Ist die Immunität von Bundestagsabgeordneten noch zeitgemäß? Außerdem in der Presseschau: russisches Gericht verurteilt ukrainische Pilotin, DFB bittet Franz Beckenbauer um Erklärung und ein Bier mit Schuss.
Thema des Tages
Abgeordnetenimmunität: Über den Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammer (CDU), die Immunität von Bundestagsabgeordneten gegenüber strafrechtlichen Ermittlungen in ihrer jetzigen Ausgestaltung abzuschaffen, schreibt jetzt auch zeit.de (Ludwig Greven). Das Prinzip diene nicht zuvörderst dem individuellen Schutz von Abgeordneten, sondern der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Grenzenlos gelte sie nicht. So setze der Bundestag zu Beginn jeder Legislaturperiode die Immunität für kleinere Delikte pauschal aus. Gleichwohl winke das Parlament von Staatsanwaltschaften gestellte Anträge nicht prüfungslos durch, wie Johann Wadephul (CDU) als Vorsitzender des Immunitätsausschusses mitteilte. Auch der Beitrag der SZ (Robert Probst) erklärt das diesbezügliche Verfahrens und vertieft zudem die historische Ursprünge des Prinzips.
In einem Kommentar spricht sich Robert Roßmann (SZ) gegen die Abschaffung aus. Zwar mag das Immunitätsrecht als "demokratischer Schutzschirm" gegenwärtig tatsächlich nicht nötig sein und die Prangerwirkung für betroffene Abgeordnete womöglich sogar überwiegen. Dennoch wäre die ersatzlose Streichung "leichtfertig", sinnvoller dagegen, die Immunitätsregeln "praktikabler" zu gestalten, wie etwa durch die in Brandenburg geltende Regel.
Rechtspolitik
Prostitution: Am morgigen Mittwoch beschließt das Regierungskabinett den Entwurf des Prostituiertenschutzgesetzes, nach dem Prostitutionsstätten einer gewerberechtlichen Anmeldepflicht und zahlreichen Auflagen unterfallen. Die FAZ (Mona Jaeger) berichtet zur Meinung von Interessenverbänden, die heimliche Agenda des Gesetzes sei die Abschaffung der Prostitution.
Stalking: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat im Februar einen Entwurf vorgelegt, der den sogenannten Stalking-Paragraphen von einem Erfolgs- zu einem Eignungsdelikt umwandeln soll. Dass der Anknüpfungspunkt dabei immer noch eine schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung der gestalkten Person sei, werde von Opferverbänden kritisiert, schreibt die FAZ (Leonie Feuerbach).
Steuervermeidung: Eine dem Hbl (Ruth Berschens) vorliegende Novelle einer EU-Richtlinie zur Rechnungslegung sieht strengere Regeln gegen Steuervermeidung internationaler Unternehmen vor. So plane die EU-Kommission, Unternehmen zu verpflichten, Gewinne und die hierauf gezahlten Steuern nach Ländern aufgeschlüsselt zu veröffentlichen. Der Entwurf solle am 12. April vorgelegt werden.
Insolvenzrecht: Interessenverbände deutscher Insolvenzverwalter fordern nach Bericht des Hbl (Heike Anger/Leonidas Exuzidis) von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), bei der erwarteten EU-Richtlinie zur Vereinheitlichung des Insolvenzrechts ein schnelles Konzept zur Weiterentwicklung der deutschen Bestimmungen.
Justiz
EuG zu Marke "Winnetou": Das EU-Markenamt hätte nach Urteil des Gerichts der Europäischen Union dem von einer Filmfirma gestellten Antrag auf Nichtigerklärung der Marke "Winnetou" nicht ohne eigenständige Prüfung entsprechen dürfen. Die Rechtsanwälte Michael Fammler und Markus Hecht stellen auf lto.de den Fall und die Entscheidung vom letzten Freitag vor und gehen dabei auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshof von 2002 zur Markenfähigkeit der fiktiven Romanfigur ein.
OLG München zu Amazon-Händler: internet-law.de (Thomas Stadler) meldet ein Urteil des Oberlandesgerichts München von vor zwei Wochen, nach dem Amazon-Händler, die Produkte auf vom Online-Marktplatz bereitgestellten Seiten anbieten, für mögliche Urheberrechtsverletzungen auf diesen Seiten nicht haften. Die fraglichen Bilder würden nicht öffentlich zugänglich im Sinne des Urheberrechtsgesetzes gemacht.
OLG München zu Karlheinz Schreiber: Der 2013 wegen Steuerhinterziehung zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilte frühere Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber bleibt nach Entscheidung des Oberlandesgerichts München auf freiem Fuß. Die bisherigen Meldeauflagen blieben in Kraft, meldet die FAZ (Albert Schäffer), daneben sorge die Anrechnung der Untersuchungshaft, dass mehr als die Hälfte der Freiheitsstrafe als verbüßt gelte.
OLG München zu Bild-Pranger: In einem Urteil aus der vergangenen Woche hat das Oberlandesgericht München die Veröffentlichung eines unverpixelten Bildes der Verfasserin eines ausländerfeindlichen Facebook-Posts in einem "Pranger der Schande" der Bild-Zeitung für unzulässig erklärt. Das Gericht stellte hierbei auf das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ab, schreibt lto.de (Constantin van Lijnden). Die Veröffentlichung des Bildes schaffe keinerlei journalistischen Mehrwert.
LG Berlin zu Türstehertod: Vom Landgericht Berlin sind drei Mitglieder der Hells Angels-Gang vom Vorwurf des gemeinschaftliches Mordes eines Türstehers im September 2013 freigesprochen worden. Das Gericht hielt einen ehemaligen Rocker und jetzigen Kronzeugens für unglaubwürdig, schreibt spiegel.de (Thomas Heise). Der ohnehin seltene Einsatz von Kronzeugen im Rockermilieu werde damit zukünftig noch unwahrscheinlicher.
LG Stuttgart – Wendelin Wiedeking: Gegen den Freispruch der früheren Porsche-Manager Wendelin Wiedeking und Holger Härter durch das Landgericht Stuttgart hat die Staatsanwaltschaft zunächst nur zur Fristwahrung Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Die mündliche Urteilsbegründung weise nach Einschätzung des von der FAZ (Joachim Jahn) zitierten Rechtsprofessors Gerhard Dannecker "erhebliche Schwächen" auf. Das Landgericht habe sich in erster Linie auf die Aussagen Porsche-naher Zeugen gestützt, ohne deren berufliche Nähe zum Konzern zu thematisieren.
LG Heilbronn – Winnenden: Der Vater des Amokläufers von Winnenden fordert nach einer Meldung der taz vor dem Landgericht Heilbronn vom Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg, die Hälfte der millionenschweren Schadensersatzforderungen von Hinterbliebenen zu tragen. Zur Begründung seien Fehler bei der Behandlung seines Sohnes, die für die Tat mitursächlich wären, vorgetragen worden.
AG Kaufbeuren zu Reichsbürgern: In Abwesenheit verurteilte das Amtsgericht Kaufbeuren eine sogenannte Reichsbürgerin wegen Fahrens ohne Führerschein zu acht Monaten ohne Bewährung. Dem Urteil gingen nach Bericht der SZ (Stefan Mayr/Matthias Köpf) bizarre Szenen voraus: Unterstützer der Frau störten die Verhandlung und entwendeten unter den Augen anwesender Justizwachtmeister die Verfahrensakte. In dieser Angelegenheit ermittle die Staatsanwaltschaft Kempten wegen Diebstahls und Strafvereitelung.
Recht in der Welt
IStGH – Jean-Pierre Bemba: Der frühere Vizepräsident des Kongo, Jean-Pierre Bemba, ist vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Bemba als Befehlshaber einer Miliz Plünderungen und Massenvergewaltigungen in der Zentralafrikanischen Republik verantwortet hatte, schreibt die SZ (Tobias Zick). Das Gerichts habe erstmals auch den Einsatz von sexueller Gewalt als Kriegswaffe geahndet. Nach dem Kommentar von Dominic Johnson (taz) müsse sich erst noch erweisen, ob das im Urteil angewendete Prinzip der Vorgesetztenverantwortlichkeit für die weitere Rechtsprechung geeignet sei. Im Völkerstrafprozess gegen ruandische Milizführer habe das Oberlandesgericht Stuttgart eine derartige "Tatverhinderungsmacht" nicht ausmachen können.
Russland/Ukraine – Nadja Sawtschenko: Ein Gericht in der russischen Stadt Donezk hat die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko wegen Mordes zweier russischer Journalisten in der Ostukraine verurteilt. Die Verkündung des Strafmaßes werde für den heutigen Dienstag erwartet, schreiben SZ (Julian Hans) und taz (Bernhard Clasen). Das Gericht habe es als erwiesen angesehen, dass Sawtschenko ukrainischen Streitkräften den Aufenthaltsort der durch Granatbeschuss Getöteten übermittelt habe. Im Kommentar von Reinhard Veser (FAZ) ging es im Verfahren "nicht um die Wahrheit, sondern um politische Signale und Propaganda". In diesem Sinne würde ausländische Kritik an der Entscheidung in offiziösen Medien als Beleg angeführt, "dass es der Westen mit den Mördern halte". Nach Julian Hans (SZ) verfolgte der Prozess auch die Absicht, das illegitime Vorgehen der russischen Politik gegenüber dem ukrainischen Nachbarn zu legitimieren. Auch als Verurteilte sei Sawtschenko eine Geisel Wladimir Putins, der einen möglichen Austausch zu eigenen Bedingungen diktieren könne.
Frankreich – Staatsbürgerschaftsentzug: Der in Belgien festgenommene mutmaßliche Terrorhelfer Salah Abdeslam muss nach Bericht der FAZ (Michaela Wiegel) nicht mit dem Entzug seiner französischen Staatsbürgerschaft rechnen. Nach Bedenken zahlreicher Senatsmitglieder sehe ein diesbezüglicher Regierungsentwurf die Sanktion jetzt nur für Betroffene mit mehreren Staatsbürgerschaften vor. Eine endgültige Fassung müsse im Vermittlungsausschuss zwischen Senat und Nationalversammlung erarbeitet werden. Günther Nonnenmacher (FAZ) bezeichnet die Frage als "symbolische Diskussion". Der Ausweisung sowohl von Staatenlosen als auch den Inhabern zweiter Pässe stünden häufig praktische Schwierigkeiten entgegen. Das Staatsangehörigkeitsrecht eigne sich nicht "zur Eindämmung des Dschihadismus und seiner barbarischen Anschläge", die Maßnahme diene "der Rache, nicht der Strafe".
Dänemark – Menschenschmuggel: Ein dänisches Ehepaar nahm im vergangenen Sommer eine syrische Flüchtlingsfamilie auf der Autobahn mit und beköstigte diese zudem mit einer Tasse Tee. Wegen Verstoßes gegen eine ausländerrechtliche Bestimmung gegen Menschenschmuggel ist das Ehepaar nun zu einer Geldbuße verurteilt worden, berichtet die taz (Reinhard Wolff).
Türkei – Journalist: Die SZ (Mike Szymanski) interviewt in ihrem Medien-Teil Can Dündar. Der Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet muss sich ab dem kommenden Freitag wegen Spionage- und Terrorvorwürfen vor Gericht verteidigen. Seine Zeitung hatte über Waffenlieferung der Türkei an Islamisten in Syrien berichtet.
USA – Krypto-Krieg: Als einen "Krieg der Supermächte" beschreibt die SZ (Jörg Häntzschel) im Feuilleton die anhaltenden Auseinandersetzungen US-amerikanischer Ermittler und dem Apple-Konzern über die zugriffssichere Verschlüsselung seiner Geräte. Am heutigen Dienstag verhandelt ein Bundesgericht in Kalifornien zum Antrag Apples, einen Gerichtsbeschluss, der das Unternehmen verpflichtet, dass vom Attentäter von San Bernardino benutzte Telefon zu entschlüsseln, aufheben zu lassen. Apple argumentiere dabei, dass der von ihm verwendete Software-Code dem Recht auf freie Meinungsäußerung unterfalle und damit dem Zugriff der Regierung entzogen sei.
Sonstiges
DFB/Franz Beckenbauer: Ab dem kommenden Dienstag ist Franz Beckenbauer vor die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle (ÖRA) der Hansestadt Hamburg geladen. Nach dem Bericht der SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) sollen er und andere Mitglieder des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006 dort auf Antrag des DFB erklären, ob eine Bereitschaft zur Leistung von Schadensersatz in Höhe von knapp acht Millionen Euro bestehe. Der beim ÖRA gestellte Antrag auf Einleitung eines Güteverfahrens diene nach Ansicht der Geladenen allein der Verhinderung der Verjährung möglicher Ersatzansprüche. Es gelte als ausgeschlossen, dass die Geladenen erscheinen.
Dieter Reuter: In einem Nachruf würdigt die FAZ (Peter Rawert) im Feuilleton des Blattes den in der vergangenen Woche verstorbenen Rechtsprofessor Dieter Reuter als "Doyen des Stiftungsrechts".
Das Letzte zum Schluss
Bier mit Schuss: Verkehrsverstöße unter Einfluss von Alkohol fordern Erwischte zu den buntesten Erklärungsversuchen heraus. So auch in einem Berliner Fall, über den verkehrsrecht.com (Alexander Gratz) berichtet. Nach einem Rotlichtverstoß und anschließend festgestellter Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l machte der dort Betroffene geltend, in einer Gaststätte zwar ein alkoholfreies Bier bestellt, aber offenbar ein Alkoholhaltiges bekommen zu haben. Vor dem Amtsgericht erreichte er eine Reduzierung seines Bußgeldbescheides, wegen Darstellungsmängeln des Urteils hob das Kammergericht die Entscheidung nun jedoch auf.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. März 2016: Zukunft für Abgeordnetenimmunität? / Schuldspruch gegen Sawtschenko / Forderung an Beckenbauer . In: Legal Tribune Online, 22.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18845/ (abgerufen am: 26.09.2023 )
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