Es ist die größte Mordserie Nachkriegsdeutschlands. Der Krankenpfleger Niels H. wird wohl erneut angeklagt. Außerdem in der Presseschau: Anti-Terror-Paket wird nachgebessert und die "Zeit" findet Vorwürfe gegen Model Lohfink überzeugend.
Thema des Tages
StA Oldenburg - Tödlicher Pfleger: Der bereits wegen zweifachen Mordes verurteilte Krankenpfleger Niels H. hat mindestens 33 weitere Menschen getötet. Das ergaben Untersuchungen an exhuminierten Leichen. Dies wäre die größte Mordserie in Nachkriegsdeutschland. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg arbeitet bereits an einer neuen Anklage gegen H., wobei ihm kein höheres Strafmaß droht, da er vom Landgericht Oldenburg im Februar 2015 bereits zu lebenslanger Haft in einem Fall mit besonders schwerer Schuld verurteilt wurde. Da die Kliniken, an denen H. arbeitete, Auffälligkeiten nicht nachgingen, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen insgesamt acht Funktionsträger wegen Totschlags durch Unterlassen. Außerdem seien von Angehörigen Schadensersatzklagen gegen die Kliniken angestrengt worden, berichtet die SZ (Annette Ramelsberger). Auch spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtete.
Rechtspolitik
Verfassungsschutz und Minderjährige: Am morgigen Freitag will der Bundestag ein neues Anti-Terror-Paket beschließen. Mit einem kurzfristigen Änderungsantrag wollen CDU/CSU und SPD erreichen, dass der Verfassungsschutz leichter Daten über 14-16-jährige Teenager speichern darf, berichtet die Welt (Manuel Bewarder). Bisher sei hierfür ein konkreter Terrorverdacht erforderlich gewesen. Anlass für die Änderung sind Anschläge und Angriffe durch sehr junge islamistische Täter.
Kulturschutz: Schon am heutigen Donnerstag will der Bundestag über das Kulturschutzgesetz beschließen, das die Abwanderung von national bedeutsamem Kulturgut ins Ausland verhindern soll. Willibald Sauerländer (SZ) schlägt im Feuilleton eine alternative Regelung vor. Kunstwerke sollten vor einem Verkauf ins Ausland deutschen Museen und Händlern angeboten werden müssen, allerdings zum Weltmarkpreis. So soll das Grundrecht auf Eigentum weniger beeinträchtigt werden.
Geheimdienstkontrolle: netzpolitik.org (Andre Meister) hat jetzt den Gesetzentwurf der großen Koalition zur Verbesserung der Geheimdienstkontrolle veröffentlicht und kritische Stimmen dazu eingeholt. Das parlamentarische Kontrollgremium soll dem Entwurf zufolge durch einen "ständigen Bevollmächtigten" gestärkt werden.
Forschung an Dementen: Die Abgeordneten von CDU/CSU haben sich auf eine Kompromissregelung geeinigt, wonach Demenzpatienten an sogenannten gruppennützigen Studien teilnehmen dürfen, wenn sie dies– noch in weitgehend gesundem Zustand – schriftlich in einer "Probandenverfügung" erklärt haben. Die SPD-Fraktion hat ihre Position noch nicht gefunden, erläutert die SZ (Kim Börn Becker).
Kartellrecht: Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts, unterstützt den Plan von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Verschärfung des Kartellrechts. Wenn gegen Tochterunternehmen von Konzernen Bußgelder verhängt werden, soll dies nicht mehr durch Umstrukturierung des Konzerns unterlaufen werden können. Vielmehr soll das Bußgeld dann die Konzernmutter treffen. Dagegen hat der Bundesverband Deutscher Industrie verfassungsrechtliche Bedenken, die Mundt aber nicht teile, so die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Sexualstrafrecht: Andreas Zielcke (SZ) erörtert im Feuilleton das geplante "Nein heißt Nein"-Prinzip im Sexualstrafrecht. Er kommt zum Schluss, dass dabei nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung geschützt werde, sondern eher die Rücksicht auf familiäre Konstellationen und andere berechtigte Gründe. Er schlägt vor, den geplanten neuen Tatbestand entsprechend zu ergänzen.
Leiharbeit: Der Anwalt Thomas Leister stellt auf lto.de detailliert die geplanten Änderungen am Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vor. Er glaubt, dass das Gesetz im Ergebnis den Schutz von Leiharbeitern nicht verbessert, den Unternehmen aber zusätzliche Bürokratie beschere.
Justiz
AG Berlin-Tiergarten - Gina-Lisa Lohfink: Die Zeit (Dagmar Rosenfeld) beschreibt anhand der Ermittlungsakten ausführlich, warum der Vorwurf der falschen Verdächtigung (einer Vergewaltigung) gegen das Modell Gina-Lisa Lohfink berechtigt erscheint. Das Verfahren, das als Beleg für Lücken im Sexualstrafrecht gilt, sei dafür "der falsche Fall". Am Montag wird das Verfahren gegen Lohfink am Amtsgericht Berlin-Tiergarten fortgesetzt.
BVerfG zu Richterbesoldung: Mit einer Vollstreckungsanordnung kann ein neues Gesetz nicht implizit für verfassungswidrig erklärt werden. Das Bundesverfassungsgericht wies daher entsprechende Anträge von Richtern aus Sachsen-Anhalt als unzulässig zurück, so lto.de. Die Antragsteller hatten die Reaktion des Landesgesetzgebers auf das BVerfG-Urteil zur Richterbesoldung für unzureichend gehalten. Um das neue Gesetz anzugreifen, sei jedoch eine neue Klage erforderlich, so das BVerfG.
OLG Hamm zur Kündigung von Bausparverträgen: Bausparkassen können hochverzinste Bausparverträge unter Berufung auf § 489 BGB kündigen, wenn der Sparer zehn Jahre nach Zuteilungsreife noch kein Darlehen in Anspruch genommen hat. Das entschied laut lto.de das Oberlandesgericht Hamm und wich dabei von einer Entscheidung des OLG Stuttgart ab.
LG Erfurt zum Höcke-Gruß: Die Tageszeitung taz darf den AfD-Politiker Björn Höcke weiter mit erhobenem Arm abbilden, wenn sie dies nicht als "Hitlergruß" tituliert. Das entschied laut spiegel.de das Landgericht Erfurt.
BVerfG zur EZB: Der Rechtsprofessor Matthias Ruffert bespricht auf verfassungsblog.de das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Dienstag zu den Kompetenzen der Europäischen Zentralbank. Er stimmt dem Gericht überwiegend zu, kritisiert jedoch den in Anführung gesetzten "Anspruch auf Demokratie" als Quasi-Terminologie ohne begriffliche Stringenz.
OLG Düsseldorf - Reker-Attentat: Der Angeklagte Frank S. hat vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf sein knapp einstündiges Schlusswort gehalten. Dabei hat er das Attentat auf die Kölner Kommunalpolitikerin Reker mit wirren Verschwörungstheorien rechtfertigt, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm). "Ich wollte, dass die völlig realitätsferne Herrscherkaste wieder den Volkszorn fürchtet."
Annette Ramelsberger (SZ) kommentiert: "Selbst Menschen mit Persönlichkeitsstörungen können erkennen, dass man einen Menschen nicht töten darf, nur um eine politische Meinung kundzutun." Frank S. sei "voll schuldfähig".
OLG Hamburg - IS-Aussteiger: Vor dem Oberlandesgericht Hamburg hat der Prozess gegen den Syrien-Rückkehrer Harry S. begonnen. Ihm wird vor allem Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS vorgeworfen. Die Bundesanwaltschaft glaubt S., dass er freiwillig zurückkehrte und mit dem IS gebrochen hat. Vor Gericht schilderte S. Einzelheiten seines Aufenthalts in Syrien. Die FAZ (Frank Pergande) und spiegel.de (Julia Jüttner) schildern den Prozess.
SG Hamburg - Arbeitsunfall von Prostituierter: Das Sozialgericht Hamburg tendiert dazu, einer osteuropäischen Prostituierten, die aus Angst vor ihrem Arbeitgeber aus dem Fenster sprang und sich dabei verletzte, Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren. Sie sei abhängig beschäftigt gewesen. Die Unfallversicherung war dagegen von Selbstständigkeit ausgegangen und hatte den Anspruch abgelehnt, berichtet die taz (Manuela Heim), die mit einer Präzedenzentscheidung rechnet.
GenStA Berlin - Pressearbeit und Mäßigung: Der Berliner Generalstaatsanwalt Ralf Rother hat die Berliner Staatsanwälte gemahnt, in ihrer Pressearbeit bestimmte Delikte nicht vorschnell der Organisierten Kriminalität zuzuordnen. Das berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Anlass ist ein Rechtstreit um Äußerungen von Staatsanwälten nach der Durchsuchung des Bordells Artemis.
Recht in der Welt
Großbritannien - Souveränität: Der britische Rechtsprofessor Mark Elliott beschreibt in der FAZ wie britische Gesetze und britische Gerichtsentscheidungen den Vorrang des EU-Rechts gegenüber britischem Recht beschränken. Die britische Parlaments-Souveränität sei im übrigen nicht nur durch die EU-Mitgliedschaft beeinträchtig, sondern noch mehr durch den entstehenden Quasi-Föderalismus mit starken Regional-Parlamenten in Schottland und Wales.
Sonstiges
Demokratie und Flüchtlinge: Der Politikprofessor Peter Kielmannsegg räsoniert in der FAZ auf der "Staat und Recht"-Seite über die Folgen der Flüchtlings-Aufnahme für die Demokratie. Er betont, dass Demokratie nur mit einer gemeinsamen Identität, aber nicht mit offenen Grenzen funktioniere. Internationale Regeln, die Deutschland die unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen zumuten, sollten überdacht werden.
Entlastung: Aus Anlass der VW-Hauptversammlung erläutert die FAZ (Hendrik Wieduwilt) die geringe rechtliche Wirkung einer Entlastung des Vorstands einer Aktiengesellschaft.
Datenschutz und Roboter: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Bertold Haustein gibt auf juwiss.de einen Überblick über datenschutzrechtliche Probleme des Einsatzes von Robotern, die bei ihrer Tätigkeit Daten erfassen.
Das Letzte zum Schluss
Nochmal Gina-Lisa: Vor dem Amtsgericht Seligenstadt wurde Model Gina-Lisa Lohfink von dem Schlagersänger Tobee auf Schadensersatz in Höhe von 5.000 Euro verklagt. Sie sei zu einem vereinbarten Video-Dreh auf Mallorca unentschuldigt nicht angereist. Lohfink sagte, sie sei krank gewesen. Laut bild.de (Jörg Ortmann/Hagen Stegmüller) habe sie jedoch zeitgleich via Facebook angekündigt, dass sie sich auf ein "Shooting" in München freue. Die Verhandlung wird in zwei Wochen fortgesetzt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Juni 2016: Krankenpfleger noch tödlicher / Verfassungsschutz soll 14-Jährige speichern / Vorwürfe gegen Gina-Lisa Lohfink . In: Legal Tribune Online, 23.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19767/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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