Entweder Partner werden oder gehen – viele Großkanzleien funktionieren nach diesem Up-or-out-System. Doch es gibt auch Alternativen zum Karriere-Hamsterrad. Den Beruf des Knowledge Management Lawyers zum Beispiel.
Es ist offensichtlich, Dr. Alice Mareike Gruhn liebt ihren Beruf: "Ich bin gerne Dienstleisterin. Es ist schön, gebraucht zu werden und die Anwälte bei der Transaktionsarbeit zu unterstützen. Die Wertschätzung, die ich für meine Arbeit bekomme, ist mein Antreiber." Wenn die 40jährige von ihrem Job als "Managing Knowledge Management Lawyer" bei Linklaters in Frankfurt erzählt, schwärmt sie in den höchsten Tönen.
Gruhn schwärmt von den vielfältigen Aufgaben, dem Austausch mit Kollegen und dem selbstverantwortlichen Arbeiten. Von Recherchearbeit und Seminarkonzepten. Und davon, wie weit ihre Tätigkeit über die der normalen Rechtsberatung hinausgeht. "Als Knowledge Management Lawyer sollte man sich für Markttrends und Business Development interessieren", sagt sie.
"Denn es geht dabei vor allem um Fragen wie: Wo geht der Markt hin? Was wollen die Mandanten? Da stecke ich mittendrin in der strategischen Beratung und agiere sozusagen als interne Unternehmensberaterin." Gruhn arbeitet im Bankaufsichtsrecht, zwei weitere Knowledge Management Laywers gibt es im Banking, eine Handvoll im Gesellschaftsrecht und drei weitere im Energie-, Steuer- und Kartellrecht von Linklaters.
Hohe Anforderungen, viele Aufgaben
Knowledge Lawyer, Knowledge Management Lawyer, Professional Support Lawyer, Know-How-Lawyer – unterschiedliche Begriffe für diejenigen Anwälte, die sich um das Wissensmanagement ihrer Kanzlei kümmern. Ihre Aufgabe ist es, die Erfahrung, das juristische Wissen und die Marktkenntnis von Rechtsberatern allen in der Kanzlei verfügbar zu machen. Außerdem werden die Informationen für die interne Ausbildung genutzt, für Marketingzwecke und für die Produktentwicklung. Die Juristen arbeiten also an der Schnittstelle zwischen Marketing, Produktentwicklung und juristischer Beratung.
Bislang wurden derartige Positionen vor allem in Großkanzleien geschaffen. Voraussetzungen dafür sind eine umfassende IT-Infrastruktur mit Datenbanken und Dokumentenverwaltungssystemen sowie personelle Kapazitäten. Daher arbeiten nur etwa bei rund zehn Großkanzleien überhaupt anwaltliche Wissensmanager, und auch dort sind sie nicht besonders zahlreich: Mehr als ein Dutzend gibt es in keiner Kanzlei.
Die meisten Knowledge Lawyers sind Eigengewächse, sie haben in der Regel einige Jahre in ihrer Kanzlei als angestellte Anwälte beraten, bevor sie den Beruf wechselten. Denn die Voraussetzungen, sich für den Job als Wissensmanager zu qualifizieren, sind erstaunlich hoch. Die Anwälte sollen die Mandatspraxis kennen und darüber hinaus in ihrem Fachgebiet über eine hervorragende Ausbildung und eine breite Wissensbasis verfügen. Der ideale Knowledge Management Lawyer sieht das große Ganze und erkennt Zusammenhänge über die eigene Nische hinaus.
"Rechtsthemen aufbohren"
Anders als die Mehrheit ihrer Kollegen in der klassischen Rechtsberatung arbeiten die Wissensmanager in der Regel zu familienfreundlichen Zeiten. Ihre Deadlines sind selbstgesetzt, weil sie nicht direkt in Transaktionen mitarbeiten. Die Bezahlung ähnelt denen der rechtsberatenden Kollegen, wobei es für sie kein Up-Or-Out-System gibt. Für Linklaters-Anwältin Gruhn daher ein Traumjob.
"Neben einem fundierten Fachwissen und Kommunikationsfreude sollte man großes Interesse daran haben, Rechtsthemen aufzubohren", sagt Gruhn, die seit 2004 als Wissensmanagerin tätig ist und eine der wenigen Ausnahmen, die keine Praxiserfahrung als Rechtsberaterin hat. "Neben den nationalen Rechtsentwicklungen und Themen sollte man beispielsweise die EU-Gesetzgebungsprozesse kennen und entsprechende Gesetzesmaterialien nach Praxisrelevanz und fachlichen Themen auswerten können."
Die Tätigkeiten ähneln oft dem wissenschaftlichen Arbeiten. Wohl auch deshalb tragen die meisten Wissensmanager einen Doktortitel, denn das rechercheintensive Sammeln und Verarbeiten von Wissen liegt ihnen im Blut.
Verträge ausarbeiten, Dokumente beschaffen
Wissensmanagerin Gruhn unterscheidet sich von ihren Kollegen darin, dass sie stark in das Veranstaltungsmanagement des Finance-Departments von Linklaters eingebunden ist. Sie bildet junge Associates weiter und organisiert themenorientierte Fachgespräche für Mandanten. "Andere Knowledge Management Lawyer sind mehr im Bereich Vertrags- und Dokumenten-Management tätig", erzählt sie.
"Im Steuerrecht etwa gibt es fortlaufend neue Rechtssprechung und Rechtsänderungen, über die die Anwälte informiert werden müssen." Außerdem müssen die Rechtsentwicklungen in den Verträgen, die Gruhn und ihre Kollegen bearbeiten, stets reflektiert werden.
Insbesondere transaktionslastige Rechtsbereiche wie das Gesellschaftsrecht benötigen Spezialisten, die die Verträge ausarbeiten und die notwendigen Dokumente beschaffen. In Zeiten, in denen immer mehr Transaktionsmandate möglichst zügig abgewickelt werden sollen, weil der Wettbewerb unter den Kanzleien sich intensiviert, ist diese Art der Unterstützung Gold wert.
2/2 Business Development & Knowledge Management - eine Traumhochzeit
Über Verträgen zu brüten, die Musterdokumente ständig zu aktualisieren, Marktstandards und die Rechtsentwicklung im Blick behalten - diese Zeit fehlt vielen Rechtsberatern in der täglichen Mandatspraxis. Hier springen die Wissensmanager ein und pflegen Datenbanken und Blogs, verschicken Newsletter und arbeiten den Rechtsberatern inhaltlich zu.
"Als Kanzlei platziert man sich dann erfolgreich und nachhaltig am Markt, wenn Knowledge Management und Business Development eng zusammenarbeiten", glaubt Sabine Küper. Die 54jährige Anwältin ist Head of Knowledge Management im Bereich Corporate/M&A bei White & Case in Frankfurt.
Küper hat als Investmentbankerin bei der Deutschen Bank angefangen und war dort Vorstandsassistentin*. Anschließend arbeitete sie als Justiziarin in der Kreditkartenbranche. Vor zwei Monaten wechselte Küper von Freshfields Bruckhaus Deringer, wo sie acht Jahre lang als Knowledge Managerin gearbeitet hat. Sie kennt die Notwendigkeit, Kanzlei-Wissen für das Business Development nutzbar zu machen. "Denn dann ist es für beide Seiten befruchtend. Der gegenseitige Austausch ist das, was zählt. Um herauszufinden, was die Mandanten wirklich interessiert und woher die Informationen dafür kommen."
Zeitersparnis und höhere Effizienz
Küper treibt bei White & Case den Ausbau des Know-How-Managements voran. Die Zusammenarbeit mit den Business Development-Kollegen ist eng. Für sie ist klar: "Man wird nur dann vom Mandanten wahrgenommen, wenn man die Stärken beider Bereiche hervorhebt." Sie erstellen beispielsweise gemeinsam Mandantenbriefings. In einem solchen Fall skizziert der jeweilige Knowledge Lawyer die Inhalte und spricht diese mit den zuständigen Partnern ab. Die Kollegen des Business Development finalisieren schließlich den Entwurf.
Die Kollegen von Küper kümmern sich um die Wissensbasis der Kanzlei. "Wir pflegen und aktualisieren interne juristische Know-how-Datenbanken und sammeln Informationen, die Transaktionen betreffen und interessant für Anwälte anderer Fachbereiche sein könnten", sagt Küper. "Teilweise werden diese anonymisiert, damit keine Mandatsgeheimnisse verletzt werden." Der Grund ist eindeutig: Zeitersparnis. "Niemand muss das Rad neu erfinden oder sich aufwendig eigene Informationen beschaffen, die bereits in unseren Systemen vorhanden sind. So ist es effizienter und kostengünstiger."
Auch Rechtsabteilungen entdecken das Knowledge Management
Auch die White & Case-Anwältin schätzt die Vielfältigkeit und den großen Gestaltungsspielraum ihrer Arbeit. "Was uns auszeichnet ist eine Mischung aus juristischem Expertenwissen und aktueller Marktkenntnis." Das hat sich sogar bis in die Rechtsabteilungen herumgesprochen. Küper erzählt, dass sie vermehrt Anfragen von Inhousejuristen erhalten, die selbst Wissensmanagement in ihren Strukturen implementieren möchten.
Die eingeschworene Gemeinde von Knowledge Managern in Deutschland ist überschaubar und wächst nur langsam. Zwei Mal pro Jahr treffen sich die Kanzlei-Wissensmanager zum Roundtable und tauschen sich über aktuelle Entwicklungen aus. Und eines wird deutlich, wenn man sich die Fluktuation unter den Anwälten in der klassischen Rechtsberatung ansieht: Wer einmal einen solchen Job ergattert hat, der gibt ihn nicht mehr her.
* In einer früheren Version des Artikels stand hier zunächst fälschlicherweise Vorstandsmitglied (LTO-Redaktion, 16.6.2016, 10:06).
Désirée Balthasar, Karriere in der Großkanzlei: Jenseits von Up-or-Out . In: Legal Tribune Online, 14.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19656/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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