"Wertvolle" Medienangebote müssen auf Benutzeroberflächen künftig leichter zu finden sein. Was es damit auf sich hat und warum ein ungewöhnliches Ranking für Probleme sorgen dürfte, zeigen Dieter Frey und Hanno Magnus.
Die Public-Value-Liste ist da und damit ist amtlich: 271 private Bewegtbild- und Audio-Angebote machen sich nach Ansicht der Landesmedienanstalten um die Meinungs- und Angebotsvielfalt in Deutschland besonders verdient - und müssen daher zukünftig etwa auf den Benutzeroberflächen von Smart-TVs leicht auffindbar sein.
Was sich einerseits wie ein großer Schritt für die Gewährleistung der Medienvielfalt in Deutschland anhört, wirft andererseits eine Reihe rechtlicher und praktischer Fragen auf.
Privilegierung "wertvoller" medialer Angebote durch prominente Platzierung
Die Länder haben mit § 84 Abs. 5 Medienstaatsvertrag (MStV) die sog. Public-Value-Liste etabliert: Angebote, die von den Landesmedienanstalten als inhaltlich und qualitativ werthaltig und daher gesellschaftlich wünschenswert bestimmt wurden, sollen nicht mehr in dem vielfältigen medialen Spektrum aus Fernseh- und Hörfunkprogrammen, Mediatheken und Streaming-Diensten untergehen. Daher müssen solche Angebote auf Benutzeroberflächen wie beispielsweise denjenigen von Smart TVs aufgrund ihrer Werthaltigkeit prominent platziert werden, um sie so in den Fokus der Nutzerinnen und Nutzer zu rücken.
Aber nicht nur arte und 3sat sollen zukünftig privilegiert werden, sondern neben den öffentlich-rechtlichen auch insgesamt 271 private Angebote - vom regionalen Radioprogramm über das Gesamtangebot von PlutoTV bis hin zu Bezahlplattformen wie RTL+.
Mit der Weiterentwicklung des Rundfunkstaatsvertrags hin zum Medienstaatsvertrag wurde ein neues regulatorisches Element für die Qualitäts- und Vielfaltssicherung in den Medien eingeführt: die Regulierung von Benutzeroberflächen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass viele Benutzeroberflächen mittlerweile nicht mehr den Charakter bloßer Bedienelemente haben, sondern sich im Grunde zu Medienportalen gewandelt haben.
Eines der wesentlichen Ziele des Gesetzgebers ist es, neben den öffentlich-rechtlichen Programmen, die nach dem Medienstaatsvertrag bereits prominenter auf Benutzeroberflächen zu platzieren sind, auch privaten Anbietern einen Anreiz zu bieten, gesellschaftlich besonders wünschenswerte Inhalte anzubieten. Der Anreiz besteht darin, dass auch besonders werthaltige private mediale Angebote in den Genuss der gesetzlich vorgesehenen prominenten Platzierung auf Benutzeroberflächen kommen (§ 84 Abs. 3 und 4 MStV). Sie müssen dann - in der Diktion des Medienstaatsvertrages - „leicht auffindbar“ sein.
Dies gilt für solche Angebote, die „in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt leisten", wie es im Medienstaatsvertrag heißt. Dies dürfte im Übrigen auch der Hauptgrund gewesen sein, warum die privaten Fernsehsender in der letzten Zeit bekannte Köpfe aus dem Nachrichtenbereich der Öffentlich-Rechtlichen wie etwa Linda Zervakis abgeworben und für sie eigene Formate entwickelt haben. Es galt, das eigene Angebot (tatsächlich oder wenigstens vermeintlich) werthaltiger zu gestalten.
Landesmedienanstalten bestimmen die privaten Public-Value-Angebote
Die Entscheidung, welche privaten Rundfunkprogramme diesen Public-Value-Ritterschlag erhalten, weist der Medienstaatsvertrag den Landesmedienanstalten zu – und gibt ihnen darüber hinaus eine Liste mit zu berücksichtigenden Kriterien vor (§ 84 Abs. 5 MStV). Zu diesen Kriterien zählen etwa der zeitliche Anteil an nachrichtlicher Berichterstattung über politisches und zeitgeschichtliches Geschehen, der zeitliche Anteil an regionalen und lokalen Informationen oder der Anteil an Angeboten für Kinder und Jugendliche sowie der Anteil an europäischen Werken.
Ergebnis des Verfahrens ist die nun vorgelegte Public-Value-Liste. Auf dieser sind die Angebote enthalten, die nach Ansicht der Landesmedienanstalten besonders werthaltig und somit hervorgehoben zu präsentieren sind.
Betrachtet man die nun veröffentlichte Liste, so könnte man dabei durchaus den Eindruck gewinnen, dass darüber hinaus ein ungeschriebenes Kriterium auch das des Nostalgiefaktors ist: Die Liste entspricht, mit einigen Ergänzungen, der typischen Programmbelegung eines Kabelfernsehanschlusses von Anfang der 2000er Jahre.
RTL, Bild TV und Servus TV generieren ebenfalls Public Value
Man kann festhalten, dass die Landesmedienanstalten jedenfalls bei den Fernsehsendern einen großzügigen Maßstab bei der Beurteilung angelegt haben, welche Programme das Public-Value-Siegel erhalten: Ob RTL Zwei, Bild TV, Servus TV oder DMAX – sie alle leisten nach Ansicht der Landesmedienanstalten in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt und stellen daher Public-Value-Angebote dar.
Man muss dies wohl als salomonische Entscheidung verstehen, die ein Gespür für die Problematik erkennen lässt, dass mit den Landesmedienanstalten öffentlich-rechtliche – wenn auch möglichst staatsfern organisierte – Institutionen dazu aufgerufen waren, gleichsam wertvolles und wünschenswertes Privatfernsehen von schlechtem und weniger erwünschtem zu trennen.
Weniger rechtlich-regulatorische Zurückhaltung hingegen zeigen die Landesmedienanstalten, indem sie nicht nur festlegen, welche Angebote aufgrund der Erfüllung der Public-Value-Kriterien des Medienstaatsvertrages als werthaltig gelten, sondern indem sie diese Angebote darüber hinaus mit einem Ranking versehen. Sie haben also nicht nur über das "Ob", sondern auch über das „Wie viel“ des Public-Value der einzelnen Angebote entschieden und eine entsprechende Reihung vorgenommen. RTL beispielsweise soll nach Ansicht der Landesmedienanstalten über mehr Public-Value verfügen als n-tv. Warum dies der Fall sein soll, bleibt jedoch im Dunkeln. Der Medienstaatsvertrag sieht weder ein solches Ranking noch etwaige Maßstäbe hierfür vor.
Staatliche Qualitätskontrolle durch die Hintertür?
Zwar heißt es seitens der Landesmedienanstalten einerseits, dass sie dieses Ranking lediglich als unverbindliche Empfehlung für die Sortierung verstehen wollen. Andererseits jedoch haben Sie gleichzeitig bereits angekündigt, dass sie das Ranking als Maßstab für die Prüfung heranziehen werden, ob auf Benutzeroberflächen die Public-Value-Angebote ordnungsgemäß auffindbar sind. Insofern nehmen sie letztlich doch eine Art Qualitätskontrolle durch die Hintertür vor. Das Aufstellen eines solchen Qualitäts-Rankings dürfte jedoch nicht mit dem Medienstaatsvertrag in Einklang stehen, der sich aus guten Gründen und vor allem dem Prinzip der Staatsferne einer noch weitergehenden staatlichen Werthaltigkeitsprüfung enthält.
Interessant wird sein, ob private Medienanbieter ob der faktischen Wirkung des empfohlenen Rankings versuchen werden, über den Klageweg eine höhere Position in diesem Public-Value-Ranking zu erstreiten oder ob Anbieter von Benutzeroberflächen versuchen werden, das Ranking gänzlich zu Fall zu bringen.
Einige der beliebtesten Bewegtbildanbieter fehlen auf der Liste
Sowohl für die Inhalteanbieter als auch die Anbieter von Benutzeroberflächen und die Nutzerinnen und Nutzer sehr bedeutsam könnten die Konsequenzen der Public-Value-Liste für die Listung von Streaming-Angeboten wie etwa Netflix und Amazon Prime Video und der entsprechenden Apps sein. Die Liste der Public-Value-Angebote weicht nämlich deutlich von dem ab, was Nutzerinnen und Nutzer bisher regelmäßig auf ihren Geräten vorgefunden haben: Sport 1, Kabel Eins, Bild und Servus TV sind dabei, müssen also auf der Benutzeroberfläche von Smart-TVs, TV-Sticks oder TV-Boxen prominent platziert sein. Gleiches gilt für die Mediatheken und Streaming-Angebote von RTL und ProSiebenSat.1.
Die großen VoD-Plattformen wie Netflix, Amazon Prime Video, WOW oder Internetfernsehplattformen wie Waipu und Zattoo hingegen sind nicht in der Public-Value-Liste der leicht auffindbar zu haltenden Angebote enthalten. Konsequenterweise müssten diese daher auf den Benutzeroberflächen zumindest nach hinten rutschen. Ob das Fehlen auf nicht erfolgte oder negativ beschiedene Anträge dieser Platzhirsche zurückzuführen ist, ist jedenfalls öffentlich nicht bekannt.
Es fällt insgesamt auf, dass es nur Anbieter mit ihren Streaming-Angeboten auf die Public-Value-Liste geschafft haben, die auch klassische Fernsehprogramme veranstalten. Eine solche Beschränkung des möglichen Anbieterkreises ist im Medienstaatsvertrag allerdings nicht ausdrücklich angelegt.
Ist die Liste endgültig?
Inwieweit die Liste endgültig ist, bleibt abzuwarten. Im Rahmen des Verfahrens sind ausweislich der Landesmedienanstalten insgesamt 325 Anträge eingegangen. Positiv beschieden wurden hiervon „nur“ die 271. Angesichts von 54 abgelehnten Anträgen bei im Übrigen großzügiger Entscheidungspraxis, vor allem aber wie bereits angesprochen aufgrund des vom Medienstaatsvertrag nicht vorgesehenen Ranking-Verfahrens, erscheint es wahrscheinlich, dass Anbieter gerichtlich gegen die Public-Value-Liste vorgehen werden.
Mit der Veröffentlichung der Liste müssen sich nun auch die Anbieter von Benutzeroberflächen – zum Beispiel Hersteller von SmartTVs, TV-Sticks und Streaming-Boxen - Gedanken machen, wie sie die hieraus resultierenden Vorgaben zur Auffindbarkeit auf ihren Benutzeroberflächen umsetzen.
Automatische Sendersuchläufe bei Smart TVs etwa müssen technikseitig möglicherweise so gestaltet werden, dass diese in der Lage sind, die Liste automatisch abzubilden. Ob und in welchen Fällen ein Zurückziehen auf die technische Unverhältnismäßigkeit bzw. Unmöglichkeit (§ 84 Abs. 7 MStV) der Umsetzung für die Anbieter von Benutzeroberflächen möglich ist, wird sich angesichts der generalklauselartigen Gestaltung der Regelung erst in der zukünftigen rechtlichen Praxis erweisen.
Servus TV oder Sport 1 bald oben in der App-Übersicht?
Deutlich relevanter dürften die Vorgaben dagegen für die Anbieter von Benutzeroberflächen im Bereich der App-Übersichten sein. Benutzeroberflächen von Empfangsgeräten wie Smart-TVs werden heutzutage kaum noch von der klassischen listenartigen Fernsehprogrammübersicht, dem EPG (Electronic Programme Guide), bestimmt. Die Auswahl von Angeboten erfolgt vielmehr weitestgehend über die bekannten Apps, die mittlerweile nicht nur das Smartphone, sondern auch SmartTV und Streaming-Boxen dominieren.
Die prominenten Plätze in der unmittelbar nach dem Einschalten erscheinenden Übersicht werden dabei regelmäßig neben den Mediatheken-Apps von ARD und ZDF von den großen VoD-Anbietern wie Netflix oder Amazon Video belegt. Darüber hinaus sind häufig die Apps von Internetfernsehplattformen wie Zattoo, Waipu und Magenta TV vertreten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es der Status als Public-Value-Angebot vergleichsweise kleinen Anbietern wie ServusTV oder Sport 1 ermöglicht, in diesen Übersichten die vorderen Plätze für ihre Apps zu beanspruchen, ob ihnen also ein gesetzlicher Anspruch auf eine Platzierung vor Netflix und Amazon Video zukommt.
In der die Vorgaben des Medienstaatsvertrages konkretisierenden Benutzeroberflächen-Satzung findet sich hierfür eine gesetzliche Stütze. In dieser Satzung heißt es, dass es in der Regel für die leichte Auffindbarkeit der Public-Value-Angebote „notwendig, aber nicht ausreichend“ sei, „dass diese ebenso einfach und schnell zu finden sind, wie die restlichen Angebote“ (§ 10 Abs. 5 Medienplattformen- und Benutzeroberflächen-Satzung).
Verdrängt das Public-Value-Ranking privatrechtlich vereinbarte Top-Platzierung?
Für rechtliche Konflikte dürfte dies darüber hinaus auch dann sorgen, wenn sich Anbieter von Benutzeroberflächen gegenüber bestimmten Inhalteanbietern vertraglich verpflichtet haben, ihr Angebot voreingestellt prominent und vor anderen zu platzieren. Ob Nutzer zukünftig erst einmal an den Public-Value-Apps vorbei nach unten scrollen müssen, bevor sie zur Netflix-App gelangen, wird sich in den kommenden sechs Monaten zeigen. In diesem Zeitraum sollen die Anbieter von Benutzeroberflächen nach der Vorstellung der Landesmedienanstalten die Public-Value-Liste umgesetzt haben.
Nutzerinnen und Nutzer, die sich nach all dem nun möglicherweise fragen, ob sie auf ihren Endgeräten zukünftig nicht mehr nach eigenem Gusto, sondern in von den Landesmedienanstalten kuratierten Übersichten navigieren müssen, können jedoch beruhigt sein: Der Medienstaatsvertrag schreibt vor, dass Nutzer weiterhin die Möglichkeit haben müssen, die Inhalte nach ihren Vorlieben individualisieren zu können. Wem die Public-Value-Liste nicht zusagt, kann seine Benutzeroberfläche also weiterhin als Individual-Value-Liste organisieren.
Die Autoren Prof. Dr. Dieter Frey, LL.M. (Brügge) und Dr. Hanno Magnus sind Rechtsanwälte der Sozietät FREY Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Köln. Sie beraten und vertreten u.a. Anbieter von Medienplattformen und Benutzeroberflächen in medienrechtlichen Fragen.
Frey ist zudem Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Fachanwalt für Sportrecht sowie Honorarprofessor für Medien- und Sportrecht an der University of Applied Science Europe und Vorstand des kölner forum medienrecht e.V.
Landesmedienanstalten veröffentlichen Public-Value-Liste: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49804 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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