Die Bundesregierung will die Verlustverrechnung erleichtern und so Risikokapitalgeber anlocken. Was der Reformentwurf leistet und was nicht, beleuchtet Dennis Klein.
Das Prinzip könnte so einfach sein: Wenn ein Unternehmen Gewinne macht, zahlt es Steuern. Wenn es Verluste macht, keine. Sollte ein Geschäftsjahr mit einem Verlust enden, kann dieser mit Gewinnen anderer Geschäftsjahre verrechnet werden. Steuern fallen somit im Endeffekt nur auf einen dauerhaften Vermögenszuwachs an.
Die Realität ist jedoch komplizierter. Kapitalgesellschaften wie GmbH oder AG können über den Verlustabzug zwar grundsätzlich erlittene Verluste mit Gewinnen anderer Jahre verrechnen. Findige Investoren hatten sich diesen Mechanismus aber vor etlichen Jahren zu Nutze gemacht und einen Handel mit sog. "Verlustmänteln" etabliert. Dabei ging es um Kapitalgesellschaften, die in der Vergangenheit erhebliche Verluste erlitten und angesammelt hatten, diese mangels Gewinnen aber mit nichts verrechnen konnten. Vielfach war der Geschäftsbetrieb dieser Gesellschaften bereits eingestellt worden und kein Vermögen mehr vorhanden. Es bestand lediglich die formale Gesellschaftshülle mit ihren steuerlichen Verlustvorträgen.
Handel mit den "Verlustmänteln"
Diese ausgehöhlten Kapitalgesellschaften nutzten dann Unternehmensgründer. Statt eine neue Gesellschaft zu gründen, erwarben sie günstig die schon bestehende Kapitalgesellschaft mitsamt ihrer Verluste. Sie zogen sich gewissermaßen den "Verlustmantel" über – mit dem Effekt, die alten Verluste noch nutzen zu können und insoweit ihre künftigen Gewinne nicht versteuern zu müssen.
Vor diesen Verlustmänteln hat der Gesetzgeber eine Heidenangst. Denn das gesamte steuerliche Verlustvortragsvolumen ist groß. Es wurde etwa 2013 auf rund 600 Milliarden Euro geschätzt – entsprechend gewaltig ist das Steuerausfallpotential. Darum enthält das Körperschaftsteuergesetz (KStG) Einschränkungen der Verlustverrechnung. § 8c KStG sieht hierzu vor, dass Verlustvorträge quotal untergehen, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 Prozent der Anteile einer Kapitalgesellschaft übertragen werden. Bei einem Anteilswechsel von über 50 Prozent gehen die Verlustvorträge sogar komplett unter.
"Das Kind mit dem Bade ausgeschüttet"
Mit dieser Regelung ist der Gesetzgeber aber über das Ziel hinausgeschossen. § 8c KStG erfasst nämlich nicht bloß das zuvor dargestellte Modell, sondern trifft ausnahmslos alle Kapitalgesellschaften. Betroffen sind beispielsweise auch "Start-Ups", die zunächst Anlaufverluste eingefahren haben, ihr Geschäft jedoch weiter betreiben und neue Investoren gewinnen wollen. Wenn sie zu diesem Zweck neue Gesellschafter aufnehmen, laufen sie jedoch Gefahr, ihre bisherigen Verluste nicht mehr verrechnen zu können. Die Konsequenz ist eine zu hohe Steuerbelastung, da nur die "neuen" Gewinne, aber nicht mehr die "alten" Verluste berücksichtigt werden. Expansion würde steuerlich bestraft.
Bereits in der Vergangenheit waren darum Korrekturen an § 8c KStG angebracht worden. Unter bestimmten Bedingungen bleiben Verlustvorträge stehen, soweit noch stille Reserven in den Kapitalgesellschaften enthalten sind oder soweit nur innerhalb eines Konzerns umstrukturiert wird. Auch für die Sanierung verlustträchtiger Gesellschaften waren Ausnahmen eingeführt worden, die freilich als unzulässige Beihilfe die Europäische Kommission auf den Plan riefen.
2/2: Neue Lösung, neue Probleme
All das hat nicht gereicht. Darum soll nunmehr ein neuer § 8d KStG Abhilfe schaffen, der den bestehenden § 8c KStG ergänzt. Die bisherigen Verlustverrechnungsbeschränkungen werden also mitnichten abgeschafft. Stattdessen erhalten Unternehmen durch den neuen § 8d KStG ein Wahlrecht. Sie dürfen beantragen, bestehende Verluste nach einem Anteilseignerwechsel bzw. –hinzutritt fortzuführen, müssen dann aber auch den bisherigen Geschäftsbetrieb unverändert fortführen. Weitere Bedingung: Der Geschäftsbetrieb muss vor dem Anteilseignerwechsel bereits mindestens drei Jahre existiert haben. Die Bundesregierung hofft, hierdurch einerseits den Handel mit "Verlustmänteln" zu verhindern, andererseits aber keine Expansionshemmnisse zu schaffen.
Das klingt gut – wird aber durch neue Probleme erkauft.
Bereits die Bedingung, den bisherigen Geschäftsbetrieb unverändert fortführen zu müssen, wirkt aus der Zeit gefallen. Wirtschaft ist schnelllebig. Jedes Unternehmen muss permanent den Markt beachten und sich hierauf einstellen. Fälle wie Nokia oder Motorola sind eindrucksvolle Beispiele, welches Schicksal bei Verschlafen von Markttrends oder Festhalten an überkommenen Geschäftsmodellen droht. Durch das Festschreiben des bisherigen Geschäftsbetriebs droht eine Strukturkonservierung und damit nur ein neues steuerliches Hemmnis.
Unsicherheiten dürften Investoren abschrecken
Streit wird sich auch daran entzünden, was denn konkret ein "Geschäftsbetrieb" bedeutet oder wann ein solcher steuerlich als eingestellt gilt. Im Gesetzeswortlaut des Entwurfs sind diese Tatbestandsmerkmale nämlich nicht näher definiert. Lediglich die Gesetzesbegründung nennt Beispiele und Kriterien, wie etwa die angebotenen Produkte, Dienstleistungen oder den Kundenkreis. Die Gesetzesbegründung ist aber nur eine von mehreren Auslegungshilfen. Verbindlich ist sie nicht, sodass schon jetzt Prozesse um die richtige Auslegung absehbar sind. Bis zur höchstrichterlichen Klärung würden Jahre der Unsicherheit vergehen – Gift für ein investitionsfreundlicheres Klima.
Hinzu kommt, dass in anderem steuerlichen Zusammenhang abweichende Regelungen zum Begriff Gewerbebetrieb und zur Betriebsaufgabe bestehen. Vor diesem Hintergrund ein solch zentrales Tatbestandsmerkmal offenzulassen, erscheint zweifelhaft bis verwegen.
§ 8d: Die beste schlechte Lösung
Wie man es auch dreht und wendet, eine Patentlösung ist nicht ersichtlich. Systematisch konsequent wäre es, § 8c KStG mit dessen Verlustverrechnungsbeschränkungen komplett abzuschaffen. Der jetzt vorgeschlagene neue § 8d KStG wäre dann überflüssig. § 8c KStG ist systematisch nämlich ein Fremdkörper im geltenden Besteuerungskonzept. Für die Körperschaftsteuer ist streng zwischen der Kapitalgesellschaft einerseits und deren Anteilseignern andererseits zu trennen. Als juristische Personen sind die Kapitalgesellschaften eigenständige Steuersubjekte. Die Anteilseigner werden gesondert besteuert. Erst die Vermischung dieser Aspekte schafft die Probleme, die jetzt ein neuer § 8d KStG lösen soll.
Aus steuersystematischer Sicht ist der Handel mit Verlustmänteln hinzunehmen. Politisch dürfte dieser radikale Ansatz wegen des Steuerausfallrisikos aber nicht umsetzbar sein. Insofern ist der jetzige Entwurf eines § 8d KStG zumindest eine Verbesserung des Status quo.
Der Verfasser ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover und zugleich Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Toppenstedt bei Hamburg.
Prof. Dr. Dennis Klein, Reform steuerlicher Verlustverrechnung: Die Angst vor den Verlustmänteln . In: Legal Tribune Online, 20.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20928/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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