Das Freihandelsabkommen mit Amerika liegt für drei Monate teilweise auf Eis. Grund dafür ist massive Kritik an dem Kapitel zum Investitionsschutz, der amerikanischen Investoren Sicherheit in der EU bieten soll – und umgekehrt. Jörn Griebel hält manche der Vorwürfe für berechtigt, aber von einer "Allzweckwaffe von Unternehmen in politischen Auseinandersetzungen" zu sprechen, sei Unsinn.
Die EU verhandelt derzeit mit den USA, aber auch mit Kanada, Singapur, Indien sowie weiteren Staaten über internationale Handels- und Investitionsregeln. Auch mit China haben kürzlich Verhandlungen zu einem Investitionsschutzabkommen begonnen. Speziell die Regeln zum Schutz von Auslandsinvestitionen stoßen in Deutschland jedoch auf erhebliche Kritik aus unterschiedlichen Lagern, die darin teilweise etwa eine "Allzweckwaffe von Unternehmen in politischen Auseinandersetzungen" oder einen "Freifahrtschein jenseits geltender Gesetze" erkennen wollen. Die Kritik ist nicht völlig unberechtigt, schießt jedoch vielfach über das Ziel hinaus.
Internationale Investitionsschutzregeln finden sich in völkerrechtlichen Verträgen, die Investoren vor typischen politischen Risiken in den Gastgeberstaaten schützen sollen. Weltweit beteiligen sich fast alle Staaten an solchen – meist bilateralen – Verträgen; das Ergebnis ist ein Netz von ca. 3.000 völkerrechtlichen Abkommen. In diesen Abkommen werden etwa Diskriminierungen ausländischer Investoren gegenüber inländischen Wettbewerbern verboten; Enteignungen dürfen nur erfolgen, soweit eine Entschädigung vorgesehen ist. Beides sind reale Gefahren, besonders nach einem Regierungswechsel oder bei der Bewältigung wirtschaftlicher Krisen.
Die den Investoren gewährten Schutzrechte können diese gegenüber den Gaststaaten vor internationalen Schiedsgerichten geltend machen. Damit soll die Bereitschaft zu privaten Investitionen im Ausland gefördert werden, was letztlich sowohl zum Wohlstand des Gast- als auch des Heimatsstaates beitragen soll. Das Internationale Investitionsrecht hat daher eine erhebliche weltwirtschaftliche und entwicklungspolitische Bedeutung.
Verfahren finden hinter verschlossenen Türen statt – aber nicht mehr lange
Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass das gegenwärtige System des Internationalen Investitionsrechts Schwächen aufweist. Anschaulich zeigt sich das beim Blick auf die Schadensersatzklage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland. Durch den von der früheren Bundesregierung sehr kurzfristig entschiedenen Atomausstieg sieht sich Vattenfall in seinen Schutzrechten aus dem Investitionsabkommen Energiecharta-Vertrag verletzt.
Kritisiert wird an dem Verfahren zum einen, dass es hinter verschlossenen Türen stattfindet. Aufgrund der bestehenden Regeln hat die Öffentlichkeit kaum Möglichkeiten, von den Hintergründen, dem klägerischen Begehren, den Argumenten der Parteien und den schiedsgerichtlichen Entscheidungen Kenntnis zu erlangen. Das Verfahren kann komplett vertraulich durchgeführt werden.
Diese Kritik ist berechtigt, schließlich handelt es sich um Belange von erheblichem öffentlichem Interesse, die den Bürgern nicht vorenthalten werden sollten. Der insoweit bestehende Reformbedarf wurde von der Europäischen Kommission jedoch bereits erkannt. Es kann fest damit gerechnet werden, dass zukünftige europäische Investitionsabkommen, soweit sie vom Rat und dem Europäischen Parlament gebilligt werden, sehr weitgehende Regeln zur Öffentlichkeit von Investitionsschiedsverfahren vorsehen werden.
2/2: Einmischung in Gesundheits- und Umweltschutz sollte nicht möglich sein
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Möglichkeit ausländischer Investoren, politische Entscheidungen, die etwa dem Gesundheits- und Umweltschutz dienen, in Frage zu stellen und sich hierfür noch mit Steuergeldern entschädigen zu lassen. Es ist allerdings völlig offen, ob und in welchen Punkten Vattenfall das Verfahren gegen Deutschland tatsächlich gewinnen wird. Mit Blick auf die bisherigen, zahlreichen Präzedenzfälle in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit erscheint das keineswegs sicher. So wurde vielfach entschieden, dass bei staatlichen Maßnahmen, die anerkennenswerten Interessen der Allgemeinheit dienen, ein Schadensersatz nicht in Betracht komme.
Gleichwohl ist die Rechtsprechung in diesem Punkt nicht einheitlich. Man kann daher mit Recht kritisieren, dass die Abkommen ein Ausnahmeregime zum Schutz von Umwelt, Gesundheits- oder Menschenrechtsinteressen etc. bislang nicht ausdrücklich vorsehen. In anderen Bereichen des Wirtschaftsvölkerrechts sind solche Regeln seit Langem eine Selbstverständlichkeit. Genannt werden kann hier neben dem Europäischen Unionsrecht etwa auch das Vertragssystem der WTO. Tatsächlich vertritt die Europäische Kommission den wohl begründeten Standpunkt, dass zukünftige EU-Abkommen entsprechende Ausnahmeregeln vorsehen müssen. Was bislang von den Verhandlungen der Kommission mit Drittstaaten bekannt geworden ist, spiegelt diese Position auch wider.
Die Kommission ist damit auf dem Weg, den zukünftigen EU-Investitionsabkommen ein deutlich transparenteres, ausbalancierteres und insgesamt nachhaltigeres Regelwerk zugrunde zu legen. Dieses wird das in Teilen reformbedürftige, alte Investitionsschutzsystem der Mitgliedstaaten sukzessive ablösen. Als Revolution kann man diesen Prozess jedoch kaum bezeichnen, eher schon als ein Aufschließen zu etablierten Konzepten aus anderen Bereichen des Wirtschaftsvölkerrechts.
Ein weiterer Punkt, in dem Korrekturen wünschenswert wären, und in dem sich die Kommission auch um Lösungen bemüht, ist die Auswahl der Schiedsrichter.
Fundamentalkritik ist unberechtigt
Eine über die angesprochenen Punkte hinausgehende Fundamentalkritik am System ist jedoch kaum berechtigt. Vielmehr scheint es, dass teilweise die aufgrund des Vattenfall-Verfahrens kritische Stimmung in der Öffentlichkeit dazu genutzt werden soll, das Internationale Investitionsrecht als etablierte Säule der internationalen Wirtschaftspolitik abzuschaffen. Entwicklungspolitisch wäre das ein großer Rückschritt.
Auch ist kaum nachvollziehbar, warum die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit den USA nun Beschränkungen der Klagemöglichkeit für Investoren fordert. Damit weicht sie ohne Not von der seit Ende der 1950er Jahre von allen regierenden Koalitionen getragenen investitionsrechtsfreundlichen Politik ab – ebenso wie von den übrigen 131 verbindlichen Abkommen der Bundesrepublik mit anderen Staaten.
Klagen vor internationalen Schiedsgerichten sollen danach nur noch möglich sein, soweit der Investor zuvor den oft langwierigen nationalen Rechtsweg im Gastgeberstaat ausgeschöpft hat. Wenn Deutschland darauf beharrt, werden andere Länder folgen und europäische Investoren im Ergebnis ihres effektiven Rechtsschutzes im Ausland beraubt werden. Eine Pflicht zur unbegrenzten nationalen Rechtswegerschöpfung stellt keine sinnvolle Weiterentwicklung des Systems dar.
Bislang nicht ausreichend diskutiert wird leider die viel grundlegendere Frage danach, wie man es schafft, wohlstands- und entwicklungsfördernde Auslandsinvestitionen, die einen uneingeschränkten Schutz genießen sollten, von den schwarzen Schafen zu trennen. So unterstützt beispielsweise die Bundesrepublik mit ihren Garantie- und Kreditförderprogrammen nur solche Auslandsinvestitionen, die bestimmten Anforderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit entsprechen. Eine Übertragung dieses Konzepts auch auf die rechtliche Förderung von Auslandsinvestitionen mittels Investitionsschutzabkommen dürfte die richtigen Geschäfte anziehen – und die anderen draußen halten.
Der Autor Jörn Griebel ist Juniorprofessor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Internationales Investitionsrecht und Geschäftsführer des International Investment Law Centre Cologne der Universität zu Köln.
Jun.-Prof. Jörn Griebel, Investitionsschutzabkommen: Mit leichten Reformen zu einem besseren System . In: Legal Tribune Online, 11.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10955/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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