Edathys relativiertes Geständnis : Die Geister, die die Staatsanwaltschaft rief

AFP PHOTO / PATRIK STOLLARZ
Keine zwei Stunden, nachdem das Strafverfahren wegen Besitzes kinderpornografischen Materials gegen ihn eingestellt wurde, relativierte Sebastian Edathy auf seiner Facebook-Seite: "Ich weise darauf hin, dass ein 'Geständnis' ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt". Seine Schuld sei nicht festgestellt worden. Das ist widersprüchlich, aber nicht verwunderlich, meinen Experten.
Sebastian Edathy ließ über seinen Verteidiger Christian Noll am Montag erklären, eingesehen zu haben, dass er einen Fehler begangen habe, so dass das gegen ihn laufende Verfahren wegen kinderpornografischer Bilder und Videos mit Zustimmung auch der Staatsanwaltschaft gemäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) eingestellt wurde. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete zahlt nun 5.000 Euro an den Kinderschutzbund Niedersachsen und gilt als nicht vorbestraft.
Voraussetzung für die Zustimmung der Staatsanwaltschaft war, das hatte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge stets deutlich gemacht, ein 'glaubwürdiges Schuldeingeständnis' des Ex-Politikers. Als Grund dafür nannte Staatsanwaltschafts-Sprecherin Kathrin Söfker das in diesem Fall besonders große Aufklärungsinteresse. Weil Edathy aber seine Schuld nicht eingestehen wollte, war es im Vorfeld des von großem Medienrummel begleiteten Prozesses nicht zu einer Einstellung des Verfahrens gekommen.
Nun, wo er ein Geständnis abgelegt hat und alles vorbei sein könnte, legt Edathy noch einmal nach. Auf seiner Facebook-Seite postete der 45-Jährige noch am Montag folgenden Text: "Ich begrüße die Einstellung des Verfahrens durch das Landgericht Verden. Eine Fortsetzung wäre unverhältnismäßig gewesen. - Ich weise darauf hin, dass ein 'Geständnis' ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt. Die Staatsanwaltschaft war mit dem Wortlaut der Erklärung einverstanden. Eine Schuldfeststellung ist damit ausdrücklich nicht getroffen worden."
In der aktualisierten Meldung der Nachrichtenagentur dpa heißt es: Edathy gab zu, "Bilder und Videos besessen zu haben, die laut Staatsanwaltschaft kinder- und jugendpornografisch sind". Der Ex-Politiker hat also zugestanden, das Material besessen zu haben, nicht aber die rechtliche Bewertung der Staatsanwaltschaft zu teilen, dass es sich um strafrechtlich relevantes kinderpornografisches Material handelt. Auf diese Differenzierung will er sich vermutlich mit seiner Relativierung im sozialen Netzwerk beziehen.
Widersprüchliche Erklärungen: der Fluch der bösen Tat?
Für Professor Matthias Jahn bleiben das widersprüchliche Erklärungen. Aber "der Angeklagte Edathy ist offenbar der Auffassung, dass eine Prozesserklärung, die von Rechts wegen nicht hätte gefordert werden dürfen, ihn auch in keiner Weise bindet", so der Frankfurter Juraprofessor.
Die Einstellung gegen Auflagen ist trotz dieses widersprüchlichen Verhaltens weder durch die Staatsanwaltschaft noch durch das Gericht mehr aufzuschnüren. Der Einstellungsbeschluss ist kraft Gesetzes nicht anfechtbar, das Strafverfahren vorläufig bis zur Auflagenerfüllung durch den Ex-Politiker eingestellt.
Für Strafrechtler Jahn ist dieses unbefriedigende Ergebnis "der Fluch der bösen Tat". Das Landgericht (LG) und die Staatsanwaltschaft hätten mit ihrer Handhabung der Einstellungsvorschrift des § 153a StPO eine Tür zu einer rechtlichen Grauzone aufgestoßen, die Edathy für seine Zwecke betreten habe. "Im Rahmen einer Einstellung gegen Auflagen nach dieser Vorschrift hätte nach einhelliger Meinung der Kommentatoren kein Geständnis gefordert werden dürfen. Das Gesetz verlangt ausdrücklich nur die Zustimmung des Angeklagten - eben weil eine Einstellung nach § 153a StPO die Unschuldsvermutung unangetastet lässt". Dass die Staatsanwaltschaft Hannover dennoch ein Geständnis verlangt hat, rächt sich laut Jahn nun.
2/2: Deal umgangen, widersprüchliches Verhalten gefangen
Matthias Jahn sieht in der vor dem LG Verden offenbar von allen Beteiligten einvernehmlich gewählten Einstellung gegen Auflagen eine gesetzeswidrige Auslegung und Anwendung der Einstellungsvorschrift des § 153a* StPO. Der korrekte Weg hätte seiner Ansicht nach über eine formalisierte Verständigung der Beteiligten geführt. Solche sogenannten Deals gestattet die StPO seit 2009 ganz offiziell, im Jahr 2013 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Vorschrift des § 257c für so gerade noch verfassungsgemäß.
Bei einem Deal aber hätte Sebastian Edathy gestehen müssen. Laut § 257 c Abs. 2 S. 2 StPO soll Bestandteil jeder Verständigung ein Geständnis sein. "Dieses hätte er zudem selbst und nicht durch eine verlesene Erklärung seines Verteidigers abgeben müssen", erklärt der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie in Frankfurt. Außerdem hätte Edathy auch für Nachfragen der Verfahrensbeteiligten zur Verfügung stehen müssen - sicherlich wäre das dem Ex-Politiker, der stets seine Unschuld beteuerte, weit schwerer gefallen als das am Montag abgegebene kurze Anschlussstatement, er mache sich die Erklärung seines Verteidigers zueigen.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Jahr 2013 hätten Gericht, Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte zudem in der Hauptverhandlung vor den Augen und Ohren der Öffentlichkeit bekanntgeben müssen, von wem die Initiative zu den Verständigungsgesprächen ausgegangen ist, wer welchen Vorschlag gemacht hat und wie die anderen Beteiligten darauf reagiert haben.
Für Strafrechtler Jahn liegt die Vermutung nah, dass diese strengen Anforderungen des Gesetzes zur Urteilsabsprache im Strafverfahren an die Transparenz und die Öffentlichkeit des Verständigungsverfahrens im Fall Edathy ausmanövriert werden sollen. "Man kann den Verdacht haben, dass die Staatsanwaltschaft in Fällen à la Edathy zwar wie bei einer förmlichen Absprache ein Geständnis verlangt. Die Transparenz aber, welche für wirksame Verständigungen erforderlich ist, möchte sie vermeiden, indem das Ganze als Einstellung des Verfahrens deklariert wird". Dass der Angeklagte danach in der Öffentlichkeit behauptet, er habe gar kein Geständnis abgegeben, ist "ein vorhersehbarer Kollateralschaden", so der Strafrechtler.
Die letzte Chance auf Rechtsstaat vertan
Es liegt auf der Hand, dass die Glaubwürdigkeit der Justiz durch solche Kollateralschäden stark erschüttert wird. Es ist ebenjene Glaubwürdigkeit, die Grundlage sämtlicher gesetzlicher Regelungen für Verständigungen in Strafverfahren ist. Nur eine vollumfänglich informierte Öffentlichkeit hat überhaupt potenziell die Möglichkeit, zu verstehen, weshalb Recht im strafrechtlichen Verfahren überhaupt disponibel sein soll.
Die Verantwortung dafür tragen die Gerichte, vor allem aber auch die Staatsanwaltschaft, das betont auch das BVerfG immer wieder. In Sachen Edathy war das die Behörde, die das Verfahren offenbar nicht per Strafbefehl beenden wollte. Gegen deren Leiter nun wegen Geheimnisverrats ermittelt wird. Die sich geweigert hat, das Verfahren gegen den Mann, dessen Existenz sie schon mit ihren Ermittlungen faktisch vernichtet hatte, vor dem Prozessbeginn einzustellen - weil Edathy kein Geständnis ablegen wollte.
Sebastian Edathy, mag er schuldig oder unschuldig sein, ist der Beschuldigte und hat als dieser das Recht, den für sich besten Weg zu wählen. Das Gericht und vor allem die Staatsanwaltschaft aber haben mit einer vermauschelten Einstellung nach § 153a StPO die Möglichkeit vertan, wenigstens beim letzten Schritt in der Affäre Edathy etwas richtig zu machen. Für den Angeklagten. Für die Öffentlichkeit. Und für den Rechtsstaat.
Mit Materialien von dpa.
*Anm. d. Red.: a nachträglich eingefügt am 03.03.2015, 14:05 Uhr.