Prozessauftakt in der Sache Edathy. Hat die Staatsanwaltschaft ein faires Verfahren unmöglich gemacht? Außerdem in der Presseschau: Expertenanhörung zu Frauenquote, Vorbericht zu BRAK-Hauptversammlung, prominente Zeugen im NSU-Prozess, Entschädigung für Terroranschlag, kein Mindestlohn für Amateur-Fußballer und rechtliche Konsequenzen von Casting-Shows.
Thema des Tages
LG Verden - Sebastian Edathy: Vor dem Landgericht Verden ist der Prozess gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy eröffnet worden. Dem früheren Sozialdemokraten wird der Besitz kinderpornographischer Dateien vorgeworfen. Berichte bringen u.a. spiegel.de (Julia Jüttner), bild.de (Nikolaus Harbusch), die SZ (Annette Ramelsberger) in einer Seite Drei-Reportage, FAZ (Reinhard Bingener), Welt (Uwe Schmitt) sowie der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof).
Zu Beginn der Verhandlung habe Verteidiger Christian Noll eine Erklärung verlesen, in der die massiven Auswirkungen der Ermittlungen gegen seinen Mandanten beschrieben wurden. Angesichts des öffentlichen Drucks und der laufenden Ermittlungen gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig wegen des Verdachts der Weitergabe von Dienstgeheimnissen könne ein fairer Prozess nicht erwartet werden. Das Verfahren sei daher mindestens bis zum Abschluss der Ermittlungen gegen den Ankläger auszusetzen. Diesem Ansinnen habe sich Anklagevertreter Thomas Klinge jedoch widersetzt. Die auch vom Gericht ins Gespräch gebrachte Einstellung gegen Geldauflage setzte ein "glaubwürdiges Geständnis" Edathys voraus. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.
Eine ausführliche Zusammenfassung der gegen Edathy erhobenen Vorwürfe wie auch der Affäre um seine mögliche Warnung unternimmt Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler für lto.de. Der Beitrag geht ebenfalls auf die vor dem "Gerichtshof der Öffentlichkeit" nur schwer zu wahrende Unschuldsvermutung des Angeklagten ein.
Udo Vetter (lawblog.de) erinnert daran, dass die von der Staatsanwaltschaft vor einer Einstellung geforderte Einlassung zwar täglicher Praxis entspreche, § 153a Strafprozessordnung nenne diese Voraussetzung gleichwohl nicht. Auch Christian Bommarius (Berliner Zeitung) kritisiert das Bestehen auf eine geständige Einlassung, die zudem einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1991 widerspreche. Wie durch die Fälle Edathy und Wulff belegt, habe die handelnde Staatsanwaltschaft "in ihrem Verfolgungseifer jedes Maß verloren". Reinhard Müller (FAZ) stellt dagegen grundsätzliche Fragen zu der oftmals erdrückenden und auch vorverurteilenden Wirkung der medialen Begleitung von Prozessen. Der Bundesgerichtshof habe ausgeführt, dass sich die Aufgabe des Strafprozesses nicht in der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruch erschöpft. Vielmehr müsse ein Verfahren auch eine wirksame Sicherung der Grundrechte des mit Strafe Bedrohten gewährleisten. Wenn im Fall Edathy Ermittler tatsächlich Geheimnisse weitertrugen, hätten sie diese Aufgabe wohl vergessen.
Rechtspolitik
Petitionsrecht: Nach der in einem Gastbeitrag für die SZ geäußerten Meinung von Burkhard Hirsch (FDP), ehemaliger nordrhein-westfälischer Innenminister, hätte eine Änderung des Petitionsrechts das Potential, dem abzusehenden Ende der "Zuschauerdemokratie" entgegenzuwirken. Ein gegenwärtiger Vorschlag beinhalte die Verpflichtung des Parlaments, Petitionen mit einer gewissen Mindeststimmzahl zum Thema im Plenum zu behandeln.
Frauenquote: Über die Expertenanhörung zum Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungspositionen im Bundestag berichtet die SZ (Constanze von Bullion). Im Mittelpunkt habe dabei die sogenannte Männerquote im öffentlichen Dienst als Nebeneffekt des Entwurfs gestanden. Das nach diesem das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht bei Stellenneubesetzungen bevorzugt werden sollte, habe die ehemalige Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, Marion Eckerts-Höfer, als "eindeutig verfassungswidrig" bezeichnet.
In einem Kommentar sieht Joachim Jahn (FAZ) die verantwortlichen SPD-Minister in der Pflicht, "wenigstens die gröbsten Schnitzer" des Entwurfs zu beseitigen.
Leistungserschleichung: Rechtsanwalt Christoph Nebgen (nebgen.blogspot.de) beklagt, dass die Vielzahl von Verfahren wegen sogenannter Leistungserschleichung nach § 265a Strafgesetzbuch auf einem gesetzeswidrigen Verständnis der tatbestandlichen Voraussetzungen beruhe. Als Betrugsdelikt erfordere die Norm eine Täuschung von Menschen, die aber als frühere Bahnbeamte auf Bahnhöfen längst nicht mehr existierten. Das sogenannte Schwarzfahren besitze allein zivilrechtliche Relevanz, ein mutiger Gesetzgeber würde durch die Streichung der Strafnorm zudem mit einem Schlag die Kriminalstatistik bedeutend entlasten.
Justiz
BRAK-Hauptversammlung: Das Handelsblatt (Wolf Albin) berichtet zu der am Freitag stattfindenden Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Zentrales Thema sei die Zukunft von Unternehmensjuristen und angestellten Anwälten, deren Kompetenzen neu geregelt werden sollen. Eine vom Bundesjustizministerium geplante Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, nach der Snydizi von der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit würden, werde von der anwaltlichen Selbstvertretung nach wie vor kontrovers diskutiert.
In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt begrüßt Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer den Entwurf. Er beende die "Diskriminierung von Syndikusanwälten".
BGH zu Betreuungsanforderungen: Die Anordnung der Betreuung eines psychisch Kranken in finanziellen Angelegenheiten darf nicht mit bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen begründet werden. Vielmehr muss neben der Unfähigkeit, Angelegenheiten selbst regeln zu können, auch eine Gefahr der Selbstschädigung vorliegen. Dies entschied nach einer Meldung der SZ (Wolfgang Janisch) der Bundesgerichtshof.
OLG München – NSU: Das Verfahren gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem Oberlandesgericht München wird nach Bericht der taz (Andreas Speit) mit der Vernehmung von Gordian Meyer-Plath fortgesetzt. Der Präsident des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz solle dabei vor allem zu seiner Rolle als V-Mann-Führer der Quelle "Piatto" aussagen.
Als möglicher weiterer Zeuge im Prozess kommt auch der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) in Frage. Die Vertreter der Opferfamilie Yozgat hätten die Vernehmung des Politikers beantragt, schreibt spiegel.de (Björn Hengst). Sie versprächen sich hiervon eine Aufklärung der möglichen Verstrickung des hessischen Verfassungsschutzes in den Mordfall Yozgat und der diesbezüglichen Beteiligung Bouffiers, der zur Tatzeit Innenminister im Land war.
VGH B-W zu Atomgegner: Vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ist die jahrelange Speicherung von Daten eines Atomkraftgegners durch das Landeskriminalamt als rechtswidrig bezeichnet worden. Die beklagte Behörde habe ihren für die Speicherung notwendigen Verdacht der Begehung von Straftaten nicht begründen können, schreibt die taz (Lena Müssigmann).
LAG B-B zu Kündigungsschutz: Ein in einem Sozialplan vorgesehener Ausschluss vom Kündigungsschutz ist nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg aus der letzten Woche unwirksam. Die mit ihrem Begehr erfolgreiche Klägerin hatte zuvor einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Rechtsnachfolger widersprochen und sollte nach den Bestimmungen des Sozialplans deswegen nicht dem für andere Mitarbeiter vereinbarten Kündigungsschutz unterfallen. Rechtsanwalt Roland Gastell (Handelsblatt-Rechtsboard) stellt Sachverhalt und Entscheidung vor und entwirft eine alternative Lösungsmöglichkeit.
LG Kassel – Mehmet Göker: Vor dem Landgericht Kassel fordert ein großes Versicherungsunternehmen von dem ehemaligen Versicherungsmakler Mehmet Göker gut zweieinhalb Millionen Euro an Provisionsvorschüssen zurück. Das Handelsblatt (Ozan Demircan) berichtet über den Fall und den Makler, der zunächst durch besondere Umtriebigkeit aufgefallen sei, mittlerweile aber insolvent ist.
StA Schwerin – KZ-Wachmann: Die Staatsanwaltschaft Schwerin hat gegen einen 94-Jährigen eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen eingereicht. Wie bild.de (H.-W. Saure/H. Kascha) berichtet, soll der Angeschuldigte nach Auffassung der Anklagebehörde zwischen August und September 1944 als Mitglied einer SS-Sanitätsdienststaffel in einem Nebenlager des KZ Auschwitz an den dortigen Tötungen beteiligt gewesen sein.
Rauchen in Mietwohnung: In der vergangenen Woche befasste sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall des notorischen Rauchers Friedhelm Adolfs. Der Tagesspiegel (Ursula Knapp) fasst diese und andere höchstrichterliche Entscheidungen zum Thema Rauchen in der Wohnung zusammen und formuliert als Quintessenz die Erkenntnis: "Es kommt auf das Maß an".
Recht in der Welt
USA – Terror-Entschädigung: Nach einer Meldung von spiegel.de hat ein Bundesgericht in New York die PLO und die Palästinensische Autonomiebehörde wegen mehrerer Anschläge in Jerusalem zu Beginn des Jahrhunderts dazu verpflichtet, die Opfer der Anschläge und deren Nachkommen mit gut 200 Millionen Dollar zu entschädigen.
Thailand – Majestätsbeleidigung: Zwei thailändische Studenten sind wegen Majestätsbeleidigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Ihnen war nach Darstellung von spiegel.de vorgeworfen worden, an der Aufführung eines Theaterstückes mit einem fiktiven König beteiligt gewesen zu sein.
Sonstiges
Mindestlohn: Der zu Jahresbeginn bundesweit eingeführte Mindestlohn gilt nicht für Amateur-Fußballer unterer Ligen. Bei den Betroffenen stünde nicht die finanzielle Gegenleistung, vielmehr "der Spaß an der Sache im Vordergrund". Auf diese "Klarstellung" verständigte sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei einem Treffen mit Spitzenfunktionären des Sports. Die SZ (Thomas Öchsner) berichtet.
Das Letzte zum Schluss
Schön blöd: Ob die Teilnahme an Casting-Shows, zumal solchen für Nachwuchs-Models, tatsächlich ein bereichernder Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen ist, darf bezweifelt werden. Um eine Erfahrung reicher ist jedenfalls eine Teilnehmerin von Heidi Klums "Germanys Next Topmodel". Wie betriebsrat.blog.de (Peter Hackner) schreibt, erkannte der Arbeitgeber der jungen Frau beim abendlichen Fernsehvergnügen seine Angestellte wieder und schlussfolgerte, dass sie sich für den Casting-Termin unberechtigterweise krank gemeldet hatte. Die Rechtmäßigkeit der folgenden Kündigung wird derzeit gerichtlich geprüft.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. Februar 2015: Angeklagter Edathy – Verfassungsschützer und NSU – Kein Mindestlohn für Amateur-Fußballer . In: Legal Tribune Online, 24.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14776/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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