Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht? Wie man einen Satz von Deutsch auf Legalesisch übersetzt und seinen Umfang verdoppelt, ohne einen Funken Inhalt hinzuzufügen, erklärt Roland Schimmel in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung.
1/7: Was drin steht
Angenommen, es gelte für einen Lernbeitrag in einer juristischen Ausbildungszeitschrift einen kurzen Einführungstext zu schreiben. Er sollte das Thema und die Herangehensweise des Artikels darstellen. Der Satz könnte also etwa lauten:
Der Beitrag gibt mit einem kommentierten Prüfungsschema einen Überblick über die Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO.
Das ist ein Hauptsatz mit16 Wörtern, genauer: 121 Anschlägen einschließlich Leerzeichen und Satzzeichen. Aus die Maus. Die Doppelung von "Überblick über" ist vielleicht nicht so recht elegant – aber wir sind ja nicht bei einem Schönheitswettbewerb. Selbst die Substantivquote ist mit vier von 16 Wörtern noch passabel, auch wenn sich mit "Prüfungsschema" und "Vollstreckungsabwehrklage" gleich zwei Komposita hinein mogeln.
2/7: Da ist mehr drin: mehr Komposita, mehr Adjektive und mindestens eine Abkürzung
Will man nun diesen Text ein wenig verbessern, um ihn auch für juristische Kollegen gut lesbar zu machen, könnte man zunächst genau bei den Komposita ansetzen:
Der Beitrag gibt mit einem kommentierten Prüfungsschema einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO.
Das ist schon ehrgeiziger im didaktischen Anspruch. Dann muss das blasse "gibt" ein wenig aufgepumpt werden:
Der Beitrag ermöglicht mit einem kommentierten Prüfungsschema einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO.
So ist es aber noch ein wenig zu simpel. Also Adjektive ergänzen. Auch wenn sie vielleicht nicht so recht passen oder überflüssig sind. Oder beides:
Der hiesige Beitrag ermöglicht mit einem kommentierten Prüfungsschema einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage des § 767 ZPO.
Damit es etwas juristischer klingt, sollte mindestens eine Abkürzung darin vorkommen (außer "ZPO", aber die ist wohl wirklich unvermeidlich).
Der hiesige Beitrag ermöglicht mit einem kommentierten Prüfungsschema einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO.
3/7: Ein bisschen relativieren, ein bisschen gendern, ein bisschen abstrahieren
Dann kann man ein wenig relativieren (denn es gibt sicher nicht nur ein mögliches Prüfungsschema):
Der hiesige Beitrag ermöglicht mit einer Art kommentiertem Prüfungsschema einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO.
Außerdem sollten die Adressaten benannt, angesprochen und damit aktiviert und für die Lektüre interessiert werden, natürlich gendersensibel:
Der hiesige Beitrag ermöglicht es den Studierenden, mit einer Art kommentiertem Prüfungsschema einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu bekommen.
Die Verfasser des Beitrags sollten sprachlich hinter den Beitrag selbst zurücktreten, bescheidenheitshalber. Also muss der Beitrag eine aktivere Rolle spielen, auch wenn das die Vorstellungskraft des Lesers ein wenig anzustrengen droht:
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden mit einer Art kommentiertem Prüfungsschema einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu ermöglichen.
4/7: Pädagogisch hochwertig: den studentischen Leser in die Verantwortung nehmen
Ob das ganze Vorhaben gelingt, ist einigermaßen unsicher. Also sollte die Verantwortung nicht bei den Verfassern, sondern besser beim Beitrag liegen, am besten aber bei den studentischen Lesern.
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden eine Art kommentiertes Prüfungsschema an die Hand zu geben, um ihnen einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu ermöglichen.
Nun sind es schon ein Hauptsatz und zwei Nebensätze, die durch Kommata abgetrennt werden müssen. Das Konstrukt hat aber erst 33 Wörter, also gerade einmal doppelt so viele wie am Anfang. Da geht noch was. Man könnte die Studenten noch mehr zu Handelnden und damit Lernerfolgsverantwortlichen erklären. Das hat schließlich einen guten pädagogischen Sinn:
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden eine Art kommentiertes Prüfungsschema an die Hand zu geben, um ihnen zu ermöglichen, einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu bekommen.
5/7: "So" geht auch in mehr Worten
Jetzt noch ein bisschen salzen:
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden eine Art kommentiertes Prüfungsschema an die Hand zu geben, um ihnen so zu ermöglichen, einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu bekommen.
Naja, "so" ist recht kurz. Kann man das wortreicher sagen? Bestimmt:
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden eine Art kommentiertes Prüfungsschema an die Hand zu geben, um ihnen auf diese Art zu ermöglichen, einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu bekommen.
Aber wer "auf diese Art" sagt, sagt auch "nach dem Zweck der Vorschrift". Wie platt! "Sinn und Zweck" verlangen nach "Art und Weise".
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden eine Art kommentiertes Prüfungsschema an die Hand zu geben, um ihnen auf diese Art und Weise zu ermöglichen, einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu bekommen.
6/7: Dopplungen gehen immer
Wenn nun aber "Art" doppelt vorkommt, sollte auch "diese" doppelt vorkommen. Geht das? Das geht:
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden eine Art kommentiertes Prüfungsschema an die Hand zu geben, um diesen auf diese Art und Weise zu ermöglichen, einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu bekommen.
Ein Hauptsatz, drei Nebensätze, also auch drei Kommata.
Vielleicht ließe sich am Satzbau noch etwas verbessern?
Der hiesige Beitrag hat sich zur Aufgabe gemacht, den Studierenden eine Art kommentiertes Prüfungsschema an die Hand zu geben, um auf diese Art und Weise diesen zu ermöglichen, einen Gesamtüberblick über die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zu bekommen.
Jetzt sind es 39 Wörter mit 261 Anschlägen. Also haben wir mühelos den Umfang mehr als verdoppelt.
7/7: Gefunden in …?
So langsam ist das Projekt auf einem guten Weg. Es liest sich jetzt schon ziemlich juristisch-professionell. Und durch den wiederholten Einsatz der beschriebenen Techniken lässt sich gewiss eine neuerliche Verdoppelung des Umfangs bei gleichbleibender Aussage erreichen.
Klar, das war jetzt nur ein einziger Satz. Überträgt man aber die Überlegung auf Lehrbücher, Skripten, Kommentare, Handbücher, Habilitationsschriften, Schriftsätze, Urteilsgründe, Verordnungen und ähnliche Texte, so … ach, weißt Du was, Leser? Denk Dir einfach selbst Deinen Teil.
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main. Frankfurt am Main
P.S.: Wer sich fragt, ob die erste oder die letzte Fassung des Satzes die echte ist, findet Antwort bei Zott/Singbartl, JA 2017, 262.
Roland Schimmel, Juristendeutsch: Subjekt, Prädikat, Objekt? Da ist mehr drin . In: Legal Tribune Online, 18.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22413/ (abgerufen am: 07.12.2023 )
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