Vor 80 Jahren trat das "Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen" in Kraft – ein Fixstern am Himmel autoritärer Regelungsbedürfnisse. Schon kurz darauf folgte seine erschreckende antisemitische Ergänzung.
Künstlernamen sind nicht die Lösung. Alfred Kerr (1867–1948) zum Beispiel, der berühmte Theaterkritiker, war unter dem Namen Kempener zur Welt gekommen und hatte aus Abneigung gegen seine bekannte Tante, die ziemlich schräge Dichterin Friederike Kempener (1828–1904), den kürzeren Namen angenommen.
Alfred beließ es nicht dabei, den Künstlernamen Kerr zu führen. 1909 verfügte der Regierungspräsident Potsdam 1909 die offzielle Namensänderung. Dem verdankt sich auch der Umstand, dass der vielleicht erste Richter ausländischer Herkunft, der seit dem 12. Jahrhundert an den Londoner High Court of Justice berufen wurde, den angenommenen Namen trug: der Sohn Michael Kerr (1921–2002).
Mit den Bühnen des Theaters oder der Justiz weniger vertrauten Menschen ist vielleicht eher noch der Name der Schwester geläufig, Judith Kerr (1923–), unter anderem Verfasserin des bekannten Romans "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl".
"Namensänderungsgesetz" von 1938
Nicht nur rosa Kaninchen, sondern Menschen wie der Familie Kerr auch ihren gut eingeführten Namen zu nehmen, behielt sich der nationalsozialistische Gesetzgeber mit § 7 Absatz 1 des Gesetzes über die Änderung von Familienamen und Vornamen vor, das im Reichsgesetzblatt vom 8. Januar 1938 veröffentlicht wurde und zum 1. Januar 1938 in Kraft trat.
Diese Vorschrift des – überwiegend bis heute geltenden Gesetzes – lautete: "Eine Namensänderung, die vor dem 30. Januar 1933 genehmigt worden ist, kann bis zum 31. Dezember 1940 widerrufen werden, wenn diese Namensänderung als nicht erwünscht anzusehen ist."
Absatz 3 ermächtigte den Reichsinnenminister zum Widerruf, der nach Absatz 2 Wirksamkeit für alle Menschen beanspruchte, die durch Familienbeziehung zum neuen Namen gekommen waren – im Fall der Familie Kerr beispielsweise der spätere Lordrichter und die britische Kinderbuch-Autorin.
Das Gesetz ist als Ausdruck nationalsozialistischer Willkürherrschaft vor allem wegen der im August 1938 erlassenen 2. Durchführungsverordnung bekannt geworden, die den deutschen Juden aufnötigte, amtlich und im Rechtsverkehr die zusätzlichen Vornamen "Israel" beziehungsweise "Sara" zu führen.
Rechtsextrem, ausnahmsweise von Statistik überzeugt
Doch bereits hinter § 7 Namensänderungsgesetz (NamÄndG) stand ein antisemitisches Motiv des NS-Gesetzgebers: Unmittelbar nach der Machtübergabe an Hitler im Jahr 1933 hatte Reichsinnenminister Wilhelm Frick (NSDAP, 1877–1946) die Absicht verfolgt, die Namensänderungen jüdischer Deutscher rückgängig zu machen. Das preußische Innenministerium unter Fricks Parteifreund Hermann Göhring (1893–1946) lieferte zu diesem Zweck eine Aufstellung aller Namensänderungen, die Juden seit 1919 bewilligt worden waren.
Dem lag das Hirngespinst zugrunde, Träger eines jüdischen Namens hätten massenhaft ihre Herkunft "verdunkeln" wollen, indem sie sich "deutsche" bzw. "arische" Namen zugelegt hätten. Die Statistik ergab, dass gerade einmal 807 Personen von einem jüdisch zu einem deutsch klingenden Namen gewechselt waren – bei einer Gesamtzahl von rund 560.000 Menschen jüdischen Bekenntnisses in Deutschland (1925).
Reichsinnenminister Frick, ein studierter Jurist und eingefleischter Rassist, ließ sich immerhin überzeugen, dass die Vermutung, es habe im verhassten "System von Weimar" auffallend viele Namensänderungen von Juden gegeben, widerlegt sei.
Minderbemittelter Fürst kennt "blos christliche Namen"
Die im August 1938 folgende 2. Verordnung zum NamÄndG, die zum Führen der zusätzlichen Vornamen "Israel" oder "Sara" zwang und in ihren Ausführungsbestimmungen jüdischen Eltern von Staats wegen eine enge, enumerative Liste als jüdisch identifizierter Vornamen für ihre Kinder vorschrieb, war schließlich der juristische Abgrund eines seit dem 19. Jahrhundert geführten Kampfes um die Freiheit des Namens.
Als ein Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzungen lässt sich das Gesuch eines jüdischen Kaufmanns aus Gardelegen ausmachen, der den König 1816 um die Erlaubnis bat, seinem Sohn die Namen des Fürsten zu geben – was Friedrich Wilhelm III. zu einer Verfügung veranlasste, die es in Preußen untersagte, jüdischen Kindern "blos christliche Taufnamen" zu geben.
Schon angesichts der gemeinsamen Geschichte von Juden und Christen seit der Antike und der Verbreitung biblischer (Vor-)Namen in beiden Konfessionen – Maria und Josef und viele Heilige –, waren obrigkeitliche Wünsche, Juden an ihrem Namen erkennbar zu machen oder jedenfalls erkennbar zu belassen, kaum praktikabel. Hinzu kam der langsame Aufbruch der europäischen Gesellschaften in eine säkulare Moderne, die konfessionelle Unterschiede nivellierte.
Während auf jüdischer Seite viele Motive – einerseits Herkunftsstolz, andererseits zwischen dem schlichten Wunsch, z.B. modische Namen aus der literarischen Populärkultur des 19. Jahrhunderts zu wählen, bis hin zum Bedürfnis, aus einem diskriminierenden Namensghetto auszubrechen – bei der Namenswahl zu identifizieren waren, war es ein besonderes Anliegen hergebracht antijüdischer, nun "modern" antisemitischer Kreise, eben dieses Ghetto zu erhalten.
2/2: Kampf um Namen: das Beispiel Bernhard Weiß
Im Königreich Preußen, dem deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik ergab sich daraus eine wechselvolle Norm- sowie Geschichte vor allem behördlicher Kompetenzzuweisungen, die Jan Bruners unter dem Titel "Der Name als Stigma" im Anschluss an den Historiker Dietz Bering (1935–) nachskizziert hat.
Zur Illustration herausgreifen lässt sich die Sache von Bernhard Weiß (1880–1951), der bereits als Vize-Polizeipräsident von Berlin, republikanischer Jurist und Mitglied der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) ein erklärter Gegner des aufstrebenden NS-Propagandisten Joseph Goebbels (1897–1945) war.
Obwohl die Verhältnisse bei der Berliner Polizei bereits während der Weimarer Republik nicht makellos waren, kritisierte Goebbels die Zustände keinesfalls auf der Sachebene, sondern griff Weiß als Juden an, indem er ihn regelmäßig als "Isidor Weiß" bezeichnete. Weiß prozessierte zwischen 1927 und 1932 nicht weniger als 16 Mal gegen diese gezielte Provokation.
Der beherzte, republiktreue Polizist Weiß wurde trotzdem – oder gerade deswegen – von Goebbels wiederholt auf dieser persönlichen Ebene angegriffen, war der sich doch bewusst, dass sein Spiel mit Grenz- und Zweifelsfragen zivilen Anstands jüdischen Mitbürgern gegenüber Aufmerksamkeit ihm auch in nicht genuin rechtsextremen Kreisen des Bürgertums Aufmerksamkeit verschaffte, ohne sich mit unbequemen Sachfragen befassen zu müssen.
Autoritäres NamÄndG besteht weiter
Die Verordnung über erzwungene Vornamen wurde zwar mit Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehoben, das NamÄndG selbst, bereinigt z.B. um § 7, ist dagegen bis heute geltendens Recht – und damit seine durchaus obrigkeitsstaatliche Tendenz.
Es finden sich hier mitunter kuriose Fälle. Der promovierte Jurist Volkmar (von) Zühlsdorff (1912–2006) prozessierte etwa bis vor das Bundesverwaltungsgericht darum, dass in Deuschland sein Name wieder um das "von" ergänzt werde. Seinen verarmten preußischen Kleinadels-Ahnen war es verloren gegangen. Seit 1933 im Exil hatte Zühlsdorff in den USA das "von" wieder geführt. In New Jersey hätte das allein durch Übung schon zur Namensanerkennung geführt – mangels US-Staatangehörigkeit wurde es bei der Heimkehr aber nicht anerkannt. 1960 erlitt (von) Zühlsdorff wegen seiner Namensführung ein Ermittlungsverfahren seitens der Staatsanwaltschaft Bonn – besonders schmerzhaft, gehörte er inzwischen dem ortsansässigen, besonders blaublütigen Auswärtigen Amt an. Ohne Weiteres mochte das Bundesverwaltungsgericht im späteren Namensänderungsverfahren in der Biografie Zühlsdorffs keinen wichtgen Grund zur Namensänderung – hin bzw. zurück zum "von" – erkennen (Urt. v. 8.11.1968, Az. VII C 145.66).
Wie obrigkeitlich § 3 NamÄndG verstanden werden kann, wonach ein Familienname nur geändert werden darf, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt, illustrierte aber das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG) in einer wohl sehr viel typischeren Fallgestaltung (Beschl. v. 11.10.2002, Az. 8 A 312/01): Zu einem Begehren auf Änderung des Nachnamens führte das Gericht abstrakt "die schutzwürdigen Interessen Dritter" gegen eine Namensänderung ins Feld, aber auch "die Ordnungsfunktion des Namens sowie sicherheitspolizeiliche Interessen an der Beibehaltung des Namens".
Wie sehr das staatliche Ordnungsinteresse überwiegt, wurde in diesem Fall durch die richterliche Auskunft zum Wunsch deutlich, aufgrund des neuen christlichen Bekenntnisses ebensolche Vornamen annehmen zu wollen: Ohne kirchenamtliches Testat wurde dieses Begehren amtlich nicht anerkannt. Die lange, weltweit verbreitete Tradition religiöser Namenswahl wird damit ganz gedankenlos negiert.
Namensänderung in der pluralen Gesellschaft
Es ist fraglich, ob solche "sicherheitspolizeilichen" Bedürfnisse noch überzeugen. Wo die Amtskirchen schwinden, mögen sich konfessionelle Bedürfnisse bald ganz in der Wahl des eigenen Namens ausdrücken.
Hinzu kommt, dass rassistische Einstellungen einige Stabilität haben, aus apologetischer Sicht sogar in der Natur des Menschen liegen sollen. Wer sich davon überzeugen will, wähle – als Träger eines konventionellen Namens – für das Kommentar-Forum einer gut bürgerlichen Online-Zeitung zur Probe einmal ein jüdisch, arabisch oder rumänisch klingendes Pseudonym.
In einer offenen Gesellschaft sollte niemand in ein Namensghetto gezwungen sein, zumal "sicherheitspolitische" Interessen an einem stabilen Nachnamen in Zeiten zentraler digitaler Identifikationsnummern ohnehin zweifelhaft sind.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Rechtsgeschichte: Der staatliche Anspruch auf den menschlichen Namen . In: Legal Tribune Online, 07.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26333/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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