Der UN-Sicherheitsrat verabschiedet eine Anti-Terror-Resolution. Muss das deutsche Strafrecht verschärft werden? Außerdem in der Presseschau: Datenschutz bei Polizei-Kameras und Auskunfteien, Echo auf Inzest-Reformvorschlag, Kostenerstattung für Aktenausdrucke, Entschädigung für US-amerikanische Ureinwohner und keine Nachsicht für notorischen Briefeschreiber.
Thema des Tages
Anti-Terrorismus-Resolution: Am Mittwochabend verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig eine Anti-Terrorismus-Resolution. Nach Darstellung der taz (Andreas Zumach) sind die 193 Mitgliedsstaaten damit völkerrechtlich verbindlich dazu verpflichtet, "auf ihren Hoheitsgebieten die Rekrutierung, den Transport, die Durchreise, Finanzierung, Organisierung und Ausrüstung von Terroristen oder terrorbereiten Personen" zu unterbinden und zu bekämpfen. Als Ziel gelte dabei "Terrorismus in all seinen Formen und Ausprägungen", besonderes Augenmerk verdiene die Rekrutierung ausländischer Kämpfer etwa der Gruppe "Islamischer Staat."
Ob sich die Bundesregierung durch die Resolution zu einer Änderung des deutschen Strafrechts veranlasst sehe, werde nach Bericht der SZ (Stefan Braun) derzeit geprüft. Die FAZ (Eckart Lohse) zitiert die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Eva Högl, mit konkreten Vorschlägen. So sei zu erwägen, "Markierungen in den Personalausweisen von Dschihadisten anzubringen." Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Strobl (CDU) fordere: "Wir müssen das Strafrecht und besonders die Strafprozessordnung einem Islamisten-TÜV unterziehen." Die taz (Christian Rath/Tobias Schulze) stellt in ihrem Bericht auch die bereits existierenden für die Verfolgung von Kämpfern und Unterstützern relevanten Strafnormen vor. Seit 2001 mache sich nach § 129b Strafgesetzbuch (StGB) strafbar, wer Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist. Nach § 89b StGB kann bestraft werden, wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereite.
Rechtsprofessor Martin Scheinin (verfassungsblog.de) unterzieht die Resolution einer gründlichen Kritik. Der Völkerrechtler bemängelt vor allem die in dem Beschluss unterbliebene Definition von Terrorismus und macht weitreichende Missbrauchsmöglichkeiten gegenüber unliebsamen Minderheiten für autoritär regierte Staaten aus. Im Ergebnis bedeute der Beschluss einen "gigantischen Rückschlag im UN-Terrorbekämpfungsregime" und weise den Weg zur Sicherheitsratsresolution 1373, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erlassen wurde.
Rechtspolitik
Datenschutz: Lto.de (Anne-Christine Herr) befragt den Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar zu einem derzeit in der Freien und Hansestadt anlaufenden Pilotprojekt, bei dem Polizisten mobile Kameras am Körper tragen werden. Caspar hält die hierdurch ermöglichten Bild- und Tonaufnahmen zu Zwecken der Gefahrenprävention und Beweissicherung für grundsätzlich zulässig, mahnt aber Verbesserungen bei der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit der polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlage sowie der Kenntlichmachung bei der Anfertigung von Aufnahmen an. Auch sei eine gesetzliche Festlegung einer bestimmten Speicherdauer erwägenswert.
Datenschutz und Auskunfteien: Das Bundesjustizministerium wird demnächst ein Gutachten zur rechtlichen Zulässigkeit des von Auskunfteien wie der Schufa betriebenen Scorings vorstellen. In einem Kommentar stellt Christiane Schulzki-Haddouti (zeit.de) verschiedene Methoden dieser Praxis und deren Bewertung durch Gerichte vor. Die Autorin befürchtet, dass sich die Kritik von Daten- und Verbraucherschützern auf einzelne Methoden beschränken wird. Stattdessen sollten Betroffene in Ausübung ihres "Rechts, in Ruhe gelassen zu werden" auch der Erhebung korrekter Daten widersprechen können, ohne hierdurch Schäden erleiden zu müssen.
Inzest: Das Bundesjustizministerium hat unter Hinweisen auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs ablehnend auf das Votum des Deutschen Ethikrates zur Lockerung des Inzestverbots zwischen volljährigen Geschwistern reagiert. Dies meldet die FAZ (Heike Schmoll) und berichtet über die ebenfalls mehrheitlich ablehnenden Stellungnahmen von Politikern. In diesem Sinne kommentiert auch Reinhard Müller (FAZ) den Vorschlag. Argumente um mögliche Erbschäden sollten in der Debatte nicht "überstrapaziert" werden, vielmehr stünde die Familie als "Keimzelle der Gesellschaft auf dem Spiel." Der von ihr geschaffene Ordnungsrahmen bestünde nicht zuletzt um des Wohls der Kinder wegen. Dieses würde aber im "allgemeinen Trend, Ehe und Familie für beliebig zu erklären" auch in anderen Zusammenhängen, etwa der "verfassungsrechtlich fragwürdigen Einebnung der Ehe zugunsten der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft konsequent kleingeredet."
Investitionsschutz: In einem längeren Gastbeitrag für die FAZ wirbt der Politökonom Robert Basedow dafür, die gegenwärtigen Verhandlungen zum europäisch-US-amerikanischen Freihandelsabkommen dafür zu nutzen, das bereits bestehende Regime zum Investitionsschutz durch Schiedsgerichte zu reformieren. Durch Festlegung "prozessualer Standards der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit" böte sich die Chance einer "Konstitutionalisierung des Investitionsregimes" und dadurch die Gewährleistung eines "Mindestmaßes an Rechtsstaatlichkeit in der Weltwirtschaft."
Parlamentsrechte: Die FAZ (Günter Bannas) berichtet über Kritik des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) an der Bundesregierung. Zum einen habe Lammert in einem Brief an den Haushaltsausschuss den Gesetzentwurf zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes kritisiert, weil Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Beteiligung und Mitwirkung des Parlaments ungenügend beachtet worden wären. Zum anderen störe sich der Parlamentspräsident an der von der Regierung geübten Praxis, zu aktuellen Fragestunden des Bundestages Staatssekretäre und keine Minister zu entsenden.
Unbefugte Nacktaufnahmen: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat einen Gesetzentwurf vorgestellt, nach dem künftig unbefugte Nacktaufnahmen sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen verboten sein sollen. Der Entwurf bezwecke vor allem eine Stärkung des Persönlichkeitsschutzes, schreibt die taz (Christian Rath). Hierzu sollte auch die Anfertigung von Bildern, die geeignet seien, "dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden" verboten werden. Kritiker des Entwurfs bemängelten vor allem die Unbestimmtheit der verwendeten Begrifflichkeiten.
Justiz
BVerfG-Umzug: Am kommenden Wochenende wird das Bundesverfassungsgericht nach dreijährigem "Exil" wieder in seinem Stammsitz am Karlsruher Schlossplatz zurückkehren. Die SZ (Wolfgang Janisch) unternimmt einen architektonischen Rundgang durch das modernisierte Gebäude, in dem am 7. Oktober das erste Urteil – zum kommunalen Anteil bei der Verteilung der Sozialhilfe – verkündet.
BAG zu Kopftuch: Die FAZ (jib) schreibt über Reaktionen zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts, nach dem kirchliche Arbeitgeber Mitarbeiterinnen verbieten können, während der Arbeit ein Kopftuch zu tragen. So habe Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, die Entscheidung und den durch sie zum Ausdruck kommenden "Sonderstatus der Kirchen" kritisiert. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner wird dagegen mit dem Ausspruch zitiert, dass ein "Kopftuch nicht zu einer freien Gesellschaft" passe. Die taz (Gil Shohat) befragt Norbert Groß, Direktor des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes, zum Thema.
OLG Düsseldorf zu anwaltlicher Kostenerstattung: Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf besteht kein grundsätzlicher Anspruch eines Strafverteidigers auf Kostenerstattung für den Ausdruck einer kompletten e-Akte. Wenn dem Anwalt die vollständigen Akten dauerhaft in digitalisierter Form zur Verfügung stünden, genüge dies den Anforderungen an eine sachgerechte Verteidigung, meldet Thomas Stadler (internet-law.de). Der klagende Anwalt hatte versucht, für den Ausdruck von 380.000 Seiten 67.000 Euro erstattet zu bekommen, das Gericht billigte ihm ca. 14.000 Euro zu. Über diesen und andere vergleichbare Beschlüsse von Oberlandesgerichten schreibt auch Detlef Burhoff (strafrecht.jurion.de) und berichtet dabei über den komisch anmutenden, vorerst erfolglos gebliebenen Versuch eines Verteidigers, dem entscheidenden Senat des OLG Düsseldorf die Menge der ausgedruckten Akten durch eine persönliche Übergabe glaubhaft zu machen.
OLG München – Hypo Real Estate: Im Musterverfahren zur Schadensersatzforderung mehrerer Aktionäre der Immobilienbank Hypo Real Estate vor dem Oberlandesgericht München lehnt die beklagte Bank den vom Vorsitzenden Richter Guido Kotschy empfohlenen Vergleich nach wie vor ab. Wie die FAZ (Henning Peitsmeier) berichtet, hält das Gericht einen Schadensersatz wegen mutmaßlich geschönter Berichte der Bank für möglich. Die Beklagte ginge dagegen davon aus, Aktionäre zu Beginn der internationalen Finanzkrise korrekt informiert zu haben und sei auch bereit, notfalls eine Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einzulegen.
OVG Niedersachsen zu Abschiebungskosten: Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat eine gegen die Beteiligung an den Kosten einer Abschiebung gerichtete Berufung zurückgewiesen. Die mittlerweile wieder in Deutschland lebende Klägerin war zum Abschiebungszeitpunkt minderjährig, die Rechtsgrundlage des Aufenthaltsgesetzes unterscheide jedoch nicht zwischen Minder- und Volljährigkeit. Die taz-Nord (HST) berichtet.
LG Berlin zu "Online-Scheidung": Hans-Otto Burschel (beck.blog.de) macht auf ein noch nicht rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Berlin vom Juni aufmerksam, das die Haftungsrisiken für anwaltliche Anbieter von sogenannten Online-Scheidungen verdeutliche. In der Entscheidung ist die beklagte Rechtsanwältin verurteilt worden, ihrer vormaligen Mandantin sämtliche aus einem Scheidungs-Vergleich herrührende Schäden zu ersetzen. Nach Ansicht des Gerichts sei es "grundsätzlich pflichtwidrig und fehlerhaft", wenn die anwaltliche Beratungsbedarfsermittlung auf die Angaben in einem ausgefüllten Online-Formular und kurze telefonische Rücksprachen beschränkt werde.
LG Köln – Sal. Oppenheim: Die SZ (Kirsten Bialdiga) berichtet über die Zeugenaussage des Managers Thomas Middelhoff im Strafverfahren gegen frühere Gesellschafter des Bankhauses Sal. Oppenheim vor dem Landgericht Köln. Der Zeuge habe angegeben, dass der ebenfalls angeklagte Josef Esch die verfahrensgegenständliche Finanzspritze der Bank an seinen Arcandor-Konzern maßgeblich gefördert habe.
StA Berlin zu Michael Hartmann: Das gegen den Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann (SPD) wegen des Erwerbs der Droge "Crystal Meth" eingeleitete Ermittlungsverfahren ist nach einer Meldung von spiegel.de seitens der Berliner Staatsanwaltschaft gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden. Das Vorgehen der Anklagebehörde entspreche jenem in vergleichbaren Fällen, wird der Anwalt Hartmanns zitiert.
Recht in der Welt
IStGH – Zentralafrikanische Republik: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag/Niederlande hat wegen des Bürgerkrieges in der Zentralafrikanischen Republik offiziell Ermittlungen aufgenommen. Wie SZ (Tobias Zick) und taz (Dominic Johnson) schreiben, richten sich die Ermittlungen gegen beide in der Auseinandersetzung aktive Gruppen, ein muslimisches Rebellenbündnis und mehrheitlich christliche Milizen. Den Gruppen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Nach Dominic Johnson (taz) ist der Beschluss trotz aller erwartbarer Schwierigkeiten bei der Aufklärung richtig. Zwanzig Jahre nach dem "Horror von Ruanda" müsse die Weltgemeinschaft durch effektiven Schutz der Ermittlungen beweisen, dass sie ihr Bekenntnis eines "Nie wieder" ernst meine.
EGMR: In einem englischsprachigen Beitrag "Pitfalls of the National Selection Processes of Judges to the ECtHR" beschreibt der slowenische Rechtsdozent Jernej Letnar Cernic (verfassungsblog.de) die gerade in Mittel- und Osteuropa häufig unter Versuchen politischer Einflussnahme leidenden Ernennungsmechanismen für Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
USA – Navajo: Ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen der US-amerikanischen Regierung und dem Stamm der Navajo ist mit einer Vergleichszusage zur Zahlung von mehr als 550 Millionen Dollar beendet worden. Wie die FAZ (Christiane Heil) schreibt, entschädigt die Summe den Stamm im Südwesten des Landes für Unregelmäßigkeiten und Missmanagement bei der wirtschaftlichen Nutzung von Stammesgebiet durch die zuständige Abteilung des Innenministeriums.
Sonstiges
Luftangriffe gegen IS: Die völkerrechtliche Grundlage der bereits erfolgten Luftangriffe gegen Stellungen des "Islamischen Staats" im Irak und Syrien untersucht Reinhard Müller (FAZ). Ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates stehe zwar immer der Vorwurf der Völkerrechtswidrigkeit im Raum, gleichwohl sei ein solches Mandat wegen des Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung hier auch nicht erforderlich. Die ausdrückliche, oder im Fall Syriens stillschweigende Zustimmung der betroffenen Länder bestehe ohnehin.
NSA-Ausschuss: Über den äußerst begrenzten Erkenntnisgewinn der Zeugenvernehmung des Leiters einer BND-Außenstelle im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages berichten SZ (Thorsten Denkler) und FR (Markus Decker). Der Techniker habe entsprechend seiner von der Bundesregierung erteilten beschränkten Aussagegenehmigung Grundsätzliches zum Überwachungsprogramm seiner Dienststelle und der Weitergabe von Daten an die US-amerikanische NSA mitgeteilt und zudem betont, dass gesetzliche Vorschriften beachtet würden, auf Detailfragen Antworten in öffentlicher Sitzung jedoch verweigert.
BKA-Datenbank: Das Bundeskriminalamt führt eine Datenbank, in der mehr als 1,5 Millionen Menschen, die aus den verschiedensten Gründen mit der Polizei in Kontakt geraten sind, unter Stichworten wie "Rocker", "Prostituierte", "Btm-Konsument" oder "geisteskrank" kategorisiert sind. Dies gab das Bundesinnenministerium auf eine Kleine Anfrage des Bundestags-Abgeordneten Andrej Hunko (Linke) bekannt, schreibt die SZ (Johannes Boie). Auf die Datenbank hätten auch Polizisten in den Bundesländern und vom Zoll Zugriff.
Das Letzte zum Schluss
Querulant: Das niederländische Recht schreibt vor, dass jede einzelne Bürgeranfrage ebenso einzeln beantwortet werden muss. In wörtlicher Auslegung dieser Verpflichtung beschäftigte ein Einwohner aus einer Kleinstadt bei Rotterdam das örtliche Rathaus mit mehreren Tausend solcher Anfragen in den letzten zwei Jahren und sorgte dabei für Kosten in Millionenhöhe und 2,5 neue Vollzeitstellen bei der Gemeinde. Die hatte nun vor Gericht Erfolg: Wie spiegel.de (Benjamin Dürr) schreibt, darf der Mann nun noch maximal zwei Briefe pro Monat schreiben, bei jedem nächsten drohe Beugehaft. Für den "Quälgeist" sei die Angelegenheit indes noch nicht beendet, er beabsichtige den Menschenrechtsrat des Landes und notfalls den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzuschalten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. September 2014: Neue Gesetze gegen Terroristen? – Ruhe vor Auskunfteien – Kostenerstattung für Aktenberge . In: Legal Tribune Online, 26.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13317/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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