Eine Studie zur Beratungspraxis bei Versicherungen und Banken lieferte am Mittwoch bestürzende Ergebnisse: Protokolle werden meist gar nicht erstellt, und wenn doch, sind sie unvollständig und falsch. Rechtsanwalt Jens-Peter Gieschen überrascht das nicht. Er berät seit Jahren geprellte Anleger und meint, die Schutzvorschriften seien völlig unzulänglich – und keine Besserung in Sicht.
LTO: Herr Gieschen, Banken sind seit Anfang 2010 gesetzlich verpflichtet, Anlegern Protokolle über die geführten Beratungsgespräche auszuhändigen. Der Gesetzgeber wollte Kunden, die fehlerhaft beraten wurden, damit die Beweisführung erleichtern. Laut einer im Auftrag des Bundesjustizministeriums (BMJ) durchgeführten Studie erstellen die Banken aber in den meisten Fällen gar kein Beratungsprotokoll. Wie kann das sein?
Gieschen: Weil es sich bei der Protokollpflicht um eine reine Ordnungsvorschrift handelt. Die Banken können also von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit Bußgeldern bestraft werden, wenn sie keine Protokolle erstellen. Aber auf viele Verstöße wird die BaFin gar nicht erst aufmerksam, und in den übrigen Fällen taxieren die Banken wohl, dass die Kosten der Bußgelder niedriger sind als der bürokratische Aufwand, um die Protokolle anzufertigen.
LTO: Auf die Beweislast im Prozess hat es also keine Auswirkungen, wenn die Bank kein Protokoll ausgestellt hat?
Gieschen: Nein, die bleibt so oder so beim Anleger, der Schadensersatz verlangt. Allerdings würde Ihnen ein Protokoll da auch nicht viel nützen.
LTO: Warum das?
Gieschen: Weil das, worauf es ankommt, ohnehin nie drinsteht. Es gibt dazu einen bezeichnenden Satz in der Studie, die das BMJ hat durchführen lassen: "Keine einzige Dokumentation gibt den Ablauf des Testgesprächs vollständig, richtig, verständlich und übersichtlich wieder."
"Beratungsprotokolle werden genau so wenig gelesen wie AGB"
LTO: Wieso beklagen sich die Anleger dann nicht an Ort und Stelle über das Protokoll?
Gieschen: Aus dem gleichen Grund, aus dem kein Mensch sich an Ort und Stelle über unfaire AGB beklagt. Sie müssen sich das mal praktisch vorstellen: Viele Anleger befinden sich schon im eher fortgeschrittenen Alter, nicht wenige sehen den Besuch beim Bankberater als so etwas wie einen sozialen Kontakt an. Da trinkt man dann Kaffee, plauscht ein bisschen, und zwischendurch empfiehlt der nette Herr ein paar Anlageprodukte. Am Ende überreicht er Ihnen einige Blätter, die Sie unterschreiben müssen, aber das sei natürlich eine reine Formalie und ohnehin hätten Sie ja schon alles Wesentliche besprochen.
Die Kunden verlassen sich darauf, dass der Berater sich auskennt und weiß, was gut für sie ist – genau deshalb suchen sie ihn ja auf. Viele würden die problematischen Formulierungen in dem Protokoll wohl selbst dann nicht erkennen, wenn sie es gründlich durchlesen würden. Aber nachdem sie bereits mit einem Stapel aus Prospekten, Ausdrucken aktueller Aktienkurse und Informationsblättern der Bank bedient wurden, tun sie das ohnehin nicht mehr.
LTO: Und der Berater?
Gieschen: Der weiß natürlich genau, was er ins Protokoll aufnimmt, und was nicht. Vielen Beratern geht es primär darum, solche Produkte zu verkaufen, für die sie die höchste Provision erhalten – teils aus reinem Egoismus, teils auch, weil die Banken den Beratern extrem stramme Zielvorgaben machen. Wenn also diesen Monat soundso viel von einem bestimmten Anlageprodukt verkauft werden soll, dann bietet der Berater Ihnen ebendieses an und schreibt ins Protokoll, dass er Sie über die Risiken belehrt hätte, auch wenn das gar nicht oder nur völlig unzureichend der Fall war.
2/2: "Datenschutz steht Aufzeichnung nicht entgegen"
LTO: Wie ließe sich das ändern?
Gieschen: Ein praktischer Ansatz besteht darin, sich einen Berater zu suchen, der auf Honorarbasis arbeitet und weder Zielvorgaben erfüllen muss, noch Provisionen dafür erhält, dass er bestimmte Produkte verkauft. Allerdings nehmen solche Berater meist nur solvente Kunden an, unterhalb von einem mittleren sechsstelligen Vermögen sind Sie für die eher nicht interessant.
LTO: Könnte eine Gesetzesänderung helfen? Bundesjustizminister Heiko Maas hat bereits angekündigt, dass er über Reformen nachdenke, um den Verbraucherschutz im Anlagebereich zu stärken.
Gieschen: Da gibt es vor allem einen sinnvollen Ansatz: Die Beratungen sollten vollständig aufgezeichnet werden müssen. Da werden die Banken natürlich aufschreien, aber mit den heutigen Speicherkapazitäten und Datenverarbeitungsmöglichkeiten ist das überhaupt kein Problem mehr. Und im Prozess hätte man dann eine exakte Wiedergabe dessen, was der Berater gesagt hat, anstelle eines unvollständigen oder überhaupt nicht angefertigten Protokolls.
LTO: Gegen diesen Vorschlag dürften sicher auch datenschutzrechtliche Bedenken laut werden.
Gieschen: Meines Erachtens aber zu Unrecht. Der Berater hat doch überhaupt kein schützenswertes Interesse daran, dass die Empfehlungen, die er dem Kunden gegenüber ausspricht, nicht aufgezeichnet werden. Die Kunden könnte zwar eine diffuse Sorge plagen, dass die Aufzeichnungen irgendwie in fremde Hände gelangen und Dritte Kenntnis über ihre Vermögenssituation erhalten könnten. Dieses Risiko besteht aber derzeit auch schon: Wenn jemand tatsächlich unbefugt Zugriff auf die Kundendaten einer Bank erhielte, dann wüsste derjenige sowieso genauestens über die Vermögenssituation der Kunden Bescheid, da machen ein paar zusätzliche Audiodateien dann auch keinen Unterschied mehr.
"Reformen werden so lang verwässert, bis sie wertlos sind"
LTO: Halten Sie es denn für realistisch, dass eine entsprechende Pflicht gesetzlich verankert wird?
Gieschen: Absolut nicht, und das gilt auch für jede andere, substantielle Änderung zu Gunsten der Anleger. Ich fürchte, dass die angekündigten Reformen reiner Aktionismus sein werden, genauso wie auch diese Studie schon reiner Aktionismus war. Man brauchte kein 500-seitiges Dokument, um zu belegen, was jeder Anwalt, der in dem Bereich tätig ist, längst wusste, nämlich, dass die Beratungsprotokolle den Anlegern rein gar nichts bringen.
Mit den angekündigten Reformen dürfte es ähnlich sein: Da werden jetzt erst einige Ideen diskutiert, die sich alle ganz toll anhören, und am Ende wird das Ganze mit so vielen Ausnahmebestimmungen versehen und so lasch überwacht, dass der Effekt gleich null ist.
LTO: Das klingt ziemlich pessimistisch.
Gieschen: Es ist einfach realistisch. Und kann auch niemanden verwundern, wenn man bedenkt, dass das Justizministerium zum Anfertigen der Reformentwürfe im Bankenrecht oft auf die Expertise von Großkanzleien zurückgreift – also von genau den Leuten, die die Interessen der Banken vertreten. Nehmen Sie nur die Umsetzung der AIFM-Richtlinie, die die Behandlung von Finanzprodukten in Europa vereinheitlichen sollte. Ursprünglich sollte damit auch der gesamte "graue Kapitalmarkt", also z.B. geschlossene Fonds, geregelt werden. Am Ende gab es zahlreiche Ausnahmen, sodass viele Anlageformen, wie etwa Schiffsfonds, nicht mehr darunter fallen; ihr Zweck war damit verfehlt. Mit einer Reform der Protokollpflicht wird es nicht anders sein.
LTO: Herr Gieschen, vielen Dank für das Gespräch.
Jens-Peter Gieschen ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Gründungspartner der Kanzlei für Wirtschafts- und Anlagerecht (KWAG) in Bremen. Die Kanzlei hat bereits zahlreiche größere Verfahren auf Anlegerseite geführt.
Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.
Jens-Peter Gieschen, Beratung von Anlegern: "Banken sollten Kundengespräche aufzeichnen müssen" . In: Legal Tribune Online, 01.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12403/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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