Ende der Straflosigkeit für afrikanische Diktatoren? Erstmals wird ein afrikanischer Ex-Staatschef in Afrika verurteilt. Außerdem in der Presseschau: neue Verfassungsbeschwerde gegen CETA und Prozess wegen Anneli-Entführung.
Thema des Tages
Hissène Habré: Ein in Dakar/Senegal tagendes Sondergericht der Afrikanischen Union hat den früheren Diktator des Tschad, Hissène Habré, unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Während seiner Regentschaft in den 1980er Jahren hatte Habré etwa 40.000 Menschen umbringen und Zehntausende foltern lassen. Der jetzige Richterspruch habe auch zwei üblicherweise problematische Anklagepunkte bestätigt, so die taz (Dominic Johnson). So sei eine von Habré gegründete Sonderkommission zur Organisierung von Repressionsmaßnahmen als kriminelle Verschwörung gewertet worden. Zudem habe das Gericht die Vorgesetztenverantwortlichkeit des Verurteilten für die von der Kommission koordinierten Folterungen bestätigt. Die Berichte von SZ (Isabell Pfaff) und FAZ (Thomas Scheen) gehen auch auf die jahrelangen Vorbereitungen für den in einem knappen Jahr abgeschlossenen Prozess ein. So hatten sich mittlerweile in Belgien lebende Diktaturopfer um ein dortiges Verfahren bemüht. Der jetzige Prozess kam erst nach einem Machtwechsel im Senegal, wo Habré jahrelang unbehelligt lebte, zustande.
Nach dem Kommentar von Reinhard Müller (FAZ) setzt die erstmalige Verurteilung eines ehemaligen afrikanischen Staatschefs durch ein afrikanisches Gericht ein Zeichen dafür, dass auch auf diesem Kontinent ein Einschreiten des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag "überflüssig macht". Nach Tobias Zick (SZ) könnte das Verfahren zumindest "Schule machen". Denn seien afrikanische Gerichte erhaben gegenüber "Pauschalvorwürfen westlicher Einflussnahme", die gegen den IStGH und dessen vermeintliche einseitige Konzentration auf afrikanische Beschuldigte erhoben würden. Dominic Johnson (taz) merkt dagegen an, dass "der Kampf gegen die Straflosigkeit von Gewaltherrschern in Afrika" nun erst beginne. Ein ständiger Spruchkörper zur Verfolgung von Regierungskriminalität existiere nach wie vor nicht.
Rechtspolitik
Funktion des Strafrechts: Wolfgang Janisch (SZ) erinnert im Leitartikel des Blatts an die ultima ratio-Funktion des Strafrechts. In der "praktischen Politik" sei dieses "zum Passepartout geworden", weil sich durch die Schaffung neuer Strafvorschriften weitgehend kostenneutrale "Handlungsfähigkeit suggerieren" ließe. Diese "Standardreaktion auf unerwünschte gesellschaftliche Entwicklungen" stehe im Widerspruch zur notwendigen "Rückbesinnung auf ein Kernstrafrecht zum Schutz elementarer Rechtsgüter".
Richterwahlausschuss: Auf der am morgigen Mittwoch beginnenden Justizministerkonferenz soll nach Bericht der taz (Christian Rath) ein Antrag Hamburgs und Schleswig-Holsteins zur Reform des Richterwahlausschusses diskutiert werden. Dieser sehe vor, durch die Zurückdrängung "intransparenter Deals" eine tatsächliche Bestenauslese bei der Wahl der Bundesrichter zu gewährleisten. Hierzu sollten Wahlvorschläge künftig auch begründet werden, um eine spätere gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen.
Rentenanspruch für Häftlinge: Ein weiteres Diskussionsthema der Justizministerkonferenz meldet spiegel.de. So sollte nach Mitteilung des Justizministers Brandenburgs, Stefan Ludwig (Linke), beraten werden, wie Häftlinge für ihre im Gefängnis erbrachte Arbeit Rentenansprüche erwerben können. Weiter sollten Alternativen für die Ersatzfreiheitsstrafe diskutiert werden.
Bundesanwälte: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat drei bisherige Oberstaatsanwälte der Bundesanwaltschaft als künftige Bundesanwälte am Bundesgerichtshof vorgeschlagen. Holger Schmidt (SWR-Terror-Blog) nennt die Namen.
Digitale Wirtschaft: Als Kern des am gestrigen Montag vom Bundeswirtschaftsministerium vorgestellten "Grünbuchs Digitale Plattformen" beschreibt das Hbl (Dana Heide) eine Verschärfung des Kartellrechts. Bei der bis Ende des Jahres geplanten Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sollten entsprechende Bestimmungen den unternehmerischen Besonderheiten digitaler Geschäftsmodellen angepasst werden.
E-Akten: Das Hbl (Anja Stehle) berichtet zum Stand der geplanten Einführung elektronisch geführter Gerichtsakten. Aktuell liefen an drei Gerichten Testphasen, so würden am Arbeitsgericht Stuttgart seit diesem Monat alle neu eingehenden Verfahren elektronisch geführt.
EU-Steuer-Transparenz: Die EU-Kommission will offenbar in ihre Bilanzrichtlinie eine Pflicht großer Unternehmen aufnehmen, die Höhe ihrer Steuerzahlungen länderspezifisch aufzuschlüsseln. Rechtsprofessorin Johanna Hey kommentiert das Vorhaben in einem Gastbeitrag für das Hbl skeptisch. Denn sei zu bezweifeln, dass Verbraucher "überhaupt verstehen, woran eine bestimmte Verteilung der Steuerlast liegt" und zu befürchten, dass Steuergesetzgeber durch die öffentliche Meinung unter Druck gesetzt würden. Transparenz müsse vielmehr "mit Augenmaß" betrieben werden, etwa durch den Austausch relevanter Informationen "zwischen den Finanzverwaltungen".
Justiz
BVerfG – CETA: Mehrere Verbände haben eine erneute Verfassungsbeschwerde gegen das geplante Freihandelsabkommen CETA angekündigt. Weil die Beschwerde erst dann zulässig wäre, wenn die Abstimmung im EU-Rat bevorsteht, dürfte im Herbst mit einer Klage zu rechnen sein, schreibt die taz (Malte Kreutzfeldt). Das Bündnis wolle aber auch eine vorläufige Anwendung des Abkommens verhindern und bereite sich daher auf eine ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht zu beantragende einstweilige Anordnung vor. Nach dem Kommentar von Hendrik Wieduwilt (FAZ) macht die Ankündigung einer "Massen-Verfassungsbeschwerde" das Gericht zu einem "grellen Postkasten für Protestunterschriften". Die Anhäufung sei rechtlich wirkungslos und verfolge wohl auch primär den Zweck, eine spezielle Stimmung auch gegen TTIP zu erzeugen. Dabei mögen sich "die Argumente in der Sache" hören lassen: wenn ein Völkerrechtsvertrag geschlossen ist, binde er "Staaten mit wenig Rücksicht auf die interne Rechtsordnung".
LG Dresden – Anneli-Entführung: Zu Beginn des Verfahrens zur Entführung und anschließenden Tötung der 17-jährigen Anneli im vergangenen August räumte einer der Angeklagten vor dem Landgericht Dresden eine Beihilfe zur Entführung ein. In die Planung sei er jedoch nicht eingebunden gewesen, gibt die SZ (Hans Holzhaider) die Einlassung wieder. Der wegen Verdeckungsmordes angeklagte Markus B. wolle sich nicht einlassen. Auch spiegel.de (Benjamin Schulz) berichtet über den Prozessauftakt.
LG Frankfurt – CO2-Zertifikate: Seit Jahresbeginn verhandelt das Landgericht Frankfurt/M. gegen sieben ehemalige und aktuelle Mitarbeiter der Deutschen Bank wegen bandenmäßiger Steuerhinterziehung. Den Angeklagten wird vorgeworfen, "Umsatzsteuerbetrug mit CO2-Emissionszertifikaten ermöglicht zu haben", wie das Hbl (Michael Maisch) in seinem Bericht zu den nun gehaltenen Plädoyers schreibt. Während die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe für erwiesen hält und mehrjährige Haftstrafen forderte, bestanden Vertreter der Angeklagten darauf, dass Kontrollmechanismen der Deutschen Bank versagt hätten. Dem Geldhaus seien die Risiken der Geschäfte bekannt gewesen.
LG Frankfurt zu Drogenkurierin: Das Landgericht Frankfurt/M. hat eine als Drogenkurierin eingesetzte Kolumbianerin zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Die Frau hatte sich in der Heimat für ein Honorar von 850 Euro ein Kilo Kokain in ihre Brüste implantieren lassen, war aber am Frankfurter Flughafen aufgeflogen, schreibt die FAZ (Denise Peikert).
LG Kassel zu "Sturm 18": Das Landgericht Kassel hat den mutmaßlichen Anführer der mittlerweile verbotenen Neonazi-Gruppe "Sturm 18" unter anderem wegen Freiheitsberaubung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Mann hatte andere Mitglieder zu Misshandlungen eines Austrittswilligen angestiftet, schreibt zeit.de.
GBA – Safia S.: Die SZ (Lena Kampf/Georg Mascolo) schreibt zu den vom Generalbundesanwalt geführten Ermittlungen gegen die 15-jährige Safia S. Die Hannoveranerin hatte im Februar einen Bundespolizisten niedergestochen. Nach Auswertungen von Chat-Protokollen verdichteten sich nun Hinweise, dass sie hierbei im Auftrag des sogenannten Islamischen Staats handelte.
Recht in der Welt
Argentinien – Operation Condor: Auch die FAZ (Matthias Rüb) berichtet nun zum Operation Condor-Urteil aus Argentinien in der vergangenen Woche. Der Beitrag geht auch auf die Kenntnis des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger von Verfolgungsmaßnahmen ein. Mittlerweile freigegebene Dokumente mehrerer US-Geheimdienste hätten im jetzigen Verfahren eine wichtige Rolle gespielt.
Sonstiges
Di Fabio zu Big Data: In einem Gastbeitrag für den Medien-Teil der FAZ untersucht Udo di Fabio, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, das Verhältnis der "grundrechtlichen Werteordnung mit ihrem Leitbild vom selbstbestimmten Menschen" zur wachsenden Macht von Netzkonzernen. Deutschland und die EU stünden "in der Pflicht, als freiheitlicher Verfassungsstaat und als demokratische Staatengemeinschaft wirksame Vorkehrungen zu treffen, um Meinungsvielfalt, fairen Wettbewerb und Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten".
Briefkastenfirmen: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) erläutert in ihrem Wirtschaftsteil Funktionsweisen von Briefkasten- oder Scheinfirmen und legt auch dar, wie Anwaltskanzleien wie die durch die Panama Papers-Enthüllungen bekanntgewordene Kanzlei Mossack Fonseca an derartigen Gebilden verdienen können.
Flüchtlinge und Recht: In ihrer Rubrik "Politische Bücher" bespricht die FAZ (Andreas Rödder) "Der Staat in der Flüchtlingskrise. Zwischen gutem Willen und geltendem Recht", herausgegeben von Otto Depenheuer und Christoph Grabenwarter. Die im Band vereinten Beiträge würden als "Diskussionsgrundlage für verfassungspolitische Handlungsoptionen" zu verstehen sein.
Das Letzte zum Schluss
Falscher Ort, falsche Zeit: Seinen Besuch in München wird ein 19-jähriger Schwabe nicht so bald vergessen. Wie sz.de (Martin Bernstein) schreibt, klopfte er am Sonntagabend in der bayerischen Landeshauptstadt an einen geparkten Kleinbus, um mit dessen zwei Insassen mitgebrachte Joints zu genießen. Bei einem der Eingeladenen handelte es sich jedoch um einen Zivilfahnder der gerade damit beschäftigt war, eine Anzeige gegen einen anderen Cannabisliebhaber zu erstellen. Diese Arbeit wurde fortgesetzt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. Mai 2016: Lebenslang für Diktator / Verfassungsbeschwerde gegen CETA / Anneli-Entführung . In: Legal Tribune Online, 31.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19485/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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