Nicht jede Presse ist gute Presse. Wenn Unternehmen mit Rechtsproblemen kämpfen, kann strategische Kommunikation Öffentlichkeit verhindern, beeinflussen oder sogar steuern. Dazu müssen die Unternehmen Journalisten verstehen. Und umgekehrt.
Man kann es Litigation-PR nennen, wenn man auf die Herkunft des Begriffs abstellen will, der seine trendigen Zeiten schon hinter sich hat. Oder man nennt es, wie Christian Schertz, "strategische Rechtskommunikation". Schließlich unterscheide sich die anglo-amerikanische Berichterstattung so stark von der deutschen – etwa dürften die Journalisten dort über viel mehr berichten als hierzulande -, dass die Bezeichnung Litigation-PR den falschen Eindruck erwecke, man müsse zwingend aktiv werden, um einen potenziell Betroffenen vor schlechter Presse zu schützen. So argumentierte der Medienrechtler am Freitag beim "Rechtskommunikationsgipfel" in Berlin.
Häufig ist es gut, gerade nicht proaktiv nach vorn zu stürzen und Angriff für die beste Verteidigung zu halten. Sind die Persönlichkeitsrechte, die Reputation von Mensch oder Unternehmen bedroht von einer Veröffentlichung, die eine echte Krise auslösen kann, kann die angezeigte Verteidigungsstrategie völlig unterschiedlich aussehen.
Christian Schertz: Veröffentlichungen vorab verhindern
Die Strategie von Medienrechtler Schertz ist fast ebenso bekannt wie der Anwalt selbst, der Deutschlands Prominente von Jan Böhmermann über Christian Wulff bis zum Deutschen Fußballbund vertritt, wenn sie in einer Krise stecken: Schertz versucht Veröffentlichungen vorab zu verhindern - und wähnte sich auch am beim "Rechtskommunikationsgipfel" mit der Absolutheit des langjährigen Anwalts im Recht.
Wer über einen Verdacht berichten wolle, dürfe das überhaupt nur in ganz wenigen Fällen, in denen es ein öffentliches Interesse gebe, fasste Schertz die Grundsätze der Verdachtsberichterstatttung recht knapp zusammen. In allen anderen Fällen sei es das Beste, alles im Keim zu ersticken. Er warnt auch davor, Fragen der Medien zu beantworten. Denn wer den Beschuldigten nach seiner Sicht der Dinge gefragt hat, dürfe schärfer berichten, so dass dann ein "lahmes Dementi am Ende des Textes" mehr Schaden anrichte als verhindere.
Es klingt ein wenig nach "Don't feed the troll". Reden will Schertz mit Journalisten nur, wenn es sich gar nicht verhindern lässt. Wenn also klar ist, dass die Geschichte sowieso veröffentlicht wird. Für diesen Fall gibt er seinen Mandanten klare Regeln vor: am besten nicht selbst reden; nicht bestreiten, was sowieso heraus kommt; keine Salamitaktik anwenden. Stattdessen den Anwalt selbstbestimmt in die Offensive gehen lassen, die Schlagzeile und den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung bestimmen. Mal über ein Hintergrundgespräch, mal über Bande gespielt, mal über eine klassische Pressemitteilung, die am besten so langweilig sein sollte wie möglich.
Journalisten fordern Vertrauen
Dabei ging es sonst viel um Vertrauen beim ersten selbsternannten Branchentreffen der Rechtskommunikationsbranche. Nicht nur Wirtschaftsjournalistin Karin Mattussek von Bloomberg wünschte sich Vertrauen in die Journalisten, auch die Chefredakteurin von Juve, Antje Neumann, warb darum - vor allem bei den großen Wirtschaftskanzleien, über die das Branchenmedium berichtet.
Schließlich geht es bei der Rechtskommunikation nicht nur um Kommunikation in akuten Krisensituationen. Wer in den Medien positiv präsent sein will, muss dafür auch selbst sorgen – und das funktioniere nur, wenn die Kanzleien intern ihren Pressesprechern vertrauten und auch das Verhältnis zwischen Unternehmen und der Presse auf Vertrauen basiere.
Gerade in der Berichterstattung über Recht und Wirtschaft brauchen Journalisten - nicht selektive - Informationen von Unternehmen, um richtig berichten zu können, verdeutlichte Mattussek. Umso mehr, als die wenigsten von ihnen über fundiertes Hintergrundwissen im Bereich Recht und Justiz verfügten. Einigen fehle es schon an den Basics: "Viele kennen den Unterschied zwischen Zivil- und Strafrecht nicht, wissen nicht, dass ein Angeklagter etwas anderes ist als ein Beklagter", sagte sie.
2/2: "Content sind nur 20 Prozent – die restlichen 80 Prozent sind Kommunikation"
Auch hochspezialisierte Rechts- oder Wirtschaftsjournalisten sind nie so spezialisiert wie die Experten, über die sie berichten. Sie bearbeiten oft viele Themen gleichzeitig und haben nur in den seltensten Fällen die Zeit, sich ganz tief in die Materie einzuarbeiten. Noch nie aber habe ein Journalist sein Vertrauen enttäuscht oder Absprachen gebrochen, sagte Prof. Patrick Krauskopf aus der Schweiz. Der Leiter des Zentrums für Wettbewerbs- und Handelsrecht an der ZHAW Winterthur, zugleich Anwalt und außerdem Bauunternehmer, stellte Litigation-PR am Beispiel des Kartellrechts vor. Kartelle und ihre (drohende) Entstehung sind ein wirtschaftlich relevantes und medial beliebtes Thema. Und eine Katastrophe für betroffene Unternehmen.
Für Krauskopf ist Litigation-PR nicht erst die Arbeit in der akuten Krise - wenn also öffentlich wird, dass Unternehmen jahrelang kartelliert und damit Verbrauchern und Märkten erhebliche Schäden zugefügt haben. Für ihn beginnt sie früher. Zeichnet sich etwa ab, dass bei einer Fusion ein zu hoher Marktanteil drohen kann, dann gelte es, je nach Mandant, entweder dafür zu sorgen ,dass die Beschwerde ganz oben auf dem Stapel des Bundeskartellamts landet.
Oder aber es gehe, bei Vertretung des möglichen Kartellanten, darum, die Öffentlichkeit daran zu gewöhnen, dass Märkte anders definiert werden können als bisher bekannt. Finden sich die Wettbewerber plötzlich weltweit wieder, ist der Markt, der betrachtet werden muss, viel größer - und der Anteil, der übernommen werden soll, deutlich kleiner. Für Krauskopf geht es bei der Rechtskommunikation nur sekundär um Rechtsfragen: "Content macht 20 Prozent aus - die restlichen 80 Prozent sind Kommunikation".
Abwehrstrategien für Unternehmen: Gegenspin und eigene Kanäle nutzen
Investigativ-Wirtschaftsjournalist Martin U. Müller rät dazu, die Wirkung zweier Instrumente nicht zu unterschätzen. Zwar sei es nie sinnvoll, zu behaupten, der Skandal an der Sache sei nicht die Sache selbst, sondern die Tatsache, dass der Betroffene attackiert werde. Ein sogenannter Gegenspin, der Hand und Fuß hat, könne aber eine Geschichte und damit ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sehr wohl drehen. Das könne die Unglaubwürdigmachung eines angeblichen Opfers oder Whistleblowers sein, die von der NSA angeführte Gefährdung der nationalen Sicherheit oder Christian Wulffs "Müssen wir uns über Bobbycars unterhalten?".
Auch die Bedeutung eigener Verbreitungskanäle, zu denen die Journalisten nur denselben Zugang hätten wie der Rest der interessierten Öffentlichkeit, nehme zu. Und zwar nicht erst, seitdem der amerikanische Präsident twittert, Polizeibehörden ihre Pressekonferenzen übertragen und der FC Bayern sich auf Bayern-TV nur noch selbst interviewt.
Journalisten: Weder Feind noch Freund
Müller erklärte, wie ein Skandal entsteht. Dass zum Skandal nur taugt, was die Menschen nicht überfordert. Wie ein Skandal funktioniert. Welchen Regeln er folgt, und dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt einer Abkopplung von der Erstenthüllung bedarf, um ihn am Leben zu halten. Es liegt in der Natur der Sache, dass für ihn, den Investigativjournalisten, Wunsch und Ziel ist, was die Strategen der Rechtskommunikation unbedingt vermeiden möchten.
Das aber gilt, auch das wurde am Freitag in Berlin deutlich, nicht für alle Journalisten. Gute Geschichten lieben sie alle. Aber unterschiedliche Medien haben unterschiedliche Bedürfnisse. Nicht alle von ihnen sind auf Skandale und Enthüllungsjournalismus aus. Sie schreiben für verschiedene Zielgruppen, bedienen diverse Interessen und nutzen dazu unterschiedliche Formate.
Sie alle machen Meinung, und Deutungshoheit ist strategisch gesehen ein hohes Gut. Aber sie alle wissen auch, dass sie keine Information mehr bekommen, wenn sie die, die ihnen überlassen wird, missbräuchlich verwenden. Sie wissen, welche Rolle Vertrauen spielt. Oder, wie Karin Mattussek es formulierte:" Journalisten sind weder Feind noch Freund der Unternehmen."
Pia Lorenz, Strategische Rechtskommunikation: Was sag' ich - und wenn ja, wie vielen? . In: Legal Tribune Online, 21.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25611/ (abgerufen am: 29.11.2023 )
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