein Einzelfall!
Wettbewerbsvorteil Hinwendung
LTO: Was sollte ansonsten beachtet werden, um nicht noch mehr Bewerber zu verlieren?
Wollziefer: Die Gesprächsteilnehmer sollten entscheidungsbefugt sein. Denn so kann unmittelbar nach einem Gespräch - besser noch am Ende eines Gespräches - entschieden werden, ob es ein weiteres Gespräch geben sollte oder gar ein Vertragsangebot. Termine für ein mögliches Zweitgespräch kann man sofort mit dem Erstgespräch planen und dem Kandidaten direkt danach anbieten. Das macht einen sehr guten Eindruck. Vertragsverhandlungen sollten ebenfalls zügig und persönlich mit geplantem Telefontermin oder vor Ort geführt werden.
LTO: Dieses zügige, strukturierte Vorgehen scheint machbar in großen Einheiten mit eigener Personalabteilung. Wie aber können kleinere Kanzleien, in denen verschiedene Partner die Einstellungen vornehmen, ihren Recruitingprozess professionalisieren?
Wollziefer: Die schnelle und wertschätzende Bearbeitung hängt nicht von der Größe einer Einheit oder einer bereits vorhandenen Personalabteilung ab. Es sollte sich lediglich jedem Beteiligten, ob Partner oder Assistenz, einprägen, dass eine Bewerbung, so denn tatsächlich mal eine vorliegt, eine beschleunigte Angelegenheit mit extrem verkürzter Frist ist.
LTO: Sehen Sie den Trend also als Garant für nachhaltigen Erfolg?
Wollziefer: Geschwindigkeit und Hinwendung verschaffen Vorteile im Wettbewerb. Sie sind nur eine Frage von guter Planung. Candidate Experience in diesem Sinne ist mehr als nur ein Schlagwort. Sie zahlt unmittelbar in die Arbeitgebermarke ein und erhöht so die Chancen im Kampf um die Besten.
Dr. Christine Sauerwald (46) und Martin Wollziefer (51) sind die Inhaber der Personalberatung SW Recht + Personal in Bergisch Gladbach. Sauerwald war 15 Jahre als Unternehmensjuristin in Industrieunternehmen und der Dienstleistungsbranche tätig. Wollziefer ist studierter Pädagoge und verantwortete 17 Jahre lang die Personalbereiche mittelständischer Firmen.
Désirée Balthasar, Recruiting-Trend Candidate Experience: Wer schnell ist, bekommt die Besten . In: Legal Tribune Online, 14.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17203/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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