Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen Regelungen zu Leiharbeitnehmerüberlassungen wird nicht stattfinden. Außerdem in der Presseschau: Plädoyer pro Einwanderung, Zukunft des NSU-Prozesses und Rücktritt für Baron.
Thema des Tages
Dauerhafte Leiharbeit: Nach einer in der letzten Woche erfolgten Stellungnahme der EU-Kommission verstößt auch die langfristige Überlassung von Leiharbeitnehmern nicht gegen die Leiharbeitsrichtlinie. Mitgliedsstaaten seien demnach weder verpflichtet, eine Höchstdauer für die Zulässigkeit der Überlassung zu bestimmen noch Sanktionen bei der Dauerhaftigkeit derartiger Arbeitsverhältnisse vorzusehen. Eine auf Betreiben einer deutschen Klägerin eingeleitete Vorprüfung zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik werde daher nicht weiterverfolgt.
Über die "mit erstaunlich klaren Worten" formulierte Entscheidung der Kommission berichtet der Fachanwalt für Arbeitsrecht Andre Zimmermann auf lto.de. Er stellt hierzu den zugrundeliegenden Fall einer beim Landgericht Berlin anhängigen Staatshaftungsklage wegen unzureichender Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie sowie die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der sich das Verbot der mehr als vorübergehenden Überlassung von Leiharbeitnehmern aus § 1 Abs. 1 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, mithin einer nationalen Regelung, ergibt, vor. Zudem sei zu erwarten, dass die Durchsetzung der im Koalitionsvertrag festgelegte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten nun größeren Schwierigkeiten begegnen dürfte.
Rechtspolitik
Einwanderung: Vorschläge wie jene des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) nach verstärkten Restriktionen gegenüber Asylbewerbern aus den Balkan-Staaten hält Heribert Prantl (SZ) für "hilflosen oder ausländerfeindlichen Murks". Nach zahlreichen verpassten Gelegenheiten sei es endlich an der Zeit, Einwanderung durch ein entsprechendes Gesetz "klug" zu gestalten. Hierzu gehöre die Option der Staatsbürgerschaft für Einwanderer.
Europa: In einem Kommentar begrüßt Alexander Mühlauer (SZ) den Vorschlag des französischen Präsidenten Francois Hollande nach Einführung einer europäischen Wirtschaftsregierung mit gemeinsamen Finanzministerium und Budget. Zur Vorbeugung der nächsten Euro-Krise und als Lehre aus dem "Rettungsdesaster der vergangenen Jahre" könne die Antwort nur "mehr Europa" lauten. Um die skeptische Bevölkerung von einer vertieften Integration zu überzeugen, sei es gleichfalls angebracht, "Lebensbereiche, die Nationalstaaten einfach besser regeln können" wieder dem Kompetenz-Zugriff der "Bürokraten aus Brüssel" zu entziehen. Die EU müsse noch beweisen, ob sie diese "Kunst des Loslassens" beherrsche.
TTIP: Nach wie vor irritiert auch Befürworter des geplanten Freihandelsabkommens TTIP die mangelnde Transparenz der Verhandlungen. Mittlerweile können Verhandlungstexte in speziellen Leseräumen US-amerikanischer Botschaften eingesehen werden, eine entsprechende Berechtigung besitzen in Deutschland jedoch nur bestimmte Regierungsmitarbeiter, nicht jedoch Bundestagsabgeordnete. Dies schreibt die SZ (Robert Roßmann), und stellt die gegensätzlichen Positionen der Bundesregierung, des Bundestagspräsidenten und der Botschaft zur Verantwortung für diesen Zustand dar.
Kulturgutschutzgesetz: In einem Interview mit der FAZ (Andreas Kilb/Julia Voss) im Feuilleton des Blattes legt Isabell Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder und Volljuristin, ihren Standpunkt zu der Frage dar, welche Kunst in Deutschland "national wertvoll" ist. Die geplante Neufassung des Kulturgutsschutzgesetzes soll diese Thematik neu regeln.
Mietrecht: Nach Einführung der Mietpreisbremse ist für den Herbst ein Referentenentwurf zur zweiten Phase der Mietrechtsreform geplant. Die FAZ (Joachim Jahn/Michael Psotta) stellt anhand des Koalitionsvertrages mögliche Inhalte vor. So sei mit neuen Regeln für die Erstellung von Mietspiegeln oder der Einführung einer Sachkundeprüfung für Wohnungsmakler zu rechnen.
Justiz
EuG – L-Bank: Als europaweit erstes Kreditinstitut verteidigt sich die Landeskreditbank Baden-Württemberg (L-Bank) mit einer Klage beim Gericht der Europäischen Union gegen ihre Einstufung als "bedeutend" durch die Europäische Zentralbank (EZB). Die Einstufung habe die aufsichtsrechtliche Kontrolle der Bank durch die EZB zur Folge, schreibt das Handelsblatt (Melanie Rübartsch). Die Klägerin sehe sich dagegen als regionale Förderbank unter der Kontrolle der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht besser aufgehoben und befürchte unnötigen bürokratischen Aufwand.
OLG München – NSU: Rechtsanwalt Ulrich Dost-Roxin (dost-rechtsanwalt.de) kritisiert die Berichterstattung zum Verfahren gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem Oberlandesgericht München als "inhaltlich nichtssagend". Statt der angeklagten Taten stünden die Auseinandersetzungen zwischen der Hauptangeklagten und ihren "Altverteidigern" im Mittelpunkt. Darüber werde auch ausgeblendet, dass die Anzahl der Verhandlungstage mittlerweile jene des Nürnberger Strafprozess gegen 21 Hauptkriegsverbrecher erreicht hat. Aus Sicht des Autors ist das jetzige Verfahren auch ohne förmlichen Beschluss "längst geplatzt".
Weniger polemisch, aber in vergleichbarer Richtung kommentiert Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) die "Krise des gesamten Verfahrens". Während Zschäpe ihre Versuche zur Verfahrenssabotage nachzusehen seien, trügen die "Alt-Anwälte" die Hauptverantwortung für die verfahrene Situation. "Das Trio wollte einen außergewöhnlichen Fall, jetzt hat es ihn – und sendet Zeichen der Überforderung." Die Krise im Innenverhältnis durch einen eigenen Entpflichtungsantrag nach außen zu tragen, sei im mindesten unglücklich und widerspräche auch dem Wesen der Pflichtverteidigung.
OLG Hamm zu Anforderungen an Ablehnungsgesuch: Benedikt Meyer (zpoblog.de) weist auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom Anfang Juni hin, in dem das Gericht exemplarisch darlegt, unter welch geringen Anforderungen von Rechtsmissbräuchlichkeit eines Ablehnungsgesuchs auszugehen ist und damit dessen Verwerfung als unzulässig erfolgen kann. Der im zugrundeliegenden Fall zurückgewiesene Ablehnungsantrag habe zuvörderst prozesstaktische Ziele, nämlich die Aufhebung eines Verhandlungstermins, verfolgt.
LG Regensburg zu Hochstapler: Vom Landgericht Regensburg ist ein "falscher Chirurg" wegen gefährlicher Körperverletzung, Betrug und Titelmissbrauch zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Der Mann sei mehrere Jahre lang als Schönheitschirurg aufgetreten und habe Patienten vor allem mit Botox und Silikon behandelt, meldet spiegel.de.
Steuerhinterziehung: Staatsanwaltschaften in Bochum und Düsseldorf ermitteln nach Bericht der FAZ (Johannes Ritter/Joachim Jahn) gegen zahlreiche mittelgroße Schweizer Banken wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Sie stützen sich hierbei vor allem auf Erkenntnisse aus eingelaufenen Selbstanzeigen. Nachdem seit 2011 von fünf großen eidgenössischen Banken auf dem Vergleichswege insgesamt 600 Millionen Euro an Steuerbehörden gelangt seien, seien nun vor allem kleinere Privathäuser ins Visier der Ermittler geraten.
Managerhaftung: Wenn wirtschaftliche Führungskräfte ihre Unternehmen durch Fehlentscheidungen oder strafrechtlich relevantes Verhalten schädigen, geben sich die betroffenen Firmen – oft zum Schaden ihrer Aktionäre – regelmäßig mit vergleichsweise geringen Entschädigungszahlungen zufrieden. Diese Behauptung belegt die Welt (Anne Kunz) mit zahlreichen, auch aktuellen Beispielen. Obwohl üblicherweise eine spezielle Haftpflichtpolice für Vorstände und Aufsichtsräte greife, handelten Versicherer sowie aktuelle und ehemalige Unternehmensleitung bevorzugt Vergleiche aus, um Reputationsschäden oder auch der Aufmerksamkeit von Kartellbehörden durch langwierige und öffentliche Gerichtsverhandlungen aus dem Weg zu gehen.
Beate Merk: Wie die SZ (Stefan Mayr/Wolfgang Wittl) berichtet, hat die bayerische Europaministerin Beate Merk vehement bestritten, in ihrer Eigenschaft als Justizministerin des Freistaats 2012 unzulässigen Einfluss zugunsten ihr bekannter Beschuldigter ausgeübt zu haben. Die wegen Wirtschaftssachen verdächtigten Unternehmer waren aus erst kurz zuvor verhängter Untersuchungshaft entlassen worden.
Recht in der Welt
Großbritannien – zivilrechtlicher Tatsachenvortrag: Rechtsanwalt Bernhard Schmeilzl (cross-channel-lawyers.de) unternimmt einen rechtsvergleichenden Blick auf die Anforderungen an den zivilrechtlichen Tatsachenvortrag in Großbritannien. Dortige Kläger müssten anwaltliche Schriftsätze unterschreiben und hierbei ausdrücklich deren Wahrheitsgehalt versichern. Inhaltlich falscher Vortrag würde als "contempt of court" mit tatsächlich verhängten, empfindlichen Strafen geahndet. Die Praxis habe "eine erheblich disziplinierende Wirkung" und trage zur geringeren Fallzahl vor britischen Gerichten bei.
Großbritannien – Geheimprozess: Ende März sprach der Londoner Strafgerichtshof Old Bailey einen türkischstämmigen Angeklagten vom Vorwurf frei, einen Terroranschlag geplant zu haben. Bis auf den Namen des Mannes dürfen Medien nach gerichtlicher Anordnung jedoch weder über die Gründe für den Freispruch noch sonstige Umstände des Verfahrens berichten, ihre Notizen werden beim Inlandsgeheimdienst aufbewahrt. Mehrere namhafte Zeitungen klagen gegen dieses Vorgehen, schreibt die SZ (Björn Finke), die Fortsetzung dieses Verfahrens stehe jedoch nicht vor Oktober an.
Russland – Senzow/Sawtschenko: Im russischen Rostow beginnen Verfahren gegen den Filmemacher Oleg Senzow wegen eines Brandanschlages auf der Krim sowie die Militärpilotin Nadja Sawtschenko, der Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird. zeit.de (Simone Brunner) stellt die Fälle der in der Ukraine Putin-Geiseln genannten Angeklagten und ihre zweifelhaften Erfolgsaussichten vor.
USA/Schweiz – FIFA: Nach Darstellung der FAZ (Michael Ashelm) im Wirtschafts-Teil der Zeitung bedrohen die Ermittlungen der US-amerikanischen Justiz schon bald die Handlungsfähigkeit der FIFA. So würde bereits vor Erhebung einer Anklage die als Verteidigerin engagierte Kanzlei Quinn Emanuel nur noch einige wenige Akteure des FIFA-Apparats, etwa den Chef der Rechtsabteilung oder der Ethikkommission, nicht aber den immer noch amtierenden Präsidenten Sepp Blatter, konsultieren. Hierdurch solle gegenüber den Ermittlern Kooperationsbereitschaft signalisiert werden. Wegen der umstrittenen WM-Vergaben an Russland und Katar ermittle zudem auch die Schweizer Bundesanwaltschaft.
Guatemala – Rios Montt: Das Strafverfahren wegen Völkermord gegen den ehemaligen guatemaltekischen Militärdiktator Efrain Rios Montt stockt weiterhin. Eine in der vergangenen Woche gerichtlich verfügte psychiatrische Untersuchung des 89-jährigen Angeklagten, der sich mittlerweile auf demenzbedingte Verhandlungsunfähigkeit beruft, wurde nun in einem Berufungsbeschluss aufgehoben, berichtet die SZ (Boris Herrmann).
Sonstiges
NSU-Untersuchungsausschuss: In einer Meldung zu einem beim Generalbundesanwalt anhängigen Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt, das sich gegen die weitere Unterstützerszene des NSU richten soll, gibt die SZ (Tanjev Schultz) die Einschätzung mehrerer Fachpolitiker wieder, dass eine Neuauflage des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Thema nötig werden könnte. In einem separaten Kommentar begrüßt Tanjev Schultz (SZ) einen solchen Ausschuss. Denn auch die bisherigen, oftmals widerwillig erscheinenden Zeugenaussagen von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden in den U-Ausschüssen von Bund und Ländern hätten für keine ausreichende Aufklärung gesorgt. Ein ohne politische Instrumentalisierung gründlich arbeitender Ausschuss hätte zudem die Chance, wild um sich greifenden Verschwörungstheorien zum Themenkomplex NSU den Boden zu entziehen und damit auch die Arbeit der "einsichtigen und integren Beamten, die es nun mal auch gibt" hinreichend zu würdigen.
Polizeigewalt und Video: In den USA sind in der letzten Zeit zahlreiche Übergriffe von Polizisten durch Amateurfilmer festgehalten worden. Unter ausführlicher Darstellung einiger besonders bekannter Fälle geht die SZ (Johannes Boie) der Frage nach, inwiefern der verstärkte Einsatz von Videotechnik auch in Deutschland hilfreich wäre um Polizeigewalt zu verhindern und das Vertrauen der Bürger in die Polizei zu erhöhen.
Kündigungsgrund Ausländerfeindlichkeit: Einem österreichischen Azubi kündigte sein Ausbilder, weil sich der 17-jährige in einem Facebook-Post in menschenverachtender Weise das Bild eines Flüchtlingskinds kommentierte. Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer erläutert im Gespräch mit spiegel.de (Silvia Dahlkamp), warum er die Kündigung für gerechtfertigt hält.
Das Letzte zum Schluss
Rücktrittsgrund: Wilde Partynächte mit illegalen Drogen und Prostituierten gelten eigentlich als Domäne zünftiger Rockstars und nicht als typisches Verhalten altehrwürdiger britischer Lords. Baron Sewel of Gilcomstoun, bislang stellvertretender Sprecher des House of Lords, des Oberhauses des Vereinigten Königreichs, ließ sich jedoch bei einem derartigen Freizeitvergnügen von der wie üblich aufmerksamen britischen Boulevardpresse erwischen. Seinen grundsätzlich auf Lebenszeit angelegten Posten dürfte er damit los sein. Wie die SZ (Björn Finke) schreibt, ermöglicht ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex den Ausschluss aus dem Oberhaus. Als Ausschussvorsitzender hatte Baron Sewel die Regelung einst selbst durchgesetzt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Juli 2015: Dauerhafte Leiharbeit - Zukunft für NSU-Prozess? - Problem Managerhaftung . In: Legal Tribune Online, 28.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16394/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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