Bevor am Montag die Anwälte von Beate Zschäpe und ihren mutmaßlichen Unterstützern den Sitzungssaal betreten, wird das Justizpersonal sie wohl gründlicher durchsuchen als Zuschauer, Journalisten, Richter und Vertreter der Bundesanwaltschaft. Dieses institutionalisierte Misstrauen stellt nicht nur den NSU-Prozess, sondern den Rechtssaat als solchen vor eine Belastungsprobe, meint Carsten Momsen.
Im Drama um die Akkreditierung von Journalisten ist etwas untergegangen, dass auch die Verteidiger nicht glücklich sind mit einer Anordnung des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Zu Beginn eines jeden Verhandlungstages sollen sie sich einer besonderen Leibesvisitation unterziehen. Eine Prozedur, die weder der Richter noch die Vertreter der Bundesanwaltschaft über sich ergehen lassen müssen.
Es trifft sicherlich zu, dass das Verfahren im Vergleich zu "normalen" Mordprozessen eine viel höhere Aufmerksamkeit erfährt von Angehörigen, Medienvertretern und Bürgern, die sich Antworten auf die Fragen versprechen, wie der NSU so lange unentdeckt bleiben konnte. Vielleicht auch aus diesem Grund hat sich der Senat mit möglichen Sicherheitsrisiken während der Verhandlung befasst. Für den reibungslosen Ablauf der Verhandlung hat der Vorsitzende zu sorgen, § 238 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO).
Auch Richter sind potentielle Gefahrenquelle
Schon in früheren Prozessen ist es zu Zwischenfällen gekommen, die erhöhte Sicherheitskontrollen rechtfertigen konnten. Erinnert sei an den Waffenschmuggel während der Terroristenprozesse in den 70er Jahren gegen Baader, Meinhof und Co. Oder der Verfahren gegen Mitglieder der kurdischen Widerstandsorganisation PKK. Auch nachdem Marianne Bachmeier den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter im Gerichtssaal erschossen hatte, wurde über mehr Sicherheit in deutschen Gerichtsälen diskutiert. Seitdem ist es leider immer wieder zu Gewaltausbrüchen gegen Verfahrensbeteiligte gekommen, nicht nur bei Strafprozessen.
Vor diesem Hintergrund und angesichts einer offenkundig gewaltaffinen rechten Unterstützerszene ist es jedenfalls nicht fernliegend, im NSU-Verfahren der Sicherheit im Verhandlungssaal eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen.
Ein Teil der Angeklagten sitzt in Untersuchungshaft. Es ist daher ein recht unrealistisches Szenario, dass diese selbst Waffen oder Sprengstoff in den Saal werden mitnehmen können. Neben den Zuschauern und Medienvertretern, die separat kontrolliert werden, bleiben als potentielle Gefahrenquellen die Richter selbst, die Sitzungsvertretung des Generalbundesanwalts, Justizbedienstete, die Nebenkläger und eben die Verteidiger der Angeklagten.
Allein letztere sollen nun offenbar umfangreich durchsucht werden, inklusive Leibesvisitation. Alle anderen Verfahrensbeteiligten müssen lediglich einen Metallscanner passieren. Soweit auf eine mögliche Erpressbarkeit als Grund für die Maßnahme hingewiesen wird, leuchtet die Differenzierung von vornherein nicht ein. Erpressbar ist jeder, völlig unabhängig von seiner Funktion im Verfahren.
Eine "offene Diskriminierung"
Es ist auch nicht bekannt, dass zumindest Zschäpes Verteidiger der Einstellung und den Zielen ihrer Mandantin irgendwie nahe stehen. Im Gegenteil. Der eigentliche Grund für die besonders intensive Kontrolle muss also ein institutionelles Misstrauen sein. Das ist eine nicht zu tolerierende Haltung gegenüber der Rolle der Verteidigung. Zschäpes Anwälte sprechen von einer "offenen Diskriminierung". Und damit haben sie Recht.
Denn der Verteidiger ist ein mit eigenen Rechten ausgestattetes Organ der Rechtspflege. Seine Aufgabe ist es, die grundlegenden Rechte eines Beschuldigten im Strafverfahren gegenüber dem Staat zu wahren. Eine Verurteilung darf nur erfolgen, wenn der Schuldnachweis in einem prozessual ordnungsgemäßen und rechtsstaatlichen Verfahren erbracht werden kann. Andernfalls hat die Verteidigung alle prozessualen Mittel auszuschöpfen, um den Grundsatz "in dubio pro reo" durchzusetzen. Dies ist der Kern der Verteidigertätigkeit. Und es bedeutet nicht, dass der Anwalt mit den angeklagten Taten in irgendeiner Weise sympathisiert oder diese gutheißt. Anderenfalls würden sich für manchen Beschuldigten nur schwerlich Verteidiger finden lassen.
2/2: Beschuldigter braucht professionelle Verteidiger
Gerade der eines besonders verabscheuungswürdigenden Verbrechens Angeklagte bedarf einer professionellen Verteidigung. Denn die Gefahr der Vorverurteilung wie auch das Bedürfnis, einen Verantwortlichen am Ende des Verfahrens zu benennen, ist besonders hoch.
Ein Durchschnittsbürger ist in einem Strafprozess nur selten in der Lage, sich selbst effektiv gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen. Der Druck des Verfahrens ist viel zu groß und die Rechtskenntnis zu gering, um rational über die Ausübung seiner Rechte entscheiden zu können. Um ihm dennoch ein faires Verfahren zu garantieren, darf er sich in jeder Lage des Verfahrens mit einem Verteidiger beraten. Dieses in § 137 Abs. 1 S. 1 StPO niedergelegte Recht schützt den Beschuldigten bereits sehr früh vor dem irrigen Glauben, aussagen zu müssen, vielleicht auch vor der ebenso problematischen Vorstellung, sich durch ein falsches Geständnis eine mildere Strafe "kaufen" zu können.
Last but not least mag auch der Wunsch, dem Druck der öffentlichen Meinung und Aufmerksamkeit zu entkommen, Antrieb für ein – richtiges oder falsches – Geständnis sein. Nur wer seine Rechte kennt und sie zur Geltung bringen kann, ist in der Lage sich verantwortlich für ein Schuldeingeständnis zu entscheiden. Nur ein solches Geständnis kann wenigstens ein Stück weit auch die legitimen Bedürfnisse der Opfer und ihrer Angehörigen befriedigen. Eine Verteidigung, welche den Angeklagten in der Wahrnehmung ihrer legitimen prozessualen Rechte unterstützt, trägt damit zur Akzeptanz des Urteils bei, wie immer dieses auch ausfällt.
Und schließlich ist abseits aller Emotionen im NSU-Verfahren daran zu erinnern, dass ein Rechtsstaat wohl damit leben kann, einen Schuldigen mangels Beweises nicht verurteilen zu können, nicht aber damit, einen Unschuldigen zu verurteilen. Ganz nebenbei bedeutet letzteres nämlich auch immer, dass der wahre Schuldige unbehelligt bleibt.
Institutionalisiertes Misstrauen zerstört das Vertrauen in den Rechtsstaat
Behandelt man nun die Verteidiger anders als übrige Verfahrensbeteiligte, so bringt man unweigerlich damit das Misstrauen zum Ausdruck, dass die Person in Robe insgeheim ebenso eine Gefahr für den Prozess und die Bürger ist wie der Beschuldigte. Das ist eine durch nichts zu rechtfertigende Verwechselung von professionell-engagierter Verteidigung mit persönlicher Sympathie mit dem Mandanten und den angeklagten Taten. Es schließt eine neutrale Auseinandersetzung zwischen Gericht und Verteidigung aus. Der Eindruck, das Gericht stehe der Verteidigung bereits zu Prozessbeginn skeptisch gegenüber, drängt sich unweigerlich auf. Und damit eben auch die Besorgnis der Befangenheit.
Es sollten daher entweder alle Verfahrensbeteiligten besonders durchsucht werden oder gar keiner. Wieso die Verteidiger ein besonderes Risiko für einen sicheren Prozessablauf sein sollen, bleibt unklar. Hinzu kommt, dass sie eine ebenso wichtige Funktion wahrnehmen wie die Richter und der Staatsanwalt.
Die Extra-Behandlung der Verteidiger stärkt nicht gerade das Vertrauen in die rechtsstaatliche Aufarbeitung von Verbrechen. Denn nur wenn alle Verfahrensbeteiligten mit gegenseitigem Respekt verhandeln, ist ein fairer und rechtsstaatlicher Strafprozess möglich. Wenn Verteidiger aber neben ihren Mandanten auch sich selbst von Beschuldigungen entlasten müssen, geht dies in der Regel zulasten des Angeklagten. Institutionalisiertes Misstrauen zwischen den Verfahrensbeteiligten zerstört am Ende das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Der Autor Prof. Dr. Carsten Momsen ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Leibniz Universität Hannover und of counsel der Kanzlei "Hannover und Partner" in Bremen. Stud. iur. Christian Huber ist für Unterstützung und Diskussion zu danken.
Prof. Dr. Carsten Momsen, Besondere Durchsuchung der NSU-Verteidiger: Erpressbar ist jeder . In: Legal Tribune Online, 06.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8671/ (abgerufen am: 03.10.2023 )
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