Im Sprachgebrauch der Juristen tendiert sie ebenso zur Phrase zu werden wie in der politischen und journalistischen Auseinandersetzung mit Fragen des Rechts: die Verschärfung. Eine kleine Sprachkritik am eigenartigen Jargon der Schärfe.
Am Anfang steht Verwunderung darüber, wie oft Politiker, Presseleute und juristische Praktiker das Wort von einer angeblich notwendigen Schärfe des Rechts im Munde führen.
Wenn in Deutschland beispielsweise die Kunden von Prostituierten zum Gebrauch von Kondomen verpflichtet werden, wird dies der Öffentlichkeit als "Verschärfung" der Schutzgesetze vermittelt.
Wird dem Justizpersonal verboten, Kleidungsstücke zu tragen, die einen Hinweis auf ihr religiöses Bekenntnis geben könnten, gilt dies als "Verschärfung des Neutralitätsgebots".
Die Forderung, die nachträgliche Sicherungsverwahrung wieder einzuführen, wird ebenso als "Verschärfung" vermittelt wie der offenbar nur noch durch neues Recht zu exekutierende Wunsch des rheinland-pfälzischen Gesetzgebers, zwischen Lehrern und Schülern (w/d/m) möge kein Geschlechtsverkehr vollzogen werden.
Beschließt der Bundesgesetzgeber eine aktienrechtliche Regelung zum Einkommen von Managern in dem Bemühen, sie der Öffentlichkeit als "Verschärfung" zu verkaufen, empört sich Heribert Prantl (1953–) von der Süddeutschen Zeitung zwar, dass die "angebliche Verschärfung des Aktiengesetzes … keine Verschärfung" sei. In der Wahl der Worte hatte dieser sonst so leicht erregbare Beobachter von Recht und Justiz seinen moralischen Seismographen hier jedoch nicht geeicht.
Ob es um das Waffen- oder das Tierschutzrecht geht, das Ausländer- oder das Sexualstrafrecht: Ganz gleich, ob Tatbestände ausgeweitet, Fristen für den Zugang zu rechtlichem Gehör verkürzt, gutbürgerliche Sexualhygiene bzw. -manieren eingefordert oder Menschen wegen ihres schlechten Charakters länger als bisher üblich eingesperrt werden sollen – stets wird die Änderung des Rechts in der Öffentlichkeit als "Verschärfung" verhandelt.
Manchmal, immerhin, grenzt der Jargon der Schärfe ans Komische. Karl-Josef Laumann (1952–), mehrfacher Gesundheits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen und in seiner Partei eher als "Herz-Jesu-Marxist" bekannt, drohte beispielsweise 2009 mit einer "Verschärfung des Krankenhausgestaltungsgesetzes" – in der Sache ging es um das eher harmlos anmutende Anliegen, Krankenhäusern zu verbieten, sich Patienten gegen Entgelt – in der Sprache des Ministers gegen "Fangprämien" – zuweisen zu lassen.
Selbst in rechtlichen Randgebieten geht also mitunter nichts mehr ohne Griff ins rhetorische Gewürzregal.
Schon das "Grimm'sche Wörterbuch" erkennt Beliebigkeit
Das Gesetz selbst spricht, soweit man jedenfalls dem Blick in altehrwürdige Regelungen glauben darf, eher selten die Sprache der Schärfe. §§ 12 Abs. 3, 46b Abs. 1 und 78 Abs. 4 Strafgesetzbuch (StGB) kennen "Schärfungen und Milderungen" mit Blick auf die Schwere eines Falls. Im Jahr 2002 hielt es der Bundesgesetzgeber auch für nötig, §§ 818, 819 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit Überschriften zu versehen, die klarstellen, dass eine "verschärfte Haftung" vorgeschrieben sei – ob dies nach 100 Jahren den Durchblick durchs Recht der ungerechtfertigten Bereicherung erleichterte, mag dahinstehen.
Wo gesetzliche Anhaltspunkte fehlen, um mit juristischer Dogmatik für einen eingegrenzten Bedeutungsgehalt von Fachbegriffen zu sorgen – der deutsche Strafrechtsgelehrte weiß zum Beispiel, was er mit "Schärfungen und Milderungen" meint –, ist dem Gerede Tür und Tor geöffnet.
Beliebigkeit hat bei der Schärfe durchaus Tradition. Das "Grimm'sche Wörterbuch" (Band 12, 1956) stellte beispielsweise mit Rückblick auf das historische Sprachmaterial fest, dass die Rede vom "Verschärfen" zum "reinen Abstraktum geworden" sei und ein "verstärken, gewichtiger machen" anzeige. Der sinnliche Aspekt von "etwas schärfer machen" war schon damals verblasst.
Wenn in Österreich das Strafgesetz zwischen 1852 und 1975 vorgab, den Häftling im Zusammenhang mit der Kerkerhaft zu quälen, in dem er an Fastentagen zu hungern hatte, ihm das Bettzeug wegzunehmen, er in Dunkelhaft zu halten war oder er die "Züchtigung mit Stock- oder Ruthenstreichen" über sich ergehen lassen musste, fielen alle diese sinnlichen Aspekte unter das vornehme Abstraktum der "Verschärfung".
Selten wird "Verschärfung" als liberale Forderung nach Trennschärfe verstanden
Es mag verständlich sein, wenn sich Politikerinnen und Politiker durch die Forderung, das Recht zu "verschärfen" – ganz egal, was das dann eigentlich heißen soll – ein wenig rhetorisches Heldentum in die Textbausteine ihrer Parlamentsreden und Presseerklärungen einfügen wollen. Ärgerlich ist daran nur, dass das Gerede von notwendigen Verschärfungen nicht selten nach spektakulären Einzelfällen hochkocht.
Leider zeichnet sich auch der richterliche Sprachgebrauch sehr selten dadurch aus, die Semantik der "Schärfe" vielleicht einmal in die Richtung klassischer liberaler Vorstellungen vom Recht zu rücken – die Beliebigkeit der Vokabel böte dazu ja hinreichende Freiräume.
Ohne dass sich dies an dieser Stelle statistisch erhärten ließe, fällt bei der Durchsicht von rund 100 Gerichtsentscheidungen aus den 1880er bis 2010er Jahren, die eine "Schärfe" oder "Verschärfung" thematisieren, auf, dass vielmehr ganz überwiegend der Gleichung gefolgt wird, wonach eine "Verschärfung" darin liegt, dem betroffenen Verfahrensbeteiligten eine Last aufzubürden – vom neuen Verbot, Fließgewässer zum Fischfang nur noch zur Hälfte absperren zu dürfen (Reichsgericht, Urt. v. 20.11.1908, Az. VII 559/07), über die Ausdifferenzierung zwischen einer zulässigen "Verschärfung" und der nach § 358 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) verbotenen Schlechterstellung (BGH, Urt. v. 08.06.1951, Az. 2 StR 183/51) bis hin zur Redewendung, wonach eine Haftverschonung nicht etwa gegen Auflagen zu erwägen ist, die eine Fluchtgefahr reduzieren, sondern natürlich gegen "verschärfte Auflagen" (Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 11.07.2012, Az. 2 BvR 1092/12).
Daran soll nun nicht etwa moniert werden, dass die richterliche Sprache an Klarheit verlöre, wenn die Rede auf das "Verschärfen" kommt. Ganz allgemein trübt der Begriff nicht den Blick auf das, was gemeint ist.
Bemerkenswert ist vielmehr, dass Gerichte offenbar nur sehr selten ausdrücklich von einer begrifflichen Schärfe sprechen, die dem rechtssuchenden Bürger durch semantische oder kategorische Klarheit Schutz vor der Staatsgewalt bieten könnte.
Eine offenbar seltene Ausnahme findet sich im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. März 1952 (Az. 5 StR 57/52) in der das Gericht in der Sache eines Angeklagten, der zehn Rinder illegal für den Schwarzmarkt geschlachtet hatte, dem nationalsozialistischen Gesetzgeber attestierte, dass § 1 Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939 schärfere Anforderungen an die Verurteilung von Schwarzschlachtungen stellte als § 1 Wirtschaftsstrafgesetz vom 26. Juli 1949 – ausgerechnet der NS-Gesetzgeber hatte nach Auffassung des BGH also zugunsten des Angeklagten den Tatbestand schärfer, weil voraussetzungsreicher formuliert.
Konsequenz vor allem für die rechtspolitische Rhetorik
Die nach Ansicht des BGH dem Angeklagten freundliche "Schärfe" der Formulierung bestand übrigens im Erfordernis, dass der NS-Gesetzgeber die Feststellung der "Böswilligkeit" des pönalisierten Handelns verlangt hatte, während der Nachkriegsgesetzgeber dieses Kriterium hatte entfallen lassen.
Wer von der Bereitschaft der Justiz im NS-Staat gelesen hat, einem Angeklagten ohne große Umstände eine strafbegründende gemeinschaftsfeindliche Gesinnung zu unterstellen, weiß, dass von der hier durch die Blume bekundeten Bürgerfreundlichkeit dieser "Schärfe" nicht viel zu halten ist.
Vielleicht ist es gut, dass nach 1949 die Auseinandersetzung um die Klarheit von Rechtsbegriffen, deren Anwendung den Bürger in seinen Interessen und Bedürfnissen verletzen könnte, eher als Frage zulässiger juristischer Auslegungskünste und gesetzlicher Bestimmtheitsanforderungen – nicht ihrer "Schärfe" – geführt wurde.
Ein wenig schade ist es gleichwohl, dass die Forderung nach einer "Verschärfung" des Rechts heute praktisch ausschließlich als Jargon der Unbarmherzigkeit im Kampf der Guten gegen das Böse, das stets von fremden Menschen bewirkt wird, formuliert werden kann.
Eine rechtspolitische Forderung nach einer "Verschärfung des Mordparagraphen" würde beispielsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur dahingehend verstanden werden, die Todesstrafe einzuführen oder die höchst- und verfassungsrichterlichen Restriktionen in der Auslegung der 1941 formulierten Mordmerkmale fallenzulassen – statt genau umgekehrt, die menschenfreundliche Entscheidungspraxis in § 211 StGB einzuarbeiten.
Dabei würde gerade der Wunsch nach "verschärften Vorschriften" dann einen Sinn ergeben, wenn er, als Verlangen nach Trennschärfe klaren, transparenten, die Rechtsprechung von Zeit zu Zeit aufgreifenden Regelungen gelten würde – nicht immer nur neuen Härten.
Rechtssprache: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38739 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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