Der Germanwings-Konflikt offenbart Lücken im deutschen Schmerzensgeldrecht. Außerdem in der Presseschau: BFH-Urteil zu Diätpillen, AG Trier zu defekten Zugtoiletten, AG Kronau verhandelt über Stromstöße im Berufschul-Unterricht.
Thema des Tages
Schmerzensgeld für Angehörige: In Deutschland haben Angehörige von Unfallopfern bisher keinen Anspruch auf Schmerzensgeld, anders als in vielen europäischen Staaten. Die SZ (Heribert Prantl) schildert die Rechtslage und die Versuche, sie zu ändern. Justizminister Heiko Maas (SPD) habe für September einen Gesetzentwurf angekündigt, der auch Fälle der Gefährdungshaftung erfasst.
Die SZ (Hans Leyendecker) schildert, welche Anwälte mit welchen Argumenten an der Auseinandersetzung um ein Schmerzensgeld für die Angehörigen der Germanwings-Opfer beteiligt sind.
Rechtspolitik
Griechenland-Schulden: Der Rechtswissenschaftler Armin von Bogdandy analysiert in der FAZ gemeinsam mit zwei Ökonomen die Krise in Griechenland. Es werde kein Vertrauen und kein Wachstum in Griechenland geben, ohne eine Lösung des Schuldenproblems. Die Autoren schlagen eine Bindung der Kreditzinsen an das Wachstum der griechischen Wirtschaft vor sowie ein zusätzliches konditionelles Schuldenmoratorium. Entgegen der Annahme des Finanzministeriums sei eine solche Lösung rechtlich zulässig, wie die EuGH-Urteile "Pringle" und "ESM" ergeben.
Urheberrecht: Der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch beschreibt auf netzpolitik.org Argumentationsfiguren des "Urheberrechts-Extremismus", zum Beispiel die Maxime "mehr Schutz ist immer besser". Als "extremistisch" bezeichnet er den Mainstream der Urheberrechtler, die "moderate, auf Interessensausgleich und Lebbarkeit im Alltag hin orientierte Urheberrechtsreformen" verhinderten.
Drogen: Bernd Pickert (taz) setzt sich für die Entkriminalisierung von Drogen ein. Angesichts der guten Erfahrungen mit der Legalisierung von Cannabis im US-Staat Colorado sei nur noch die Frage offen, ob das dortige System mit konkurrierenden privatwirtschaftlichen Anbietern besser sei oder die Variante Uruguays mit staatlichem Drogenverkauf.
Justiz
BGH zum Begünstigten der Lebensversicherung: Wer nach einer Scheidung seinen neuen Ehegatten zum Begünstigten einer Lebensversicherung machen will, muss dies der Versicherung schriftlich mitteilen. Ein Telefonanruf genüge nicht, entschied nun der Bundesgerichtshof laut Welt (Karsten Seibel).
BFH zum Zeitreihenvergleich: Bei unvollständiger oder manipulierter Buchhaltung in der Gastronomie darf das Finanzamt die Erlöse nicht einfach mit dem so genannten Zeitreihenvergleich schätzen. Vielmehr könne diese Schätzmethode nur ein erster Anhaltspunkt sein, entschied der Bundesfinanzhof laut FAZ (Joachim Jahn) und lto.de.
BFH zu Diätpillen: Die Kosten für Diätverpflegung können als außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend gemacht werden, wenn die Mittel als Arznei und nicht nur als Nahrungsergänzungsmittel zu sehen sind. Das entschied laut lto.de der Bundesfinanzhof. Entscheidend sei, ob die Mittel aufgrund einer Krankheit und nach ärztlicher Verordnung einzunehmen sind.
VG München zum Spaghettimonster: Ein Büroraum, der der "Gottheit des Fliegenden Spaghettimonsters" geweiht ist, muss nicht vom Rundfunkbeitrag befreit werden. Das entschied laut Welt das Verwaltungsgericht München. Die taz (Martin Reichert) gibt einen Überblick über aktuelle Prozesse im Zusammenhang mit dieser Religionsparodie. Sie werde vor allem von Atheisten benutzt, um Privilegien von Kirchen anzuprangern.
VG Stade zu Landesbankkauf: Die Sparkasse Osterholz wehrte sich zu Recht gegen eine Umlage des Sparkassenverbands Niedersachsen, mit der dieser seinen Anteil am Kauf der Landesbank Berlin finanzieren wollte. Das entschied laut Handelsblatt (Elisabeth Atzler) das Verwaltungsgericht Stade. Der Kauf sei nicht von der Satzung des Verbands gedeckt gewesen, "denn er diente nicht der Förderung der Belange der Mitgliedsparkassen."
ArbG Mannheim zu rechtsextremistischem Erzieher: Nun berichtet auch blog.beck.de (Markus Stoffels) über ein Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim aus dem Mai. Danach konnte die Stadt Mannheim einem rechtsextremistischen Horterzieher fristlos kündigen, da er für die Tätigkeit ungeeignet sei. Ihm wurde sein Weltbild, seine Gewaltbereitschaft und eine extremistische Äußerung gegenüber einer Kollegin vorgeworfen. Stoffels hält das Urteil für richtig. Es sei auch auf nicht-staatliche Einrichtungen übertragbar.
AG Trier zu defekter Toilette: Das Amtsgericht hat einer Bahnkundin 200 Euro Schadensersatz zugesprochen, weil sie zwei Stunden in einem Zug ohne nutzbare Toilette fahren musste, berichtet spiegel.de.
LG München I - Deutsche Bank-Manager: Die SZ (Klaus Ott) gibt eine Zwischenbilanz zum Prozess gegen mehrere aktive und ehemalige Deutsche Bank-Manager wegen versuchtem Prozessbetrug. Der Prozess am Landgericht München I ist derzeit bis 13. Oktober terminiert und die Angeklagten rechnen mit einem Freispruch, nachdem der Vorsitzende Richter Peter Noll Zweifel an der Anklage äußerte. Diskutiert wird auch über einen prozess-abkürzenden Deal.
LG Duisburg - Love Parade: Anlässlich des fünften Jahrestags des Unglücks bei der Love Parade in Duisburg gibt die FAZ (Reiner Burger) einen Überblick über den Stand des Verfahrens. Das Landgericht Duisburg hatte von der Staatsanwaltschaft schon mehrere Nachbesserungen der Anklage gefordert. Opferanwalt Julius Reiter kommt ausführlich mit Kritik an der Staatsanwaltschaft zu Wort.
StA München - Hebamme: Die Münchener Staatsanwaltschaft hat eine Hebamme wegen versuchten Mordes angeklagt. Sie soll bei Kaiserschnittgeburten den Infusionen ein Medikament beigemischt haben, das die Blutgerinnung hemmte, berichtet spiegel.de. Mögliches Tatmotiv war Unzufriedenheit mit ihrer beruflichen Situation.
BVerfG - Homo-Ehe: Der emeritierte Rechtsprofessor Bernd Rüthers kritisiert in der FAZ Erwartungen, das Bundesverfassungsgerichts könne den Ehebegriff des Grundgesetzes einfach neu interpretieren. Das BVerfG sei Hüter der Verfassung, nicht ein Organ zur "Umcodierung" der vom Verfassungsgeber getroffenen Wertentscheidungen.
OLG München - NSU-Pflichtverteidiger: Der Anwalt Eren Basar schildert auf lto.de die Rechtslage zur Entpflichtung von Pflichtverteidigern. Dabei legt er Wert auf ein intaktes Vertrauensverhältnis, sieht aber auch die bisherige Zurückhaltung des OLG München gegenüber den Entpflichtungsanträgen im NSU-Prozess auf "rechtlich sicherem Boden".
Recht in der Welt
Frankreich - Sterbehilfefall Lambert: Die SZ (Thomas Kirchner) schildert den Stand im Streit um die passive Sterbehilfe für den französischen Wachkoma-Patienten Vincent Lambert. Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Einwände gegen das Abschalten der Apparate hatte, haben die Eltern, die dies ablehnen, inzwischen die befürwortende Ehefrau und das Krankenhaus verklagt - wegen falscher Zeugenaussage, falscher Behandlung und versuchten Mordes.
Sonstiges
Arbeitsrecht und Privatleben: Die SZ (Catrin Gesellensetter) gibt anhand von Fällen einen Überblick über die arbeitsrechtliche Rechtslage bei Verfehlungen im Privatleben. Eine Kündigung sei ausnahmsweise möglich, "wenn ein Mitarbeiter mit seinem privaten Verhalten dem Ruf des Unternehmens schadet, Geschäfte vereitelt oder den Betriebsfrieden stört."
WLAN für Flüchtlinge: spiegel.de schildert die Haftungs-Probleme, die die BGH-Rechtsprechung zur Störerhaftung verursacht, wenn in einem Flüchtlingsheim ein offenes W-Lan installiert wird.
Hans F. Zacher: Die deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Angelika Nußberger berichtet in der FAZ über ein Symposium zu Ehren des im Februar verstorbenen Ex-Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Hans F. Zacher. "Sein Herz galt der Erforschung des Sozialrechts."
Das Letzte zum Schluss
Experimente in der Schule: Das Amtsgericht Kronau muss über einen bayerischen Berufschullehrer urteilen, der seinen Schülern die Wirkung elektrischen Stroms veranschaulichte, indem er ihnen Stromstöße verpasste. Er ist nun wegen Körperverletzung angeklagt, berichtet spiegel.de. Die Schüler hätten sich zwar freiwillig beteiligt, seien aber möglicherweise nicht über die mit dem Experiment verbundenen Nebenwirkungen (Übelkeit und Brandblasen) aufgeklärt worden. Am 6. August soll das Urteil verkündet werden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Juli 2015: Schmerzensgeld für Angehörige – Diätpillen als Arznei – Stromstöße in der Schule . In: Legal Tribune Online, 23.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16333/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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