Geht es um wenige Einzelfälle oder ist es eine Weichenstellung? Das VG Köln hat chronisch Kranken den Anbau von Cannabis erlaubt. Außerdem in der Presseschau: Das BVerfG verhandelte über die Neutralität von Ministern, der NSU-Prozess wurde ohne Verteidigerwechsel fortgesetzt, ein Wiener Gericht verurteilte den deutschen Studenten Josef S. zu einer Bewährungsstrafe - und warum ein Schweizer Polizist wegen Falschparkens entlassen wurde.
Thema des Tages
VG Köln zu medizinischem Cannabisanbau: Chronisch Kranke, die zur Linderung ihrer Schmerzen Cannabis konsumieren dürfen, dürfen die Pflanzen auch zu Hause anbauen, wenn sie sich entsprechende Präparate aus der Apotheke nicht leisten können. Das entschied jetzt das Verwaltungsgericht Köln in drei Präzedenzfällen. Voraussetzung ist, dass es keine andere bezahlbare Therapiemöglichkeit gibt und dass die Plantage gegen fremden Zugriff gesichert ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es berichten unter anderem die FAZ (Helene Bubrowski) und spiegel.de (Nicola Kuhrt).
Daniela Vates (FR) kritisiert, dass chemische Schmerzmittel von den Krankenkassen bezahlt werden, die Cannabis-Blüten aber nicht. "Es ist also nur folgerichtig, wenn Gerichte nun Schmerzpatienten den Eigenanbau von Cannabis erlauben." Christina Berndt (SZ) hält das Urteil dagegen nicht für rundum zufriedenstellend: "Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen wäre wohl der bessere Weg; auch weil die Eigenproduktion von Medikamenten grundsätzlich kein wünschenswerter Schritt ist." Daniel Deckers (FAZ) geht davon aus, dass das Urteil im Drogendiskurs große Bedeutung hat und warnt: "das Beispiel der Vereinigten Staaten lehrt, dass die Akzeptanz von Marihuana als 'Medizin' der vorletzte Schritt vor einer generellen Enttabuisierung des Cannabisgebrauchs ist."
spiegel.de (Nina Weber) beschreibt, bei welchen Krankheiten Cannabis helfen kann. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fordert im Interview mit spiegel.de (Nicola Kuhrt), dass Krankenkassen die Kosten einer Cannabis-Versorgung für chronisch Kranke übernehmen sollen. "Es geht nur um eine kleine Gruppe, der alle anderen Medikamente und Therapien nicht helfen."
Rechtspolitik
Werkverträge: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat angekündigt, dass noch in diesem Jahr die Vorarbeiten für ein Gesetz gegen den Missbrauch von Werkverträgen beginnen werden, meldet blog.beck.de (Markus Stoffels). Heribert Prantl (SZ) fordert ein Einschreiten des Gesetzgebers, "wo der Werkvertrag zum Einsatz kommt, um die eigenen Arbeitnehmer und deren Rechte auszubooten."
Asylbewerberleistungsgesetz: Die SZ (Heribert Prantl) beschreibt Kritikpunkte am Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Nahles zur Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzs, mit dem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 umgesetzt werden soll. Für geduldete Flüchtlinge gebe es weiter Leistungseinschränkungen von 40 Prozent, wenn ihr Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Außerdem erhielten Flüchtlinge weiterhin nur eine medizinische Minimalversorgung.
Abschiebehaft: Die taz (Konrad Litschko) gibt einen Überblick, wie die Bundesländer mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von voriger Woche umgehen, wonach Abschiebehaft in speziellen Einrichtungen vollzogen werden muss. Nur Sachsen-Anhalt habe seine Abschiebehäftlinge seither entlassen. Der Asyl-Anwalt Hubert Heinhold warnt im Interview mit der taz (Christian Jacob) vor den vom Innenministerium geplanten Ausweitungen der Haftgründe bei der Abschiebehaft. Dies werde zur Folge haben, dass normale Gefängnisse in Abschiebehaftanstalten umgewidmet werden müssen, weshalb am Ende Plätze in der Strafhaft fehlen werden.
Maut: In der FAZ geben die Anwälte Fritz von Hammerstein und Insa Nutzhorn einen Überblick über die zahlreichen europarechtlichen Probleme der geplanten PKW-Maut.
Maas: Justizminister Heiko Maas (SPD) erhielt von der Union progressiver Juden in Deutschland einen Preis für seine Verdienste bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Spitzenbeamten des Bundesjustizministeriums in der Nachkriegszeit, meldet die SZ.
Justiz
BVerfG - staatliche Neutralitätspflicht: "Ziel Nummer 1 muss sein, dass die NPD nicht in den Landtag kommt", sagte Familienministerin Manuela Schwesig in einem Interview. Die NPD sieht darin die staatliche Neutralitätspflicht verletzt. Am gestrigen Dienstag verhandelte das Bundesverfassungsgericht. Eine Niederlage der NPD zeichnet sich ab, berichten unter anderem die SZ (Wolfgang Janisch) und die Badische Zeitung (Christian Rath).
lto.de (Claudia Kornmeier) nimmt das Verfahren zum Anlass, einen Überblick über aktuelle Verfassungsklagen der NPD zu geben.
OLG München - NSU: Nun ist es offiziell, dass das Oberlandesgericht München den Antrag der Hauptangeklagten Beate Zschäpe abgelehnt hat, ihre Pflichtverteidiger wegen fehlenden Vertrauens zu entpflichten. Der Prozess lief nun mit der Aussage einer Zeugin normal weiter. Es berichten unter anderem spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und SZ (Annette Ramelsberger).
Im Interview mit der taz (Stefan Reinecke) warnt der Anwalt und FDP-Politiker Gerhard Baum, es sei problematisch, wenn das Gericht das Binnenverhältnis zwischen Angeklagter und Anwälten ausleuchte. "Vertrauen ist entweder vorhanden - oder nicht."
Holger Schmidt (SWR-Terrorismus-Blog) kommentiert: "Unter dem Strich hat also Beate Zschäpe nicht nur nichts erreicht, sondern verloren." Reinhard Müller (FAZ) meint: Zschäpe habe " es ja weiterhin in der Hand, ihre Strategie, die bisher aus Schweigen besteht, zu ändern und ihre Anwälte anders an die Leine zu nehmen." Christian Rath (taz) hält es für eine "naive Fantasie", dass Zschäpe, falls sie reden würde, umfassend auspackt.
BGH zu Suhrkamp: Der Bundesgerichtshof hat eine umfassende Prüfung des Suhrkamp-Insolvenzplans durch das Berliner Landgericht angeordnet. Das Landgericht hatte ursprünglich die Beschwerde des Suhrkamp-Minderheitsgesellschafters Hans Barlach gegen den Insolvenzplan für unzulässig erklärt. Den Beschluss analysieren die SZ (Andreas Zielcke), die taz (Christian Rath/Dirk Knipphals) und das Handelsblatt.
BGH zu Gasrechnungen: Die Ex-Frau eines Mieters muss für dessen offene Gasrechnung haften, wenn sie den Mietvertrag mitunterschrieben hat. Dies gilt auch dann, wenn sie nie selbst in der Wohnung gelebt oder Gas verbraucht hat. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof, berichtet die Welt (Kathrin Gotthold).
EuGH zur Anwaltszulassung: Es ist kein Missbrauch der Niederlassungsfreiheit, wenn Anwälte die Zulassung in einem anderen Staat erwerben, ohne dort als Anwalt zu arbeiten. Das entschied laut FAZ (Joachim Jahn) vorige Woche der Europäische Gerichtshof.
Recht in der Welt
Österreich - Josef S.: Das Wiener Landgericht hat den deutschen Studenten Josef S. aus Jena trotz dünner Beweislage unter anderem wegen Landfriedensbruch zu zwölf Monaten Haft verurteilt. Er soll bei Protesten gegen einen Burschenschaftler-Ball als Rädelsführer Gewalt ausgeübt haben. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft wurde die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Er ist deshalb wieder frei. Über das Urteil berichtet spiegel.de (Oliver Trenkamp).
Schweiz - EMRK: Die Schweizer Juristin Nesa Zimmermann stellt auf juwiss.de eine Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte vor. Darin wurde untersucht, ob es möglich ist, dem Schweizer Recht Vorrang vor der Europäischen Menschenrechtskonvention einzuräumen. Die Studie komme zum Schluss, dass die Schweiz sich entweder generell an die EMRK-Vorgaben halten oder den Vertrag kündigen müsse.
Niederlande - Völkermord in Srebrenica: Die FAZ (Reinhard Müller) analysiert das Urteil des Bezirksgerichts Den Haag zur Verantwortlichkeit holländischer Blauhelmsoldaten für den serbischen Völkermord im bosnischen Srebrenica 1995.
IStGH - Hans-Peter Kaul: Am Montag starb der ehemalige deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), Hans-Peter Kaul. Er hatte schon als Diplomat das Statut des IStGH mit ausgehandelt. Der Tagesspiegel (Julia Prosinger) widmet ihm einen Nachruf, kürzer auch die SZ (Ronen Steinke).
Das Letzte zum Schluss
Entlassung wegen Falschparkens: Ein Schweizer Polizist ist nach 25-jähriger Dienstzugehörigkeit entlassen worden, weil er vor dem Polizeipräsidium immer falsch geparkt hatte. Er habe geduldet, dass der Parkplatzwächter nie eine Geldbuße gegen ihn verhängt habe und sich so selbst begünstigt. Das Schweizer Bundesgericht hat die Entlassung des Polizisten jetzt bestätigt, meldet die Schweizer Zeitung Blick.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Juli 2014: Kranke dürfen Hanf anbauen – Schwesig darf wohl NPD attackieren – Josef S. darf nach Hause . In: Legal Tribune Online, 23.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12649/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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