Das SG Gotha hält Hartz-IV-Sanktionen für verfassungswidrig und veranlasst konkrete Normenkontrolle. Außerdem in der Presseschau: BVerwG erschwert Einbürgerung, Plädoyer im Sal. Oppenheim-Prozess und Korruption um Flughafen BER.
Thema des Tages
SG Gotha zu Hartz-IV-Sanktionen: Das Sozialgericht Gotha hält es für verfassungswidrig, die Leistungen von Hartz-IV-Empfängern zu kürzen, wenn sie Pflichten verletzen, und wandte sich mit einer konkreten Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht. Entsprechende Sanktionsmaßnahmen verstießen gegen die Menschenwürde sowie gegen das Sozialstaatsprinzip, argumentierte das Gericht. Im vorliegenden Fall hatte das Jobcenter einem Mann das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent gekürzt, nachdem er ein Arbeitsangebot abgelehnt hatte. Seine Leistungen wurden später um weitere 30 Prozent gemindert, weil er eine Probetätigkeit bei einem Arbeitgeber abgelehnt hatte – dagegen klagte er vor dem SG Gotha. Das Gericht gebe an, es sei das erste, das sich mit dieser Frage an das BVerfG wende, berichtet die SZ.
Heribert Prantl (SZ) hält die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger für "bedenklich". "Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum kann einem nicht partiell entzogen werden." "Mit diesen Sanktionen wurde ein strafrechtlicher Gedanke systemfremd ins Sozialrecht hineingepresst." Es sei daher gut, dass das Sozialgericht Gotha dem Bundesverfassungsgericht das "Sanktionsregime" zur Prüfung vorgelegt habe.
Rechtspolitik
Gleichgeschlechtliche Ehe: Die SZ (Constanze von Bullion) sammelt verschiedene Stimmen aus Politik und Medien zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare. So betonte der Union-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) gegenüber der FAZ, die Ehe im Sinne des Grundgesetzes meine ausschließlich eine Verbindung zwischen Mann und Frau. Seine stellvertretende Fraktionsvorsitzende Nadine Schön (CDU) hingegen plädierte gegenüber dem Focus dafür, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen und diese Frage auf dem nächsten Parteitag zu erörtern.
Constanze von Bullion (SZ) moniert, die Nicht-Gleichstellung, also Diskriminierung, gleichgeschlechtlicher Paare sei "verfassungsrechtlich" "nicht gedeckt". Sie führt zudem drei Argumente für ein Adoptionsrecht homosexueller Paare an. Von Bullion unterstreicht, es gehe den Kritikern der Gleichstellung nicht um "Kindeswohl", sondern um "Bilder im Kopf". "Blöde Gefühle gegenüber Schwulen und Lesben" seien erlaubt – dürften allerdings keinen Schutz durch das Gesetz beanspruchen.
Vorratsdatenspeicherung: Die Bundestagsfraktion der Grünen hat angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu klagen, sobald es in Kraft sei. Die Regelungen genügten "absehbar" nicht den Vorgaben von BVerfG und Europäischem Gerichtshof und seien unverhältnismäßig. So sei beispielsweise keine Ausnahme von der Speicherpflicht für Berufsgeheimnisträger vorgesehen. Ebenso argumentiert die SPD-Basis in mehreren Anträgen an den SPD-Parteikonvent. Die FAZ (Johannes Leithäuser/Majid Sattar) gibt die Argumentation wieder.
Patrick Breyer aus dem "AK Vorratsdatenspeicherung" erläutert im Interview mit taz.de (Christian Rath), weshalb er davon ausgeht, dass das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand haben werde. Der Arbeitskreis vertritt die Ansicht, es gebe keine rechtmäßige Vorratsdatenspeicherung. Um deren Wiedereinführung zu verhindern, setze er zunächst auf politischen Widerstand und auf die SPD-Basis. Sollte das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung dennoch in Kraft treten, sei eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht geplant.
Justiz
BVerfG zu Altersbeschränkung: Das Bundesverfassungsgericht hat die nordrhein-westfälische Altershöchstgrenze für die Einstellung von Beamten gekippt. Die Regelungen seien zu unbestimmt und entsprächen daher nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen. Grundsätzlich sei eine Altersvorgabe jedoch zulässig, so die Karlsruher Richter. Zwei Lehrer hatten Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil sie wegen ihres Alters von 40 Jahren nicht in das Beamtenverhältnis übernommen wurden. Dies melden FAZ und SZ.
Reinhard Müller (FAZ) befürwortet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Er meint, im öffentlichen Dienst sollte es nach Eignung und fachlicher Leistung gehen. Der Gesetzgeber müsse "in der Lage sein, gute Leute für den Staatsdienst zu gewinnen". "Je flexibler der Staat sich hier zeigt, desto besser für alle."
BVerwG zu Einbürgerung: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass Ausländer nur dann eingebürgert werden können, wenn sie fähig sind auch den Lebensunterhalt der noch im Ausland befindlichen Angehörigen zu sichern. Im vorliegenden Fall hatte die zuständige Einbürgerungsbehörde einem staatenlosen Palästinenser die deutsche Staatsbürgerschaft mit der Begründung verweigert, er sei nicht in der Lage seine (noch in Jordanien lebende) Familie zu unterhalten, wenn diese nachziehe. Solide wirtschaftliche Verhältnisse seien erforderlich, um dem künftigen Bezug von Sozialleistungen vorzubeugen, so das Gericht. Dies melden die SZ und zeit.de.
EuGH - mangelhafte Flughafen-Kontrollen: Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleitet. Deutschland prüfe die Sicherheitskontrollen an Flughäfen nicht angemessen und halte sich somit nicht an die entsprechenden EU-Vorgaben. Bereits im Jahr 2012 habe die EU-Kommission entsprechende Mängel festgestellt. spiegel.de (Alexander Demling) und die SZ (Alexander Mühlauer) verweisen auf das anstehende Verfahren.
LG Köln – Sal. Oppenheim: Im Sal. Oppenheim-Prozess forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer Freiheitsstrafen ohne Bewährung für die vier angeklagten Ex-Gesellschafter der Bank. Sie hätten sich der "gemeinschaftlich begangenen Untreue in besonders schwerem Fall" strafbar gemacht. Die Anklage argumentierte, die damalige Unternehmensführung habe ihre Vermögensbetreuungspflichten im Umgang mit dem Arcandor-Konzern verletzt. Das Urteil werde im Juni erwartet, das Plädoyer der Verteidigung folge am nächsten Verhandlungstag. Die Welt (Michael Gassmann) und das Handelsblatt (Volker Votsmeier) zeichnen den Fall nach.
StA Hamburg zu ehemaligem SS-Mitglied: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat das Ermittlungsverfahren gegen das ehemalige SS-Mitglied Gerhard S. wegen Tötung mehrerer Hundert Zivilisten eingestellt, meldet zeit.de. S. sei wegen seiner fortgeschrittenen Demenz nicht verhandlungsfähig. Läge dieses Verfahrenshindernis nicht vor, wäre S. "mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen grausamen und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes in 342 Fällen anzuklagen", so die Mitteilung der Staatsanwaltschaft.
StA Neuruppin – Korruption um Flughafen BER: Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt wegen Korruption im Rahmen des Bauprojekts Flughafen BER gegen vier Manager des Unternehmens Imtech sowie gegen einen Bereichsleiter des Flughafens. Dieser soll von Imtech bestochen worden sein und daraufhin Rechnungen in Höhe von 65 Millionen Euro ungeprüft durchgewunken haben, so das Handelsblatt (Massimo Bognanni/Sören Iwersen – Zusammenfassung handelsblatt.com). Er befinde sich bereits in Untersuchungshaft. Der ehemalige Deutschlandchef des Konzerns habe bereits zugegeben, diese Schmiergeldzahlungen genehmigt zu haben.
Porträt Sabine Grobecker: Die Persönlichkeit der Woche im Handelsblatt (Volker Votsmeier) ist Sabine Grobecker, die Richterin im Sal. Oppenheim-Prozess. Sie sei eine karriereorientierte, "ausgezeichnete Juristin" mit besonderem Bezug zum Wirtschaftsrecht und schrecke "auch vor schwierigen Aufgaben nicht zurück". Grobecker gelte zudem als "aufmerksame Zuhörerin". Die Vorsitzende der Kölner Wirtschaftsstrafkammer wolle "alles im Detail verstehen" – begrüße allerdings auch, wenn "die Dinge schnell auf den Punkt" gebracht werden. Von der Verteidigern im Fall Sal. Oppenheim erhielt sie überwiegend Lob und nur "leise Kritik".
Recht in der Welt
Frankreich – Barbetreiber tötete fahrlässig: Das Strafgericht im französischen Clermont-Ferrand verurteilte einen Barbetreiber wegen dem Tod eines Gastes zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe. Ihm wird "fahrlässige Tötung durch eine bewusste Verletzung der Sicherheits- und Vorsichtspflichten" vorgeworfen. Der betroffene Gast starb, nachdem der Verurteilte ihm 56 Schnäpse ausgeschenkt hatte, meldet spiegel.de. Das Gericht verhängte zudem ein einjähriges Berufsverbot.
USA – Todesstrafe: FAZ (Andreas Ross) und SZ informieren jetzt auch darüber, dass der US-Bundesstaat Nebraska die Todesstrafe abgeschafft hat. Nebraska sei damit der siebte Staat in den USA, der sich seit 2007 von der Todesstrafe abgewendet hat. Das Handelsblatt (Moritz Koch) schildert zudem den Fall Clayton Lockett, dessen Exekution zu einem "Foltertod" geworden sei und somit den Prozess zur Abschaffung der Todesstrafe ins Rollen gebracht hatte.
Sonstiges
Private Sicherheitsdienste: Der wissenschaftliche Assistent Christian Ernst erfasst auf juwiss.de zwei strukturelle Ursachen, welche Fehlverhalten von durch den Staat beauftragten privaten Sicherheitsdiensten begünstigten. Er erläutert, dass sich die Grundrechtsbindung der staatlichen Auftraggeber auch auf den Handlungsmaßstab der beauftragten Privaten auswirke. Eine "Flucht ins Privatrecht" sei nicht zulässig. Zudem moniert Ernst, bei der Ausbildung privater Sicherheitsdienste handele es sich um "eine recht übersichtliche".
Das Letzte zum Schluss
Urteil in Reimform: "Wie man es auch dreht und windet, die Klage, sie ist nicht begründet." So beginnt eine witzige Urteilsbegründung in Reimform aus dem Jahr 1996, zu lesen auf justillon.de (Andreas Stephan). Der Fall dreht sich um eine entlaufene Kuh. Die Geschichte, wie sie wieder eingefangen wird, und eine damit zusammenhängende Haftungsfrage schildert der dichtende Richter mit einem sehr verständnisvollen Blick auf das Befinden der armen Kuh. Die Gute wollte ja nur "wiederkäuend sich vergnügend, sonntäglichen Frieden liebend" am Wegesrand verweilen.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. Mai 2015: Verfassungswidrige Hartz-IV-Sanktionen – BVerwG erschwert Einbürgerung – Plädoyer im Fall Sal. Ophttps://www.lto.de/persistent/a_id/15683/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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