Der Kölner Tatort war hart am Puls der Zeit, ziemlich politisch und sehr realistisch. Auch im wahren Leben wartet schließlich kein Beamter, bis der Anwalt da ist. Und nicht alle Ausländer sind doof, erklärt Alexander Stevens.
Brisanz: 5/5 Punkten
Realitäts-Faktor: 4,5/5 Punkten
Fortbildungscredits: 1 von 5 Punkten
Frage: "Was haben die Sexmobs aus der Silvesternacht 2015/16, das Verprügeln eines Polizisten und der designierte US-Präsident Donald Trump gemeinsam?"
Antwort: "Fett in der Presse."
Zugegeben, ein schlechter Herrenwitz als Lösung wäre irgendwie schöner gewesen, aber die Macher des Kölner Tatortes wollten eben am Sonntag zur besten Sendezeit mal wieder richtig zeigen, was in ihnen steckt. Und auch wenn das Eine mit dem Anderen nicht wirklich etwas zu tun hat, die "Wacht am Rhein" soll nicht nur mega-aktuell sein, sondern auch durch durch knallhart recherchierte Realitätsnähe bestechen.
Auch eine Bürgerwehr kann nicht verhindern, dass ein Zooladen nachts überfallen und ausgeraubt wird. Bei dem Überfall wird der Sohn des Inhabers erschossen, selbst Mitglied der namensgebenden Bürgerwehr "Wacht am Rhein". Der Plot bemüht sich, es dem Zuschauer und den Schubladen, in denen er denkt, nicht zu einfach zu machen.
2/4: 5 Tricks, die jeden Verdächtigen zum Reden bringen
Wer schon immer einmal wissen wollte, warum sich ausgerechnet in Sachen Mord so viele Tatverdächtige um Kopf und Kragen reden und meistens genau deshalb überführt werden, anstatt bei ihren polizeilichen Vernehmungen einfach mal die Klappe zu halten, der weiß jetzt warum: Es sind die gewieften Vernehmungstricks der Kommissare, und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) nebst Kollege Freddy Schenk (Dietmar Bär) zeigen ihnen wie es geht.
Trick 1: Den Tatverdächtigen grundsätzlich nicht über sein Recht belehren, dass es ihm nach dem Gesetz freisteht, sich zu äußern und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung (!), einen Verteidiger zu konsultieren.
Gut, das ist ein alter Hut, passiert in keiner einzigen Tatort-Folge und im echten Polizeialltag ebenso wenig, also weiter ...
Trick 2: Sollte der Verdächtige wider Erwarten doch seine Rechte kennen und einen Anwalt verlangen, wirkt folgender Satz wahre Wunder: "Wozu einen Anwalt, wir haben doch nur ein paar Fragen".
Trick 3: Einen vermeintlichen Mitwisser aus dem Bekanntenkreis des Täters zeitgleich vorladen, so dass sich beide kurz vor ihrer polizeilichen Vernehmung sehen: Dann Pokerface aufsetzen, die Hände langsam über dem Schreibtisch falten und in konspirativem Ton folgenden Satz zum Tatverdächtigen sagen: "Wer zuerst redet, der gewinnt".
Trick 4: Sollte der Anwalt nicht binnen weniger Minuten zur Stelle sein (was realistischerweise natürlich nie passiert, auch Anwälte haben so etwas wie Anfahrtswege), zerbricht jeder Verdächtige spätestens bei diesem, von Hauptkommissar Max Ballauf mit rauer Reibeisenstimme zitierten Satz: "Ich frage mich, wo Dein Anwalt bleibt! Wenn er noch ein, zwei Stunden braucht, ist aus die Maus, dann haben wir Dich an Deinen kleinen Eiern".
Leider wurde Trick 5 von den Tatort-Machern übersehen, daher auch nur 4,5 von 5 Realitätspunkten:
"Wenn Du eh nichts zu verbergen hast, dann kannst Du auch mit uns reden". Dieser Satz findet in der Praxis übrigens tatsächlich immer dann bei den polizeilichen Vernehmungen Anwendung, wenn ein Verdächtiger sich doch lieber auf sein gesetzliches Schweigerecht berufen möchte. Polizisten sprechen in diesem Fall auch ganz gern von "positiver Belehrung".
3/4: Yes, endlich mal Notwehrprovokation
Auch die Macher des Kölner Tatorts scheinen heimlich Erstsemester-Vorlesungen im Strafrecht besucht zu haben, denn der Fall erinnert stark an die schikanösen Aufgaben zu den nur spärlich kodifizierten Tatbestandsvoraussetzungen des §§ 32 ff Strafgesetzbuch (StGB) und ihren gefühlt tausend Ausnahmen.
Ein Ladenbesitzer und selbsterklärter Fremdenfeind streut in seinem von Ausländern stark frequentierten Einzugsbereich das Gerücht, dass er viel Bargeld habe, um von eben einem dieser Ausländer ausgeraubt zu werden und diesen dann - in Notwehr - erschießen zu "dürfen".
Natürlich decken die Kölner Tatortkommissare, die in dieser Episode Döner statt Pommes verspeisen, dieses perfide Komplott auf und überführen den Ladenbesitzer, der allerdings nicht den bösen Ausländer erschießt, sondern seinen eigenen Sohn, der ihm zur Hilfe eilen will. Die gleichfalls im ersten Semester gelehrte error in persona wird also auch noch in den Fall mit eingebaut – nur das mit dem Mord ist halt so 'ne Sache.
Selbst wenn es der Ladenbesitzer darauf anlegt, endlich einmal ausgeraubt zu werden, um den Räuber dann in Notwehr erschießen zu können (=Notwehrprovokation), setzt sein perfider Plan nicht gleich sämtliche Notwehrrechte außer Kraft, sodass man ihn mangels Notwehr wegen Mordes verurteilen könnte.
Wollte man eine der – natürlich vorhandenen - anderen Theorien vertreten, dürfte jeder Räuber, der sich zu seiner Tat herausgefordert fühlt, seinerseits Notwehr gegen sein sich wehrendes Opfer üben. Oder anders gesagt: Wenn Sie als Ladenbesitzer in den Lauf der Pistole eines Räubers blicken, wäre es Mord am Räuber, wenn Sie und nicht er zuerst schießt, obwohl das Ausrauben von Läden jetzt auch nicht so ganz ok ist? Wohl kaum. Denn auch bei provokantem Vorverhalten kann keine Duldungspflicht dergestalt bestehen, Angriffe, die die körperliche Integrität erheblich und unvorhergesehen verletzen (der Ladenbesitzer wird mit einer Pistole bedroht), hinzunehmen.
Ergo kann – der Ladenbesitzer nicht wegen Mordes an dem (vermeintlichen) Räuber verurteilt werden. Aber vermutlich haben es die Tatort-Macher dem Großteil der Studierenden gleich getan und sind bereits nach dem ersten Drittel der Strafrechtsvorlesung lieber in die Cafeteria gegangen - ego te absolvo.
4/4: Was uns diese Folge sagen will
Nicht alle Ausländer sind doof. Es ist wie mit den Deutschen, auch da gibt es ein paar wenige schwarze Schafe.
Als Antwort auf die Sexmobs gibt's jetzt privatorganisierte Bürgerwehren, die aber nicht so gut sind wie die echte Polizei.
Selbstjustiz ist falsch, weil es den Falschen trifft.
Donald Trump wurde zum 45. US-Präsident gewählt.
Döner schmeckt gut, saut aber Autos ein.
Persönliches Resümee: Gute Story, viel Nervenkitzel und hoch aktuell.
Der Autor Dr. Alexander Stevens ist Rechtsanwalt in München und Dozent für Strafrecht an der Ludwig Maximilians Universität München sowie der Universität Regensburg. Im März erscheint sein Kabarett-Programm "Garantiert nicht strafbar" (auch als Buch im Knaur Verlag).
Dr. Alexander Stevens, Der Tatort-Check: Wacht am Rhein: Realistischer geht's nicht . In: Legal Tribune Online, 16.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21774/ (abgerufen am: 04.12.2023 )
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