Ein Tarifvertrag darf die sachgrundlose Befristung über die gesetzlichen Vorgaben hinaus ausweiten - allerdings nur bis zum Dreifachen des gesetzlich Zulässigen, so das BAG. Sabrina Fasholz zur Entscheidung und dem besonderen Faktor Drei.
Tarifparteien können die Zulässigkeit ihrer Befristungsregelungen zukünftig mit dem Abakus prüfen: Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) darf ein Tarifvertrag die Höchstdauer einer sachgrundlosen Befristung und die Anzahl der Verlängerungsmöglichkeiten ausweiten - solange er sich dabei rechnerisch innerhalb des Dreifachen der gesetzlich vorgegebenen Zahlen bewegt (Urt. v. 26.10.2016, Az. 7 AZR 140/15).
Eigentlich darf ein Arbeitgeber laut Gesetz einen Arbeitsvertrag ohne Sachgrund nur für die Dauer von zwei Jahren befristen und innerhalb dieser zwei Jahre maximal drei Mal verlängern. So steht es in § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Anders als bei der Befristung, die durch sachlichen Grund gerechtfertigt ist (§ 14 Abs. 1TzBfG), gibt es also zahlenmäßig festgelegte Grenzen für den Abschluss und die Verlängerung sachgrundlos befristeter Verträge.
Das Gesetz ist allerdings tarifdispositiv. Heißt: Tarifparteien dürfen etwas Abweichendes vereinbaren; und das sowohl zugunsten als auch zuungunsten der Arbeitnehmer. Der Tarifvertrag kann damit strengere Befristungsregeln vorsehen, aber auch Dauer und Verlängerungsmöglichkeiten ausweiten.
Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags
Welche Grenzen im Tarifvertrag festgelegt werden, ist Sache der Tarifparteien. Das von ihnen Vereinbarte trägt die "Vermutung der Richtigkeit" in sich. Das ist Ausfluss der Tarifautonomie. Der Staat vertraut dem Kräftegleichgewicht der Sozialpartner und überlässt es ihnen, im Rahmen von Tarifverhandlungen zu bestimmen, welche Regelung sie für ausbalanciert und sozial gerechtfertigt befinden.
Inhaltlich darf der Staat den Tarifvertrag nicht bewerten. Dies gilt jedenfalls bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit. Beim Lohn etwa war die tarifvertragliche Regelung bislang sittenwidrig und damit unwirksam, wenn sie - so wörtlich - einen "Hungerlohn" als Vergütung vorsieht.
Dass es auch irgendeine Beschränkung bei der Erweiterung der Befristungsmöglichkeiten geben muss, darüber war man sich beim BAG schon länger einig. Bei der Grenzziehung blieb das Gericht aber bislang abstrakt. "Unionsrechtliche Schranken" hätten die Tarifpartner schon zu beachten und nicht zuletzt auch das "Leitbild des Gesetzes", nach dem der unbefristete Vertrag das Normalarbeitsverhältnis und der befristete Vertrag die Ausnahme darstelle.
BAG bisher nicht eindeutig
Etliche Befristungskonstellationen wurden dem BAG bereits vorgelegt. Zur konkreten Frage, wo die Höchstgrenze anzusiedeln ist und ob sie überschritten wurde, urteilte es ein jedes Mal bloß: hier jedenfalls noch nicht.
Erst 2015 hat das BAG eine tarifvertragliche Regelung, die die zulässige Höchstdauer sachgrundlos befristeter Arbeitsverhältnisse auf 48 Monate und die Anzahl der zulässigen Verlängerungen auf sechs festlegt, für wirksam erachtet. Die Verdoppelung von Höchstdauer und Anzahl der Verlängerung überschreite jedenfalls noch nicht die verfassungs- und unionsrechtlichen Grenzen des Regelungsspielraums der Tarifvertragsparteien, so das BAG zu diesem Zeitpunkt.
Auch in der aktuellen Entscheidung biss der klagende Arbeitnehmer mit seiner Entfristungsklage auf Granit. Das Besondere an dieser Entscheidung: Bei der Bestimmung der Höchstgrenze hat sich das BAG nun auf die Vorgabe einer festen Zahl verlagert.
2/2: Obergrenze beim Dreifachen der gesetzlichen Regelungen
Der Arbeitnehmer war bei einem Unternehmen der Energiewirtschaft befristet beschäftigt. Nach dem einschlägigen Tarifvertrag zwischen der Arbeitgebervereinigung Energiewirtschaftlicher Unternehmen e.V. (AVE) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) war die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig. Bis zu dieser Gesamtdauer war die fünfmalige Verlängerung der Befristung zulässig.
Der Kläger hielt die tarifliche Erhöhung der Befristungshöchstdauer auf fünf Jahre für unzulässig. Die den Sozialpartnern durch § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG eröffnete Gestaltungsmöglichkeit solle lediglich branchenspezifische Lösungen erleichtern. Lägen keine branchenspezifischen Umstände vor, um die tarifliche Ausweitung der sachgrundlosen Befristung zu rechtfertigen, sei eine Verlängerung der Höchstdauer wie hier auf fünf Jahre unwirksam.
Keine Rechtfertigung durch branchenspezifischen Sachgrund nötig
Dem Erfordernis eines branchenspezifischen Sachgrunds hat sich das BAG nicht angeschlossen. Die Tarifregelung und damit auch die Befristungsdauer von 5 Jahren bewege sich im Rahmen des Zulässigen.
Dafür hat das BAG aber festgehalten: Die Tarifparteien können nur insoweit abweichende Regelungen schaffen, als die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG genannten Werte für Höchstdauer und erlaubte Anzahl von Vertragsverlängerungen nicht um mehr als das Dreifache überschritten werden.
Missbrauch verhindern und Tarifautonomie wahren
Rechtssicherheit versus Tarifautonomie – jene Kräfte sind mit der BAG-Entscheidung abgewogen worden. Das oberste Arbeitsgericht hat sich für die Rechtssicherheit und die Befristungsmöglichkeiten um einen festen Faktor entschieden.
Eine gewisse Vorliebe für die Zahl drei hatte das BAG bereits bei der Sachgrundbefristung offenbart: Nach dem dreistufigen "Ampelmodell" sei bei einer kumulativen Überschreitung von Befristungsdauer und Verlängerungsanzahl jeweils um das Dreifache eine vertiefte Prüfung sämtlicher Umstände geboten, bei Überschreitung in größerem Ausmaß sei Rechtsmissbrauch indiziert.
Das Faible für die Drei sei dem BAG dort unbenommen, wo es zur Rechtsfindung berufen ist. Den Inhalt eines Tarifvertrags sollen die Tarifpartner aber autonom bestimmen. Indiziert die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen dabei mangelnde soziale Stärke der Gewerkschaft, ist der Tarifakteur, nicht aber der Tarifvertrag zu überprüfen. Es ist sicherlich richtig, das Erfordernis eines branchenspezifischen Sachgrundes für die sachgrundlose Befristung abzulehnen. Ebenso muss dafür gesorgt werden, dass ein Tarifvertrag nicht dazu missbraucht wird, arbeitsrechtliche Mindeststandards abzusenken.
Zur Missbrauchsbekämpfung stehen Instrumente bereit, so etwa das Verfahren zur Überprüfung der Tariffähigkeit einer Tarifpartei durch die Exekutive. Auch die Legislative kann Missbrauch verhindern, indem sie der tariflichen Abweichungsmöglichkeit Grenzen im Gesetz setzt. Die inhaltliche Zensur von tariflichen Befristungsregelungen durch Bestimmung zahlenmäßiger Obergrenzen durch die Judikative erscheint dabei nicht als der schonendste Eingriff in die verfassungsmäßig verbriefte Tarifautonomie.
Die Autorin Dr. Sabrina Fasholz, LL.M. (Bristol) ist Anwältin in der Kanzlei für Arbeitsrecht vangard in Hamburg.
Dr. Sabrina Fasholz, BAG zur Grenze tarifvertraglicher Befristung: Klare Ansage, falscher Absender . In: Legal Tribune Online, 27.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20995/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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