Im Lockdown sind ganze Kanzleien urplötzlich ins Homeoffice verlagert worden – eine völlig neue Erfahrung für die Mitarbeiter. Das hatte Folgen für die Zusammenarbeit in den Anwaltsteams.
"Gesundheit ist die erste Pflicht im Leben", so der britische Schriftsteller Oscar Wilde. Ein Zitat, dem in der Coronakrise Taten folgen mussten, auch in Kanzleien und Unternehmen. Auch dort hatte der Lockdown zur Folge, dass sich die bisher gewohnte Arbeitsweise in Rekordzeit änderte. Von heute auf morgen sind Anwälte und Mitarbeiter ins Homeoffice umgezogen; Kanzleien und Rechtsabteilungen standen vor der Herausforderung, den Betrieb dennoch aufrechtzuerhalten.
"Wir haben Mitte März über 600 Mitarbeiter quasi über Nacht ins Homeoffice geschickt – und das reibungslos", berichtet Dr. Alexander Schwarz, Co-Managing-Partner von Gleiss Lutz. Seiner Ansicht nach hatte seine Kanzlei dabei einen Vorteil: "Die enge Zusammenarbeit über Standorte und Fachgebiete hinweg ist tief in unserer Kultur verwurzelt. In Teams zu arbeiten, deren Mitglieder nicht am gleichen Standort sitzen, ist selbstverständlich", so Schwarz. Dies habe den reibungslosen Übergang in die Arbeit von Zuhause erleichtert.
Es sei Kanzleistrategie, die interne Vernetzung auszubauen und zu institutionalisieren. Dies habe sich nun im Lockdown besonders ausgezahlt und "sogar noch einen Schub erhalten", meint Schwarz. "Zusammenhalt und Kooperation innerhalb der Kanzlei waren und sind wirklich bemerkenswert. Trotz räumlicher Trennung sind wir so in den letzten Monaten vielleicht sogar noch ein Stück enger zusammengewachsen."
Teams mussten lernen, anders zu kommunizieren
In der Tat zeigen Krisenzeiten, ob ein Team besteht oder eben nicht. Gleichzeitig eröffnen sie aber auch die Chance, Bestehendes zu hinterfragen, anzupassen und an der Teambildung zu arbeiten. Der Münchner Kreis, ein Verein, der sich mit den Themen Technologie, Gesellschaft und Ökonomie befasst, hat zur Hochphase des Lockdowns im Rahmen seiner achten Zukunftsstudie 211 Digitalisierungs- und Technologieexperten aus Deutschland befragt. Ziel war es, zu ermitteln, welche Auswirkungen die Coronapandemie auf Organisationen hat.
Mit knapp 80 Prozent gab die überwältigende Mehrheit der Befragten an, die größten Veränderungen im Bereich der internen Kommunikation gespürt zu haben, zum Beispiel weil vermehrt Webkonferenzen abgehalten wurden. 35 Prozent nannten die Zusammenarbeit, das Verhalten der Mitarbeiter und der Umgang miteinander als weiteres wichtiges Thema. "Eine exzellente und funktionierende Kommunikationsinfrastruktur ist die Grundlage für Teambuilding. Hier liegt der Grundstein für eine effektive digitale und überörtliche Zusammenarbeit", meint Prof. Dr. Peter Bräutigam, Partner bei Noerr.
After Work wird virtuell
Inzwischen prägen Informations- und Kommunikationstechnologien wie Videokonferenzen, Kollaborations-Tools und Clouddienste den Arbeitsalltag und die zwischenmenschliche Kommunikation in einem Ausmaß wie nie zuvor. Dass durch den räumlichen Abstand auch der Zusammenhalt schwindet, hat man bei Eversheds Sutherland nicht registriert, im Gegenteil:
"Die Corona-Zeit hat viel Persönlichkeit in die Teams gebracht", so Dr. Alexander Niethammer, Managing Partner von Eversheds Sutherland Deutschland. Er berichtet von regelmäßigen Teams-Meetings, Coffee Dates, Foto- oder Kochchallenges und Virtual After Work Drinks. "Das reale Sehen wurde damit ins Virtuelle verlagert und mit viel Engagement und Kreativität der 'Corporate Spirit' sogar gestärkt. Ein Highlight sei die kurz vor Corona eingeführte interne 'Open House App' für alle Mitarbeiter, die ursprünglich zum gemeinsamen internationalen Netzwerken bzw. Austausch vorgesehen war und zur Corona-Zeit kurzerhand auch zur Plattform für wertvolle Tipps zum Remote Working umfunktioniert wurde, so Niethammer.
Auch Kathrin Pira, Syndikusanwältin bei der Fraunhofer Gesellschaft, hat positive Erfahrungen gemacht: "Durch die Corona-Zeit hat sich sehr stark die Kollegialität des Teams gezeigt, was einen positiven Einfluss auf die Teamstruktur und die Effektivität hatte", sagt sie.
Coronakrise legt auch Defizite offen
Nun würde vermutlich keine Kanzlei oder Rechtsabteilung offen zugeben, dass die Zusammenarbeit im Homeoffice gehakt hat. Doch natürlich gibt es auch Teams, die nur auf dem Papier bestehen und durch die Ausnahmesituation zur virtuellen Zwangs-Homeoffice-Gemeinschaft wurden. "Krisenzeiten zeigen, wo man mit seinem Team steht und sind gleichzeitig eine Chance, die Teamentwicklung aktiv anzugehen, um Veränderung und Optimierung zu erzielen", sagt Carmen Schön, die als Juristin und Coachin aktuell verstärkt Kanzleien zu diesen Themen berät.
Kurz gesagt: Personalführung nach der Methode "Command and Control" hat ausgedient. Dazu sollten agile Strukturen und Arbeitsmethoden an die Stelle von starren und veralteten Organisationsformen treten. Nötig sind moderne Arbeitsmittel und flexible, auch virtuelle Räume sowie ein übergeordneter Plan mit klaren Zielen und verständlicher sowie transparenter Priorisierung
Eine Schlüsselrolle kommt dabei der jeweiligen Führungspersönlichkeit zu. Sie hat sich zugunsten des Unternehmens und ihres Teams dieses Themas anzunehmen. Und eine Veränderung des Führungsverhaltens und der Arbeitsorganisation ist ganz nebenbei auch ein wesentlicher Beitrag zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung.
Lehren aus dem Shutdown
Der krisenbedingte Shutdown hat die Kanzleien und Rechtsabteilungen gelehrt, dass Arbeitsorte und Grenzen mit digitalen Formaten überwindbar sind. Im besten Fall führte das zu mehr Kommunikation, mehr Teamwork sowie einer höheren Effektivität und Flexibilität, weil Arbeitswege und Dienstreisen entfallen sind.
Gleichzeitig haben sie im Lockdown aber auch die Erfahrung gemacht, dass virtuelle Zusammenarbeit nicht ohne Weiteres die physische Komponente ersetzen kann und darf. Hier spielen vor allem Zwischentöne eine entscheidende Rolle. Künftig wird es darauf ankommen, ein gutes Maß zu finden, um beide Formen des Arbeitens optimal zu verbinden und das Team dabei - virtuell und real - im Fokus zu behalten.
Personalentwicklung auf dem Prüfstand: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42573 (abgerufen am: 03.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag