Die Behörden hatten über einen Ausfuhrantrag für Waffenteile über Jahre nicht entschieden. Das müssen sie jetzt. Ein Verfahren nicht mit einer Sachentscheidung abzuschließen, widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen, so das VG Frankfurt.
Seit Jahren hat die Bundesregierung die Entscheidung über Waffenexporte nach Saudi-Arabien ausgesessen. Damit ist jetzt Schluss: Das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt hat das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zur Bescheidung des Antrags auf Ausfuhr von G36-Komponenten nach Saudi-Arabien verpflichtet. Damit hat das VG eines der Verfahren entschieden, die die Heckler & Koch GmbH (HK) seit 2015 in Sachen Gewehr G36 gegen den Staat führt (Urt. v. 23.06.2016, Az. 5 K 3718/15.F).
Der Urteilstext enthält kaum Überraschungen, zumindest aus der Sicht des Juristen. Für die von der Exportregulierung betroffenen Unternehmer könnte der Richterspruch dagegen einen Paradigmenwechsel in der zähen Praxis der Ausfuhrkontrolle einläuten. Darin lässt sich durchaus eine Renaissance des Rechts in der Exportpraxis erblicken.
Neue Töne zum politischen Taktieren
Schon 2013 beantragte HK die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung für Verschlussbauteile und Ersatzteile zur Herstellung und Reparatur von den seit Jahren durch die Armee Saudi-Arabiens in Lizenz gefertigten G36-Gewehren. Eine diesbezügliche Voranfrage wurde bereits vor zehn Jahren, im Juli 2006, positiv beantwortet. Die beiden Berliner Ressorts, mit denen das BAFA die Abstimmung suchte – das Auswärtige Amt sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie –, schwiegen dem Vernehmen nach beharrlich. HK forderte das BAFA im Juli 2015 zur Bescheidung auf und klagte schließlich auf Verpflichtung des BAFA zur Erteilung der Ausfuhrgenehmigung. Hilfsweise erhob das Unternehmen eine Untätigkeitsklage, um überhaupt die Entscheidung über den Ausfuhrantrag zu erreichen.
Das VG hat nun lediglich diesem Hilfsantrag stattgegeben, das BAFA ist nunmehr zur Bescheidung verpflichtet. Die Ermessensentscheidung, ob die Genehmigung erteilt wird oder der Antrag abgelehnt wird, kann dagegen nicht die Sache des Gerichts sein. Insoweit wurde die Klage folgerichtig abgewiesen. Daher stellt das Urteil weder den Durchbruch für das begehrte unternehmerische Ziel – die Ausfuhr der G36-Schlüsselkomponenten – noch ein rechtsdogmatisches Novum dar. Und dennoch schwingen in dem richterlichen Signal zum Stellenwert des politischen Taktierens im Rechtsstaat neue Töne mit.
Anträge dürfen nicht mehr endgelagert werden
Darin liegt die eigentliche rechtliche Essenz des Urteils: Die Rückkehr des Rechts als der maßgebliche Entscheidungsmaßstab im Rechtsstaat. Intransparente Wertungskriterien verbieten sich fortan. Der Exporteur ist nicht auf den Weg des politischen good wills verwiesen. Oder deutlicher: Exportkontrolle ist kein rechts(anwendungs)freier Raum! Das "politische Hinterzimmer", in dem eingereichte Genehmigungsanträge auf der Fensterbank zwischen- oder endgelagert werden, dürfte nun ausgedient haben. In dem betont klandestinen Umgang mit seiner "Souveränitätsindustrie" war der Staat seit jeher nicht gut beraten, zumal ihm bei der Ausfuhrkontrolle das gewollt enge rechtliche Korsett hilft. Nun ist in der richterlich angeordneten Behördenentscheidung Farbe zu bekennen – auch und gerade in Bezug auf den (einstigen) Großkunden Saudi-Arabien.
Keine Sachentscheidung, kein Rechtsstaat
"Das Gericht hob hervor, dass es nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, ein eingeleitetes Verwaltungsverfahren ohne sachlichen Grund fortzusetzen und nicht durch eine Sachentscheidung abzuschließen." Eine Binse? Gewiss, bereits dem Jurastudenten im vierten Semester sollte diese Erkenntnis – zitiert aus der vom Gericht am Tag des Urteils verbreiteten Mitteilung – eine Maxime seines Rechtsverständnisses geworden sein. Und doch ist dieser Satz angesichts der lange auf öffentlicher Seite gelebten Praxis in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen.
Auf welch dünnem Eis sich die bisher gelebte Praxis des "Aussitzens" selbst nach der eigenen Einschätzung bewegte, wird nämlich an der amtsseitigen Klageerwiderung deutlich: Der Beklagtenseite stehe ein weiter Bewertungsspielraum zu, inwieweit die Schutzzwecke des § 4 Abs. 1 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) als einschlägige Beschränkungsnorm gefährdet seien. Die Bewertung habe noch nicht abgeschlossen werden können, da "die politischen Umwälzungen in der Region" noch andauerten; eine "aufmerksame Beobachtung der Lage und eine besonders sorgfältige Abwägung der Gründe" seien erforderlich.
Angeführt wird also nicht mehr und nicht weniger als das, was das Lebenselixier allen staatlichen Handelns ohnehin ausmacht: Das Rechtsstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Dass eine solche "Lage" einer dynamischen Fortentwicklung unterliegt und keinen turnusmäßigen Abschluss nach einem Projektkalender ermöglicht, liegt in der Natur der Sache. Und dass die beiden betroffenen Ressorts eine politische Lageentwicklung im Ausland aufmerksam verfolgen und bewerten, zählt zu ihrem Kerngeschäft. Die "besonders sorgfältige Abwägung der Gründe" möchte man allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung in ihrer täglichen Arbeitspraxis gerne unterstellen. Weshalb daher eine Stichtagsbetrachtung und eine darauf folgende Entscheidung (+/-) binnen zweieinhalb Jahren unmöglich sein sollte, erschließt sich nicht.
2/2: Subsumtion in diesem Falle einfach
Auch tatbestandlich lässt sich ohne weiteres eine Entscheidung über den Ausfuhrantrag treffen. Beispielsweise ist die Subsumtion, ob aus ex-ante-Sicht eine konkrete Gefahr – wie in § 6 Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen (KrWaffKontrG )oder nach den "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" vom Januar 2000 vorausgesetzt – oder gar eine Störung (z.B. die "Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker", § 4 Abs. 1 Nr. 2 AWG) vorliegt, jedem Verwaltungsrechtler in Fleisch und Blut übergegangen. Dass das "Drücken" vor Entscheidungen und das "Aussitzen" in der Erwartung schwacher Gegenwehr keine Prinzipien staatlichen Handelns sein können, ist vor diesem Hintergrund wenig überraschend.
Der Hinweis des Gerichts auf eine "weitreichende politische Einschätzungsprärogative" ist gleichwohl irreführend. Selbstverständlich steht eine Entscheidung über den Antrag auf Ausfuhrgenehmigung im behördlichen Ermessen. Der Begriff des behördlichen Ermessens ist jedoch seinerseits in ein rechtsstaatliches Korsett eingekleidet. Die obersten deutschen Gerichte in Karlsruhe und Leipzig sehen genauer hin, inwieweit Ermessen fehlerfrei ausgeübt und den Grundsätzen der Bestimmtheit, der Selbstbindung der Verwaltung oder des effektiven Rechtsschutzes Rechnung getragen wurde.
Rechtliche Begründung für politischen Kurswechsel schwierig
Aus der vorliegenden Gerichtsentscheidung über die behördliche Untätigkeit werden sich eine Reihe legitimatorischer Folgefragen entwickeln: Wenn die positive behördliche Erwiderung auf eine Voranfrage als Zusicherung im Sinne von § 38 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG) zu verstehen ist – das Bundesverfassungsgericht war im Herbst 2014 anderer Ansicht – und damit vorbehaltlich einer Änderung der Sach- und Rechtslage Bindungswirkung entfaltet, wie verhält es sich dann mit dem Diskontinuitätsgrundsatz, dem der gesamte politische Gestaltungsauftrag unterworfen ist?
Er sieht vor, dass politische Vorhaben auf jeweils eine Legislatur beschränkt sind. Wenn das Gericht nun (zum wiederholten Mal) eine "weitgehende Einschätzungsprärogative" statuiert und die Behördenentscheidung damit auf eine politische Ebene hebt, könnte auch eine Jahre zuvor auf eine Voranfrage gegebene Antwort davon erfasst sein. Andererseits räumt das Gericht gerade dieser eine rechtliche Bindungswirkung ein. Es dürfte daher sehr schwierig werden, auf dieser Grundlage einen politischen Kurswechsel des Ministers Gabriel rechtlich zu begründen.
Zuständigkeit für Exportkontrolle steht in Frage
Die Klageerwiderung des BAFA stellte ferner auf die Einbindung der beiden Ressorts AA und BMWi sowie eventuell des Bundessicherheitsrates ab. Hier stellen sich weitere Fragen: Ist die gelebte Praxis, einzelne KWKG-Genehmigungen und Voranfragen den beiden Ressorts zu überlassen, mit (grund-)gesetzlichen Vorgaben vereinbar? Und wie verhält es sich mit dem einst gelebten, nunmehr in seiner jüngsten Sitzung offenbar aufgekündigten Einstimmigkeitsprinzip im Bundessicherheitsrat? Von dieser Einstimmigkeit ist die Legitimität seiner Letztentscheidungskompetenz in erheblichem Maße abhängig. Damit steht letztendlich nicht weniger als die Zuständigkeit für das gesamte Exportkontrollregime in Frage.
Das widerspruchsfreie Hinnehmen von amtsseitigen Rechtsverstößen durch die Antragsteller wird abnehmen, die Bedeutung des rechtlichen Argumentes im Verteidigungssektor also zunehmen. Darin liegt ein großes Potential für die exportorientierte Industrie. Der bisher gelebte "politische Weg" sollte um rechtliche Argumente erweitert werden und so einen "dritten Weg" ermöglichen. Dieser bedient sich der Argumentation entlang objektiver und transparenter, für alle Beteiligten gleichermaßen verbindlicher und überprüfbarer Regelungen. Sie sind – wie oben beschrieben – dem Außenwirtschaftsrecht immanent und warten geradezu auf ihre Anwendung. Gutachterliche Rechtsausführungen sind ein Bestandteil dieses Wegs, eine Kommunikationsstrategie unter Einbeziehung der Stakeholder in Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit ist ein weiterer.
Der Autor Dr. Robert Glawe ist Rechtsanwalt bei Bird & Bird LLP in Hamburg und regelmäßig mit Rechts- und Verfassungsfragen in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung befasst.
Dr. Robert Glawe, Urteil nach Untätigkeitsklage von Heckler & Koch: Der Staat muss sich entscheiden . In: Legal Tribune Online, 15.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20024/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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