Die Nebenkläger im Auschwitz-Prozess vor dem LG Lüneburg streiten über den angemessenen Umgang mit dem Angeklagten. Außerdem in der Presseschau: Massendelikt Wohnungseinbruchdiebstahl, Zeugenvernehmungen im Fall Tuğçe, Vorberichte zum Deutsche Bank-Verfahren, Entschädigungen wegen Agent-Orange-Schäden und Aus für ausgefallene Nebentätigkeit.
Thema des Tages
LG Lüneburg – Auschwitz: In der vergangenen Woche sorgte im Verfahren gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning vor dem Landgericht Lüneburg eine Versöhnungsgeste der Auschwitz-Überlebenden Eva Mozes Kor für Aufsehen. Die Nebenklägerin hatte nach ihrer Zeugenvernehmung dem Angeklagten erklärt, dass sie ihm vergebe. Nachdem sie diesen Schritt auch noch in der Fernsehsendung von Günther Jauch erläuterte, veröffentlichten Anwälte im Namen von 49 anderen Nebenklägern nun eine Presseerklärung. In dieser wird auf das "widersprüchliche" Verhalten Frau Kors verwiesen und kritisiert, dass sie ihre Rolle als Nebenklägerin zu einer "medial inszenierten persönlichen Verzeihung" zu nutzen versuche. Die 81-Jährige spreche nur für sich selbst. Es berichten unter anderem SZ (Karin Steinberger) und taz (Klaus Hillenbrand).
Nach Gisela Friedrichsen (spiegel.de) ist der Angeklagte "denkbar ungeeignet für die Verbrüderung zwischen Tätern und Opfern". Er habe zwar ein moralisches Fehlverhalten eingestanden, seine konkrete Beteiligung am Massenmord hingegen nicht reflektiert. Der Prozess sei "keine Verbrüderungsshow und auch keine Vergebungsparty", er biete vielleicht zum letzten Mal die Gelegenheit, mit rechtsstaatlichen Mitteln "auf die Hölle Auschwitz zu reagieren". Dagegen erkennt Christian Bommarius (Berliner Zeitung) in den Äußerungen der Nebenklägerin einen Versuch, "sich nicht bis zu ihrem Lebensende als Opfer anzusehen" und von der Mitwelt derartig wahrgenommen zu werden. Die Stellungnahme der übrigen Nebenkläger sei legitim, gleichsam könne Frau Kor nicht vorgeworfen werden, "dass sie sich selbst zur Verzeihung verurteilt, um die Erinnerung an Auschwitz ertragen zu können".
Rechtspolitik
Zusammenarbeit BND/NSA: spiegel.de (Matthias Gebauer/Veit Medick) fasst die wichtigsten Fragen zur jüngsten Affäre um Datenaustausch zwischen BND und NSA und mögliche Kenntnis des Kanzleramts zusammen.
Rechtsprofessor Heinrich Amadeus Wolff (verfassungsblog.de) plädiert dafür, angesichts der gegenwärtig noch zu zahlreichen offenen Fragen von einer endgültigen Bewertung abzusehen.
Dagegen beweise nach Ansicht Armin Schusters (CDU), Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, die neue Affäre die Notwendigkeit der Schaffung eines Nachrichtenbeauftragten des Bundestages. Vergleichbar mit dem Amt des Wehrbeauftragten könne eine solche Stelle "hauptamtlich und mit eigenem Stab die Dienste kontrollieren und positiv begleiten", so das Handelsblatt (Till Hoppe).
Suizidhilfe: Angesichts der offenbaren Schwierigkeiten der Bundestags-Fraktionen, Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe zu formulieren, schlägt Heike Schmoll (FAZ) im Leitartikel der Zeitung vor, es bis auf weiteres bei der gegenwärtigen Rechtslage zu belassen. Ohne "weitere Verbote oder Liberalisierungen" könne der "Graubereich" der Suizidbeihilfe noch besser untersucht werden. Zudem ließe sich feststellen, "ob zusätzliche Verbote den halblegalen Bereich der Suizidbeihilfe nicht unverhältnismäßig stärkten, anstatt ihn transparent zu machen".
Wohnungseinbruchdiebstahl: Die Rechtswissenschaftler Henning Hofmann und Florian Albrecht kritisieren auf lto.de den staatlichen Umgang mit dem Massendelikt Wohnungseinbruchdiebstahl. Höhere Strafdrohungen nützten nichts, wenn nur ein Bruchteil der Täter gefasst werde, Vorschläge zu verbesserten Selbstschutzmaßnahmen kämen einem "sicherheitspolitischen Offenbarungseid" gleich. Angesichts der "besonders dramatisch" einzustufenden Auswirkungen für Betroffene dürfe es nicht verwundern, wenn Bürger "die Gründung von Bürgerwehren und -patrouillen als Option wahrnehmen". Auch sei eine vorhersagende Polizeiarbeit im Sinne einer rechnergestützten Prognostik erwägenswert.
Justiz
BGH – Kinderlärm: Nach Bericht von focus.de verhandelt der Bundesgerichtshof derzeit zu einer Mietminderung wegen Kinderlärm von einem Bolzplatz. Zwar stellte der Gesetzgeber 2011 klar, dass Kinderlärm immissionschutzrechtlich grundsätzlich zu ertragen sei. Die klagenden Mieter machten jedoch geltend, dass der Spielplatz auch jenseits der vorgesehenen Zeiten benutzt werde.
BVerwG zu Vertrauensschutz im Waffenrecht: Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hindert den Gesetzgeber zumindest im Waffenrecht nicht daran, Bestimmungen zu verschärfen. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht nach Meldung von lto.de in einem vergangenen Freitag bekanntgegebenen Urteil. Die unterlegene Klägerin muss demnach eine ihr vor Einführung einer entsprechenden Regelung vererbte Waffe mit einem Blockiersystem ausrüsten.
OLG München – Hypo Real Estate: Nach einer Meldung der FAZ musste sich das Oberlandesgericht München erneut mit dem Schadenersatzstreit der mittlerweile verstaatlichten Hypo Real Estate-Bank befassen. Nachdem diese in der Auseinandersetzung mit klagenden Investoren unterlegen war, hätten ihre Anwälte nun 114 Fehler der 191-seitigen Entscheidung aufgelistet und beantragt, diese in mündlicher Verhandlung zu korrigieren.
OLG München - Goebbels-Zitate: bild.de (Herbert Bauernebel) stellt die Argumente der Prozessparteien im Urheberrechtsstreit zu Tagebuch-Zitaten Joseph Goebbels dar. Die Tochter Hjalmar Schachts hält sich für die Inhaberin der Urheberrechte, sie verlangt vom Verlag Random House wegen der Verwendung der Zitate in einer Biographie Tantiemen.
LG Darmstadt – Fall Tuğçe: Über Zeugenvernehmungen im vor dem Landgericht Darmstadt verhandelten Fall Tuğçe berichtet unter anderem die SZ (Susanne Höll). Nach den Aussagen von Freundinnen des Opfers sollen Pöbeleien und Beleidigungen auch von ihrer Gruppe in Richtung des Angeklagten ausgegangen sein.
LG München I - Deutsche Bank: Am heutigen Dienstag beginnt vor dem Landgericht München I der Prozess gegen Jürgen Fitschen und weitere, frühere Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank wegen versuchtem Prozessbetrug bzw. falscher uneidlicher Aussage. Vorberichte bringen unter anderem focus.de, zeit.de und das Handelsblatt (Kerstin Leitel/Laura De la Motte). Die SZ (C. Hulverscheidt/K. Ott/U. Schäfer) befasst sich in einer Seite Drei-Reportage auch mit dem verfahrensbedingten Image-Schaden für die Deutsche Bank, die ohnehin und entgegen eigener Verlautbarungen durch die Finanzkrise nachhaltig beschädigt sei.
LG Göttingen – Transplantationsskandal: Nach 20-monatiger Verhandlung steht der vor dem Landgericht Göttingen geführte Verfahren gegen den früheren Chefarzt Aiman O. vor dem Abschluss. Laut Plädoyer der Oberstaatsanwältin seien die Manipulationen des Angeklagten erwiesen, schreiben spiegel.de und taz (Reimar Paul). Wegen Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen und versuchten Totschlags in elf Fällen habe die Anklagebehörde acht Jahre Haft sowie ein lebenslanges Berufsverbot als Transplantationsmediziner gefordert. Ein Urteil wird für die kommende Woche erwartet.
LG Essen – Thomas Middelhoff: Das Handelsblatt (Massimo Bognanni) berichtet zu Schwierigkeiten Thomas Middelhoffs, die wegen der Außervollsetzung seines Haftbefehls von ihm geforderte Kaution aufzubringen. Das Landgericht Essen habe den Eingang der knapp 900.000 Euro nicht bestätigen können.
StA Hamburg – SS-Massaker: Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt derzeit gegen einen früheren SS-Offizier wegen Beteiligung an einem 1944 in Italien verübten Massaker. Ein Gutachten habe die eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten bescheinigt, schreibt die taz-Nord (Andreas Speit). Gleichwohl habe die Anklagebehörde neue Gutachten zu dieser Frage beauftragt.
Recht in der Welt
USA – Agent Orange: In einem Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ stellt Rechtsprofessor Christian Förster den Stand zu Entschädigungsansprüchen gegen die USA wegen des Einsatzes von Agent Orange im Vietnam-Krieg dar. Gesundheitsschäden durch das dioxinhaltige Pflanzenentlaubungsmittel beschäftigten auch 40 Jahre nach Ende des Konflikts weltweit Gerichte. Der südkoreanische Oberste Gerichtshof habe 2013 zugunsten inländischer Veteranen, die auf der Seite der USA kämpften, gegen die Hersteller der Chemikalie auf Grundlage eines Produkthaftungsgesetzes entschieden. In den USA selbst scheiterten ähnliche Prozesse dortiger Veteranen dagegen immer noch an einer Haftungsprivilegierung für Vertragspartner der Regierung.
Indonesien – Todesstrafe: In einem Kommentar kritisiert Nicola Glass (taz) die bevorstehende Vollstreckung der Todesstrafe an mehreren wegen Drogenschmuggels Verurteilten in Indonesien. Die Strafe tauge weder zur Abschreckung noch dazu, "das Drogenproblem zu lösen".
Sonstiges
Uwe Nettelbeck: Auch die SZ (Heribert Prantl) bespricht nun die von Petra Nettelbeck herausgegebene Sammlung "Uwe Nettelbeck: Prozesse, Gerichtsberichte 1967-1969". Die Texte gehörten zum Besten, "was je auf dem Gebiet der Gerichtsreportage erschienen ist", der Rezensent erkennt in ihnen "journalistische Kunstwerke".
Notarielle Unterwerfungserklärung: In einem ausführlichen Gastbeitrag für den zpoblog.de erläutert Rechtsanwalt Oliver Löffel "Aktuelle Entwicklungen bei der notariellen Unterwerfungserklärung im Wettbewerbsrecht".
Energieausweis: Seit einem Jahr muss bei Vermietungen oder Verkäufen von Wohnraum unaufgefordert ein sogenannter Energieausweis vorgelegt werden. Dass dies tatsächlich nur bei einem Teil der Fälle passiert, haben Stichproben im Auftrag des Mieterbundes ergeben, schreiben taz (Malte Kreutzfeld) und Welt (Norbert Schwaldt). Bei der Vorstellung des Berichts sei zudem bemängelt worden, dass eine behördliche Kontrolle so gut wie nicht stattfinde.
Das Letzte zum Schluss
Nebentätigkeit: Manche Jobs im öffentlichen Dienst lassen Betroffenen Zeit für – selbstverständlich genehmigungspflichtige – Nebentätigkeiten. Eine solche Genehmigung hatte ein im Vollzugsdienst beschäftigtes Ehepaar auch eingeholt. Nachdem die Leiterin der JVA aber erfuhr, dass die Vollzugsbeamten nebenbei einen Erotik-Chat betrieben und dabei Einkünfte weit über ihrem Gehalt erzielten, zog sie die Genehmigung zurück. Zu Recht, wie das Verwaltungsgericht nach Meldung der Welt nun entschied.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. April 2015: Unangemessene Vergebung? – Deutsche Bank vor Gericht – Entschädigung für Agent Orange . In: Legal Tribune Online, 28.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15366/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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