Andrea Nahles (SPD) will Sozialleistungen für EU-Bürger einschränken. Außerdem in der Presseschau: Reform des Sexualstrafrechts, Abschaffung von § 103 StGB und warum der Staat Polizisten kein Viagra zahlen muss.
Thema des Tages
Sozialleistungen EU-Bürger: Bundesarbeitsministerium Andrea Nahles (SPD) plant eine Einschränkung von Sozialleistungen für EU-Bürger. Die Ministerin hat einen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gegeben, wonach arbeitsuchende Unionsbürger, die in Deutschland noch nicht erwerbstätig waren, erst nach fünf Jahren Aufenthalt einen Anspruch auf Sozialleistungen erlangen sollen. Unter anderem die SZ (Thomas Öchsner/Robert Rossmann), die taz (Christian Rath), die Welt (Stefan von Borstel/Marcel Leubecher), das Hbl (Frank Specht) und zeit.de (Julia Gundlach u.a.) erläutern das Reformvorhaben.
Hintergrund der geplanten Änderung sind mehrere Urteile des Bundessozialgerichts vom vergangenen Herbst. Das Gericht hatte entschieden, dass Unionsbürger zwar kein ALG II beziehen können, wenn sie in Deutschland noch nicht gearbeitet haben. Ihnen steht aber ein Anspruch auf Sozialhilfe zu, wenn sich ihr Aufenthalt in Deutschland verfestigt hat. Dies sei in der Regel nach sechs Monaten der Fall. Hier setzt nun der Gesetzentwurf an und bestimmt, dass die Verfestigung erst nach fünf Jahren Aufenthalt eintreten soll.
Joachim Jahn (FAZ) hofft, dass das Gesetz von obersten Gerichten nicht für menschenrechtswidrig erklärt wird. Daniel Bax (taz) sieht in dem Vorstoß einen allgemeinen Trend, das Freizügigkeitsrecht zu beschneiden. Jasper von Altenbockum (FAZ) meint dagegen, die Reform untermauere den Sinn der Freizügigkeit, weil sie Fehlanreize beseitigt.
Rechtspolitik
Sexualstrafrecht: Zahlreiche Bundestagsabgeordnete haben den Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) zur Reform der Sexualdelikte als nicht weitgehend genug kritisiert. Zu bemängeln sei, dass weiterhin nicht der Wille des Opfers, sondern die Ausnutzung äußerer Umstände maßgeblich sei. Maas habe sich für weitere Strafverschärfungen offen gezeigt. Die einzelnen Reaktionen fassen unter anderem die SZ (Constanze von Bullion), die taz (Simone Schmollack) und der Tsp (Jost Müller-Neuhof) zusammen.
Constanze von Bullion (SZ) findet die Kritik richtig: "Nein heißt Nein – das ist kein platter Spruch, sondern sollte selbstverständlich sein. Jede sexuelle Handlung ohne Einvernehmen gehört bestraft."
Majestätsbeleidigung: Das Bundesjustizministerium hat nun den angekündigten Gesetzentwurf zur Streichung des § 103 StGB vorgelegt, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Der Ehrenschutz ausländischer Repräsentanten werde durch die einfachen Beleidigungsdelikte gewährleistet, sodass es der erhöhten Strafandrohung nicht bedürfe. Ferner soll die Strafverfolgungsermächtigung bei Delikten wie "Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten" oder Angriffen gegen deren Organe und Vertreter abgeschafft werden.
Christian Bommarius (BerlZ) begrüßt die geplante Abschaffung: "der deutsche Staat ist nicht für die Ansichten seiner Bürger verantwortlich, auch nicht für die Wortwahl beim Äußern dieser Ansichten."
Deutscher Richterbund: Die FAZ (Reinhard Müller) spricht sowohl mit dem scheidenden Verbandsvertreter des Deutschen Richterbundes Christoph Frank, als auch mit dessen Nachfolger Jens Gnisa. Während Frank sich für die Selbstverwaltung der Justiz stark gemacht habe, wolle Gnisa "Probleme der Praxis etwa mit den Prozessordnungen zur Sprachen bringen".
Bild- und Tonaufnahmen im Gerichtssaal: Nun stellt auch die SZ (Robert Rossmann) den Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) zur Übertragung von Bild- und Tonaufnahmen aus Gerichtssälen vor. Neben der bereits vorgenommenen Einschränkung auf die fünf Bundesgerichte, soll die Übertragung nur noch mit Zustimmung des Vorsitzenden Richters möglich sein.
Bauvertragsrecht: Rechtsanwalt Oliver Kerpen erklärt auf lto.de die Änderungsvorschläge des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bauvertragsrecht und der kaufrechtlicher Mängelhaftung, die reformiert werden sollen. Im Bauvertragsrecht soll auf Vorschlag des Bundesrats das Anordnungsrecht des Bauherrn abgeändert werden. Daneben empfiehlt er die Stärkung von Verbraucherrechten sowie eine Modifikation der Kündigungsfolgen im allgemeinen Werkvertragsrecht.
Justiz
BVerwG – Dublin-III-VO: Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser erläutert auf lto.de zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Dublin-III-Verordnung. Im ersten Fall hat das Gericht entschieden, dass die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Asylanträgen auf Deutschland übergeht, wenn die sechsmonatige Überstellungsfrist abgelaufen ist und der ursprünglich zuständige Mitgliedsstaat die Aufnahme verweigert. Im zweiten Fall hat das BVerwG dem EuGH die Frage vorgelegt, welche Folge die unerlaubte Wiedereinreise kurz nach einer Überstellung hat.
OLG Köln – Kachelmann: Am gestrigen Donnerstag hat der Berufungsprozess von Jörg Kachelmann gegen den Axel-Springer-Verlag vor dem Oberlandesgericht Köln begonnen. Der Wettermoderator hatte den Verlag wegen der Bild-Berichterstattung zum Vergewaltigungsprozess auf Zahlung von Schmerzensgeld verklagt und von der Vorinstanz eine Rekordsumme von 635.000 Euro zugesprochen bekommen. Die Vorsitzende Richterin hat nun angedeutet, dass er sich auf eine geringere Summe einstellen muss, schildert die SZ (Wolfgang Janisch).
OLG München – NSU: Im NSU-Prozess hat der neue Wahlverteidiger der Hauptangeklagten Zschäpe, Hermann Borchert, einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt. Er benötige zwei Jahre, um die Originalakten bei Gericht einzusehen. Es handele sich wohl um ein erneutes Störmanöver, stellt spiegel.de (Björn Hengst) dar.
LG Neuruppin – Mordfall: Die SZ (Thorsten Schmitz) berichtet vom zweiten Verhandlungstag im Mordprozess gegen die Angeklagte Erna F., der vorgeworfen wird, ihren Sohn vor 41 Jahren mit Gas getötet haben soll. Vernommen wurden die Tochter der Angeklagten sowie der diensthabende Arzt, der den Tod des Kindes festgestellt hatte.
Recht in der Welt
Italien – Costa Concordia: In Florenz hat der Berufungsprozess gegen den Kapitän der gekenterten Costa Concordia begonnen. Beim Unglück starben 32 Menschen, darunter auch Deutsche. Die Vorinstanz hatte Francesco Schettino zu 16 Jahren und einem Monat Haft wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, stellt die FAZ (Jörg Bremer) dar.
Türkei – Mord an Sürücü: In Istanbul findet ein Prozess gegen zwei Brüder der 2005 in Berlin ermordeten Hatun Sürücü statt. Ihnen wird vorgeworfen, ihren jüngsten Bruder zum Mord an der Schwester angestiftet zu haben, weil sie zu freizügig gelebt hat. Das Verfahren soll erst im Oktober mit der Vernehmung einer belastenden Zeugin fortgesetzt werden, berichtet die SZ (Mike Szymanski).
Sonstiges
Völkerstrafrecht: Wolfgang Kaleck kommentiert auf zeit.de die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages zum Völkerstrafgesetzbuch. Die Geltung des Weltrechtsprinzips werde von den Experten mittlerweile nicht mehr in Frage gestellt, auch gebe es nun spezialisierte Staatsanwälte und Kriminalbeamte. Wünschenswert wären darüber hinaus Verfahren gegen mächtige Staaten und transnationale Unternehmen.
Steuerrecht: Rechtsprofessor Paul Kirchhof befasst sich in einem Gastbeitrag im Hbl mit den Grundprinzipien des Steuerrechts und stellt Strategien vor, wie Steuervermeidungsmodelle auf internationaler Ebene bekämpft werden können.
Das Letzte zum Schluss
Kein Viagra vom Dienstherrn: Ein Kriminalhauptkommissar aus Nordrhein-Westfalen wollte vom Land die Kosten für seine Potenzmittel erstattet bekommen und klagte bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hat nun entschieden, dass Medikamente zur Behandlung von Errektionsstörungen nicht zu den "Aufwendungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Polizeidienstfähigkeit" gehören, berichtet die Welt (Sven Eichstädt). Soweit reiche die Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. April 2016: Sozialleistungen für EU-Bürger/ BVerwG zu Dublin III/ Kachelmann gegen Bild . In: Legal Tribune Online, 29.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19252/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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