Nach den Silvesterübergriffen in Köln fordern CDU, CSU und SPD nun Gesetzesverschärfungen. Außerdem in der Presseschau: "Nein heißt nein", Cannabis zu Therapiezwecken, Dossier zu NPD-Verbot und Polens Rechtsstaatsprüfung vorerst auf Eis.
Thema des Tages
Reformforderungen nach Silvesterübergriffen: Am heutigen Montag wird die Koalition wohl über Gesetzesverschärfungen als Reaktion auf die Kölner Silvesternacht sprechen – am kommenden Mittwoch werde sich der Bundestag mit dem Thema auseinandersetzen, schreiben das Hbl (Donata Riedel/Anja Stehle) und die Montags-taz (Pascal Beucker). Am vergangenen Wochenende wurden verschiedene Reformforderungen laut. So sollten unter anderem öffentliche Plätze mehr überwacht, die Schleierfahndung häufiger eingesetzt, die Möglichkeiten zur Abschiebung straffälliger Ausländer verschärft und die Polizei personell gestärkt werden. Dabei kommt eine Vielzahl der Forderungen von Seiten der CDU, die SPD sei allerdings ebenso bereit Gesetze zu verschärfen. Wie die FAS (Peter Carstens/Thomas Gutschker) berichtet, kritisierten die Grünen solche "Schnellschüsse" schürten weitere Ressentiments und seien unaufrichtig. Unter anderem Montags-SZ (Kim Björn Becker), Samstags-SZ (Michael Bauchmüller/Nico Fried), Samstags-taz (Daniel Bax) und der Tsp (Jost Müller-Neuhof) informieren über die Forderungen aus SPD und CDU. Ein separater Beitrag in der Samstags-SZ (Daniela Kuhr – eingeschobener Beitrag) fasst die Beschlüsse der CSU zusammen.
"Der nach Exzessen wie in Köln übliche Überbietungswettbewerb – wessen Ruf nach der Härte des Rechtsstaats der lauteste und wessen Härte des Rechtsstaats die härteste sei – ist ebenso peinlich wie er hoffentlich folgenlos bleiben wird", konstatiert Christian Bommarius (BerlZ). Heribert Prantl (Montags-SZ) hinterfragt kritisch den zunehmenden offenen Rassismus nach der Silvesternacht und die Forderungen nach einer "neuen, rigorosen deutschen Flüchtlingspolitik". Er betont, "besoffene Machos" dürften nicht die Macht haben, die Genfer Konvention auszuhebeln. Es bräuchte keinen "gesetzgeberischen Aufstand", es hapere vielmehr an der Umsetzung des geltenden Rechts. Auch Reinhard Müller (Montags-FAZ) vertritt diese Ansicht. Sven Afhüppe (Hbl) hingegen begrüßt die Reformbestrebungen der Union. Er hält die Warnungen vor Schnellschüssen aus der Opposition für "lebensfremd". Neben der Behebung von Schwachstellen des Asylrechts müsse der Staat allerdings das bestehende Recht "ohne Rücksicht auf den kulturellen Hintergrund" anwenden.
Die Samstags-Welt (Thorsten Mumme/Freia Peters) setzt sich damit auseinander, inwieweit die Reformforderungen aus der Politik umsetzbar sind. Unter anderem zeit.de (Katharina Schuler) stellt dar, wie das derzeitige Recht auf kriminelle Ausländer reagieren kann und wägt ebenso ab, inwiefern die geplanten Reformen der CDU rechtlich machbar sind.
Rechtspolitik
Verschärfung des Sexualstrafrechts: Ein klares "Nein" der Opfer von sexueller Nötigung und Vergewaltigung soll künftig ausreichen, um die Strafbarkeit zu begründen – dies fordert der CDU-Parteivorstand nach der Kölner Silvesternacht und geht damit über die Reformvorschläge von Heiko Maas (SPD) hinaus. Dessen Entwurf beschränkt sich derzeit auf eine punktuelle Ergänzung des Sexualstrafrechts. Die Montags-taz (Christian Rath) beschreibt Maas' Entwurf und entsprechende Kritikpunkte. Auch das Hbl (Dana Heide/Donata Riedel u.a.) schildert die Forderungen der CDU. zeit.de erinnert daran, dass der Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts sich bereits seit kurz vor Weihnachten in der Länderabstimmung befindet (nicht erst seit den Vorfällen in Köln) und resümiert die geplante Reform. Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) macht auf eine Lücke im Strafrecht aufmerksam; eine "Ungereimtheit unserer Rechtsordnung" zeige sich, wenn ein Angriff auf das Eigentum als Diebstahl geahndet werde, ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung durch "Angrapschen" allerdings strafrechtlich folgenlos bleibe – oder allenfalls als Beleidigung der "Geschlechtsehre" angesehen werde.
Im Interview mit zeit.de (Till Schwarze) erläutert der Strafrechtler Nikolaos Gazeas , warum Frauen aus seiner Sicht strafrechtlich ausreichend geschützt seien. Er äußert sich auch aus strafprozessrechtlicher Sicht zu den Vorfällen in Köln und erläutert kurz, unter welchen Umständen ausländische Täter abgeschoben werden können.
Vorratsdaten für Verfassungsschutz: Der Bundesvorstand der CDU will einen Staatstrojaner einführen und durchsetzen, dass auch Verfassungsschutzbehörden Vorratsdaten nutzen können. Dies geht aus einem Beschluss vom vergangenen Wochenende hervor. Die Montags-FAZ (Constanze Kurz) hebt einige rechtliche Kritikpunkte an der Vorratsdatenspeicherung generell hervor und betont, die Nutzung der Daten durch Geheimdienste sei grundrechtlich fragwürdig. Das Vorgehen erwecke den Eindruck, dass "der Abriss rechtlicher Schranken von vorneherein geplant war".
Cannabis als therapeutisches Mittel: In einem Referentenentwurf schlägt das Bundesgesundheitsministerium vor, Cannabis für verkehrs- und verschreibungsfähig zu erklären, um eine kontrollierte Abgabe zu Therapiezwecken zu ermöglichen. ferner-alsdorf.de (Jens Ferner) schildert den Entwurf.
Mindesthonorar für Selbstständige: Die Grünen fordern in einem Diskussionspapier, welches der Montags-taz (Gareth Joswig) vorliegt, ein Mindesthonorar für Selbstständige. Prekäre Arbeitsbedingungen für Solo- und Scheinselbstständige sollen damit bekämpft werden.
Haftung für offenes WLAN: Die Störerhaftung privater WLAN-Betreiber verzögert das geplante Gesetz, welches zu mehr offenen WLAN-Zugängen führen soll. Die Montags-SZ (Helmut Martin-Jung) erläutert die Schwierigkeiten um den Gesetzentwurf und gibt die Kritik am Konzept der Störerhaftung wieder.
TTIP: Die Montags-taz (Eric Bonse) skizziert den derzeitigen Stand der TTIP-Verhandlungen und prognostiziert, dass auch das neue Jahr schwierig werde.
ODR-Verordnung: Am vergangenen Samstag ist die Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten in Kraft getreten. dr-schenk.net fasst die neuen Informationspflichten für Online-Händler zusammen.
Justiz
BVerfG zu Suizidhilfe: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag von Mitgliedern des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" gegen das seit Dezember gültige Verbot geschäftsmäßiger Suizidhilfe abgelehnt, schreiben der Tsp (Jost Müller-Neuhof), Samstags-SZ (Wolfgang Janisch), Montags-FAZ (Oliver Tolmein), Samstags-BadZ (Christian Rath) und Samstags-FAZ (Helene Bubrowski). Die klagenden Vereinsmitglieder seien nicht Adressaten des Gesetzes, sondern der Verein selbst, so die Karlsruher Richter. Bei Eilanträgen von Bürgern gegen Gesetze müsste das BVerfG einen "besonders strengen Maßstab" anwenden – die Verfassungsbeschwerde sei allerdings nicht von vorneherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. lto.de (Pia Lorenz) stellt die Argumentation des Gerichts ausführlich dar.
Reinhard Müller (Samstags-FAZ) heißt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gut und hofft, dass die Richter dabei bleiben werden. In den Diskussionen um Sterbehilfe sei klar geworden, dass Geschäftsmäßigkeit einen "fatalen Anschein einer Normalität" erzeuge. Auch, wenn geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten sei, blieben Würde und Selbstbestimmung unangetastet – dies gewährleiste der Beistand von Familie, Freunden und Ärzten in der Not.
EGMR zu rückwirkender Sicherungsverwahrung: Christian Rath (taz.de) begrüßt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Therapieunterbringungsgesetz gebilligt hat. Er erinnert in seinem Kommentar an das Straßburger Urteil von 2009 und die Karlsruher Entscheidung von 2011, welche bedingten, dass die Sicherungsverwahrung reformiert und das ThUG eingeführt wurde.
OLG Koblenz zu Werbung "in limitierter Stückzahl": Die Samstags-Welt (Michael Gassmann) berichtet jetzt auch über das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz zu Werbung "in limitierter Stückzahl". Demnach ist Produktwerbung unzulässig, wenn Verbraucher auch innerhalb angemessener Zeit keine realistische Möglichkeit haben, das Angebot wahrzunehmen, weil das Unternehmen eine zu geringe Warenzahl vorrätig hat.
SG Berlin zu Witwenrente: Eine 84 Jahre alte Frau muss 150.000 Euro bezogener Witwenrente zurückzahlen. Dies entschied das Sozialgericht Berlin und argumentierte, sie hätte die Rente nur bis zur nächsten Hochzeit erhalten dürfen. Die neu verheiratete Witwe hatte die Rentenversicherung nicht über ihre Hochzeit in Kalifornien informiert, meldet die Samstags-FAZ (Mechthild Küpper).
BVerfG – NPD-Verbot: Die Vertreter des Bundesrats im NPD-Verbotsverfahren Christoph Möllers und Christian Waldhoff haben in einem Dossier dargelegt, wie die NPD in Deutschland eine "Atmosphäre der Angst" verbreite. Ein Schlüsselereignis seien die Ausschreitungen in Heidenau; die Übergriffe auf Asylunterkünfte, deren Zahl gestiegen ist, sei eine "konsequente Umsetzung der Ideologie" der NPD. Der Spiegel (Steffen Winter) stellt ausführlich die Argumentation der Juristen dar – die NPD verfolge letztlich, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen.
Verfassungsklage gegen Bundeswehreinsatz: juwiss.de (Samir Felich) erläutert ausführlich, weshalb der Bundestagsopposition der Weg zum Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Bundeswehreinsatzes verwehrt bleibe. Weder Organstreitverfahren noch abstrakte Normenkontrolle seien hier zulässig; lediglich ein betroffener Soldat hätte rechtliche Möglichkeiten die Rechtmäßigkeit des Einsatzes klären zu lassen.
LG Verden – verhungerte Frau: Im Fall der zu Hause verhungerten Anke T. hat die Staatsanwaltschaft nun auf vorsätzlichen Totschlag ihres Mannes und ihrer gemeinsamen Tochter plädiert. Die beiden hätten gewusst, dass das Opfer stirbt, wenn sie ihm nicht helfen – niedere Beweggründe lägen allerdings nicht vor, auch grausam hätten sie nicht gehandelt. spiegel.de (Julia Jüttner) schildert den Fall und das Plädoyer der Anklage.
LG Stuttgart – Wendelin Wiedeking: Wolfgang Porsche wird diese Woche wohl nicht wie geplant im Wiedeking-Prozess vor dem Landgericht Stuttgart aussagen. Aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Porsche und andere Mitarbeiter wegen Beihilfe zur Marktmanipulation könne er wohl ein Auskunftsverweigerungsrecht geltend machen, meldet die Samstags-Welt.
StA Berlin – Ermittlungen gegen Wirtschaftsverband: Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen Verantwortliche des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil des BWA. Ein Sprecher des BWA gab an, der Verdacht träfe nicht zu, meldet der Spiegel (Gerald Traufetter).
Schlichtungsstellen versus ordentliche Gerichte: Anlässlich der baldigen Einführung einer Verbraucher-Schlichtungsstelle betrachtet Joachim Jahn (Montags-FAZ) das derzeitige Verhältnis von Schlichtungen, Schiedsgerichts- und ordentlichen Gerichtsverfahren und skizziert deren Vor- und Nachteile.
Recht in der Welt
EU – Rechtsstaat Polen: Laut Hbl (Ruth Berschens) werde die EU-Kommission sich am kommenden Mittwoch zwar mit den rechtlichen Entwicklungen in Polen befassen, allerdings vorerst doch nicht dessen Rechtsstaatlichkeit überprüfen. Die FAS (Thomas Gutschker) und der Spiegel (Peter Müller/Ralf Neukirch u.a.) hatten noch berichtet, dass die EU-Kommission plane, ab kommendem Mittwoch den "Rechtsstaatsmechanismus" zu nutzen und insbesondere die Reform des Verfassungsgerichts zu untersuchen. Beide Beiträge erläutern das Verfahren, welches 2014 eingeführt und bislang nicht eingeleitet wurde, sowie die strittigen Entwicklungen Polens.
Ägypten – Mubaraks Haftstrafe bestätigt: Ein ägyptisches Berufungsgericht hat die dreijährige Haftstrafe gegen den ehemaligen Staatschef Hosni Mubarak wegen Korruption bestätigt. Das Urteil für Mubaraks Söhne fiel ebenso aus. Es sei allerdings unwahrscheinlich, dass sie die Haft antreten müssen, da sie die Strafe bereits verbüßt haben, meldet spiegel.de.
Dänemark – Flüchtlingspolitik: Der Spiegel (Manfred Ertel) schreibt ausführlich über die Verschärfungen des dänischen Asylrechts, die der Abschreckung von Flüchtlingen dienen sollen. Das dänische Parlament wolle diese Woche über eine Reform abstimmen, die unter anderem der Polizei erlauben soll, Flüchtlinge auf Wertgegenstände zu durchsuchen und diese bis zu einer Höhe von 400 Euro einzubehalten.
Sonstiges
Frauenquote: Die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) schildert unter Berufung auf einen Artikel des Ministerialrats Ulrich Seibert in der "Neuen Zeitschrift für Gesellschaftsrecht", wie das Frauenministerium "mit Tricks zur Frauenquote" gekommen sei.
Kartellrecht: Der Focus (Matthias Kowalski/Jochen Schuster u.a.) zeigt anhand verschiedener Fälle ausführlich die Lücken, aber auch die Erfolge des derzeitigen deutschen Kartellrechts und befasst sich auch mit den Wettbewerbshütern auf EU-Ebene.
Im Interview mit dem Focus (Matthias Kowalski/Jochen Schuster) spricht der Leiter des Bundeskartellamts Andreas Mundt unter anderem über die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Kronzeugenregelung in Kartellverfahren und Klagemöglichkeiten gegen Kartelle.
Compliance-IT für Unternehmen: Unternehmen müssen teils erheblichen Aufwand auf sich nehmen, um zu gewährleisten, dass ihr Compliance-System geltendem Recht entspricht. Eine Frankfurter Kanzlei hat hierfür bereits 1992 das Compliance-Management-System, "Recht im Betrieb", entwickelt, welches hilft, neue Gesetze automatisch in den Unternehmen umzusetzen. lto.de (Tanja Podolski) erläutert, wie diese Datenbank funktioniert, welchen rechtlichen Voraussetzungen Compliance-Systeme unterliegen und wie Großkanzleien mit Compliance-Fragen umgehen.
Neuer Chef des Thüringer VerfSchutzes: Die WamS (Per Hinrichs) bringt ein ausführliches Porträt über den neuen Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer. Erstmals leitet ein Nicht-Jurist das Amt und dieser soll die Behörde nun umkrempeln.
Mütter im Frauenstrafvollzug: Die Montags-Welt (Claudia Becker) erzählt über die Arbeit des Gefängnisarztes Karlheinz Keppler, welcher die Kinder inhaftierter Frauen zur Welt bringt, und den Gefängnisalltag der Mütter.
Das Letzte zum Schluss
Romantischer Dieb? Ein unbekannter Täter ist am vergangenen Wochenende in das Lager eines Blumenhandels am Münchner Hauptbahnhof eingebrochen. Bislang konnte lediglich der Verlust von mehr als 100 langstieligen roten Rosen festgestellt werden. Münchner, die sich also über eine besondere romantische Geste freuen durften, sollten gegebenenfalls doch noch mal nachhaken, woher das Meer an roten Rosen stammt. Die Polizei ermittelt wegen eines besonders schweren Falls von Diebstahl, meldet abendzeitung-muenchen.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. bis 11. Januar 2016: Reformforderungen nach Silvesterübergriffen / "Nein heißt nein" / Dossier zu NPD-Verbot . In: Legal Tribune Online, 11.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18088/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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