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Nichtermittlung in der NSA-Affäre: Der Spionage unverdächtig

von Constantin Baron van Lijnden

20.01.2014

Generalbundesanwalt Harald Range

JOHN MACDOUGALL / AFP

Ein No-Spy-Abkommen mit der Bundesrepublik werden die USA aller Voraussicht nach nicht schließen. Sowohl Bevölkerung als auch Politiker sollen weiter überwacht werden, einzige Ausnahme: Angela Merkel. Das ist nicht nur eine diplomatische Grobheit, sondern die offene Ankündigung eines fortwährenden Rechtsbruchs. Doch die Bundesanwaltschaft weigert sich bislang, ihre Arbeit zu machen. Ein Kommentar.

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Verhaltene Signale aus Karlsruhe

Eine Schlagzeile, auf die man vergeblich wartet: "Bundesanwaltschaft nimmt Ermittlungen wegen amerikanischer Spionagetätigkeiten auf". Stattdessen gibt es dieser Tage eine andere zu lesen: Unter "Keiner wird gewinnen" kündigt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel an, dass Generalbundesanwalt Harald Range die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens für möglich halte. Bereits diese Ankündigung wird als brisant eingestuft, dabei ist sie eigentlich überfällig, und nebenbei mit der Formulierung, ein Anfangsverdacht sei "begründbar", noch reichlich vage. Natürlich hält Range die Verfahrenseröffnung für möglich, schließlich ist die Position seiner Behörde seit etwa einem halben Jahr, dass man die in den Medien erhobenen Vorwürfe und die Eröffnung eines Verfahrens prüfe. Solange diese Prüfung nicht abgeschlossen und in die eine oder andere Richtung entschieden wurde, ist die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens also per Definition möglich.

Sehr viel erstaunlicher ist, dass man eine Eröffnung nach wie vor nur für möglich, aber eben nicht für nötig, ja geradezu für zwingend hält. Während die Überwachung von Bürgern und Politikern durch die NSA in der Öffentlichkeit bereits den Weg von Befürchtung über Gewissheit und Bestürzung bis zu Resignation beschritten hat, hegt man in Karlsruhe bislang offenbar keinen konkreten Verdacht, dass hier strafrechtlich Relevantes vonstattengehen könnte. Wenn die Bundesanwaltschaft nämlich den bereits bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten zu bejahenden Anfangsverdacht hätte, dass Straftaten verübt wurden, für deren Verfolgung sie zuständig ist – namentlich etwa Geheimdienstliche Agententätigkeit nach § 99 Strafgesetzbuch – dann müsste sie ein Ermittlungsverfahren einleiten. Das ist nicht von ihrem Gutdünken abhängig, als Strafverfolgungsbehörde ist sie nach dem Legalitätsprinzip dazu verpflichtet.

Einstellen kann man nur, was man sonst durchführen würde

Nun ist die echte Welt kein StPO-Skript, und die Entscheidung, gegen einen alliierten Staat zu ermitteln, kann politisch hochproblematisch sein. Diesem Umstand trägt § 153d der Strafprozessordnung (StPO) Rechnung, indem er dem Generalbundesanwalt die Möglichkeit einräumt, von der Strafverfolgung abzusehen, wenn diese "die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen". Die Vorschrift kann jedoch erst dann zur Anwendung gelangen, wenn zunächst ein Anfangsverdacht bejaht wurde. Genau das hat die Bundesanwaltschaft aber bisher nicht getan. Ihre Position über Monate: Einen Anfangsverdacht gibt es nicht, daher stellt sich auch die Frage nach der Anwendung des § 153d StPO nicht.

Die Bundesanwaltschaft steht vor einer schwierigen Entscheidung: Nimmt sie die Ermittlungen auf, könnte das die Beziehungen zu den USA belasten, und ob am Ende tatsächlich eine Verurteilung und gar ein Strafvollzug gegenüber einzelnen Personen stünden, erscheint ungewiss. Ein Vorgehen nach §153d StPO käme hingegen einem Freibrief an die USA gleich, des Inhalts: Seht her, wir wissen zwar, dass ihr unsere Gesetze brecht, aber wir unternehmen nichts dagegen, also macht ruhig weiter. Doch die Entscheidung wird erst dann schwierig, wenn man sie – freilich ohne dies öffentlich einzuräumen – mit politischen Erwägungen verknüpft. Würde man schlicht der StPO folgen, wäre die Frage im ersten Schritt nur "Anfangsverdacht oder nicht?", und die Antwort müsste eindeutig ausfallen.

Vorermittlungen ziehen sich über Monate

2/2: "Beobachtungsvorgänge" laufen seit Monaten

Von sich selbst vor zwei wenig verlockende Alternativen gestellt, entscheidet die Bundesanwaltschaft sich für die dritte, und unternimmt: gar nichts. Zumindest nichts Handfestes. Tatsächlich wurden in Karlsruhe bereits vor Monaten zwei sogenannte Beobachtungsvorgänge angelegt, einer wegen des Ausspähens von Kommunikationsdaten aus der Bevölkerung, ein zweiter wegen des Abhörens des Handys der Bundeskanzlerin.

Solche Beobachtungsvorgänge, die man auch als eine Art Vorermittlungsverfahren bezeichnen könnte, sind keineswegs ungewöhnlich. Durch sie soll geklärt werden, ob sich bestehende Hinweise zu einem Anfangsverdacht erhärten und ein formelles Ermittlungsverfahren eröffnet wird oder nicht. Die Bundesanwaltschaft kann in dieser Phase beispielsweise Auskunftsersuchen an andere Behörden stellen und öffentlich verfügbare Quelle auswerten. Klassische Ermittlungsmethoden wie Zeugenbefragungen, Hausdurchsuchungen oder die Beschlagnahme von Dokumente kommen hingegen nicht in Betracht.

An einem solchen Vorgehen ist im Grundsatz nichts zu beanstanden; das scharfe Schwert des Ermittlungsverfahrens soll nicht über bloßes Hörensagen, Gerüchte oder haltlose Anschuldigungen gezückt werden. Zugleich darf das Vorermittlungsverfahren aber nicht überstrapaziert werden: Wo ein Anfangsverdacht (wohlgemerkt der geringste der strafprozessualen Verdachtsgrade) evident besteht, ist für Vorermittlungen kein Raum mehr. Alles andere ist Verzögerungstaktik, und wird dem Auftrag einer Strafverfolgungsbehörde nicht gerecht.

Bundesanwaltschaft erwägt, ihre Arbeit zu machen

Und inzwischen riecht das Vorgehen der Bundesanwaltschaft genau danach. Die erwähnten Beobachtungsvorgänge laufen bereits seit vielen Monaten. Was mit dem in dieser Phase beschränkten Arsenal an Ermittlungsmethoden in Erfahrung gebracht werden kann, müsste längst bekannt sein. Derweil präsentiert der Spiegel beinahe im Wochentakt neue Enthüllungen aus den Dokumenten von Edward Snowden.

Sicher, diese Dokumente hat das Magazin der Behörde nicht vorgelegt – sie hat allerdings, so weit bekannt, auch nie danach gefragt, außer in Form der ganz allgemeinen Bemerkung, dass man Hinweise aus der Bevölkerung entgegennehme. So scheint die paradoxe Denkart in Karlsruhe zu laufen: Ohne Kenntnis des Originalinhalts der Dokumente kein Ermittlungsverfahren, ohne Ermittlungsverfahren keine Möglichkeit, sich diese Kenntnis zu verschaffen.

Doch auch ohne unmittelbaren Einblick in Snowdens NSA-Dateien zu haben, dürfte inzwischen bekannt sein, dass es sich dabei nicht um die wirre Ideensammlung eines Verschwörungstheoretikers handelt. Dies umso mehr, als die Vorwürfe, welche die mit den Dokumenten vertrauten Medien erheben, seitens der USA nicht einmal abgestritten werden. "Nicht mehr", soll NSA-Chef Keith Alexander nach einem Bericht des Spiegel auf die Frage geantwortet haben, ob man das Handy der Bundeskanzlerin abhöre. Näher kann man einem Geständnis nicht kommen, ohne es ausdrücklich auszusprechen, und auch diese Aussage wurde nie dementiert.

Grund genug, um einen Anfangsverdacht zu fassen? Nicht für die Bundesanwaltschaft. Aber immerhin: Mehr als ein halbes Jahr nach dem ersten Bekanntwerden der Vorwürfe und etwa drei Monate nach der Erkenntnis, dass auch das Handy der Kanzlerin überwacht wurde, hält die Behörde die Erfüllung der ihr vom Gesetz zugeschriebenen Aufgaben für möglich. Na dann.

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Constantin Baron van Lijnden, Nichtermittlung in der NSA-Affäre: Der Spionage unverdächtig . In: Legal Tribune Online, 20.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10717/ (abgerufen am: 10.06.2023 )

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