Der Ständige Schiedshof entscheidet zu Ansprüchen im Südchinesischen Meer. Steht die Verfassung der Meere über politischem Einfluss? Außerdem in der Presseschau: BKA-Bilanz zu Silvesterübergriffen und günstige Gelegenheit für Diebstahl.
Thema des Tages
Schiedshof – Südchinesisches Meer: Das Südchinesische Meer ist ungefähr so groß wie Mittelmeer, Nord- und Ostsee zusammen. Die nördlich angrenzende Volksrepublik China beansprucht gegen zahlreiche Anrainerstaaten seit Jahren uneingeschränkte Souveränität über das Gebiet und untermauert diese Ansprüche mit der fortgesetzten Befestigung und dem Ausbau von Landformationen. Am morgigen Dienstag wird der Ständige Schiedshof in Den Haag einen "umfangreichen seevölkerrechterlichen Schiedsspruch zu politisch hochsensiblen Fragen" in einem von den Philippinen angestrengten Verfahren bekannt geben, schreibt Rechtsprofessor Henning Jessen in einem Gastbeitrag für die Samstags-FAZ. Dass dieses von China boykottiert wurde, stellt für den Seerechtsexperten die "globale Glaubwürdigkeit" des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen dar. Diese sogenannte Verfassung der Meere habe jahrzehntelange Verhandlungen erfordert, war aber seinerzeit auch von China ratifiziert worden. Für grundsätzliche Bedenken der Volksrepublik zur Zuständigkeit des Schiedshofes, aber auch konkrete Auslegungsfragen und Präzisierungen stehe mit dem Abkommen ein "regelbasiertes Streitbeilegungssystem" zur Verfügung, dessen Zukunft durch die chinesische Weigerung gefährdet sei. Der Bericht der Montags-FAZ (Till Fähnders) bezweifelt, dass sich Chinas Verhalten auch bei einer negativen Entscheidung ändern wird. In Frage-und-Antwort-Form stellt zeit.de (Steffen Richter) Problematik und Verfahren dar.
Rechtspolitik
Stalking: Das Bundeskabinett soll nach einer Meldung von spiegel.de eine Änderung des Stalking-Paragrafen beschließen. Nach Absicht von Justizminister Heiko Maas (SPD) sollen Nachstellungen künftig auch schon dann strafbar sein, wenn sie lediglich objektiv geeignet sind, die Lebensführung des oder der Geschädigten zu beeinträchtigen.
Sexualstrafrecht: Cordula Meyer (Spiegel) würdigt im Leitartikel des Blattes die am vergangenen Donnerstag beschlossene Reform des Sexualstrafrechts als Symbolpolitik "im besten Sinne". Trotz Schwächen spiegele das neue Gesetz einen gewandelten gesellschaftlichen Konsens wieder und wirke auch als Signal: für "Frauen, dass die Justiz sie ernst nimmt. Und für die Vergewaltiger, dass sie nicht mehr so einfach davonkommen." Gigi Deppe (swr.de) gibt in einem Kommentar zu bedenken, dass Gegenargumente auch bei der Diskussion über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe angeführt worden seien. Die Berechtigung dieser Verschärfung stelle heutzutage niemand mehr in Frage. In einem Gastbeitrag für spiegel.de antwortet Thomas Fischer, Bundesrichter, auf den von der Kolumnistin Margarete Stokowski erhobenen Vorwurf, seine Kritik an der Reform sei sexistisch.
Kulturgutschutzgesetz: Der Bundesrat hat am vergangenen Freitag der Neufassung des Kulturgutschutzgesetzes zugestimmt. Der Bericht der Samstags-FAZ (Rose-Maria Gropp) zieht eine Bilanz der "nicht selten überhitzten" Debatte zur Novellierung und mutmaßt über "die wahren Gewinner der ganzen Erregung". Die Neufassung werde "die Kulturnation Deutschland für lange Zeit verändern", sagt Andrian Kreye (Samstags-SZ) in einem Kommentar voraus. Die Bestimmungen zu Ausfuhrbeschränkungen identitätsstiftender Kunstwerke enthielten einen "hübschen populistischen Kern", würden aber im Ergebnis der Förderung künstlerischen Nachwuchses schaden.
Erbschaftsteuer: Der Bundesrat hat im Streit über die Reform der Erbschaftsteuer den Vermittlungsausschuss angerufen. Die hierdurch entstandene Verzögerung ist für Manfred Schäfers (Samstags-FAZ) "mehr als ein politisches Ärgernis", vielmehr "ein Armutszeugnis". Durch die Missachtung der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist leide auch dessen Ansehen.
BND-Gesetz: Die erste Lesung zum neuen BND-Gesetz am vergangenen Freitag fasst netzpolitik.org (Hendrik Obelöer) zusammen. Martin Kaul (Samstags-taz) kritisiert in einem Kommentar den von "findigen Juristen" beim Entwurf verwendeten "Kniff", dem Nachrichtendienst künftig zu erlauben, "was einst nicht geregelt war".
Terrorbekämpfung/Datenschutz: Die Samstags-Welt (Manuel Bewarder/Florian Flade) referiert datenschutzrechtliche Bedenken zu zahlreichen Neuregelungen zum Zwecke der Terrorbekämpfung.
Integrationsgesetz: Die Bundesrepublik habe mit dem Integrationsgesetz "erneut den Kreis der zu Integrierenden" vergrößert, schreibt die Samstags-Welt (Marcel Leubecher) in einer ausführlichen Darstellung der Reglungen anlässlich der Zustimmung durch den Bundesrat am letzten Freitag.
Volksentscheide: In einem Interview mit der WamS (Stefan Aust u.a., Zusammenfassung) spricht sich Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gegen Volksentscheide auf Bundesebenen und auch gegen eine Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler aus. Jacques Schuster (Samstags-Welt) meint im Leitartikel des Blattes, dass das "Volk in seiner Gesamtheit" keine "vielschichtigen Entscheidungen fällen" könne. Soweit sich Politiker öffentlich für Plebiszite einsetzten, täten sie dies aus Anbiederung an den "Zeitgeist, diese große Hure der Gesellschaft".
Horst Glanzer: Die BamS (Peter Tiede/Hanno Kautz) stellt Horst Glanzer vor. Nach Enttäuschungen über fehlende Regulierungsbereitschaft seiner Krankenversicherung und zivilprozessuale Regelungen, die die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erschwerten, wurde der Pensionär als rechtspolitische "Ein-Mann-Bürgerwehr" aktiv. Seine Beharrlichkeit habe bislang die Änderung zahlreicher Gesetze bewirkt und wird nun auch von Berufspolitikern anerkannt. Die aktuell diskutierte Novellierung des Sachverständigenrechts gehe ebenfalls auf ihn zurück.
Justiz
Verfassungsrichterin: Der lto-Podcast (Michael Reissenberger) stellt die neugewählte Verfassungsrichterin Christine Langenfeld vor und untersucht mögliche Auswirkungen ihrer Ernennung auf das am BVerfG anhängige NPD-Verbotsverfahren. Auch die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) widmet der neuen Verfassungsrichterin ein Porträt, in dessen Mittelpunkt vor allem Langenfelds Expertise als Migrationsrechtlerin steht.
BGH zu Maklerrecht: Verbrauchern steht ein Widerrufsrecht bei telefonisch oder online abgeschlossenen Maklerverträgen zu. Die in zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Donnerstag erfolgte richterliche Klarstellung stellt nun auch Rechtsanwalt Niko Härting auf lto.de vor.
BGH – Werbeblocker: Ein Kölner Anbieter von Internetwerbeblockern will nach einer Meldung des Spiegel (Martin U. Müller) die Rechtmäßigkeit seines Produkts vom Bundesgerichtshof feststellen lassen. Das Unternehmen stütze sich auf ein Gutachten des früheren Verfassungsrichters Udo di Fabio, nach dem ein generelles Verbot derartiger Angebote nicht geboten sei.
HansOLG – IS-Rückkehrer: In der vergangenen Woche hat das Hanseatische Oberlandesgericht den Bremer IS-Rückkehrer Harry S. unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Samstags-taz (Lena Kaiser/Jean-Philipp Baeck) fasst Erkenntnisse zu den Erlebnissen des Verurteilten, der angegeben habe, "mit der Ideologie des Dschhad" gebrochen zu haben, in Syrien zusammen.
LG Lüneburg – Kriminelle Vereinigung: Vor dem Landgericht Lüneburg wird gegen sechs mutmaßliche Mitglieder der Gruppe "Diebe im Gesetz", die in sowjetischen Straflagern gegründet wurde, unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verhandelt. Die WamS (Dirk Banse u.a.) bringt ein große Reportage über den "kriminellen Orden", der seine geschäftlichen Aktivitäten nach dem Ende der Sowjetunion speziell auf Deutschland ausgedehnt habe und Gegenstand intensiver Ermittlungen des Bundeskriminalamtes sei.
LG Frankfurt/O. zu Schleuser: Wegen versuchter gewerbsmäßiger und bandenmäßiger Einschleusung mit Todesfolge hat das Landgericht Frankfurt/O. einen Syrer zu vier Jahren Haft. Bei einer von dem Mann im April 2015 organisierten Überfahrt von der Türkei nach Griechenland waren fünf Menschen ertrunken. bild.de berichtet.
LG Potsdam – Silvio S.: Der Spiegel (Julia Jüttner) bringt eine Reportage zu Silvio S., der sich vor dem Landgericht Potsdam wegen der Tötung zweier Jungen verantworten muss. Der Angeklagte hatte sich nach seiner Festnahme relativ detailliert zu den ihm vorgeworfenen Taten geäußert, schweigt nun aber im Prozess.
AG Hamburg zu Beleidigung: Wegen Beleidigung der Bürgerschaftsabgeordneten Stefanie von Berg (Grüne) ist ein Hamburger Rentner zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Der Mann hatte der Politikerin in einer E-Mail eine Vergewaltigung gewünscht, schreibt zeit.de (Oliver Hollenstein).
VG Hamburg – Verdeckte Ermittlerin: Der vor dem Verwaltungsgericht Hamburg geführte Streit über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes einer verdeckten Ermittlerin bei einem linken Radioprojekt in der Hansestadt steht offenbar vor dem Abschluss. Die "nochmalige Überprüfung und Bewertung der Rechtslage" habe die Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahme ergeben, zitiert die Montags-taz (Kai von Appen) aus einem Schreiben des Landeskriminalamts an das Gericht.
BKA – Silvesterübergriffe: Ein der Montags-SZ (Georg Mascolo/Britta von der Heide) vorliegender Entwurf einer Abschlussbilanz des Bundeskriminalamts zu sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht geht von bundesweit 1.200 Opfern aus. Bei schätzungsweise 2.000 beteiligten Männern sollen 120 Verdächtige ermittelt worden sein. Hinweise auf vorherige Absprachen seien nicht vorhanden. Eine Seite Drei-Reportage der Montags-SZ (Britta von der Heide/Georg Mascolo) behandelt den Bericht ebenfalls, konzentriert sich aber auf Vorfälle in Hamburg. Eine dortige Ermittlungsgruppe habe zunächst große Hoffnungen auf Fotos von der Großen Freiheit gesetzt. Nach einem halben Jahr hat es zu festgestellten Tatverdächtigen aber einen Freispruch und fünf aufgehobene Haftbefehle gegeben.
StA Braunschweig – VW: Dem VW-Konzern droht in der Aufarbeitung der Abgas-Affäre seitens der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Bußgeld von einigen Hundert Millionen Euro. Die Anklagebehörde beziehe sich in einer Mitteilung an den VW-Vorstand explizit auf § 17 Abs. 4 des Ordnungswidrigkeitengesetzes, nach dem der aus einer Tat erzielte wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden kann. Dies schreibt die Samstags-SZ (Klaus Ott) und erläutert Gesetz sowie prominente Erfahrungswerte für die Anwendung der Norm.
Kriminalgericht Moabit: Den Alltag im Berliner Kriminalgericht Moabit, dem größten Strafgericht Europas, hat die Samstags-SZ (Martin Wittmann) für eine große Reportage im Buch Zwei-Teil eine Woche lang begleitet. Bei Geschichten über ratlose oder verängstigte Angeklagte, an Denkmalvorschriften verzweifelnde Justizwachtmeister und Verspätungen bahnt sich dem Autor die Erkenntnis, dass die "Institution Justiz … auch nur ein Mensch" ist.
Recht in der Welt
IStGH – Bush/Blair: Georg Diez (spiegel.de) hält ein leidenschaftliches Plädoyer für ein Verfahren gegen George W. Bush und Tony Blair vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen des von ihnen betriebenen Einmarsches in den Irak 2003. Die Samstags-SZ (Ronen Steinke) ist skeptisch zu den Aussichten. Bush habe nichts zu befürchten, weil die USA nach wie vor nicht dem Regime des Internationalen Strafgerichtshofs beigetreten sind. Bei Blair müsse mindestens bewiesen werden, dass Misshandlungen irakischer Gefangener von von ihm angeordnet worden seien, weil das Führen eines Angriffskrieges nach dem für den IStGH gültigen Regelwerk nach wie vor nicht strafbar ist.
Schiedsgerichtshof – Uruguay/Philip Morris: Eine beim internationalen Schiedsgerichtshof ICSID erhobene Investitionsschutzklage des Tabakkonzerns Philip Morris gegen besonders strenge Nichtrauchergesetze in Uruguay ist "komplett zurückgewiesen" worden. Dies teilte nach Bericht der Montags-SZ Tabare Vazquez, der Präsident des Landes, mit. Die Montags-taz (Jürgen Vogt) berichtet ebenfalls.
Polen – Verfassungsgericht: Kritische Analysen des nun in Polen beschlossenen Gesetzes über das Verfassungsgericht bringen Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) und Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz für verfassungsblog.de, letzterer in englischer Sprache.
USA – Polizeibefugnisse: In einem Hintergrund-Artikel zum Fall des in der vergangenen Woche in Minnesota/USA von einem Polizisten erschossenen Philando Castle geht die Samstags-FAZ (Patrick Bahners) vertieft auf ein Minderheitsvotum eines kürzlich vom Obersten Gerichtshof des Landes entschiedenen Falls ein. Nach dem Urteil kann die Verwendung von Beweismaterial, das bei einer rechtswidrigen Polizeikontrolle sichergestellt worden ist, zulässig sein. Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor habe demgegenüber dargelegt, dass als Konsequenz "jedermann mit einem Bein im Gefängnis" stünde, weil sich Bagatellverstöße, zumal bei Schwarzen und Latinos, leicht feststellen ließen. lawblog.de (Udo Vetter) macht sich Gedanken über die Rechtmäßigkeit des bei der Tötung des Hauptverdächtigen für den Anschlag von Dallas offenbar verwendeten Roboters in Deutschland.
Sonstiges
Karenzzeit: Seit einem Jahr ist das Karenzzeit-Gesetz in Kraft, nach dem der Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft Regeln unterworfen ist. Zur Anwendung gelangen könne das Gesetz jedoch nicht, legt die Montags-SZ (Robert Roßmann) offen. Denn habe es die Regierung bislang nicht vermocht, Mitglieder einer vorgesehenen Ethik-Kommission zu benennen.
Pressekodex: Die Sächsische Zeitung hat kürzlich angekündigt, in ihrer Berichterstattung zu Kriminalität künftig immer die Nationalität mutmaßlicher Täter zu nennen. lto.de (Constantin van Lijnden) befragt Rechtsanwalt Lutz Tillmanns in dessen Funktion als Geschäftsführer des Presserats, inwiefern die Maßnahme mit Richtlinie 12.1 Pressekodex in Einklang zu bringen ist, welche Sanktionsmöglichkeiten das von ihm geführte Gremium besitzt und ob sich die allgemeine Berichterstattung nach den Silvesterübergriffen von Köln merkbar geändert habe.
Das Letzte zum Schluss
Gelegenheit macht…: Die Fußball-EM ist vorbei, damit müssten sich dann auch Diebe, über die bild.de berichtet, neues für den nächsten Fischzug einfallen lassen. Am vergangenen Donnerstagabend sprengten sie einen Geldautomaten in Köln. Weil wegen des Halbfinales der deutschen Mannschaft "niemand auf den Straßen war, blieben die Täter unbeobachtet."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. bis 11. Juli 2016: Recht gegen Macht / Bilanz zu Silvester / Anklage gegen Blair . In: Legal Tribune Online, 11.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19882/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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