Dürfen HipHoper fremde Beats sampeln? Darüber verhandelte das BVerfG. Außerdem in der Presseschau: Beim Terror-Angeklagten Marco G. wurden Waffen gefunden, Vermietung an Asylbewerber als Rücktrittsgrund vom Kaufvertrag
Thema des Tages
BVerfG - Sampling von "Tonfetzen": Das Bundesverfassungsgericht hat im Streit zwischen der Band Kraftwerk und dem Produzenten Moses Pelham verhandelt. Pelham hatte 1992 ein zwei Sekunden langes Kraftwerk-Sample ohne Erlaubnis für den Song "Nur mir" der Sängerin Sabrina Setlur verwendet. 2012 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass auch für "kleinste Tonfetzen" das Leistungsschutzrecht der Plattenfirmen gelte. Die "freie Benutzung" einer Tonsequenz sei dann zulässig, wenn sie nicht in "gleichwertiger" Art und Weise reproduziert werden könne. Dagegen erhob Pelham Verfassungsbeschwerde. Ohne Sampling gebe es keinen HipHop, er berief sich auf die Kunstfreiheit. Es berichteten u.a. spiegel.de (Dietmar Hipp) und BadZ (Christian Rath). Die SZ (Wolfgang Janisch) vermutet, dass die Karlruher Richter für die momentane Regelung im Urheberrecht "Reformbedarf" sehen und deshalb eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde.
Rechtspolitik
Mietrecht: Die FAZ (Joachim Jahn) berichtet von Plänen des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD), das Mietrecht deutlich zu verschärfen. Nach der Mietpreisbremse solle es nun ein zweites Reformpaket geben. Im Kern solle dabei zum einen die Umlage von Modernisierungskosten auf die Mieter stark eingeschränkt werden. Zum anderen solle es eine Ausweitung des Beobachtungszeitraums von Mietspiegeln geben, was sowohl Mieterhöhungen in laufenden Verträgen als auch bei Neuvermietungen erschweren würde. Auch sollen die Kriterien für Mietspiegel in einer Verordnung geregelt werden, um die zuletzt vermehrt bestehende Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit von Mietspiegeln zu beseitigen. In einem separaten Kommentar warnt Joachim Jahn (FAZ) vor negativen Auswirkungen der Änderungen auf die Immobilienbranche. Von Maas geplante Kappungsgrenzen bezeichnet er als "Folterwerkzeuge aus dem Gruselkabinett".
EU-Flüchtlingspolitik: Kanzlerin Merkel bringt erstmals die Aussetzung des Schengen-Systems als Option ins Spiel, sollte sich die EU weiterhin nicht auf eine Verteilungsquote für Flüchtlinge einigen können. Das berichtet die SZ (Stefan Braun, Cerstin Gammelin). Wenn sich manche Staaten einer permanenten, solidarischen Verteilung verweigerten, setzten sie die Reisefreiheit in Europa aufs Spiel. Zudem seien EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei, die sie als "Schlüsselpartner" in der Flüchtlingskrise bezeichnete, voranzutreiben.
Digitale Grundrechte: Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, beschäftigt sich in einem Gastbeitrag in der Zeit mit den gesellschaftlichen Herausforderungen der schnellen Digitalisierung. Es bedürfe einer Diskussion darüber, wie Zusammenleben im digitalen Zeitalter gestaltet werden solle – und entsprechender Regeln, weshalb er sich für eine Charta der digitalen Grundrechte ausspricht. Diese solle auf europäischer Ebene von Parlamenten, Regierungen und Verbänden aktiv ausgehandelt werden. Sowohl hinsichtlich aufkommender Grundrechtsfragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung als auch den anstehenden Verteilungskämpfen hält er eine breite gesellschaftliche Debatte für notwendig. Zentrale Entscheidungen sollten weder allein von den Gerichten getroffen, noch faktisch der Internetgemeinde überlassen werden.
Sozialleistungen für Asylsuchende: In einem Gastbeitrag in der FAZ erörtert Rechtsprofessor Kay Hailbronner die Frage, welche Spielräume der Gesetzgeber bei der Bemessung der Leistungen für Asylsuchende in Deutschland hat. Das BVerfG hatte 2012 entschieden, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht mit dem Grundrecht auf Gewährung einer menschenwürdigen Existenz und dem Sozialstaatsprinzip vereinbar seien.
Justiz
OLG Düsseldorf –Waffenfund bei Marco G.: Der Prozess gegen den mutmaßlichen islamistischen Terroristen Marco G. ist unterbrochen worden, nachdem in dessen Zelle selbstgebaute Waffen gefunden worden waren. Bislang ist unklar, wozu diese eingesetzt werden sollten; ein Verfahren wegen versuchter Gefangenenbefreiung wurde eingeleitet. Zudem wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, unter anderem werden die Angeklagten nun mit Hubschraubern ins Gericht geflogen. Gegen den Inhaftierten läuft seit über einem Jahr ein Strafprozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Ihm wird vorgeworfen, im Dezember 2012 eine Bombe im Bonner Hauptbahnhof abgelegt zu haben. Zudem soll er mit drei weiteren Angeklagten geplant haben, Mitglieder der Partei Pro NRW zu erschießen. Es berichten spiegel.de (Jörg Diehl) und FAZ (Reiner Burger).
OLG München – NSU: spiegel.de (Gisela Friedrichsen) befasst sich mit der Rolle der Alt-Verteidiger Beate Zschäpes. Ihrer Einschätzung nach seien diese die einzigen, die Zschäpe ordnungsgemäß verteidigen könnten, weil sie seit Beginn der Hauptverhandlung vor zweieinhalb Jahren anwesend sind und den Prozess kennen. Sie zeigten sich zuletzt sogar besonders engagiert.
BGH zu Vermietung an Flüchtlinge: Vermietet der Erwerber eines Hausgrundstücks entgegen der in den Verhandlungen getätigten Aussagen nicht an Familien, sondern an Flüchtlinge, ist dies ein Grund für die Rückabwicklung des Vertrags. Dies entschied nun der BGH, wie lto.de berichtet. Die Käuferin hatte das Haus nach dem Kauf in eine Unterkunft für bis zu 30 Asylsuchende umgewandelt. Mit der im Nachbarhaus lebenden Verkläuferin war zuvor vereinbart worden, das verkaufte Elternhaus aufgeteilt in kleine Wohnungen an Familien mit Kindern zu vermieten.
ArbG Aachen zu Kündigungsgrund: Wie lto.de meldet, ist eine Auseinandersetzung zwischen dem Arbeitgeber und dem Ehemann der Arbeitnehmerin kein hinreichender Grund dafür, der Frau zu kündigen. Im konkreten Fall hatten sich der Arbeitgeber und der Ehemann der Arbeitnehmerin über einen in anderer Sache geschlossenen Werkvertrag zerstritten.
BFH zu Tierversorgungskosten: Kosten für die Betreuung eines Haustiers während der Urlaubszeit sind steuerlich absetzbar. Der Bundesfinanzhof sah Tätigkeiten wie Füttern, Fellpflege und Ausführen als "haushaltsnahe Dienstleistungen" an, wie die FAZ (Joachim Jahn) meldet.
BSG zur Apothekenwahl: Gesetzliche Krankenkassen dürfen Exklusivverträge mit Pharmaunternehmen schließen, was zur Folge hat, dass Krebspatienten in ihrer Apothekenwahl eingeschränkt sind. Aus Kostengründen sei dies zulässig, entschied das Bundessozialgericht nach einer Meldung der FAZ (Joachim Jahn).
BGH zu Transparenz in AGB: Wird in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Stromlieferungsvertrags auf eventuelle spätere Preisanpassungen hingewiesen, gebietet das Transparenzgebot nicht den Hinweis auf die Möglichkeit, solche gerichtlich überprüfen zu lassen. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof, meldet lto.de.
OLG Hamm zu unentdecktem Hautkrebs: Das Oberlandesgericht Hamm hat einem Witwer ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,- Euro zugesprochen, weil die behandelnden Hausärzte eine Krebserkrankung nicht erkannt hatten. Die Patientin hatte sich eine verfärbte Hautstelle am Fuß durch einen Stoß erklärt. Nachdem die Ärzte eine – von der Patientin selbst entnommene – Gewebeprobe hatten untersuchen lassen, woraus sich nur Hinweise auf eine bakterielle Infektion ergaben, unterließen sie weitere Untersuchungen. Bei genauerer Untersuchung hätte die Krebserkrankung jedoch wahrscheinlich geheilt werden können, befand nun das Gericht. Dies meldet lawblog.de (Udo Vetter).
VG Berlin – Kopftuchverbot: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet, dass eine Lehrerin in Berlin Klage gegen das dort weiterhin bestehende Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen eingereicht habe. Sie bezweifele, dass das in Berlin geltende sogenannte Neutralitätsgesetz, das jegliche religiöse Symbole oder Kleidungsstücke im Staatsdienst untersagt, mit dem neuen BVerfG-Urteil zum Kopftuchverbot vereinbar sei. Wegen unzulässiger Diskriminierung mache sie einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geltend.
LG Saarbrücken zu sexuellem Missbrauch: Die Zeit (Daniel Müller) beschäftigt sich ausführlich mit dem Fall des geistig zurückgebliebenen Peter S., der vom Landgericht Saarbrücken im Februar 2003 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde und noch immer in einem Wohnheim der forensischen Psychiatrie geschlossen untergebracht ist. Ihm wird die Vergewaltigung der kleinen Jungen Bernhard und Pascal vorgeworfen. Die Kinder sollen um die Jahrtausendwende im Umfeld der "Tosa-Klause" durch die Wirtin und verschiedene Gäste jahrelang systematisch missbraucht und Pascal schließlich getötet worden sein. Der spektakuläre Prozess gegen 13 Angeklagte endete allerdings damit, dass alle freigesprochen wurden – einziger Verurteilter ist Peter S., dessen Verfahren zuvor bereits abgetrennt und beendet worden war. Müller kritisiert, dass die beiden Urteile sich diametral widersprächen, weist auf diverse Ungereimtheiten im Verfahren gegen Peter S. hin und bezeichnet dessen Verurteilung als Fehlurteil.
Recht in der Welt
IStGH-Verfahren gegen den IS?: In einem Gastbeitrag in der FAZ beschäftigt sich Rechtsprofessor Kai Ambos mit der Frage, ob die Terroranschläge des "Islamischen Staates" (IS) durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verfolgbar sind. Die materielle Zuständigkeit sieht er als gegeben an, weil er die Anschläge als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der IStGH-Definition einstuft. Der hierzu notwendige "ausgedehnte und systematische Angriff gegen die Zivilbevölkerung" liege vor, da der Angriff sich gegen eine Vielzahl von Zivilisten gerichtet habe und von langer Hand geplant gewesen sei. Hinsichtlich der formellen Zuständigkeit diskutiert er die Anknüpfungsmöglichkeiten nach dem sogenannten aktiven Personalitätsprinzip und dem Territorialitätsprinzip und sieht im Ergebnis eine ausreichende Grundlage für Ermittlungen des IStGH. Zudem könnte der UN-Sicherheitsrat eine entsprechende Überweisung an den IStGH vornehmen. Dass ein IStGH-Verfahren eingeleitet wird, hält Ambos für sinnvoll.
Frankreich - Selbstverteidigung gegen den IS: Im Gespräch mit der Zeit äußert sich der finnische Völkerrechtler Martti Koskenniemi zu der Zulässigkeit von Angriffen Frankreichs gegen den "Islamischen Staat" (IS) auf Grundlage von Art. 51 der UN-Charta, die Staaten ein Recht auf Selbstverteidigung gewährt. Er unterstreicht dabei, dass der IS kein "Staat" im völkerrechtlichen Sinne sei, obgleich er territoriale Kontrolle ausübe.
TTIP-Gericht: Rechtsprofessor Stephan Schill beschäftigt sich auf verfassungsblog.org mit dem Vorschlag, ein permanentes, öffentlich tagendes TTIP-Gericht mit zwei Instanzen zu schaffen.
USA - Anklage gegen Polizisten wegen Mordes: Ein weißer Polizist aus Chicago ist am Dienstag wegen Mordes angeklagt worden. Er soll vor einem Jahr den 17-jährigen Schwarzen Laquan McDonald mit 16 Schüssen getötet haben. Ausschlaggebend war ein nun von der Polizei veröffentlichtes Video, das die bisherigen Angaben des Todesschützen, es habe eine Notwehrsituation bestanden, erschüttern. Es berichteten spiegel.de (Marc Pitzke) und die SZ.
USA - Revenge-Porns: Die FAZ (Christiane Heil) berichtet über ein härteres Vorgehen US-amerikanischer Gerichte gegen sogenannte Revenge-Porns, bei denen intime Bilder durch ehemalige Liebhaber im Internet veröffentlicht werden. In mehreren Fällen wurden Gefängnisstrafen gegen Ex-Partner, aber auch gegen veröffentlichende Webseitenbetreiber verhängt.
Belgien – Holocaustleugnung: Der französische Komiker Dieudonné ist von einem Lütticher Gericht wegen der Leugnung des Holocaust zu zwei Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 9000 Euro verurteilt worden, berichtet spiegel.de. Bei einem Auftritt im Jahr 2012 habe er zudem rassistische, hasserfüllte und stigmatisierende Äußerungen getätigt.
Sonstiges
Bundeswehr-Auslandseinsätze: In einem Gastbeitrag in der FAZ erörtert Rechtsprofessor Stefan Talmon die rechtlichen Voraussetzungen für Auslandseinsätze der Bundeswehr am Beispiel der EU-Militäroperation zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität im Mittelmeerraum, an der auch Streitkräfte der Deutschen Bundeswehr beteiligt sind. Dabei stellt er heraus, dass die von ihm beobachtete extensivere Auslegung des Begriffs der "Friedensbedrohung" durch den UN-Sicherheitsrat seit den 1990er Jahren eine zunehmende Rolle für das deutsche Verfassungsrecht spiele. Denn nach Artikel 87a Abs. 2 GG dürften die Streitkräfte außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit dies vom Grundgesetz ausdrücklich zugelassen werde – was bei Einsätzen innerhalb eines Systems "gegenseitiger kollektiver Sicherheit" im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG auch bei Auslandseinsätzen der Fall sein soll. Damit bedeute eine Veränderung der Regeln des Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, die durch Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats, aber auch den Rat der Europäischen Union herbeigeführt werden können, automatisch eine Veränderung der Regeln für Bundeswehreinsätze.
Zweiter NSU-Untersuchungsausschuss: Am gestrigen Mittwoch konstituierte sich ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Nach der Arbeit des ersten Untersuchungsausschusses von Januar 2012 bis August 2013 seien weiterhin viele Fragen offen. Auch der NSU-Prozess am OLG München wird Gegenstand des Ausschusses werden – insbesondere die angekündigte Aussage der Hauptangeklagten Beate Zschäpe werde in die Analyse der Geschehnisse um die Mordserie einbezogen werden. Es berichtet die taz (Konrad Litschko).
Abo-Fallen in Smartphone-Apps: Die SZ (Jan Willmroth) beleuchtet die Möglichkeiten für Verbraucher, sich gegen "Abzock"-Unternehmen zu wehren, die Smartphone-Apps ausnutzen: Beim Klicken auf in den Apps angezeigte Banner wird ein Bezahlmechanismus ausgelöst und eine Gebühr über die Rechnung des Mobilfunkanbieters eingezogen. Dies ist nach Meinung von Verbraucherrechtlern eigentlich unzulässig, weshalb der Rechnung widersprochen werden sollte.
Das Letzte zum Schluss
Glückliche Gauner: Einer vermeintlichen Diebesbande in Italien muss die Polizei alle Wertsachen zurückgeben, die bei diesen beschlagnahmt wurden – unter anderem Juwelen, ein Sportwagen, ein Wohnwagen und mehrere Konten. Seitdem die Täter 2010 in erster Instanz verurteilt worden waren, verzögerte sich der Prozess immer wieder. Da das Gericht nunmehr nur Hehlerei annahm, wofür eine kürzere Verjährungsfrist gilt, sind die Taten nun nicht mehr verfolgbar. Dies berichtet die FAZ (Jörg Bremer).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. November 2015: BVerfG verhandelt über "Tonfetzen" / Waffenfund im Terroristenprozess / Asylvermietung . In: Legal Tribune Online, 26.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17661/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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