1984 verglich das OLG Düsseldorf den Verdienst einer Prostituierten mit dem einer Putzfrau. 1994 sorgte eine Putzfrau vor dem EuGH für Furore. 2013 veröffentlicht eine Philosophieprofessorin nun das Buch "Putzen als Passion", das den Blick auch auf die juristische Seite der menschlichen Reinigungs(un)lust lenkt. Martin Rath über Staub in Aktenregalen, klebrige Handtücher in Teeküchen und brennende Mülleimer.
Nach dem Umbau einer Filiale der "Spar- und Leihkasse der früheren Ämter Bordesholm, Kiel und Cronshagen", deren Reinigung in den Händen der seither justizberühmten Christel Schmidt lag, wurden ihre Dienste so nicht mehr benötigt. Eine Versetzung scheiterte, weil die neuen Räumlichkeiten größer als die alten ausfielen.
Der anschließende Kündigungsschutzprozess kam vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH), dessen Entscheidung vom 14. April 1994 (Az. C-392/92) in Juristenkreisen Furore machte, weil – grob gesprochen – der Tätigkeitsbereich "Putzen einer Sparkassenfiliale" wie ein eigener Betrieb eingestuft wurde, womit das Arbeitsverhältnis der Reinigungskraft auf die inzwischen beauftragte neue Reinigungsfirma überging.
Putzen – ein unbeobachteter Skandal
Damit schien eine Gleichsetzung von Arbeitsplatz und "Betrieb" vollzogen, die jede Fremdvergabe von Dienstleistungen, die bisher unternehmensintern verrichtet wurden, damit bedrohte, das Vertragsverhältnis nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die Fremdfirma übergehen zu lassen. "Outsourcing", diese seit den 1990er-Jahren populäre Betriebswirtschaftsübung, wäre bei konsequenter Umsetzung in ernsthafte juristische Gefahr geraten.
Seither scheinen die 1994 oft noch politisch unkorrekt genannten Putzfrauen ein Stück aus dem Licht der juristischen Fachöffentlichkeit verschwunden zu sein. In ihrem Buch "Putzen als Passion" öffnet Nicole E. Karafyllis, Professorin mit Schwerpunkt Technikphilosophie an der Technischen Universität Braunschweig, nun die Augen für die meist unsichtbare Arbeit der Raumreinigung.
"Sie ordnen und sortieren erst, betrachten dann von allen Seiten und bearbeiten es, um die Lage komplizierter zu machen, als es vorher war." – Dieser Satz, mit dem mancher Mandant die Arbeit seines Anwalts beschreiben könnte, dient Karafyllis dazu, die Gemeinsamkeit von Putzen und Philosophieren greifbar zu machen. Die Philosophieprofessorin, Nachfolgerin des bekannten Erkenntnistheoretikers Gerhard Vollmer, bekämpft die Idee, Schmutz sei etwas, das endgültig aus der Welt geschafft werden könnte: Er werde bestenfalls Teil einer "Lösung" und verschwinde mit ihr zum Teil, während der putzende Mensch lerne, den meisten Schmutz zu übersehen. Justizpraktiker mögen beim Anblick nicht enden wollender Aktenberge analoge Empfindungen haben.
Warum ist es im öffentlichen Dienst so schmutzig?
Bliebe es bei diesen metaphorischen Vergleichsmöglichkeiten, trüge der putzphilosophische Ansatz nur wenig zur Klarheit bei. Glücklicherweise weist Karafyllis auch auf praktische, ja rechtsrelevante Probleme des Putzens hin.
Juristischen Anfangssemestern wird beispielsweise die Dogmatik des untauglichen Versuchs im Strafrecht gern mit einem inzwischen womöglich selbst untauglichen Beispiel illustriert. Als Beispiel für einen strafrechtlichen Irrtum "über die eigene Täterqualifikation in Folge falscher rechtlicher Interpretation" nennt Katharina Beckemper etwa im StGB-Kommentar von Heintschel-Heinegg (2012) ein Phantom: Es mache sich "die Putzfrau eines Rathauses, die sich irrtümlich für einen Amtsträger hält, nicht für den Versuch eines Amtsdeliktes strafbar".
Dass hier ein Lehrbuch-Geist am Leben erhalten wird, legt jedenfalls die Empörung nahe, die Nicole E. Karafyllis – trotz ihres Professorenstatus bekennende Selbst-Putzerin – ausführlich über den Schmutz in Räumen des öffentlichen Dienstes äußert: Um zu verhindern, dass sich Angestellte und Beamte zu einer rangniederen Tätigkeit angewiesen fühlten, verböte mancher Dienstherr gleich jede eigenhändige Reinigungsarbeit – bisweilen unter dem Vorwand des Unfallschutzes. Der Staub auf den oberen Aktenregalen und die klebrig-braunen Geschirrtücher in den Teeküchen der Republik seien mithin nicht nur als Anlass profanen Ekels zu sehen. Karafyllis behauptet, dass sich das Sauberkeitsverständnis mit der "Professionalisierung" der Dienstleistung von einem dreidimensionalen zu einem zweidimensionalen gewandelt habe: Wo früher tatsächlich Putzfrauen den Gegenstand von allen drei Seiten gereinigt hätten, bliebe heute das schnelle Durchwischen von Oberflächen.
Das Fehlen von Putzfrauen im öffentlichen Dienst ist ein Symptom dieser Entwicklung. Dass sie als Beispiel für "Wahndelikte" im juristischen Schrifttum herumgeistern, mag als Imagination einer sauberen Vergangenheit des öffentlichen Dienstes zu deuten sein.
2/2: Wenn Arbeitnehmer freiwillig putzen, ist das heroisch
Wie weit sich der vom Schmutz umgebene Mensch schon vom schlichten Selberputzen entfernt hat, zeigt ein Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) vom 8. Dezember 2005 (Az. 11 Sa 121/04). Zigarettenkippen im Abfall eines Unternehmens hatten zu einem erheblichen Brandschaden geführt. Das LAG spricht von 111.000 Euro. Einen Anteil von rund 40 Prozent sollte jener Angestellte tragen, der es unternommen hatte, seine Zigarettenreste selbst in die Mülltonne zu bringen.
Fraglich war, inwieweit dieses brandauslösende "Ausleeren des Aschenbechers" nun "auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet und damit betriebsbezogen" war. Beim rein privaten Qualmen und anschließender Kippenbeseitigung hätte man den Raucher unbedenklich in Haftung nehmen können.
Das LAG stellt hingegen fest, dass der Raucher mit der Entsorgung der Zigarettenreste "im Betriebsinteresse handelte", nicht allein, weil sein Büro auch von Kunden des Unternehmens besucht wurde, sondern auch, weil "die Reinigungskraft nicht täglich, sondern nur alle zwei Wochen ins Büro kam".
Wohl unbeabsichtigt schlich sich etwas heroischer Pathos in das Urteil: "Selbst wenn man annimmt, dass es grundsätzlich zu den Aufgaben einer Putzfrau gehört, die Büroaschenbecher zu säubern, ist es jedenfalls nicht völlig untypisch, wenn ein Arbeitnehmer mangels täglicher Leerung und wegen des Kundenverkehrs zwischenzeitlich selbst zur Tat schreitet."
Die Würde der Putzfrau
"Gerade Akademikern bringt Putzen niemand bei, weil das Schulfach Hauswirtschaftslehre am Gymnasium nicht gelehrt wird." Mit dem Satz scheint Karafyllis eine mögliche Erklärung für das wohl ungewollte Pathos der hessischen Richter, will aber ein ganz anderes Fass aufmachen – oder, um im Bild zu bleiben – an einen Müllbeutel sozialer Vorurteile schnuppern.
"Ich muss aufräumen, meine Putzfrau kommt." Dieser Satz zeigt, dass die Beschäftigung einer Putzfrau, gelegentlich auch "Perle" genannt, weniger bis gar nicht der effizienten Reinigung der privaten Räume jener diene, die sich solche Beschäftigungsverhältnisse leisteten. Ginge es den Leuten um Sauberkeit, schritten sie selbst zur Tat.
Wichtig sei hingegen, namentlich in akademischen Kreisen, die Möglichkeit, unter ihresgleichen über die Putzfrau und ihre Qualitäten zu sprechen. Dieses Smalltalkthema diene nicht zuletzt der Abgrenzung des sozialen Status. Die Würde der Putzfrau leide bei solchen Smalltalks bisweilen, die schamlos in Anwesenheit des Personals geführt würden. Das Personal setzt sich allerdings seinerseits mit klarer Kritik etwa an den Hygienemängeln der "Herrschaft" zur Wehr.
Wie geht eine Gesellschaft mit ihren Putzfrauen (m/w) um?
Bis ins 20. Jahrhundert dienten Dienstmädchen in bürgerlichen Haushalten auch der sexuellen Erziehung der Bürgerssöhne. Karafyllis erwähnt aus der Gegenwart die eigens eingerichteten Kämmerchen in den boomenden Neubaugebieten der Golfstaaten, in denen aus Fernost herbeigeschafftes Personal untergebracht wird, aber auch die neuere Literatur zu sexuellen Übergriffen auf Reinigungspersonal in Haushalten hierzulande.
Dass Arbeit im Bereich von Schmutz und Sexualität einem Schweigetabu unterliege, wird in der philosophischen Gesellschaftskritik gelegentlich im bösen Satz zusammengeführt, dass Menschen, die aufs Körperliche „zurückgeworfen“ seien, weniger an der Menschenwürde teilnähmen.
Bei der Berechnung des auszugleichenden Verdienstausfalls einer Prostituierten, die bei einem Verkehrsunglück zu Schaden gekommen war, legte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf Wert auf die Feststellung, dass nicht die realistisch anzunehmenden Einkünfte von 5.000 Mark monatlich anzusetzen seien. Auszugleichen sei vielmehr ein Verdienst, wie er von bildungslos, rein körperlich tätigen Menschen erwirtschaftet werde, damals rund 1.500 Mark monatlich (Urt. v. 12.4.1984, Az. 1 U 120/83). Das OLG nannte mehrfach die Gruppe der Putzfrauen zum Vergleich. Mitunter scheint also etwas von diesem bösen Satz sogar im Recht auf, das sonst doch in seiner Abstraktionsfähigkeit in der Lage ist, noch der befruchteten Eizelle oder dem sterbenden Menschen Würde zu versprechen.
Man hört oft, die Qualität einer Gesellschaft lasse sich an ihrem Umgang mit Minderheiten ablesen. Das ist etwas albern, denn die kleinste denkbare Minderheit nennt sich immer beim Namen: "Ich". Vielleicht ist die Frage besser: Wie geht eine Gesellschaft mit ihren Putzfrauen (m/w) um?
Martin Rath, Putzen für Juristen: Von Christel Schmidt bis zum Verdienst einer Prostituierten . In: Legal Tribune Online, 15.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9554/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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