Zum elektronischen Anwaltspostfach will der DAV-Präsident Antworten vom Justizminister. Außerdem in der Presseschau: Kauder mit Vorschlägen zum Wohnungseinbruchsdiebstahl, Urteil zu Operation Condor und Grundsätzliches zum stillen Örtchen.
Thema des Tages
Elektronisches Anwaltspostfach: Die Einführung des "besonderen elektronischen Anwaltspostfachs" (beA) war ursprünglich für den Beginn dieses Jahres geplant. Mittlerweile geht die vom Gesetzgeber beauftragte Bundesrechtsanwaltskammer von einem Start im September aus. Der von der Montags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) im Wirtschafts-Teil wiedergegebene Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, fordert bis dahin Antworten vom Bundesjustizministerium. So sei haftungsmäßig nach wie vor ungeklärt, wie damit umzugehen sei, wenn Anwälte das für sie eingerichtete Postfach nicht aufsuchen oder dies zumindest behaupten. Dies könnte nach Schellenberg auch technisch gelöst werden, etwa indem der Empfang erst dann als wirksam gelte, wenn der Anwalt Empfangsbereitschaft signalisiert habe. Ein anderes Vorhaben von Heiko Maas (SPD), der aktuelle Referentenentwurf zur Pflicht, sich vor der anwaltlichen Zulassung berufsrechtliche Kenntnisse anzueignen und sich hierzu später auch fortzubilden, findet Schellenbergs ausdrückliche Zustimmung.
Rechtspolitik
Wohnungseinbrüche: Im Interview mit der Samstags-SZ (Robert Roßmann) fordert der Vorsitzende der Unionsfraktion Volker Kauder (CDU) die Abschaffung des minder schweren Falls beim Wohnungseinbruchsdiebstahl. Außerdem solle das Delikt in den Katalog der Straftaten aufgenommen werden, zu deren Verfolgung eine Telekommunikationsüberwachung angeordnet werden darf. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), fordert im Interview mit der Samstags-Welt (Manuel Bewarder/Martin Lutz) eine stärkere Kooperation mit den Nachbarländern.
Steuerbetrug: Die Montags-FAZ (Andreas Mihm/Hendrik Wieduwilt) berichtet zu einem am heutigen Montag vorgelegten Programm des SPD-Parteivorstandes gegen Steuerbetrug. Vorgesehen seien etwa leichtere Abschöpfungsmöglichkeiten von Vermögenswerten, die aus Straftaten stammen. Bei Vermögen "unklarer" Herkunft solle hierzu die Beweislast umgedreht werden. Die Montags-Welt (Daniel Friedrich Sturm) gibt einen Überblick zu den vorgestellten Maßnahmen. Nach dem Kommentar von Holger Steltzner (Montags-FAZ) belegt der Vorschlag den Willen der SPD, "eherne Prinzipien des Rechtsstaats wie die Unschuldsvermutung" zu opfern. Wer meine, dass sorgenfrei bliebe, wer nichts zu verbergen hat, verkenne, dass der Bürger eines freiheitlichen Rechtsstaates bis zum Beweis des Gegenteils unschuldig sei. Zudem zeige deutsche Geschichte, "wohin totale Transparenz führen kann: zum Schnüffelstaat mit totalitärer Kontrolle".
Krankenkassen: Mit einer rückwirkenden Gesetzesänderung plant das Bundesgesundheitsministerium nach Darstellung der Montags-FAZ (Andreas Mihm) eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen zu umgehen. Das LSG hatte entschieden, dass Verteilungen von Beitragsgeldern an Krankenkassen durch das Bundesversicherungsamt auf Grundlage eines 2014 verabschiedeten Gesetzes nicht auch für das Vorjahr erfolgen durften. Dies solle nun durch eine "gesetzliche Klarstellung" doch noch ermöglicht werden. Das Ministerium berufe sich darauf, dass Kassen als Körperschaften öffentlichen Rechts anders als Bürger keinen Vertrauensschutz genießen würden.
Hartz IV: Am heutigen Montag hört der Sozialausschuss des Bundestags Experten zu der von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplanten Rechtsvereinfachung von Hartz IV-Bescheiden an. Besondere Aufmerksamkeit dürften nach dem Bericht der Montags-taz (Christian Rath) angedachte Änderungen bei den Voraussetzungen der rückwirkenden Aufhebung von Bescheiden durch sogenannte Überprüfungsanträge oder einer verkürzten Frist für die gerichtliche Überprüfung von Erstattungsaufforderungen erhalten.
Schmerzensgeld für Polizeibeamte: Die Dienstherren von Polizeibeamten und Soldaten sollen künftig zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet werden können, wenn solche Ansprüche sonst wegen Zahlungsunfähigkeit der Schädiger verfallen würden, meldet der Spiegel (Cornelia Schmergal, spiegel.de-Kurzfassung). Ein entsprechender Gesetzentwurf des Innenministeriums solle Anfang Juni im Parlament beraten werden.
Autonome Autos: Das Bundesjustizministerium plant nach Bericht des Hbl (Daniel Delhaes/Anja Stehle) keine Änderungen verkehrsrechtlicher Haftungsregelungen wegen selbstfahrender Autos. Entsprechende Vorschläge hatte das Verkehrsministerium erst kürzlich unterbreitet.
Islamunterricht: Heribert Prantl (Samstags-SZ) unterstützt die Forderung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirchen Heinrich Bedford-Strohm, einen flächenendeckenden Islamunterricht an staatlichen Schulen einzuführen. "Ein solcher Unterricht ist Grundrecht der Schüler; und eine Prävention gegen Radikalisierung und Fanatisierung."
Sammelklagen: Vor dem Hintergrund des VW-Skandals erwägt das Bundesjustizministerium Verbraucherrechte weiter zu stärken und eine Verbraucherschutzbehörde mit Sanktionskompetenzen zu schaffen. Darüber hinaus wird immer wieder die Einführung von Sammelklagen im deutschen Recht gefordert. Rechtsanwalt Robert Peres erläutert auf lto.de bereits vorhandene und geplante Möglichkeiten kollektiven Rechtsschutzes.
Einwanderungsgesetz: Die SPD-Bundestagsfraktion will bis zum Herbst einen Gesetzentwurf für ein neues Einwanderungsgesetz vorlegen. Damit soll der Zuzug von hochqualifizierter Migranten ermöglicht und die bisher unübersichtliche Rechtslage beseitigt werden, kommentiert Anna Reimann (spiegel.de).
Digitale Wirtschaft: Bedürfen digital agierende Unternehmen andere Regeln als jene aus traditionellen Wirtschaftsbereichen? Das Bundeswirtschaftsministerium will hierzu eine breitgefächerte Diskussion entfachen, am heutigen Montag soll zu diesem Zweck ein "Grünbuch Digitale Plattformen" vorgestellt werden. Montags-SZ (Guido Bohsem) und Hbl (Dana Heide) berichten.
Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz: Den aktuellen Referentenentwurf zu Änderungen der gesetzgeberischen "Dauerbaustelle" Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz unterzieht Johannes Schulte (jurop.org) einer ausführlichen Analyse.
Justiz
BAG zu Mindestlohn: Rechtsanwalt Thomas Gennert (Handelsblatt-Rechtsboard) stellt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Mindestlohnberechnung aus der letzten Woche vor. Die monatliche Anrechnung von Sonderzahlungen ist nur möglich, wenn die Sonderleistung als zusätzliches Arbeitsentgelt ausgestaltet ist und zudem nicht einmal jährlich, sondern monatlich fällig wird. Der Arbeitgeber hatte im verhandelten Fall mit dem Betriebsrat eine neue Betriebsvereinbarung ausgehandelt, die eine anteilige monatliche Auszahlung der Sonderleistungen vorsah und bekam mit dieser Konstruktion nun Recht.
OLG München – NSU: Ab dem morgigen Dienstag wird der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München fortgesetzt. Bis zu den Sommerferien seien drei Verhandlungstage pro Woche geplant, schreibt die Montags-taz. Damit sollte dann auch die gerichtliche Beweisaufnahme beendet sein. Nach Beweisanträgen von Verfahrensbeteiligten und den Plädoyers könnte ein Urteil im März des kommenden Jahres ergehen.
OLG Rostock – Umstrittener Strafrichter: Wolfgang Strauß, Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer am Landgericht Rostock, ist auf einem Facebook-Post durch folgenden Spruch auf seinem T-Shirt aufgefallen: "Wir geben ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA". Daraufhin hatte der Bundesgerichtshof ein Strafurteil wegen Befangenheit aufgehoben. Nun habe das Oberlandesgericht Rostock mitgeteilt, dass dienstliche Konsequenzen ergriffen worden seien, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Von einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans habe das OLG allerdings abgesehen.
LG Berlin zu organisiertem Diebstahl: Die FAS (Julia Schaaf) bringt einen ausführlichen Prozessbericht zum Verfahren gegen drei rumänische Angeklagte vor dem Landgericht Berlin. Den Familienmitgliedern wird vorgeworfen, Taschendiebstähle in hohen Fallzahlen von Rumänien aus geplant und durchgeführt zu haben. Im Wege der Verständigung habe das Gericht nun Haftstrafen zwischen zwei und vier Jahren für die Eltern und eine Bewährungsstrafe für den Sohn zugesichert.
LG Hagen – Brandanschlag: Am Dienstag beginnt vor dem Landgericht Hagen ein Prozess gegen die zwei mutmaßlichen Attentäter eines Brandanschlags auf das Flüchtlingsheim in Altena. Die beiden Männer sollen in das Haus eingedrungen, Benzin verschüttet und die Telefonleitungen gekappt haben, bevor sie es anzündeten. Beiden wird versuchter Mord vorgeworfen, erklärt die Samstags-SZ (Lena Kampf).
VG München – Stolpersteine: In München wird der Streit um die Verlegung von Stolpersteinen nun vor dem Verwaltungsgericht ausgetragen. Die Kläger sind Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die die Verlegung der Stolpersteine auch in München ermöglichen will. Der Münchener Stadtrat hatte die Verlegung nicht zugelassen und wurde dabei von der Israelitischen Kultusgemeinde unterstützt, berichtet die FAS (Philipp Beng).
LKA Niedersachsen – RAF: Der Spiegel (Hubert Gude/Bertolt Hunger, spiegel.de-Zusammenfassung) zeichnet in einem ausführlichen Beitrag die Ermittlungsarbeit des Landeskriminalamts Niedersachsen gegen drei ehemalige RAF-Mitglieder der sogenannten dritten Generation, Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg, nach. Sie werden verdächtigt, für mehrere Anschlägee der RAF verantwortlich zu sein und sollen bis heute im Untergrund leben. Das LKA gehe davon aus, dass sie weiterhin Raubüberfälle verüben. Auch zeit.de (Anne Kunze) berichtet ausführlich.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Die Samstags-SZ (Florian Hassel) fasst den aktuellen Streit um Polens Verfassungsgericht zusammen. Polens Präsident Andrej Duda weigert sich noch immer, drei vom letzten Parlament gewählte Verfassungsrichter zu vereidigen. Die Urteile des Verfassungsgerichts werden nicht im Amtsblatt veröffentlich und von der Regierung nicht anerkannt. Das Justizministerium habe zudem eine Umstrukturierung der Berufungsgerichte geplant, um die Vorsitzenden austauschen zu können.
Österreich – Bundespräsident: Die Montags-FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet zu österreichischen Überlegungen, die Befugnisse und Kompetenzen des Bundespräsidenten neu zu definieren. Angestoßen habe die Diskussion der neugewählte Präsident Alexander van der Bellen, er störe sich vor allem an der Möglichkeit, das Parlament "auszuhebeln". Verfassungsänderungen bedürfen in Österreich einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit.
USA – Google/Oracle: Der Softwareanbieter Oracle hat in den USA den Urheberrechtsstreit gegen Google verloren. Das Gericht sah die Nutzung der Programmiersprache Java durch Google von der "Fair-Use"-Klausel im US-amerikanischen Urheberrecht gedeckt. Oracle habe bereits die Berufung angekündigt, meldet focus.de.
Argentinien – Operation Condor: Unter dem Decknamen "Operation Condor" kooperierten in den 1970er Jahren die Geheimdienste sechs südamerikanischer Diktaturen bei der Verfolgung von Dissidenten. Ein argentinisches Bundesgericht hat nun am vergangenen Freitag beteiligte Militärs, unter ihnen den letzten Junta-Chef Argentiniens, Reynaldo Bignone, wegen Menschenrechtsverletzungen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die geheimdienstliche Zusammenarbeit wurde dabei ausdrücklich als Bildung einer kriminellen Vereinigung bewertet, schreibt die Montags-taz (Jürgen Vogt). Die Montags-SZ berichtet ebenfalls. In einem separaten Kommentar macht Jürgen Vogt (Montags-taz) darauf aufmerksam, dass seit der Klageeinreichung 17 Jahre bis zu einem Urteil vergangen seien. Dass der Prozess zu Ende geführt wurde, sei der Stärke der argentinischen Menschenrechtsbewegung zu verdanken und gebe Betroffenen in anderen Ländern Hoffnung, dass auch ihnen noch Gerechtigkeit widerfahren werde.
DR Kongo – UN-Soldaten: Vor dem Obersten Militärgericht der Demokratischen Republik Kongo in Kinshasa sind elf Soldaten wegen Vergewaltigung angeklagt. Sie sollen als UN-Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik zahlreiche Frauen und Mädchen missbraucht haben. Die Samstags-taz (Simone Schlindwein) berichtet in einer Reportage vom Prozess und stellt die schwierige Beweislage dar.
Sonstiges
Rassismus: Heribert Prantl (Montags-SZ) thematisiert eine abfällige Äußerung des AfD-Vizes Alexander Gauland über den Fußballnationalspieler Jerome Boateng. Zwar schütze die Meinungsfreiheit grundsätzlich auch Rassisten und deren Recht, ihre "bösartigen Reden anschließend wieder zu leugnen". Das "Gift" derartiger Äußerungen animiere jedoch "eine giftige Szene zur Gewalt", sie seien daher nicht "einfach nur saudumm", sondern auch gefährlich.
Michael Stolleis: Unter dem Titel "Unsere Rechtsgemeinschaft" veröffentlicht das Feuilleton der Montags-FAZ eine gekürzte Fassung des am gestrigen Sonntag auf der Öffentlichen Sitzung des Ordens Pour le Merite in Berlin gehaltenen Festvortrags von Rechtsprofessor Michael Stolleis. Der Beitrag versteht sich als "Widerrede gegen den defätistischen Geist der Europaskepsis und das Betäubungsmittel des Nationalismus".
Das Letzte zum Schluss
Rechtsraum Toilette: Ist der Gang zur Toilette am Arbeitsplatz eine dienstlich geprägte oder eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit? Diese Frage beschäftigt immer wieder die Gerichte, wie der Spiegel weiß. Die Rechtsprechung geht in der Beurteilung auseinander, ob Pannen beim Besuch des stillen Örtchens ein Arbeitsunfall sind. Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem solchen Fall in der letzten Woche die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. bis 30. Mai 2016: Fragen zu beA / Vorschläge zu Wohnungseinbrüchen / Urteil zu Operation Condor . In: Legal Tribune Online, 30.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19482/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag