Über die Flüchtlingsnovelle 2014 hinaus haben Bundes- und Landesgesetzgeber weitere Vereinfachungen für den Bau von Unterkünften geschaffen. Die neuen Vorschriften werden sich vor Gericht noch beweisen müssen, sagt Andreas Wolowski.
Nachdem es Ende letzten Jahres nach einer leichten Entspannung im Hinblick auf die Flüchtlingszahlen aussah, geht die Politik wieder von einer Verschärfung der Situation aus. Da es den Ländern und Kommunen jetzt schon schwer fällt, in angemessener Zeit ausreichende Kapazitäten zur Flüchtlingsunterbringung zu schaffen, wird es künftig in noch stärkerem Maße darauf ankommen, die Planungs- und Genehmigungsphase solcher Vorhaben kürzer und effizienter zu gestalten.
Erste Erleichterungen hatte der Bundesgesetzgeber bereits Ende des Jahres 2014 mit dem so genannten "Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen" geschaffen. Weitere Erleichterung haben die am 24. Oktober 2015 (vorzeitig) in Kraft getretenen Änderungen des Baugesetzbuches (BauGB) durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz mit sich gebracht.
Zusätzliche Absätze in der Kernregelung des § 246 BauGB
Die Änderungen des Baugesetzbuches im vergangenen November haben durch die Einführung der Abs. 11 bis 16 des § 246 BauGB deutliche Erleichterungen in bauplanungsrechtlicher Hinsicht gebracht. Bezogen sich die Änderungen im Jahr 2014 im Wesentlichen auf die Zulässigkeit von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten, so hat der Gesetzgeber den Genehmigungsbehörden nunmehr auch in anderen Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung (BauNVO) die Möglichkeit zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften eröffnet, insbesondere in denen des reinen Wohngebiets, des allgemeinen Wohngebiets und des Mischgebiets (§ 246 Abs. 11 BauGB). Voraussetzung ist, dass in dem jeweiligen Baugebiet "Anlagen für soziale Zwecke" nach den Vorgaben der BauNVO beziehungsweise des entsprechenden Bebauungsplans ausnahmsweise zulässig sind. Die Vorschrift ist zeitlich beschränkt bis zum 31. Dezember 2019. Bis dahin erteilte Genehmigungen haben hingegen grundsätzlich unbeschränkte Wirkung.
Mit § 246 Abs. 12 Nr. 1 BauGB wurde eine spezielle Regelung für mobile Flüchtlingsunterkünfte geschaffen. Diese sind jetzt – befristet auf maximal drei Jahre – ebenfalls in sämtlichen Baugebietstypen der BauNVO und auf anderweitig festgesetzten Flächen zulässig, so etwa auf Grünflächen. § 246 Abs. 12 Nr. 2 BauGB ermöglicht generell eine (befristete) Nutzungsänderung zur Flüchtlingsunterbringung in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten.
Weitreichende "Notfallklausel" bei dringendem Unterbringungsbedarf
§ 246 Abs. 13 BauGB erweitert die 2014 mit § 246 Abs. 9 BauGB eröffnete Möglichkeit, auch den Außenbereich zur Flüchtlingsunterbringung zu nutzen. Nach der neuen Vorschrift sollen wiederum mobile Flüchtlingsunterkünfte –ebenfalls befristet auf längstens drei Jahre – sowie die Umnutzung bereits bestehender und zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen für die Flüchtlingsunterbringung erlaubt sein. Anders als bisher soll dies auch nicht nur für sogenannte "Außenbereichsinseln" gelten, die unmittelbar an Bebauungszusammenhänge angrenzen respektive von diesen umschlossen sind.
Eine sehr weitgehende "Notfallklausel" hat der Bundesgesetzgeber mit § 246 Abs. 14 BauGB geschaffen, wonach sogar von sämtlichen Vorschriften des Baugesetzbuches beziehungsweise bestehender Bebauungspläne abgewichen werden kann, sofern dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet einer Gemeinde nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können.
Abgerundet werden diese bauplanungsrechtlichen Erleichterungen durch neue verfahrensrechtliche Vorgaben (§§ 246 Abs. 15, 16 BauGB), die zu einer weiteren Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens führen sollen.
2/2: Landesgesetzgeber ziehen nach
Zunehmend werden auch die Landesgesetzgeber aktiv und schaffen Erleichterungen der Baugenehmigungsverfahren. So hat Niedersachsen im November letzten Jahres das Niedersächsische Gesetz zur Erleichterung der Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbegehrende (NEFUG) erlassen. Darin wird unter anderem geregelt, dass für mobile Unterkünfte sowie Unterkünfte mit höchstens zwei Geschossen befristet bis zum 31. Dezember 2019 keine Baugenehmigung erforderlich ist. In materiell-rechtlicher Hinsicht werden für Flüchtlingsunterkünfte Ausnahmen im Hinblick auf die Schaffung von Kinderspielplätzen, Einstellplätzen sowie den Anforderungen an die Barrierefreiheit und den Denkmalschutz geregelt.
Eine ähnliche Gesetzesänderung ist auch in Schleswig-Holstein geplant, wo durch die Einführung des § 85 a der Landesbauordnung sowohl Verfahrens- als auch materiell-rechtliche Erleichterungen für den Bau von Flüchtlingsunterkünften geschaffen werden sollen. In Hamburg werden entsprechende Erleichterungen diskutiert.
Anwendungsprobleme der Vorschriften: Einzelne Tatbestandsmerkmale umstritten
Einheitliche Maßstäbe, wie die Tatbestandsmerkmale der neuen Ausnahme- und Befreiungsvorschriften des § 246 BauGB im Einzelnen auszulegen sind, bestehen (noch) nicht. Ob und inwieweit die neuen Regelungen des Baugesetzbuches Genehmigungsverfahren in der Praxis tatsächlich erleichtern und beschleunigen können, hängt deshalb nicht zuletzt von der Auslegung der neuen Vorschriften durch die Verwaltungsgerichte ab. Es kommt nicht unerwartet, dass Vorhaben zur Flüchtlingsunterbringung durch Grundstücksnachbarn und in Anspruch genommene Eigentümer kritisch gesehen werden und daher entsprechende Widerspruchs- und Klageverfahren gegen solche Vorhaben anhängig sind.
Eine klare Linie hat sich in den naturgemäß noch wenigen und bislang ausschließlich in Eilverfahren ergangenen gerichtlichen Entscheidungen noch nicht durchgesetzt. Das Verwaltungsgericht Hamburg etwa tendiert zu einer eher restriktiven Auslegung der Vorschriften und hat mit Blick auf die weitreichende Ausnahmevorschrift des § 246 Abs. 14 BauGB sogar Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit angemeldet (Beschl. v. 28.10.2015, 7 E 5333/15), ohne dass es in der konkreten Entscheidung darauf angekommen wäre. Dagegen weist der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit Blick auf die 2014 eingeführte Regelung des § 246 Abs. 10 BauGB (Zulassung in Gewerbegebieten) gerade auf die gesetzgeberische Intention hin, eine weitegehende Erteilung von Befreiungen zu ermöglichen (Beschl. v. 11.3.2015, Az.: 8 S 492/15).
Wo etwa im Bereich der Zulassung mobiler Unterkünfte mit Blick auf vorgefertigte, modularisierte Bauteile die Grenze zwischen den nach den neuen Vorschriften besonders privilegierten mobilen Containerunterkünften und "normaler" Bebauung verläuft, ist ebenfalls noch nicht geklärt. Schwierigkeiten können sich zudem im Hinblick auf das Verhältnis einzelner Vorschriften zueinander ergeben.
Der Praxistest steht noch aus
Auch wenn es derzeit an wirklichen "Leuchtturmentscheidungen" zum Drittschutz der Vorschriften noch fehlt, ist sicher, dass die Gerichte auch unter Geltung der neuen Regelungen dem Nachbarschutz einen hohen Stellenwert beimessen. Anfängliche Bedenken, dass durch die neuen Regelungen "tradierte" Formen des Nachbarschutzes weggewischt werden könnten, haben sich insofern als unbegründet erwiesen.
Bundes- und Landesgesetzgeber haben den Genehmigungsbehörden und Bauherren von Flüchtlingsunterkünften ein erhebliches Arsenal an Vereinfachungen an die Hand gegeben. Den "Praxistest" müssen diese Vorschriften aber noch bestehen. Den Behörden und Bauherrn, aber auch den betroffenen Nachbarn ist zu wünschen, dass ihnen zur Anwendung der neuen Regelungen– notfalls durch die Rechtsprechung – verlässliche und handhabbare Leitlinien an die Hand gegeben werden.
Der Autor Dr. Andreas Wolowski, LL.M. (Edinburgh) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB am Standort Hamburg.
Dr. Andreas Wolowski, LL.M., Bau von Flüchtlingsheimen: Gesetzgeber schaffen weitere Erleichterungen: Juristischer Werkzeugkoffer für Behörden und Bauherren . In: Legal Tribune Online, 05.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18364/ (abgerufen am: 03.12.2023 )
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