Die Silvesterübergriffe werfen weiterhin Fragen auf. Wer trägt die Verantwortung, welche ausländerrechtlichen Konsequenzen sind zu ziehen? Außerdem: Verfassungsrichter zu Flüchtlingspolitik und Mietrechtsstreit eines Kettenrauchers.
Thema des Tages
Silvesterübergriffe: Wer trägt die Verantwortung für die Eskalation der Silvesterübergriffe am Kölner Hauptbahnhof? In einer Sondersitzung des Innenausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags verwendete Innenminister Ralf Jäger (SPD) deutliche Worte. Die Polizei der Stadt habe in der Silvesternacht ein "nicht akzeptables Bild" abgegeben und hierdurch das Vertrauen in den Rechtsstaat aufs Spiel gesetzt, schreibt die Welt (Kristian Frigelj). Dringend benötigte Verstärkungen seien nicht angefordert worden, die Informationspolitik nach den Vorfällen sei "unvollständig und zögerlich" gewesen. Eine persönliche Verantwortung schloss der Minister aus. Über den von Jäger präsentierten Bericht schreibt u.a. auch zeit.de (Lena Jacobsen).
In einem Kommentar bezeichnet es Jost Müller-Neuhof (Tsp) als "unredlich und antidemokratisch", die nicht-deutsche Herkunft des weitaus größten Teils der Tatverdächtigen zu verschweigen. Denn es bestehe ein Informationsanspruch von Bürgern gegenüber ihrem Staat. Dieser habe aber gleichfalls weder "Pflicht noch Anlass", Information wie die Herkunft mutmaßlicher Täter "im Moment ihrer Erfassung in die Welt zu posaunen". Die Entscheidung hierüber treffe das demokratisch verfasste Gemeinwesen.
Ausländerrecht: Die nach den Vorfällen eingesetzte Diskussion über die Verschärfung ausländerrechtlichter Bestimmungen fasst die SZ (Jan Bielicki) inhaltlich zusammen. So seien sich die Spitzen der Regierungskoalition einig über die Einführung einer Wohnsitzauflage auch gegenüber anerkannten Flüchtlingen. Hiergegen geltend gemachte verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nach Einschätzung des früheren Bundesverteidigungsministers Rupert Scholz (CDU) nicht. Gegenüber der Welt (Günther Lachmann/Thorsten Mumme) erinnerte der Staatsrechtler an das 2009 ausgelaufene Wohnortzuweisungsgesetz, durch das Spätaussiedler über das Bundesgebiet verteilt wurden. Dass aber auch eine Bewährungsstrafe für die Aberkennung eines Flüchtlings- oder Asylstatus' ausreichen soll, bezeichnet Anwalt Thomas Oberhäuser im Gespräch mit zeit.de (Katharina Schuler) als Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Deren Schutzanspruch werde nur bei besonders schweren Straftaten verwirkt.
Auch der Kommentar von Jan Bielicki (SZ) erinnert an die Flüchtlingskonvention. Das Bundesverwaltungsgericht habe 2008 unter Bezug auf das dort verbriefte Recht der freien Aufenthaltswahl das Verbot von diesbezüglichen Einschränkungen "sehr eindeutig festgestellt". Aktuell benötigten die Städte dringend Hilfe beim Wohnungsbau, um die durch Massenzuzug entstandenen Belastungen abfedern zu können. Die Forderung nach erleichterten Abschiebungen straffällig gewordener Flüchtlinge hält Christian Rath (taz.de) für "nachvollziehbar". Auch für eine einjährige Strafe müsse "man einiges ausgefressen haben", zudem finde vor der Abschiebung auch immer noch eine Einzelfallprüfung statt. Dagegen soll nach Reinhard Müller (FAZ) "die Flucht in immer neue Maßnahmen" eher "das immense Vollzugsdefizit übertünchen, das im Ausländerrecht herrscht". Konkrete Vorhaben gelängen nur bei konsequenter Umsetzung, ein Beginn wäre "die strikte Kontrolle des Zustroms nach Deutschland".
Rechtspolitik
Verfassungsrichter zur Flüchtlingspolitik: In einem Interview mit dem HBl (Heike Anger) äußert der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, deutliche Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive sei eine strikte Trennung von Asylgewährung und Migrationspolitik, notfalls auch nur auf nationaler Ebene, unerlässlich. Versuchen, die Regierung auf dem Klagewege zu einer bestimmten Politik zu verpflichten, räumt Papier dagegen geringe Chancen ein.
focus.de berichtet zu dem vom ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, für den Freistaat Bayern angefertigten Gutachten. Nach diesem habe die Bundesregierung mit ihrer Weigerung, die Landesgrenzen umfassenden zu kontrollieren, Verfassungsrecht gebrochen. Aus dem Grundgesetz könne kein universelles Recht auf Schutz für alle Menschen abgeleitet werden.
Verschärfung des Sexualstrafrechts: Nun berichtet auch die FAZ (Helene Bubrowski) zur Forderung des CDU-Parteivorstandes zur Verschärfung des Sexualstrafrechts. Die sogenannte Mainzer Erklärung sei mit ihrer "griffigen Formulierung" eines "Nein heißt Nein" dabei eher "politisch als rechtstechnisch zu verstehen", zitiert die Zeitung den stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Thomas Strobl. Einen Überblick zur aktuellen Debatte bringt spiegel.de (Philipp Seibt).
Nach Ursula Knapp (Tsp) belegen vor allem "krasse" Urteile des Bundesgerichtshofs die Notwendigkeit einer Verschärfung. So stehe zu befürchten, dass auch weiterhin Auslegungsspielräume, etwa bei der Konkretheit der vom Opfer eines Übergriffs empfundenen Furcht, dahingehend genutzt werden, auch weiterhin keine Vergewaltigung anzunehmen, "wenn eine Frau in einer Bedrohungslage Dinge geschehen lässt, die sie nicht will". Wolfgang Janisch (SZ) hält die Verschärfung für "längst überfällig". Bei der Ahndung von sexuellen Überrumpelungsangriffen gehe es "um Regeln, die etwas mit Achtung, Würde und Gleichberechtigung zu tun haben". Dies sei auch Flüchtlingen "notfalls im Gerichtssaal" zu vermitteln.
Datenaustausch: Die FAZ (Eckart Lohse) nimmt den Fall des in Paris erschossenen mutmaßlichen Attentäters, der zuvor in einer Asylbewerberunterkunft in Recklinghausen gelebt haben soll, zum Anlass für einen Überblick zum Regelungsgehalt des Datenaustauschverbesserungsgesetzes. Dessen Entwurf solle am Mittwoch in den Bundestag eingebracht werden. Es sehe die Erweiterung des Ausländerzentralregisters vor und soll den Zugriff auf relevante Daten für beteiligte Behörden erleichtern.
Prostitution: Die SZ (Elena Adam) berichtet über ein Vorstoß der Grünen-Fraktion zum geplanten Prostituiertenschutzgesetz. Ein am heutigen Dienstag einzubringender Entwurf sehe gleich dem von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) erarbeiteten eine gewerberechtliche Anmeldepflicht für Bordellbetreiber vor. Die im Regierungsentwurf vorgesehene Anmeldepflicht für die Prostituierten selber sei im Grünen-Antrag jedoch gestrichen.
PKW-Maut: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat der EU-Kommission "gezielte Verzögerung des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens" in Sachen PKW-Maut vorgeworfen, berichtet die FAZ (Hendrick Kafsack). Die Bundesregierung hatte ihre Stellungnahme bereits im August verschickt, warte aber immer noch auf die nun angezeigte, mit "Gründen versehene Stellungnahme" der Kommission. Diese wiederum sei Voraussetzung einer Anrufung des Europäischen Gerichtshofes, die vom Minister ausdrücklich in Aussicht gestellt wurde.
Datenschutz: In einem Kommentar bemängelt Svenja Bergt (taz), dass Datenschutz von Unternehmen je nach Interessenlage als "Überregulierung" kritisiert oder als Verteidigungsstrategie genutzt wird. Dabei werde vergessen, dass Datenschutz zuvörderst dem Schutz der individuellen Privatsphäre diene.
Justiz
BVerfG – Minderheitenrechte: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Mittwoch zu einem von der Bundestagsfraktion der Linkspartei angestrengten Organstreitverfahren. Die Linke wende sich dagegen, dass bestimmte quorumsabhängige Rechte von Oppositionsparteien zu Beginn der Legislaturperiode nur durch Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments und nicht gesetzlich geregelt wurden, schreibt die FAZ (Reinhard Müller). Die Klägerin sehe hierin einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip und die Grundsätze des parlamentarischen Regierungssystems.
LG Düsseldorf – Rauchbelästigung: Der mittlerweile wieder beim Landgericht Düsseldorf anhängige Mietrechtsstreit über unzumutbare Geruchsbelästigungen durch Zigarettenrauch eines hochbetagten Mieters wurde mit der Vernehmung von Zeugen fortgesetzt. Diese äußerten sich zur Beweisfrage widersprüchlich, schreibt die SZ (Ulrich Hartmann). Ob das Verfahren wie geplant Anfang März seinen Abschluss findet oder etwa noch ein Gutachten eingeholt werden müsse, sei gegenwärtig offen.
LG Traunstein – Brandkatastrophe: Bei einem Betriebsausflug auf einem oberbayerischen Bauernhof starben im vergangenen Mai sechs Menschen durch einen Brand. Vor dem Landgericht Traunstein muss sich nun der Eigentümer des Hofs wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Der Angeklagte räumte ein, dass er keine Genehmigung für die Beherbergung von Gästen besessen habe, berichtet die FAZ (Karin Truscheit). Die lokalen Behörden seien über den Betrieb aber tatsächlich informiert gewesen.
Feinstaubbelastung: Nach Bericht der Welt (Matthias Kamann) stehen viele Kommunen vor der Verhängung "verkehrsbeschränkender Maßnahmen" wie Fahrverbote zur Eindämmung der Feinstaubbelastung. Grund hierfür seien häufig erfolgreiche Klagen von Bürgern und Umweltverbänden wegen Überschreitung entsprechender Grenzwerte. So habe ein Berliner Kläger erst kürzlich vor dem Verwaltungsgericht Berlin die Verpflichtung erstritten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einer Hauptverkehrsstraße auf 30 km/h zu begrenzen.
Mindestlohn: Das HBl (Heike Anger) zieht ein Jahr nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein Resümee zu gerichtlichen Auseinandersetzungen hierzu. Zwar sei ein ganz großer Ansturm auf die Gerichte ausgeblieben, arbeitsrechtliche Spruchkammern hätten jedoch auch so "ganz gut zu tun". Die meisten Auseinandersetzungen beträfen die Frage, inwieweit andere oder zusätzliche Gehaltsbestandteile zur Berechnung des Mindestlohns herangezogen werden könnten. Von ausländischen Transportunternehmen erhobene Verfassungsbeschwerden habe das Bundesverfassungsgericht wegen mangelnder Rechtswegerschöpfung als unzulässig verworfen.
Recht in der Welt
Zukunft des IStGH: Mehrere afrikanische Staaten, unter ihnen Südafrika, bereiten ihren Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof vor. Die Hintergründe des Schritts sowie mögliche Auswirkungen für die Zukunft des als Internationale Organisation konstituierten Gerichts beleuchtet Richter Eike Fesefeldt auf lto.de.
Polen – Verfassungskrise: In Fortsetzung ihres englischsprachigen Beitrags "Poland at Crossroads" untersucht die Habilitandin Paulina Starski (juwiss.de) Sinn und Zweckmäßigkeit des Einsatzes von Art. 7 EU-Vertrag, nach dem die Mitgliedschaft eines EU-Staates suspendiert werden kann.
Frankreich – Staatsbürgerschaft: Die taz (Rudolf Balmer) berichtet über die Frankreich aktuelle Diskussion, verurteilten Terroristen als zusätzliche Strafe die Staatsbürgerschaft zu entziehen, soweit der Pass eines anderen Landes vorhanden ist. Derartiges sei bislang nur möglich, wenn die Betreffenden als Erwachsene eingebürgert wurden.
Spanien – Infantin Cristine: In Palma de Mallorca muss sich Cristina de Borbon, Schwester des spanischen Königs Felipe VI., wegen Steuerbetrugs vor Gericht verantworten. Über den Prozessauftakt gegen Cristina und weitere Angeklagte, darunter ihr Ehemann Inaki Urdangarin, schreibt die SZ (Thomas Urban). Während Urdangarin wohl in jedem Fall mit einer Haftstrafe rechnen müsse, sei nicht ausgeschlossen, dass die Anklage gegen Cristina eingestellt werde.
Russland/Ukraine – Propaganda: Seit dem vergangenen Sommer muss sich die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko vor einem russischen Gericht wegen Beihilfe zum Mord an zwei russischen Journalisten verantworten. Nach Bericht von spiegel.de (Benjamin Bidder) habe der bisherige Prozessverlauf zahlreiche Schwächen und Widersprüche der Anklage offenbart. Die Verteidigung setze dagegen auf eine möglichst große Öffentlichkeit des Falles.
Großbritannien -Euribor-Manipulation: Mit der Festlegung der Kautionssummen hat in London ein Verfahren gegen elf Angeklagte begonnen, denen die Manipulation des Euribor-Referenz-Zinssatzes zwischen 2005 und 2009 vorgeworfen wird. Sechs der Angeklagten waren oder sind bei der Deutschen Bank beschäftigt, berichtet die SZ (Björn Finke). Der Beitrag geht auch auf bereits erfolgte Verurteilungen wegen vergleichbarer Manipulationsvorwürfe ein.
USA – VW: Bei der in San Francisco/USA anhängigen Sammelklage gegen VW hat der zuständige Richter einem sogenannten Settlement Master bestimmt. Der ehemalige FBI-Chef Robert Mueller solle den beteiligten Parteien bei der Aushandlung einer außergerichtlichen Einigung helfen, beschreibt das HBl (Astrid Dörner) dessen Aufgabe.
Sonstiges
Crashkurs Recht: Flüchtlingen sollen in Bayern durch einen Einführungskurs grundlegende Prinzipien des deutschen Rechts und Rechtsstaats vermittelt werden. Über den Auftakt mit Landesjustizminister Winfried Bausback (CSU), selbst Rechtsprofessor, schreibt die SZ (Olaf Przybilla).
Das Letzte zum Schluss
Beweissicherung: Über eine ungewöhnliche Methode zur Beweissicherung in Indien berichtet spiegel.de. Nachdem eine Röntgenaufnahme ergeben hatte, dass ein Mann eine Kette zunächst gestohlen und dann verschluckt hatte, hielt die anwesende Polizei den ärztlich empfohlenen Einlauf für zu kostspielig. Stattdessen verordnete sie dem Dieb 40 Bananen. Deren Konsum brachte das Diebesgut "auf natürliche Weise" zum Vorschein.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 12. Januar 2016: Verantwortung für Köln / Verfassungsrichter zu Flüchtlingen / Zeugen zu Rauch . In: Legal Tribune Online, 12.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18101/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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