Der erste Strafprozess wegen des Verdachts des Betrugs durch Doping in Deutschland ist zu Ende. Das LG Stuttgart hat den Radsportler Stefan Schumacher nach 19 Verhandlungstagen mit zahlreichen Zeugenvernehmungen am Dienstag freigesprochen. Juristisch geht das Ergebnis in Ordnung, meint Johannes Arnhold. Sportpolitisch aber gebe der Freispruch nur ein Signal: Her mit dem Anti-Doping-Gesetz.
Das Gericht hatte die Frage zu klären, ob Stefan Schumacher seinen ehemaligen Teamchef vom Team Gerolsteiner, Hans-Michael Holczer, betrogen hat. Konkret ging es um die Summe von drei Monatsgehältern, zusammen am Ende 100.000 Euro, um die sich Schumacher zum Nachteil seines ehemaligen Teamchefs durch Täuschung über seinen Dopingumgang entgegen der vertraglichen Vereinbarung bereichert haben soll.
Der Radprofi war während der Tour de France 2008 positiv getestet und gesperrt worden. Während Holczer im Prozess angab, nichts von den Dopingpraktiken Schumachers gewusst zu haben, hatte der Angeklagte Schumacher bereits vor Prozessbeginn in einem Interview mit dem Spiegel eingeräumt, dass Doping "zu seinem Alltag gehört habe wie ein Teller Nudeln".
Die Strafkammer des Landgerichts (LG) Stuttgart war "letztendlich nicht davon überzeugt, dass sie ausschließen kann, dass die Situation sich so zugetragen hat wie vom Angeklagten Schumacher geschildert", sagte der Vorsitzende Richter Martin Friedrich. Ein bisschen scheint dabei der Gedanke mitzuschwingen: Man hätte ja verurteilen können. Da aber in diesem Sumpf nicht wirklich klar wird, wer gelogen hat, ist der Freispruch das kleinere Übel (Urt. v. 29.10.2013, Az. 16 KLs 211 Js).
Doping in Deutschland: Ist das Betrug?
Da eine Strafnorm für Selbstdoping in Deutschland bislang weder im Strafgesetzbuch noch im Arzneimittelgesetz zu finden ist, blieb nach aktueller Rechtslage der Betrug gemäß § 263 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) als einzig in Betracht kommende Norm, nach der Schumacher hätte verurteilt werden können.
Beim Betrug täuscht der Täter in der Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern, das Opfer durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen gezielt so, dass dieses sich selbst oder einen Dritten am Vermögen schädigt und damit Schaden zufügt. Dieses Vermögensdelikt des Strafgesetzbuchs schützt allein das Rechtsgut des fremden Vermögens.
Betrug durch Doping könnte man entsprechend definieren als das Erregen eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Unterdrückung wahrer Tatsachen hinsichtlich eines "fairen und sauberen" Sports. Dies müsste geschehen in der Absicht, Sponsoren, Arbeitgebern oder Veranstaltern einen Vermögensschaden zuzufügen, wenn diese zum Beispiel Sponsoren- oder Startgelder oder Prämien zahlen.
Kommt selten vor, denn passt nicht recht
Diese Definition scheint auf den ersten Blick zuzutreffen, werden doch sportliche und wirtschaftliche Interessen im professionellen und monetarisierten Sport zunehmend verquickt. Und auch auf den Fall Schumacher scheint sie anwendbar. Tatsächlich passt das Betrugsdelikt bei Dopingvergehen jedoch nicht sonderlich gut. Im Gegenteil: In der Praxis kommt es selten zu strafrechtlichen Verfahren wegen Doping-Betrugs.
Das hat vor allem zwei Gründe: Einerseits ist dem Täuschenden der Vorsatz schwer nachzuweisen, dass er einen Irrtum erregen oder sich einen Vermögensvorteil verschaffen wollte. Andererseits sind in den meisten Dopingkonstellationen die weiteren Tatbestandsmerkmale der Irrtumserregung beziehungsweise des Vermögensschadens im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.
Eine Dopingverurteilung wegen Betrugs gegenüber dem Konkurrenten etwa scheidet aus, weil hierbei kein direkter Zusammenhang zwischen dem erlangten Vermögensvorteil des gedopten Sportlers und dem Schaden des unterlegenen Konkurrenten besteht, da der Veranstalter das Preisgeld zur Verfügung stellt.
Den wiederum kann der Dopende nicht im strafrechtlichen Sinne betrügen, weil er das Preisgeld ohnehin vergibt, ihm also kein Vermögensschaden entsteht. Schließlich greift § 263 Abs. 1 StGB bei Dopingvorgehen auch nicht als Betrug gegenüber dem Zuschauer. Denn der zahlt zwar in der Regel ein vertraglich vereinbartes Entgelt für eine Sportveranstaltung mit Eventcharakter. Ebendiese aber erhält er auch – unabhängig davon, ob ein gedopter oder nichtgedopter Sportler den ausgetragenen Wettkampf für sich entscheidet.
2/2: In dubio pro reo im Fall Schumacher
Mit Schumachers Anklage wegen Betrugs gegenüber seinem früheren Arbeitgeber lag eigentlich ein Fall vor, der noch am wahrscheinlichsten zu einer Verurteilung hätte führen können. Schließlich hatte der Radprofi das Team Gerolsteiner, in Person Hans-Michael Holzcer, getäuscht, als er ausdrücklich und wahrheitswidrig im Arbeits- oder Dienstvertrag erklärte, keine Dopingmittel einzunehmen. Außerdem hatte er sich verpflichtet, seinem Arbeitgeber positive A-Proben zu melden.
Dennoch hat das Landgericht (LG) Stuttgart Schumacher nicht verurteilt. Das Gericht konnte den Verdacht nicht ausräumen, dass es eine Holczer bekannte Doping-Infrastruktur rund um die Dopingpraxis von Schumacher gab. So hatte der Radprofi bereits im Spiegel-Interview behauptet, während seiner Zeit beim Team Gerolsteiner hätten Ärzte "aktiv beim Dopen mitgemischt", und Rennstallchef Hans-Michael Holczer habe alles gewusst. Eine Aussage, die während des Prozesses immer nachhallte, obwohl Holczer von keinem einzigen Zeugen der Mitwisserschaft bezichtigt wurde.
Einen Irrtum des getäuschten Teamchefs kann man nämlich schon dann nicht mehr annehmen, wenn man nicht ausschließen kann, dass er die Ausmaße von Dopingaktivitäten überblickt und damit auch die "Unsauberkeit" und "Unlauterkeit" des Sports insgesamt vor Augen hat.
Schützenswertes Rechtsgut: der freie sportliche (Profi-)Wettbewerb
Der Strafkammer blieben solche letzten Zweifel an Holczers Version. So folgte sie dem Grundsatz "in dubio pro reo" und sprach Schumacher frei. Es schien ihr zu schwer vorstellbar, dass er und eine Reihe weiterer, inzwischen überführter Top-Fahrer wie Bernhard Kohl, Danilo Hondo oder Davide Rebellin gedopt haben sollen, ohne dass Holczer dies mitbekommen habe. Doch selbst wenn die Einschätzung der Richter eher wie ein "Freispruch zweiter Klasse" wirkt und nicht das erhoffte, klare und eindeutige Grundsatzurteil im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 263 Abs. 1 StGB bei Dopingvergehen ist, wird durch dieses Verfahren der Systemfehler der mangelnden Kompatibilität von Betrugstatbestand und Dopingvergehen deutlich: Was nicht passt, kann schlecht passend gemacht werden.
Es kann daher nur eine Konsequenz geben: eine staatliche Norm, die das Selbstdoping unter Strafe stellt. Ihre Einführung wäre sowohl juristisch machbar als auch politisch greifbar.
Zwar gibt es bislang kein staatlich definiertes schützenswertes Rechtsgut, dessen Verletzung der Gesetzgeber sanktionieren könnte. Allerdings wäre die Professionalisierung des Sports Anlass genug, hier durch Schaffung eines solchen Rechtsguts tätig zu werden.
Schließlich kann man Doping – zumindest im Profisport – als Angriff auf den freien sportlichen Wettbewerb werten, welcher neben Aspekten wie Fairness und Chancengleichheit vor allem wachsende wirtschaftliche Indikatoren aufweist. Anders ausgedrückt: Bei Berufssportlern sollte eine Ausweitung der staatlichen Verantwortlichkeit im Sport möglich sein.
Anti-Doping-Gesetz nur noch eine Frage der Zeit
Auf Grundlage dieses Ansatzes hat das Land Baden-Württemberg im Frühjahr einen Entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Dopingbekämpfung in den Bundesrat eingebracht. Dieser sieht die Erweiterung des § 6a Arzneimittelgesetzesvor. Die Norm soll verbieten, an berufssportlichen Wettkämpfen teilzunehmen, wenn Berufssportler selbst gedopt haben.
Aber auch an anderer Stelle scheint Bewegung in die Sache zu kommen: der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ließ nach eigenem Bekunden den Prozess in Stuttgart sehr aufmerksam beobachten und will diesen nun auswerten. Und auch die Justizminister der Länder haben sich im Juni mit einem Beschluss der Justizministerkonferenz dafür ausgesprochen, den Kampf gegen das Doping mit strafrechtlichen Mitteln effektiver zu führen. Die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes scheint daher trotz oder wegen des Freispruchs von Stuttgart nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Der Autor Johannes Arnhold ist Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Öffentliches Recht an der Technischen Universität Ilmenau sowie Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Er ist Mitautor des im Januar erscheinenden Lehrbuchs zum Sportrecht.
Johannes Arnhold, LG Stuttgart spricht Radsportler frei: Im Zweifel für den Dopingsumpf . In: Legal Tribune Online, 30.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9920/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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