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2332

Magische Kräfte als Vertragsleistung: Kein Zahlungsanspruch für das Geschäft mit der Hoffnung

von Prof. Dr. Hanns Prütting

13.01.2011

Kartenlegerin

© PA - Fotolia.com

Wahrsager und Kartenleger haben Hochkonjunktur, vor allem Menschen in schwierigen Situationen nehmen ihre Dienste in Anspruch und zahlen dafür viel Geld. Dabei bräuchten sie das nicht: Laut BGH muss für angeblich magische Tätigkeiten nicht bezahlt werden - es sei denn, die Parteien haben Gegenteiliges vereinbart. Prof. Dr. Hanns Prütting hält das Urteil nur im Ergebnis für richtig.

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Ob im Fernsehen, im Internet oder auf der Straße: Menschen mit (angeblich) magischen Fähigkeiten bieten ihre Dienste gegen Bezahlung an und versprechen, Probleme durch Wahrsagen, Kartenlegen, Sterndeuten, Horoskoperstellung, Glaskugelbetrachtung und auf vielen anderen Wegen zu lösen. Was auf dem Jahrmarkt ein Spaß für kleines Geld sein kann, wird für Menschen in schwierigen Lebenssituationen oft zur letzten Hoffnung. Und für diese sind sie zu zahlen bereit.

So auch in dem Fall, über den nun der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden hatte. Die Klägerin hatte Lebensberatung durch Kartenlegen (Life Coaching) im Internet angeboten. Der jetzige Beklagte litt nach der Trennung von seiner Freundin unter extremem Liebeskummer und befand sich in einer veritablen Lebenskrise. Für ihre Tätigkeit im Jahre 2008 zahlte er bereits ca. 35.000 Euro an die Klägerin, für Leistungen des Jahres 2009 verlangte sie nun vor Gericht nochmals fast 7.000 Euro.

Aber haben solche Wahrsager überhaupt Anspruch auf ein Entgelt? Können sie es vor staatlichen Gerichten einklagen? Sind solche Dienstleistungen nicht strafbar, sittenwidrig oder ist jedenfalls die Bezahlung wegen Versprechens einer unmöglichen Leistung nicht einklagbar?

Der BGH geht von einer unmöglichen Leistung aus

Das sind die Fragen, denen sich der III. Zivilsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 13. Januar 2011 stellen musste. Schon die Vorinstanzen (Landgericht und Oberlandesgericht Stuttgart) hatten eine Pflicht des Kunden zur Bezahlung einer Kartenlegerin abgelehnt und sich dafür auf die Unmöglichkeit der versprochenen Leistung berufen.

Der BGH hat sich dieser Auffassung, die Leistung sei unmöglich, angeschlossen (Az. III ZR 87/10). Er hält es aber für möglich, dass die Parteien die Konsequenz aus § 326 BGB (keine Zahlungspflicht) abbedingen.

Die Klärung dieser Frage und die Prüfung der Sittenwidrigkeit muss nun das Oberlandesgericht noch einmal vornehmen.

Das Geschäft mit der Hoffnung - Dienst- oder Werkvertrag?

Die rechtliche Lage ist freilich komplexer, als es das dem Rechtsgefühl entsprechende Ergebnis nahe legt. Das beginnt bereits mit dem Vertragsschluss, der in solchen Fällen oft unklar ist. Die Stuttgarter Gerichte haben im konkreten Fall einen stillschweigenden Vertragsschluss bejaht.

Inhalt des Vertrags war wohl das Kartenlegen als solches, darauf aufbauend sollte eine Zukunftsdeutung erfolgen, die ihrerseits Basis für eine allgemeine Lebensberatung sein sollte. Schließlich hatte, das behauptete jedenfalls der nun auf Zahlung in Anspruch genommene Kunde, die Wahrsagerin das sichere Eintreffen der vorhergesagten künftigen Ereignisse versprochen.

Versprochen war also offenbar ein Gemisch aus reinen Dienstleistungen und Erfolgsankündigungen. Ein Vertragserfolg im Sinne eines Werkvertrags (§ 631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) setzt aber voraus, dass der Unternehmer den Erfolg beeinflusst (vgl. § 632 Abs. 1 BGB "Herstellung des Werkes"). Ein ohne Zutun des Unternehmers nur vorhergesagter Eintritt von Ereignissen ist also nicht Gegenstand eines Werkvertrags, sondern kann nur ein solcher eines Dienstvertrags sein.

Es trifft die Schwachen: Ausbeutung einer Zwangslage

Wie ist nun das Zahlungsverlangen für solche Dienstleistungen einzuschätzen? Einige Instanzgerichte nahmen an, solche Verträge seien schon deshalb nichtig, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen (§ 134 BGB mit § 263 StGB). Allerdings war hier nicht die mögliche Straftat als solche Gegenstand des Vertrags. Der mögliche Betrug ist eine Folge der Tätigkeit des Kartenlegens, nicht der Vertragsinhalt. Daher scheidet § 134 BGB aus.

Nahe liegend ist vielmehr eine Nichtigkeit des Vertrags wegen Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB). Personen, die derartige Dienste in Anspruch nehmen, sind häufig emotional instabil,   in vielen Fällen wird eine Zwangslage ausgebeutet. So auch in dem vom BGH entschiedenen Fall, in dem der Beklagte durch starken Liebeskummer in einer offenbar emotional hilflosen Situation war, die sich die Kartenlegerin zu Nutze gemacht hatte.

Wucher: Wenn der Preis für die Hoffnung zu hoch ist

Ob allerdings das für den Tatbestand des Wuchers charakteristische (objektiv) auffällige Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegt, ist jeweils eine Frage des Einzelfalls: Was ist der Verkehrswert, was die marktübliche Vergütung für Wahrsagen und Zukunftsdeutung?

Angebote gibt es bekanntlich auf Jahrmärkten oder im Internet ab einem Euro. Generell dürfte der Marktwert von magischen Leistungen wohl kaum messbar sein. Messbar ist aber der Zeitaufwand für die in diesem Zusammenhang versprochene Lebensberatung. Hier wird man die Vergütung für eine Stunde mit 50 bis 100 Euro keineswegs als völlig außer Verhältnis zu einer Bemühung um Lebensberatung ansehen können.

Im konkreten Fall war für das Coaching pro Stunde 200 Euro verlangt worden, für Kartenlesen jeweils 100 bis 150 Euro, wobei das Kartenlegen vermutlich einem Zeitaufwand von 5 – 10 Minuten entspricht. Die Wahrsagerin hatte selbst eingeräumt, dass die von ihr erbrachten Leistungen durch Kartenlegen mindestens 85 Prozent sämtlicher Dienstleistungen umfassten. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann man also wohl bejahen.

Kartenlegen und Lebensberatung: Weder unmöglich noch sittenwidrig

Die Instanzgerichte gingen aber bisher davon aus, dass Verträge von Wahrsagern und Kartenlegern wegen Sittenwidrigkeit nichtig (§ 138 BGB) oder auf eine unmögliche Leistung gerichtet sind.

Ist ein Vertrag auf eine unmögliche Leistung gerichtet, entfällt die Pflicht zur Gegenleistung (§§ 275, 326 BGB). Der enttäuschte Kunde müsse also, so die Gerichte, nicht zahlen, weil der Wahrsager die von ihm versprochene Leistung sowieso gar nicht erbringen kann, weil das objektiv unmöglich ist, es sei denn, diese Konsequenz sei im Einzelfall abbedungen (so der BGH).

Welche Leistung aber sollte genau objektiv unmöglich sein? Zwischen den verschiedenen angebotenen Dienstleistungen ist genau zu trennen. Das Angebot des Kartenlegens als solches ist weder unmöglich noch sittenwidrig. Auch die darauf aufbauende Lebensberatung ist isoliert betrachtet keineswegs unmöglich oder von vorneherein sittenwidrig. Schließlich wird man auch den Versuch einer Zukunftsdeutung für möglich und für nicht sittenwidrig ansehen können.

"Die große Liebe wird kommen" – ein unmögliches Versprechen?

Aber die Kartenlegerin verspricht, dass die Rente ausgezahlt, der Sohn wieder gesund, die große Liebe des Weges kommen wird. Sie kündigt also den Eintritt eines Erfolgs an oder behauptet, ihre Zukunftsdeutung entspreche dem tatsächlichen zukünftigen Geschehensein-tritt. Diesen Erfolg kann sie nicht gewährleisten. Sie darf also nicht vertraglich zusichern, dass sie ihn durch ihre Tätigkeit herbeiführt. Dies wäre ein auf eine unmögliche Leistung gerichtetes Versprechen. Anders ist es allerdings, wenn dieser zukünftige Erfolg nur als mögliche Folge in Aussicht gestellt wird.

Dabei muss nicht die Frage beantwortet werden, ob es schlicht objektiv nicht möglich ist, die Zukunft vorherzusehen. Denn der behauptete Erfolgseintritt bezieht sich auf die generelle künftige Entwicklung der Lebensereignisse und nicht auf die konkreten Dienstleistungen der Wahrsagerin. Schon unter diesem Gesichtspunkt wird man hier nicht davon ausgehen können, dass die Leistung objektiv unmöglich ist.

In der Vorspiegelung eines Erfolgseintritts (falls sie im Einzelfall zu bejahen ist) dürfte vielmehr eine Täuschungshandlung im Sinne eines Betrugs zu sehen sein.

Unterhaltung oder letzte Hoffnung: Auf den Preis kommt es an

Lebensberatung durch Kartenlegen ist also wohl nicht generell sittenwidrig und auch nicht per se unmöglich. Im Einzelfall kann sie aber wucherisch oder betrügerisch sein.

Entscheidend für die rechtliche Bewertung ist also der jeweils von der Wahrsagerin verlangte Preis. Wahrsagen für 1,50 Euro auf dem Jahrmarkt oder im Internet wird man so auslegen dürfen, dass Inhalt der Leistung eine Belustigung und Unterhaltung ist. Ein solcher Vertrag ist sicherlich zulässig und die versprochene Leistung ist möglich.

Wird dagegen für Wahrsagen ein Betrag von 35.000 Euro verlangt und bezahlt, dann ergibt die Auslegung, dass ein solcher Betrag nur gezahlt wird, wenn ein ernstlicher Erfolg erwartet wird.

Da aber auch dem jeweiligen Kunden von Wahrsagern klar sein dürfte, dass der erhoffte Erfolg nicht auf unmittelbarem Tätigwerden des Wahrsagers beruht, passen in allen diesen Fällen wohl weder die Einordnung der Leistung als unmöglich noch ein generelles Verdikt der Sittenwidrigkeit.

Auch die Verfassung erlaubt kein betrügerisches Handeln

Soweit die Wahrsagerin als Klägerin im vorliegenden Fall ihren Zahlungsanspruch mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Vertragsfreiheit, der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses und der Berufsfreiheit untermauert hatte, kommt dem keinerlei Gewicht zu.

Keine der verfassungsrechtlich genannten Garantien erlaubt es einem Wahrsager, betrügerisch zu handeln oder Kunden durch wucherische Vertragsbedingungen zu schädigen. Gleiches würde gelten, wenn ein Wahrsager den Versuch machte, rechtliche Konsequenzen durch vertragliche Vereinbarungen oder gar durch allgemeine Geschäftsbedingungen zu umgehen.

Rechtliche Konsequenz eines wucherischen Geschäfts ist die Nichtigkeit des Dienstvertrags. Die auf Grundlage dieses nun nichtigen Vertrags erbrachten Leistungen erfolgten dann ohne Rechtsgrund.

Der von der Wahrsagerin verklagte Kunde kann also nicht nur die Zahlung gemäß § 821 BGB verweigern. Er kann auch gemäß § 812 BGB alles zurückverlangen, was er der Wahrsagerin gezahlt hat. Hoffentlich hat sie das Geld auf die hohe Kante gelegt. Sie müsste es ja eigentlich gewusst haben.

Der Autor Prof. Dr. Hanns Prütting ist Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht an der Universität zu Köln. Er ist u.a. Direktor des Instituts für Verfahrensrechts, Mitdirektor des Instituts für Anwaltsrecht und Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen.

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Prof. Dr. Hanns Prütting, Magische Kräfte als Vertragsleistung: Kein Zahlungsanspruch für das Geschäft mit der Hoffnung . In: Legal Tribune Online, 13.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2332/ (abgerufen am: 26.09.2023 )

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