Es wird wieder über die Strafbarkeit von Straßenblockaden diskutiert. Die Kriterien für eine Nötigung seien längst geklärt und gelten auch für Klimaaktivisten; Strafverfolgung gehöre zudem zum Konzept der Blockierer, meint Thomas Fischer.
Die aktuell wieder diskutierte Frage, ob Straßenblockaden strafbar seien, scheint aus einer vergangenen Zeit zurückgekehrt. Man kennt sie – oder auch nicht – aus hochemotionalen Debatten aus der Zeit der "Friedensbewegung", namentlich um die atomare "Nachrüstung" der Nato in Mitteleuropa (als Gegengewicht gegen die entsprechende Rüstung der Sowjetunion).
Psychischer Druck ist keine Gewalt
Nötigung ist nach § 240 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) das Erzwingen eines Tuns oder Unterlassens gegen den Willen des Tatopfers entweder durch "Gewalt" oder durch "Drohung mit einem empfindlichen Übel". Bei der Beurteilung von "Blockaden" geht es durchweg um das Merkmal der Gewalt. Der Begriff wird heute leider oft unsinnig ausgeweitet, bis er fast nicht mehr kenntlich ist. Das soll dem Zweck dienen, auch psychisch wirksamen "Druck" zu erfassen. Es sprengt aber die Grenzen der Tatbestandsgarantie, wenn auch die "wirtschaftliche", die "digitale" oder die "psychische" Gewalt mit den herkömmlichen, gegen "Gewalt" gerichteten Straftatbeständen verfolgt werden sollen.
Um den Gewaltbegriff des Nötigungsdelikts gab es in den 1990er Jahren eine ausufernde rechtsdogmatische und rechtspolitische Diskussion. Sie kulminierte in der "Sitzblockadenentscheidung" des BVerfG vom 10. Januar 1992 (BVerfGE 92, 1), mit welcher das Gericht von einer früheren Entscheidung (BVerfGE 73, 206) abgerückt ist. Ursprünglich hatte man angenommen, Gewalt im Sinne von § 240 StGB liege nicht nur dann vor, wenn mit physischer Kraft auf das Opfer eingewirkt und ein physisch wirkender Zwang ausgeübt werde, sondern auch dann, wenn eine nur psychische Einwirkung zu einem "unwiderstehlichen" inneren Zwang führe (BGHSt 23, 46 – Läpple-Urteil). Eine solche Ausdehnung des Begriffs auf allein psychisch vermittelten Zwang durch "bloße körperliche Anwesenheit" hat das BVerfG in der "Sitzblockadenentscheidung" 1995 als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG (Bestimmtheitsgrundsatz) angesehen.
"Zweite-Reihe"-Rechtsprechung
Diese Entscheidung hat der BGH wenig später mit der darauf folgenden Entscheidung (BGHSt 41, 182) unterlaufen, welche die sog. "Zweite-Reihe"-Rechtsprechung begründet hat: Keine Gewalt ist danach zwar die "bloße Anwesenheit" von Demonstranten auf der Fahrbahn, soweit sie sich nur als psychische Hemmung auf die anhaltenden Fahrer auswirkt, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der "zweiten Reihe" der Genötigten wirkt aber nicht (nur) die innere Hemmung, sondern auch das vorne stehende Fahrzeug (mittelbar) als physische Sperre; es wirkt also als Werkzeug einer von den Demonstranten mittelbar ausgeübten Gewalthandlung gegen die zweite und alle weiteren Reihen. Diese als spitzfindig empfundene Entscheidung des 1. Strafsenats ist vielfach kritisiert worden; das BVerfG hat von einer weiteren Vertiefung abgesehen (vgl. BVerfGE 104, 92).
Daher kann man davon ausgehen, dass die genannte "Zweite-Reihe"-Regel in der strafrechtlichen Rechtsprechung angewandt wird. Danach kann zwar nicht von vornherein und in jedem Fall gesagt werden, dass das Blockieren einer Straße zwecks Demonstration tatbestandliche Gewalt ist. Jedenfalls bei Blockaden, die sich mittelbar auswirken, ist das aber der Fall.
Verwerflichkeit trotz hehren Zielen
§ 240 StGB ist ein so genannter "offener Tatbestand". Die Rechtswidrigkeit der Tat ist mit der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale nicht indiziert, sondern muss nach § 240 Abs. 2 StGB positiv festgestellt werden. Sie ist gegeben, wenn entweder das Mittel oder das Ziel oder die Ziel-Mittel-Relation als "verwerflich" anzusehen sind. Bei der Entscheidung, ob das der Fall ist, sind neben anderen Rechtsgütern (insb. der Fortbewegungsfreiheit der Genötigten) auch die Grundrechte der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu berücksichtigen – die ihrerseits wieder "im Licht" der gegenläufigen Grundrechte und der Grundrechtsordnung insgesamt zu prüfen und anzuwenden sind.
Heraus kommt eine "umfassende Gesamtbewertung", die auf den konkreten Einzelfall abstellt. Dabei ist nicht nur das kommunikative Ziel der Blockade einzustellen, sondern vor allem auch Dauer und Intensität ihrer Durchführung. Auch das Verhalten der Polizei ist zu berücksichtigen: Wenn eine rasche und problemlose Räumung möglich ist, ist sie auch durchzuführen. Andererseits darf die Verantwortung für die Strafbarkeit der Täter nicht einfach – unter Verweis auf die jeweilige Bedeutsamkeit des Anliegens – auf die Polizeibehörden abgeschoben werden.
Tatziel und nicht Fernziel für Strafbarkeit entscheidend
Die sogenannten "Fernziele" der Blockierer sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Das Tatziel (im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB) eines Blockierers ist nicht der Weltfriede oder die Klimarettung, sondern das gewaltsame Hindern von Verkehrsteilnehmern an der Fortbewegung, ganz gleich, ob die Betroffenen die Fernziele teilen oder nicht. Sie sind vielmehr nur Objekte fremder (Täter)Interessen.
Insoweit muss man bei der Bewertung auch berücksichtigen, dass die (im Zweifel: strafbare) Verwirklichung des Nötigungstatbestands und die (mögliche) Strafverfolgung stets gerade auch die Absicht solcher Demonstrationen sind: Seht her, in welch absurdem Missverhältnis der staatliche Schutz geringfügiger individueller Interessen zum völlig unzureichenden Schutz der Lebensgrundlagen der ganzen Welt steht! Wäre die Blockade kein Normverstoß, würde sie gar nicht unternommen. Das sollte man als selbstverantwortliche, freie Entscheidung der Demonstranten ernst nehmen und diese nicht wie Kinder behandeln. Das gilt auch dann, wenn, wie hier – anders als in anderen Konstellationen – die Blockade des Autoverkehrs in einem allgemeinen Sach-Zusammenhang mit dem Fernziel (Klimarettung) steht.
Fixieren auf Straße als Widerstandshandlung?
Das bloße Selbst-Fixieren auf der Fahrbahn („Festkleben“) ist keine Widerstandshandlung im Sinne des § 113 StGB ("Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte"). Soweit eine (sehr weit gehende) Rechtsprechung einen solchen Widerstand schon dann annimmt, wenn sich eine Person etwa gegen eine Verbringung "sperrt", sich festhält usw., liegt ein solcher Fall nicht vor, wenn die Fixierung schon vor dem Einsatz von Polizeikräften erfolgt und die fixierte Person sich nur passiv verhält.
Antwort, im Ergebnis
Das demonstrative Blockieren von Straßen oder anderen Verkehrswegen durch Hinsetzen, Hinlegen, Festketten oder Festkleben, um hierdurch auf allgemeine Ziele des Umweltschutzes aufmerksam zu machen und intensivere Bemühungen von Dritten zur Bekämpfung der Klimakrise zu fordern, ist im Grundsatz als (mittelbare) rechtswidrige Nötigung – mit dem Nötigungsmittel der gegen Personen gerichteten Gewalt – anzusehen, wenn Verkehrsteilnehmer durch physische Hindernisse (vor ihnen stehende Fahrzeuge) gegen ihren Willen an der Weiterfahrt gehindert werden. Strafbarkeit besteht nicht, wenn die Blockade nur eine nur unwesentliche Zeit (vielleicht maximal zwei Ampelphasen) andauert und entweder durch die Täter selbst oder durch Einsatz der Polizei binnen kurzer Zeit beendet wird. Auf die moralisch/ethische Bewertung der Fernziele kommt es nicht an.
Eine Frage an Thomas Fischer: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49072 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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