Jura ist öde? Nicht für Tobias Scheidacker. In seinem Buch schildert der Berliner Anwalt Anekdoten aus seinem Berufsleben – mal lustig, mal nachdenklich, mal einfach nur verrückt. Mit LTO unterhält er sich darüber, wofür ein Richterpult außer zum Verhandeln noch taugt, wie man als Jurist mit Standesdünkel umgeht und wo der Pfad zwischen Recht und Moral verläuft.
LTO: Herr Scheidacker, in der Einleitung erzählen Sie, dass Sie das Buch wegen "Mila", die sich im späteren Verlauf als Ihre Lebensgefährtin herausstellt, geschrieben haben. Was hat es damit auf sich?
Scheidacker: Ich habe Mila abends ab und zu erzählt, was im Büro so passierte. Und sie meinte, das muss man schriftlich festhalten, sonst vergisst man es und das wäre schade.
Anfangs war es nur eine lose Anekdotensammlung. Aber im Laufe der Zeit wurde sie größer und irgendwann redeten Mila und alle möglichen Freunde und Verwandte auf mich ein, dass man das veröffentlichen müsse. So ist dann ein "richtiges" Buch draus geworden.
LTO: Als Anwalt unterliegen Sie der Schweigepflicht. Ist es da nicht problematisch, Anekdoten aus Ihrem Berufsleben öffentlich zu schildern? Oder sind die Geschichten bloß ausgedacht?
Scheidacker: Die Schweigepflicht penibel zu beachten war mir sehr wichtig. Das hindert mich aber nicht, reale Sachverhalte so zu schildern, dass sie und die handelnden Personen für Externe nicht mehr identifizierbar sind. Für den Leser ist es egal, ob ein Fall vor dem Amtsgericht Charlottenburg oder vor dem Amtsgericht Schöneberg spielte, ob der Mandant ein Mann oder eine Frau war oder ob die zeitliche Zuordnung genau stimmt. Diese leichten Verfremdungen führen aber schon dazu, dass jemand anderes als der Mandant sich in der Geschichte nicht mehr wiederfinden wird. Sie können also sicher sein, dass nichts von dem, was ich über andere erzähle, ganz exakt stimmt, dass mir die Sachen aber mehr oder weniger so irgendwann und irgendwo wirklich passiert sind.
Hier und da habe ich außerdem etwas schriftstellerische Freiheit herausgenommen, um Argumentationen, die Wirkung auf den Leser oder die Aussage der Geschichte zu verstärken oder zu verdeutlichen. Oder zum Beispiel, um etwas ins Absurde zu führen, wie in der Geschichte "ganzheitliche Rechtsberatung".
"Ich musste mich entscheiden, wie viel ich von mir selbst preisgeben will"
LTO: Sie spielen im Klappentext darauf an, dass die Öffentlichkeit sich den Arbeitsalltag von Juristen als öde vorstellt. Wie ist es Ihnen gelungen, trotzdem einen Verlag für Ihre Idee zu begeistern?
Scheidacker: Öde ist es ja nicht, was ich mit dem Buch aufzeige. Eine Veröffentlichung ist natürlich eine ganz andere Frage. Ich habe einen Auszug des Skripts einfach eingesandt mit der festen Überzeugung, dass das sowieso niemand lesen will. Es war so etwas wie eine Pflichterfüllung gegenüber Mila und meinem Freundeskreis im Sinne einer Beweisführung, dass eine Veröffentlichung nicht funktioniert. Als sich Frau Dr. Wallner vom mvg-Verlag meldete und den Rest lesen wollte, habe ich mich natürlich gefreut. Als der Verlag mir dann die Veröffentlichung anbot, hatte ich meine Beweisführung gegenüber Mila ganz klar verloren.
LTO: Sie schildern die "etwas anderen Geschichten" aus Ihrem Leben als Anwalt in 38 Kapiteln, die mit "Schlüppergröße" über "Zweckentfremdung eines Richtertisches" bis hin zu "Der Fluch kleiner Streitwerte" überschrieben sind. Wie sind Sie beim Verfassen des Buchs vorgegangen?
Scheidacker: Es ist eine Sammlung über Jahre hinweg. Vor rund sechs Jahren begann ich mit dem Aufschreiben und habe seitdem immer wieder ergänzt. Einige Geschichten sind entfallen, zum Beispiel, wenn sich eine Verfremdung wegen einer Öffentlichkeitswirksamkeit des Falles oder aus anderen Gründen nicht so bewerkstelligen ließ, dass die Akteure nicht mehr identifiziert werden können. Bei anderen Sachen habe ich lange mit mir um die Frage gerungen, wie viel Privates ich eigentlich einfließen lassen will. Das beginnt in der ersten Geschichte "Schlüppergröße" und setzt sich darin fort, dass ich zum Beispiel von meinen Kindern oder meinem Vater erzähle.
Das Buch wird in seinem Verlauf etwas ernster und erhält mehr gedankliche Tiefe. Nachdem es anfangs eher um Rahmenbedingungen des Kanzleialltags geht, nähere ich mich nach und nach auch juristischen Aspekten. Denn die können ja ebenso kurios oder nachdenkenswert sein. Der Leser kann sich ganz langsam daran gewöhnen, das Buch führt ihn da sanft heran.
2/2: "Manche Geschichten sind lustig, andere politisch, wieder andere nachdenklich – wie der Arbeitsalltag eben"
LTO: Welche ist Ihre Lieblingsanekdote und warum?
Scheidacker: Oh, ich liebe sie alle. Die Geschichten behandeln alle ganz unterschiedliche Dinge. Das heißt, es dreht sich ganz und gar nicht nur um juristische Kuriositäten, sondern vielmehr um mein Leben als Anwalt. In einer Story ("Zweckentfremdung eines Richtertisches") geht es zum Beispiel darum, wie ich als frischer Vater notgedrungen mein Baby mit zum Gericht nehme, in anderen um Standesdünkel ("Fachsprache I") oder einen absurden Sachverhalt ("Fernheilung") oder darum, dass uns das Recht manchmal abverlangt, ganz ernsthaft unvernünftige Fragen zu stellen ("Wie kommt man möglichst teuer nach Dessau?"). In der Geschichte "Steuerrecht" werde ich ziemlich politisch, in der "Badeordnung" versuche ich zu zeigen, warum auch wir Juristen häufig nur mit Wasser kochen können und wie wir das tun.
"Bewerbungen" erzählt davon, wie sich aus unserer Sicht als Ausbildungsbetrieb die Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz darstellen, diese Geschichte finde ich sozialpolitisch sehr wichtig. Sehr schön ist auch "Links und Rechts" - im Grunde endet sie abrupt da, wo meine Arbeit beginnt. Die Lösung bleibt völlig offen. Das transportiert, wie es uns Anwälten manchmal geht, wenn der Mandant zu uns in die Beratung kommt in einer Situation, die unmöglich und kaum mehr zu lösen ist, und wir dann helfen sollen. Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unserer Arbeit finde ich wichtig und lasse sie immer wieder mal anklingen. Viele Leute denken ja, wir Anwälte sind alle reich.
In "Der Fluch kleiner Streitwerte" versuche ich zu zeigen, dass wir genauso hart und ehrlich für unser Brot arbeiten müssen wie andere und zudem mit Arbeitgeberverantwortung, und man das nicht so pauschalisieren kann. Und zur Titelgeschichte wurde schließlich pure Romantik, denn Recht hin oder her - auch Robenträger sind letztlich nur Menschen.
"Als Anwalt hat Moral oft ihren Preis"
LTO: Sie sprachen vorhin schon selbst das Kapitel "Der Fluch kleiner Streitwerte" an, in dem Sie anschaulich beschreiben, welchen Aufwand selbst die Bearbeitung von Mandaten mit kleinsten Streitwerten mit sich bringen kann. Das ist sicher bisweilen frustrierend. Haben Sie mit dem Entschluss, Jura zu studieren und Fachanwalt für Miet- und Wohneigentumsrecht zu werden auch einmal gehadert?
Scheidacker: Der Entschluss hatte mit Geld nichts zu tun. Ich wuchs in der DDR auf, mein Vater ist Pfarrer. Meine Kindheit war von einer stark oppositionellen Haltung zum DDR-Regime geprägt, was uns einige Schwierigkeiten bereitete. Und der Vater meines Vaters leistete aktiv dem Naziregime Widerstand. Unsere "Familienkultur" war also sehr darauf angewiesen und davon bestimmt, dass man ein eigenes moralisches Koordinatensystem entwickelt. Dass man selber weiß, was "richtig" ist und was "Unrecht". Darauf, dass unser Umfeld uns das zutreffend vermittelt, konnten wir ja nicht vertrauen. Als dann für mich mit der Wende der Weg zu Abitur und Universität frei wurde, lag ein Studium von Recht und Gerechtigkeit eigentlich nahe.
Meine persönliche Historie erlaubt mir übrigens einen in gewisser Weise externen Blick auf die Art und Weise, in welcher sich "Recht" als Gesellschaftsprinzip in unserer heutigen kapitalistischen Gesellschaft verankert hat. Und da geht es häufig nicht um Recht, sondern um Geld. Zu Beginn meines Studiums war das eine herbe Enttäuschung. Ich habe mir meine Grundhaltung aber bewahrt. Dass mir moralische Prinzipien grundsätzlich wichtiger sind als mein eigener Geldbeutel, zeigt sich zum Beispiel darin, dass ich meine Mandanten so berate, wie es für sie richtig ist, nicht wie ich wirtschaftlich am besten davon profitiere. Das geht häufig gegen meine eigenen finanziellen Interessen, bedient aber meinen moralischen Anspruch an mich selbst.
Mit dem Immobilienrecht wurde ich frühzeitig sehr vertraut. Ich war als Student Mieter in einer kleinen, heruntergekommenen Ein-Zimmer-Wohnung und die Hausverwaltung war unglaublich schlecht. Die haben mir auf eine so unqualifizierte Weise so viele Probleme bereitet, dass ich mich einfach mit der Materie befassen musste. Zumal ich in engsten wirtschaftlichen Verhältnissen lebte und keinen Pfennig verschenken konnte, das war einfach existenziell. Später lag es dann nahe, in dem Gebiet weiterzumachen.
LTO: Herr Scheidacker, vielen Dank für das Interview. Wir wünschen Ihnen weiterhin einen so bewegten Berufsalltag.
Tobias Scheidacker ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht in Berlin. Sein Buch "Als sich mein Mandant in die Richterin verliebte" erscheint am 11. September in der Münchner Verlagsgruppe.
Das Interview führte Constantin Körner.
Constantin Körner, Tobias Scheidackers "Als sich mein Mandant in die Richterin verliebte": "Geschichten, die das Anwaltsleben schreibt" . In: Legal Tribune Online, 10.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9529/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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