Mehrfaches Scheitern einer Auslieferung bei Europäischem Haftbefehl kann zur Freilassung führen. Außerdem in der Presseschau: Kabinettsentwürfe zu Maut, Majestätsbeleidigung, Steuervermeidung und mögliche Rechtsverstöße im Fall Holm.
Tagesthema
EuGH zu Vollzug des Europäischen Haftbefehls: Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom gestrigen Mittwoch kann ein Inhaftierter unter Umständen eine Haftentlassung erreichen, wenn er sich wiederholt einer Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls widersetzt. Rechtsanwalt Franz-Josef Schillo erläutert die Entscheidung für lto.de. Zwar bestehe für die beteiligten Staaten auch eine Pflicht zum mehrfachen Übergabeversuch, dabei müsse der ausliefernde Staat aber eine angemessene Vorsorge gegen die erkennbare Wiederholung von Übergabehindernissen treffen. Die "auf den ersten Blick nicht nachvollziehbare Konsequenz der Entscheidung" trage dem europäischen Grundrechtsschutz Rechnung, so Schillo.
Rechtspolitik
"Majestätsbeleidigung": Laut spiegel.de und lto.de hat das Bundeskabinett am gestrigen Mittwoch einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des umstrittenen § 103 Strafgesetzbuch, der "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten", vorgelegt. Die Gesetzänderung soll jedoch erst zum 1. Januar 2018 in Kraft treten.
Automatisiertes Fahren: Auch für die Änderung des Straßenverkehrsrechts liegt ein Entwurf des Bundeskabinetts vor, so lto.de sowie spiegel.de. Danach soll das voll automatisierte Fahren rechtlich möglich werden; Computer und menschlicher Fahrer würden gleichgestellt, der menschliche Fahrer teilweise von Pflichten entbunden und müsse nur nach Aufforderung seitens des Fahrsystems das Steuer wieder übernehmen. Beweisproblemen soll laut Entwurf über eine Blackbox-Einrichtung vorgebeugt werden.
PKW-Maut: Weiter beschloss das Bundeskabinett Änderungen an bestehenden Maut-Gesetzen, die die von Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) geplante PKW-Maut ab 2019 ermöglichen sollen. Für inländische Autofahrer solle es eine Entlastung über die KfZ-Steuer geben, besonders profitieren würden dabei Fahrer von abgasarmen PKW der Euronorm 6. Die Änderungen geben einen Kompromiss mit der EU-Kommission wieder. Österreich hält nach wie vor eine Klage gegen eine deutsche Maut vor dem Europäischen Gerichtshof für denkbar; Ungarn Slowenien und die Niederlande würden dies gegebenenfalls unterstützen. Dazu ausführlich die SZ (Markus Balser/Thomas Kirchner), FAZ (Kerstin Schwenn/Manfred Schäfers), lto.de und spiegel.de.
Steuervermeidung: Deutsche Filialen internationaler Konzerne können Gebühren für Lizenzen, Markenrechte, Patente und Konzessionen, die sie an die Konzerne zahlen müssen, bislang als Ausgaben anrechnen und so ihre Steuerlast senken. Diese "konzerninternen Steuervermeidungsmodelle" will das Kabinett mithilfe sogenannter "Lizenzschranken" erschweren, informiert die SZ (Cerstin Gammelin). Künftig solle nur noch ein bestimmter Anteil davon als Ausgabe bilanziert werden, abhängig vom Sitz des internationalen Konzerns. Auch die FAZ (Manfred Schäfers) berichtet.
Verbot Arzneimittelversand: Gegen das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geplante Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln für ausländische Versender hat der Chef der Monopolkommission europa- und verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, weiß die FAZ (Andreas Mihm). Der Europäische Gerichtshof hatte im vergangenen Oktober entschieden, dass ausländische Versandapotheken in Deutschland verbotene Rabatte gewähren dürfen. Der Vorsitzende des Beratungsgremiums, Wirtschaftsprofessor Achim Wambach, hält das Verbot für nicht gerechtfertigt, es sei weder geeignet noch erforderlich, "einer Gefährdung der Versorgung oder der finanziellen Stabilität des Systems vorzubeugen", so die FAZ.
Petry zu Asylgrundrecht: Die Zeit (Matthias Geis/Tina Hildebrandt; zeit.de-Zusammenfassung) hat am 9. Januar mit Frauke Petry (AfD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) gesprochen. Dabei ging es um Währungs- und Wirtschaftspolitik, die Anfänge von AfD und Grünen, Utopien und Realpolitik, Gleichberechtigung und Gleichstellung sowie Sicherheit und Migrationspolitik. Zur Frage der Reichweite des Asylrechtes äußerte sich Petry dahingehend, "dass das Asylrecht nach Artikel 16a geändert (...) und dass es in ein Gnadenrecht des Staates umgewandelt werden muss".
Sonderbeauftragter im Fall Amri: Die nordrhein-westfälische Landesregierung will einen "regierungsparteiunabhängigen" Sonderbeauftragten zur Klärung möglicher Behörden-Fehler im Umgang mit dem späteren Berlin-Attentäter Amri einsetzen. Beauftragt werden solle der Gießener Strafrechtsprofessor Bernhard Kretschmer, so die FAZ (Reiner Burger), der gegebenenfalls notwendige Gesetzänderungen vorschlagen soll.
Interview Landau/Fall Albakr: Die FAZ (Reinhard Müller) spricht mit Herbert Landau, Rechtsprofessor und ehemaliger Bundesverfassungsrichter. Landau ist Vorsitzender der Expertenkommission im Fall des mutmaßlichen Terroristen Albakr, der sich in seiner Haftzelle in Sachsen selbst töten konnte. Landau spricht über die Arbeit und mögliches Versagen der Behörden bei der Festnahme, den Föderalismus, zögerliches Agieren von Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt, Trennungsgebot bei Polizei und Geheimdiensten, Menschenwürde und den Umgang mit Flüchtlingen.
Neue Wirtschaftsministerin: Die FAZ (Günter Bannas) stellt die künftige Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) vor. Die Juristin ist derzeit Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium und war im zweiten Kabinett unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Bundesjustizministerin.
Justiz
BGH zu später Nebenkostenabrechnung: Die jährliche Nebenkostenabrechnung durch den Wohnungsvermieter ist nur ausnahmsweise auch nach Ablauf von zwölf Monaten noch rechtmäßig, urteilte der Bundesgerichtshof am gestrigen Mittwoch. Eine Ausnahme liege vor, wenn der Vermieter "konkret darlegen" könne, dass er die Verspätung nicht zu vertreten habe, so der BGH laut spiegel.de.
BVerwG zu Rundfunkbeitrag: Laut einem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist der Rundfunkbeitrag auch für eine Zweitwohnung zu zahlen, dazu berichtet zeit.de. Die Zahlungspflicht sei an die Wohnung und nicht an den Besitz eines Rundfunkgerätes geknüpft – so habe das BVerwG bereits in anderen Verfahren entschieden.
EGMR zu Leihmutterschaft: Über die Entscheidung des Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte vom vergangenen Dienstag informiert nun auch lto.de. Der Gerichtshof hatte in zweiter Instanz entschieden, ein Staat – im konkreten Fall Italien –, in dem Leihmutterschaft verboten ist, dürfe ein rechtswidrig adoptiertes Kind in den ersten Monaten wegnehmen, um "Unordnung zu verhindern". Das Recht auf Achtung des Familienlebens sei nicht verletzt.
BVerfG – Tarifeinheitsgesetz: Die SZ (Detlef Esslinger/Wolfgang Janisch) berichtet ausführlich über den zweiten Verhandlungstag zum Tarifeinheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht. Am gestrigen Mittwoch sei klar geworden, dass das Gericht das Gesetz nicht bloß "stoppen und die Berufsgewerkschaften einfach machen lassen" werde. Vielmehr könnte es darum gehen, gesetzliche Wege zur Förderung von Gewerkschaftskompromissen zu suchen, vorstellbar sei ein wirkungsvoller Ausgleich für die Verlierer-Gewerkschaft im "Rennen" um Tarifverträge.
EuGH – Mitbestimmung: Vor dem Hintergrund der Verhandlungen am Europäischen Gerichtshof zur deutschen Arbeitnehmermitbestimmung am Dienstag dieser Woche befasst sich Rechtsanwalt André Zimmermann für das Handelsblatt-Rechtsboard mit der Frage, was eine mögliche Europarechtswidrigkeit für die Aufsichtsräte deutscher Unternehmen bedeuten könnte.
BVerfG zu NPD-Verbot: Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren beschäftigen sich für juwiss.de nun auch Rechtswissenschaftler Sven Jürgensen und Jura-Student Lasse Ramson. Das Urteil sei "ein Zeugnis des Vertrauens in und ein Aufruf an die demokratischen Kräfte in diesem Lande: Engagiert euch!"
Für die Welt befasst sich die Rechtswissenschaftlerin Şeyda Emek in einem ausführlichen Gastkommentar mit dem Urteil: "Jenseits des Parteiverbots schlummern Möglichkeiten".
OLG Hamburg zu Trunkenheit auf Segways: Über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg, wonach Segways als Fahrzeuge im Sinne des § 316 Strafgesetzbuch, Trunkenheit im Verkehr, zu werten seien, berichtet lawblog.de (Udo Vetter). Für Segway-Fahrer gelte laut der Entscheidung auch die 1,1-Promille-Grenze für die Beurteilung der Fahruntüchtigkeit.
OLG München – NSU-Prozess: Vom gestrigen Prozesstag vor dem Oberlandesgericht München berichtet spiegel.de (Björn Hengst). Der psychiatrische Sachverständige Henning Saß sei von Zschäpe-Anwältin Sturm eindringlich befragt worden, ihre Kritik setze bereits am Entstehen des Gutachtens an. Der Gutachter habe Zschäpe bereits für voll schuldfähig erklärt und eine Sicherungsverwahrung "nahegelegt".
Auch im Falle einer Verurteilung als Mittäterin an zehn Morden und weiteren Verbrechen des NSU käme die in München angeklagte Beate Zschäpe wohl nicht in Sicherungsverwahrung, so die SZ (Wiebke Ramm). Grund sei die Rechtsprechung des Dritten Strafsenats des Bundesgerichtshofes; danach sei eine Anordnung der Sicherungsverwahrung dann nicht rechtmäßig, wenn ein zu lebenslanger Haft – bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld – verurteilter Mörder erst dann wieder auf freien Fuß komme, "wenn er nicht mehr gefährlich ist", so die SZ.
In einem weiteren Beitrag auf spiegel.de (Björn Hengst) geht es um einen durch den Wohlleben-Verteidiger verursachten Eklat: Dieser habe die Ladung eines Sachverständigen für Demographie verlangt, um aufzuklären, was sich hinter dem Begriff des "Volkstods" verberge; wichtig sei dies, da es bei Zeugenvernehmungen zuletzt immer wieder um Ansichten und Äußerungen Wohllebens gegangen sei.
Hausfeld, VW, Litigation-PR, Prozessfinanzierung: Die Zeit (Marcus Rohwetter/Claas Tatje) widmet dem bekannten US-amerikanischen Rechtsanwalt Michael Hausfeld – der bereits durch seine bunten Fliegen besonders auffalle – ein ausführliches Porträt. Darin geht es nicht nur um die Person Hausfelds, seine internationalen Anwaltsbüros und seinen Kampf für viele geschädigte VW-Dieselfahrzeug-Kunden, sondern auch um die von ihm betriebene und in Deutschland bislang wenig etablierte Litigation-PR sowie um Kooperationen von Anwälten und Prozessfinanzierern.
Recht in der Welt
Brexit: Mit der Frage, was nach dem Brexit an handelspolitischen Übergangslösungen auf die Europäische Union zukommt und wie dies rechtlich einzuordnen ist, befasst sich Rechtsanwalt Thomas Voland in einem englischsprachigen Beitrag für verfassungsblog.de unter dem Titel "Sailing uncharted waters – for how long? On transitional post-Brexit trade arrangements".
Panama – "Panama Papers": Die Ermittlungen der panamaischen Staatsanwaltschaft wegen des unter dem Schlagwort "Panama Papers" bekannt gewordenen mutmaßlichen Finanzskandals sind derzeit ausgesetzt. Grund ist, so spiegel.de, eine Verfassungsbeschwerde vor dem Obersten Gericht von Panama. Die Beschwerde rüge, dass die Ermittlungen auf illegal beschafften Informationen beruhten.
Rumänien – LGBT-Rechte: In dem englischsprachigen Beitrag "Same-sex marriage before the courts and before the people: the story of a tumultuous year for LGBT rights in Romania" von Rechtsanwalt Constantin Cojocariu auf verfassungsblog.de geht es um die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgeschlechtlichen bzw. ihre Marginalisierung durch den rumänischen Staat.
Russland – Häusliche Gewalt: Wie bild.de, Welt (Julia Smirnova) und taz (Moskau Klaus-Helge Donath) informieren, hat das russische Parlament ein Gesetz verabschiedet, wonach das "erstmalige Schlagen" von Familienangehörigen ersten Grades nicht mehr als Straftat, sondern als eine Art Ordnungswidrigkeit geahndet werden könne.
Sonstiges
Rücktritt Holm/Stasi-Unterlagen-Gesetz: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) befasst sich mit dem Fall des zurückgetretenen Berliner Baustaatssekretärs Andrej Holm. Möglicherweise habe der Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, bei der Weitergabe der Stasi-Kaderakte von Holm gegen das Stasi-Unterlagen-Gesetz verstoßen. Knabe, der Holm auch selbst öffentlich kritisiert hatte, habe dessen Akte Journalisten per Internetlink zugänglich gemacht.
Arbeitsrecht – Befristungen: zeit.de (Ulf Weigelt) erläutert die Voraussetzungen für eine sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrages.
Arbeitsrecht – Überstunden: focus.de (Philine Lietzmann) erläutert anhand arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung die Rechtslage bei der Abgeltung von Überstunden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. Januar 2017: Freilassung nach Europäischem Haftbefehl / Kabinettsentwurf zu PKW-Maut / Juristisches im Fall Holm . In: Legal Tribune Online, 26.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21889/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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