Nach einem am Mittwoch vom Kabinett beschlossenen Gesetz sollen Verbraucherverbände künftig mehr Möglichkeiten bekommen, gegen Datenschutzverstöße vorzugehen. Damit greifen sie in den Aufgabenbereich der Datenschutzbehörden ein. Die allerdings sind so überlastet, dass sie sich über jede Unterstützung freuen.
Im Wege der Unterlassungsklage sollen Verbraucherschutzverbände künftig gegen Unternehmen vorgehen können, wenn diese Datenschutzverstöße begehen. Dazu will das Kabinett die Verbraucherschutzgesetze, deren Verletzung die Verbände nach § 2 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) per Unterlassungsklage rügen können, um eine Nr. 11 erweitern: die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten durch ein Unternehmen, wenn diese zu Werbezwecken, für die Marktforschung, zur Erstellung von Persönlichkeits- oder Nutzungsprofilen oder vergleichbaren kommerziellen Zwecken genutzt werden.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte, für Verbraucher sei es schwer, Verstöße von Firmen gegen das Datenschutzrecht überhaupt zu erkennen. Viele scheuten zudem die Kosten und Mühen, gegen solche Vergehen anzugehen. "Viele wagen es nicht, alleine einen Rechtsstreit gegen große Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung zu führen." In solchen Situationen bräuchten die Bürger einen starken Anwalt ihrer Interessen. Als solcher versteht sich Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Er begrüßte am Mittwoch die geplante Neuregelung: "Das Verbandsklagerecht ist endlich im digitalen Zeitalter angekommen".
Allerdings können die Verbraucherverbände bereits jetzt unter bestimmten Umständen gegen datenschutzrechtliche Verstöße vorgehen - etwa, wenn sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) enthalten sind, oder wenn die verletzte Regel eine Marktverhaltensvorschrift im Sinne von § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellt.
Bald vor Gericht: Datenabfragen und Löschanträge
Für bloße Symbolpolitik hält Verbraucherschützerin Carola Elbrecht vom vzbv die geplante Neuregelung dennoch nicht. Es habe bislang eine Reihe von durch Verbraucher angezeigten Verstößen gegeben, die man mangels Klagebefugnis nicht habe verfolgen können. Vor allem unzulässige Datenabfragen oder die mangelhafte Löschung von Verbraucherdaten auf Internetseiten würden in der Regel nicht durch AGB geregelt, erklärt die Projektkoordinatorin 'Verbraucherrechte in der digitalen Welt'. "Erst im Jahr 2013 sind wir vor dem Oberlandesgericht Dresden mit dem Versuch gescheitert, auf einer Internetseite bei einem Gewinnspiel für Kinder die Abfrage von Daten zu untersagen, welche für die Teilnahme nicht erforderlich waren. Das kann ja nicht nur das Geburtsdatum sein, sondern auch Hobbys, welche die Betreiber abfragen".
In den Jahren 2011 und 2013 habe der vzbv Marktchecks durchgeführt, um zu testen, ob und inwieweit Internetanbieter auf Antrag ihrer Kunden deren Daten löschen. Bei den meisten der angefragten Betreiber habe sich in den zwei Jahren nichts getan. "Bisher hätten wir keine rechtliche Handhabe gehabt, wenn diese den Löschungwünschen der Kunden nicht entsprechen", freut sich Elbrecht.
Naturgemäß etwas kritischer bewertet das die Privatwirtschaft. Tobias Kohl, Consultant Datenschutz und Compliance bei tekit Consult, die zum TÜV Saarland gehört, hält das bisherige Kontrollsystem eigentlich für ausreichend. "Neben den Datenschutzbehörden wirken gerade externe Datenschutzbeauftragte als unabhängige Kontrollorgane auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben in den Unternehmen hin". Dennoch befürwortet der externe Datenschutzbeauftragte, dass der Umgang mit personenbezogenen Daten im Unternehmensalltag noch stärker ankomme. "Wir erleben häufig, dass Firmen das Thema Datenschutz stiefmütterlich behandeln. Daher kann dieser Beschluss ein Anreiz sein, den Datenschutz in Zukunft stärker zu berücksichtigen."
2/2: Mehr Rechte, aber nicht mehr Ressourcen
Eine Klagewelle müsse die Internetwirtschaft aber nicht befürchten, beruhigt der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Prof. Dr. Johannes Caspar. Er stellt klar, dass Prüfung, Vorbereitung und Durchführung von Verbandsklagen zielgerichtete Aktivitäten voraussetzen. "Schon deshalb werden die Verbände den erforderlichen Aufwand in jedem Einzell gut prüfen. Eine Klageflut, wie sie möglicherweise von Interessenverbänden der Internetwirtschaft befürchtet wird, ist nicht zu erwarten." Verbraucherschützerin Elbrecht wird deutlicher: "Das Klagerecht ist aufgewertet worden, aber deshalb haben wir ja nicht mehr Kapazitäten".
Diesen Mangel an Ressourcen prangert auch der Hamburgische Datenschutzbeauftragte an. Die Ausstattungssituation in Hamburg bezeichnet er als dramatisch. "Wir verfügen über 16,7 feste Stellen für den gesamten Bereich des Datenschutzes und die Durchsetzung des fortschrittlichen Transparenzgesetzes im Bereich der Informationsfreiheit". Allein im nicht-öffentlichen Bereich sei die Behörde für mehr als 160.000 Unternehmen zuständig, darunter auch die Internet-Giganten Google und Facebook. Zweifelsohne schielt das neue Gesetz gerade auch auf die Datensammelwut dieser beiden Unternehmen.
Das im Gesetzentwurf aus dem BMJV vorgesehene Anhörungsrecht der Datenschutzbehörden werde vor allem gegenüber solchen Internetgiganten eine schnellere Zusammenarbeit mit den Datenschutzbehörden und eine effektivere Wahrung geltender Verbraucher- und Datenschutzvorschriften ermöglichen, meint vzbv-Vorstand Müller. Die Behörden haben sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass ihnen dieses Recht nun im gerichtlichen Verfahren der Verbände nach dem Unterlassungsklagengesetz zusteht.
Der Datenschutzbeauftragte Caspar will, wie es auch der Gesetzentwurf vorsieht, aber auch darüber hinaus den Austausch zwischen Verbraucherschutzverbänden und Datenschutzaufsichtsbehörden intensivieren. Er hält mehr Zusammenarbeit auch für erforderlich, um Nutzerrechte besser durchsetzen zu können. "Unser Aufgabenbereich hat sich in den letzten Jahren stetig erweitert", stellt der Juraprofessor fest. "Komplexe Verfahren, die wir auf EU-Ebene mit unseren Kollegen in anderen Mitgliedstaaten abstimmen, wie auch das vom EuGH geschaffene Recht auf Vergessenwerden, bei dem wir für die Google-Suchmaschine deutschlandweit die Anlaufstelle für Beschwerden sind, zeigen deutlich: Wir sind längst an unseren Kapazitätsgrenzen angelangt. Von der Kontrolle öffentlicher Stellen in Hamburg ganz zu schweigen".
Einheit im Datenschutzrecht - auch mit zwei Rechtswegen?
Das Anhörungsrecht im gerichtlichen Verfahren trägt aus seiner Sicht zur Wahrung der Rechtseinheit bei. Der externe Datenschutzbeauftragte Kohl meint, die Verbraucherschutzverbände würden mit der zivilrechtlichen Durchsetzung von Vorschriften des Datenschutzrechts zwar kein völliges Neuland betreten: "Bereits in der Vergangenheit sind sie gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook und Google vorgegangen". Er weist aber darauf hin, dass das Anhörungsrecht zeige, "dass der Gesetzgeber den Sachverstand in dieser Materie weiterhin bei den bisher zuständigen Datenschutzbehörden sieht".
Neben der Frage, was mehr Rechte nützen, wenn weder die Verbände noch die Behörden sie mangels Ressourcen umsetzen können, werfen die geplanten Änderungen aber auch inhaltliche Schwierigkeiten auf. Die Datenschutzbehörden ziehen bei Datenschutzverstößen vor die Verwaltungsgerichte. Die Verbraucherverbände werden ihre Unterlassungsklagen aber auf dem Zivilrechtsweg erheben. Rechtsanwalt Kohl sieht die Gefahr, dass dieses Nebeneinander von Aufsichtsbehörden und Verbänden zur Rechtsunsicherheit beitragen könnte. Er hofft, "in Zukunft nicht das Sprichtwort 'viele Köche verderben den Brei" bemühen" zu müssen.
Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz dagegen gibt sich gelassen. "Die parallelen Strukturen ermöglichen ein flexibleres Vorgehen gegen Datenschutzverstöße", so Caspar. Doppelte Rechtswege und eine Zersplitterung des Datenschutzsrechts werde es bei einer engen und guten Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Verbänden nicht geben."Keine Seite hat ein Interesse daran, die ohnehin begrenzten Ressourcen durch Verdoppelung der Verfahren zusätzlich zu belasten".
Pia Lorenz, Neues Klagerecht für Verbraucherverbände: Kampfansage an Datenkraken . In: Legal Tribune Online, 05.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14593/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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