Die Marktverhältnisse unter und Arbeitsbedingungen in den Kanzleien haben sich verändert. Außerdem in der Presseschau: EuGH lässt Entzug der Aufenthaltserlaubnis zu, Supreme Court segnet Obamacare ab und die Folgen des Grexit.
Thema des Tages
Strukturwandel in der Anwaltschaft: Das Handelsblatt (Désirée Balthasar) bringt vor dem Hintergrund des aktuellen Ratings "Beste Anwälte 2015" einen umfassenden Bericht zu Marktveränderungen unter den Kanzleien und zu Arbeitsbedingungen in mittleren und Großkanzleien. In den letzten Jahren habe sich ein Trend abgezeichnet, wonach nicht mehr ausschließlich die Top-Wirtschaftskanzleien den Markt beherrschten, sondern hoch spezialisierte Boutiquen an Bekanntheit und Akzeptanz gewinnen. Andererseits sehen sich Großkanzleien zunehmend wirtschaftlichem Druck ausgesetzt und seien mittlerweile bereit, sich auch von langjährigen Partnern zu trennen.
In einem weiteren Beitrag greift das Handelsblatt (Désirée Balthasar) Umfragen von Azur und LTO auf, die auf veränderte Vorstellungen von einem optimalen Arbeitsplatz unter jungen Absolventen verweisen. Diese achten nicht mehr auf hohen Verdienst und Statussymbole, sondern auf Eigenständigkeit und Work-Life-Balance, was die Arbeitgeber vor erhebliche Herausforderungen stellt.
Rechtspolitik
EU-Urherberrechtsreform: zeit.de (Torsten Kleinz) erläutert die Kritik am Bericht des Rechtsausschusses des EU-Parlaments zur Urheberrechtsreform. Darin werde eine restriktive Auslegung der Panoramafreiheit festgeschrieben, die dazu führen könne, dass das Recht, etwa öffentliche Bauwerke fotografieren und diese Aufnahmen verbreiten zu können, erheblich eingeschränkt wird. So könnten Facebook-Nutzer in Zukunft verpflichtet sein, eine Einwilligung des Urhebers einzuholen, bevor sie ihre Urlaubsfotos von Sehenswürdigkeiten posten können.
Staatsangehörigkeit: Das Vorhaben der Innenministerkonferenz, deutschen Dschihadisten die Staatsangehörigkeit zu entziehen, stellt nun die Badische Zeitung (Christian Rath) dar. Ein Bericht des Bundesinnenministeriums sehe die mögliche Lösung in der Einführung einer neuen Verlustregel, wenn die Person sich an "Kampfhandlungen terroristischer Organisationen in Krisengebieten" beteiligt hat. Dies sei allerdings nur bei Vorhandensein einer doppelten Staatsbürgerschaft möglich. Christian Rath (taz) kritisiert dies als "Ausbürgerung auf Verdacht".
Justiz
EuGH zu PKK-Unterstützerin: Der Europäischen Gerichtshof hat im Falle einer PKK-Unterstützerin aus Deutschland entschieden, dass die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings mit EU-Recht vereinbar ist, wenn zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung vorliegen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Tobias Klarmann erläutert auf lto.de die Rechtslage und die Entscheidung des EuGH. Mit dem Verlust der Niederlassungserlaubnis werden weitere Beschränkungen nach dem Aufenthaltsgesetz, wie etwa Meldeauflagen, möglich.
BVerwG zu Unterlagen des Wissenschaftlichen Dienstes: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der Bundestag Einsicht in die Unterlagen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gewähren muss. Konkret ging es um die Einsicht in die Dokumente zur Guttenberg-Affäre und eines Dossiers zu Ufos. Anders als der Bundestag sah das BVerwG in der Erstellung von Gutachten eine Verwaltungstätigkeit, sodass der Bundestag informationspflichtig ist. Der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) bringt einen ausführlichen Hintergrundbericht.
BGH zu Abschlussschreiben: Der BGH hat am 22. Januar entschieden, dass das Abschlussschreiben nach Erlass einer einstweiligen Verfügung mit einer 1,3-Gebühr anzusetzen ist. Bisher hätten einige Gerichte lediglich den Gebührensatz von 0,8 angenommen. internet-law.de (Thomas Stadler) greift die Entscheidung auf.
LVerfG Meckpomm zu NPD-Äußerungen: Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat diskriminierende Äußerungen von NPD-Abgeordneten im Landtag erlaubt. In den, von der Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD) verhängten Ordnungsmaßnahmen, sah das Gericht eine unzulässige Einschränkung des Rederechts der NPD-Abgeordneten. focus.de berichtet.
LAG Bremen zu Druckkündigung: Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen kann eine Druckkündigung ohne konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis gerechtfertigt sein, wenn sich die Belegschaft nachdrücklich weigert mit einem Kollegen zusammenzuarbeiten, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden ist. Die Rechtsanwälte Oliver Vollstädt und Christoph Bergwitz erklären für das Handelsblatt-Rechtsboard die Voraussetzungen der echten Druckkündigung und besprechen die Erwägungen des Gerichts.
OLG Düsseldorf zu Terrorunterstützerin: Von der Verurteilung einer Bonnerin zu drei Jahren und neun Monaten Haft wegen Unterstützung des IS mit Geld- und Sachleistungen berichtet nun auch focus.de (Axel Spilcker/ Elena Rosenberg) und stellt den Radikalisierungsweg der Verurteilten ausführlich dar. Die Verteidigung hat Revision gegen das Urteil angekündigt.
SG Berlin zu Hartz-IV-Kürzung: Wird die Pausenverpflegung vom Arbeitgeber gestellt, darf der Hartz-IV-Satz von Aufstockern nicht pauschal gekürzt werden, entschied das Sozialgericht Berlin. Das Jobcenter Reinickendorf wollte einer Wurstverkäuferin eine Pauschale abziehen, weil der Arbeitgeber eine Verpflegung bereit gestellt hatte. Wie die SZ (Thomas Öchsner) darstellt, wehrte sich die Frau erfolgreich mit der Argumentation, sie könne die bereitgestellten Fleischgerichte wegen einer Diät gar nicht verzehren.
BGH – Haribo/Lindt: Vor dem Bundesgerichtshof streiten die Süßwarenproduzenten Haribo und Lindt um einen von Lindt vertriebenen Schokobären, der in Goldfolie eingewickelt ist. Haribo sieht darin die Verletzung seiner geschützten Wortmarke Goldbär und verlangt von Lindt den Schokobären vom Markt zu nehmen sowie Schadensersatz. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet, der BGH werde das Urteil am 23. September verkünden. Der Tagesspiegel (Mira Gajevic) und die Welt (Karsten Seibel) stellen zudem die Entscheidungen der Vorinstanzen und weitere Markenstreitigkeiten vor dem BGH, wie dem der Sparkasse gegen Santander, zusammen.
OLG München- NSU: Die taz (Konrad Litschko) geht auf einen Wortwechsel zwischen dem Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl und dem ehemaligen Richter und Strafrechtsprofessor Bernd von Heintschel-Heinegg unter seinem Blogeintrag auf blog.beck.de (Heintschel-Heinegg) ein, in welchem er die Verteidigung im NSU-Prozess kritisierte. Der Jurist war zuvor selbst Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München und ist mittlerweile als Experte für mehrere NSU-Untersuchungsausschüsse tätig.
Recht in der Welt
USA – Supreme Court zu Obamacare: Der Supreme Court hat die als Obamacare bekannt gewordene Gesundheitsreform in den USA gebilligt. Wie die FAZ (Andreas Ross) berichtet, ging es um die staatliche Subventionierung von Versicherungspolicen, die auf einer Online-Gesundheitsbörse des Bundes abgeschlossen worden waren. Die Republikaner beanstandeten die Subvention mit der Argumentation, sie sei nur bei Gesundheitsbörsen der einzelnen Bundesstaaten zulässig, die jedoch vielfach aus Protest gegen die Reform nicht eingerichtet worden waren.
IStGH – Südafrika: Die Regierung Südafrikas erwägt, die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof einzustellen und das Statut von Rom aufzukündigen. Dem vorausgegangen waren Streitigkeiten um den Besuch des sudanesischen Präsidenten Omar Hassan Al-Baschir in Johannesburg, den Südafrika hätte verhaften müssen. Wie die FAZ (Thomas Scheen) darstellt, würde ein Rücktritt jedoch nichts an der Verpflichtung zur Zusammenarbeit ändern, da die Ermittlungen bereits vor einem möglichen Rücktritt begonnen wurden.
Bosnien Herzegowina – Jugoslawienkrieg: Das für Kriegsverbrechen zuständige Gericht für den Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina hat zwei ehemalige Soldaten wegen Vergewaltigung einer 14-Jährigen während des Kriegs der 90er Jahre zu zehn Jahren Haft verurteilt. Zudem müssen sie dem Opfer eine Entschädigung von umgerechnet 13.520 Euro zahlen. Das Urteil sei als wegweisend aufgenommen worden, stellt die taz (Erich Rathfelder) dar.
Türkei - Gezi-Proteste: Die Welt (Deniz Yücel) berichtet vom Prozess gegen die Mitglieder eines Fußballclubs wegen Beteiligung an den Gezi-Protesten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen einen Putschversuch vor und hat lebenslange Haftstrafen gefordert.
Sonstiges
Grexit: Tobias Kerkemeyer spielt auf juwiss.de das Szenario eines möglichen Grexit durch. Zum einen sei bereits der Austritt aus dem Euro europarechtlich problematisch. Zum anderen müsste Griechenland bei der Einführung einer neuen Währung Kapitalverkehrskontrollen etablieren, die gegen EU-Recht verstoßen könnten.
Mahnkosten: Die SZ (Berrit Gräber) beschreibt die Praxis von Unternehmen, ungerechtfertigte und überhöhte Mahnkosten von Verbrauchern zu verlangen; üblich seien 5 bis 15 Euro, obwohl die Gerichte 1,20-1,50 Euro für zulässig erachten. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Rechtsprechung und Tipps zum Vorgehen bei solchen Forderungen.
Das Letzte zum Schluss
Teure Lästereien: Ärzte sind Menschen und müssen auch einmal Dampf ablassen können. Teuer wird es allerdings, wenn die Lästereien über den Patienten aufgezeichnet werden. Wie justillon.de (Stephan Weinberger) schildert, muss eine Klinik in den USA einem Patienten 500.000 Entschädigung zahlen, weil die Ärzte während seiner OP Beleidigungen äußerten und falsche Diagnosen verabredeten, was mit seinem Smartphone aufgenommen wurde.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. Juni 2015: Kulturwandel der Anwaltschaft – Supreme Court erlaubt Obamacare – Folgen des Grexit . In: Legal Tribune Online, 26.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16002/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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