Im NSU-Verfahren streitet Beate Zschäpe mit ihren Anwälten. Außerdem in der Presseschau: Ahmed Mansour ist frei, weitere Anklage gegen Wiedeking, erweiterte Befugnisse für französischen Geheimdienst und gesundheitsgefährdende heiße Nadeln.
Thema des Tages
OLG München – NSU: Die Auseinandersetzungen zwischen Beate Zschäpe und ihrem Verteidiger-Team spitzen sich zu. U.a. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet zu einer Erklärung aus der vergangenen Woche. In dieser nahm die Hauptangeklagte im Verfahren vor dem Oberlandesgericht München Stellung zu der vorherigen Erklärung ihrer Verteidiger. Die zunächst nur gegen Anwältin Anja Sturm erhobenen Vorwürfe seien nun vertieft worden, darüberhinaus habe Zschäpe aber auch das Prozessverhalten der Kollegen Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl kritisiert. In einem Postskriptum habe Zschäpe zudem angedeutet, gegen den Rat ihrer Anwälte bereit zu sein, zu einzelnen Vorwürfen auszusagen. Der Bericht von zeit.de (Tom Sundermann) geht auch auf die Risiken ein, die mit derartigen Teileinlassungen verbunden sein können. Eine ausführliche Analyse der mutmaßlichen Beweggründe Zschäpes bringt Holger Schmidt (SWR-Terror-Blog).
Christian Bommarius (Berliner Zeitung) hält das vermeintliche Angebot der Angeklagten für den Versuch einer Erpressung des Gerichts, das dieses Angebot nicht annehmen könnte. Bei einer Entpflichtung der Verteidigung würde der Prozess vermutlich platzen, Zschäpe dagegen solle aussagen, wenn sie dies wünsche. Annette Ramelsberger (SZ) macht eine "manipulative Macht" der Angeklagten aus, von der sich ihre Verteidiger nicht steuern lassen wollten. Offenbar werte Zschäpe den Prozessverlauf zutreffend und verfolge daher durch ihr vermeintliches Aussage-Angebot nun eine neue Strategie.
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Im jüngsten SPD-Parteikonvents-Beschluss zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung erkennt Thomas Stadler (internet.law.de) historische Vorbilder. Die Partei hätte "seit jeher empfindlich reagiert, wenn ihr vorgehalten wurde, sie würde nicht im Sinne der Staatsräson handeln." So seien denn auch "praktisch alle freiheitsfeindlichen und grundrechtseinschränkenden Gesetzesvorhaben der letzten 20 Jahre" von der SPD mitgetragen worden.
Steuerbetrug: Nach Darstellung des Handelsblatts (Volker Votsmeier) verweigert sich das von Wolfgang Schäuble (CDU) geführte Bundesfinanzministerium der Einführung einer Software, mit der die Manipulation von Kassensystemen erschwert werden soll. Durch derartige Manipulationen zur Verschleierung des tatsächlichen, steuerpflichtigen Umsatzes verlöre der Fiskus bis zu zehn Milliarden Euro jährlich, dass Bundesministerium bevorzuge jedoch eine EU-weite Lösung.
Abschlussprüferreformgesetz: Das Handelsblatt (Jan Keuchel) berichtet zu einem möglichem Kungelverdacht beim Gesetzentwurf zum Abschlussprüferreformgesetz. Einer der Autoren des Entwurfs, Ministerialbeamter im Bundesjustizministerium, stehe auf der Honorarliste des Verlags des Wirtschaftsprüfer-Verbandes IDW. Der nach den Enthüllungen zu den sogenannten Lux-Leaks beauftragte Entwurf räume zudem betroffenen Prüfer-Unternehmen mehr Spielräume ein, als dies nach einer ab Juni 2016 geltenden EU-Verordnung vorgesehen sei.
Justiz
StA Berlin – Ahmed Mansour: Der Journalist Ahmed Mansour ist wieder auf freiem Fuß. Bei der Prüfung der Auslieferungsvoraussetzungen hätten sich neben rechtlichen auch "nicht ausschließbare politisch-diplomatische Bedenken" ergeben, zitiert zeit.de (Till Schwarze) den Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Der Beitrag zeichnet zudem die rechtlichen Grundlagen der internationalen Rechtshilfe und die relevanten Daten des Verfahrens nach. Den "außergewöhnlichen" Hergang des Falles und die politische Position Mansours schildert ein ausführlicher Beitrag der SZ (Ronen Steinke). Die taz (Christian Rath) berichtet ebenfalls.
Kai-Hinrich Henner (Handelsblatt) hält das Vorgehen der Berliner Justiz bis zur Freilassung Mansours für "so ungeheuerlich, dass sie sich schon fragen lassen muss, ob sie ein Unrechtsregime noch von einem Rechtsstaat unterscheiden kann". Selbst wenn die gegen den Journalisten in Ägypten erhobenen Vorwürfe zuträfen, hätte sich "eine Auslieferung an das Folterregime am Nil von selbst" verboten. Für Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) offenbart die Angelegenheit auch die Gefahren einer "automatisierten" Strafverfolgung. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht bereits angemahnt, dass eine Auslieferungsprüfung jedenfalls dann zügig erfolgen müsse, wenn evidente Verweigerungsgründe vorlägen. Diese Prüfungen erfolgten jedoch häufig nicht gründlich genug.
EuGH – AGG-Hopping: In der vergangenen Woche legte das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob sogenanntes AGG-Hopping unionsrechtlich als Bewerbung zu bewerten sei. beck.blog.de (Christian Rolfs) stellt Fall und Rechtslage vor.
LG Stuttgart – Wendelin Wiedeking: Wegen der Täuschung von Anlegern müssen sich Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und der früherer Finanzvorstand des Unternehmens, Holger Härter, ab dem 31. Juli vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Wie die SZ (Klaus Ott) berichtet, hat die Anklagebehörde nun eine zusätzliche Anklage vorgelegt, in der es ebenfalls um Marktmanipulationen, diesmal durch eine vermeintlich falsche Presseerklärung, gehe. Ob die beiden Verfahren zusammen verhandelt würde, sei noch offen.
VG Braunschweig zu Namensänderung: Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat es in der vergangenen Woche abgelehnt, die von einer deutsch-türkischen Familie geltend gemachten Gründe für eine Namensänderung als ausreichend im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen anzusehen. Wie lto.de schreibt, hätten die Kläger Diskriminierungserfahrungen wegen ihres ausländisch klingenden Nachnamens behauptet.
AG Hannover – Notwehr: Nach Entscheidung des Amtsgerichts Hannover bleibt ein Mann, der vor zwei Wochen einen mutmaßlichen Einbrecher erschoss, weiterhin in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft ermittle weiter wegen des Verdachts auf Totschlag, so spiegel.de. Der Betroffene behaupte dagegen weiterhin, in Notwehr gehandelt zu haben.
Schiedsverfahren – Toll Collect: Das wegen der verzögerten Inbetriebnahme des LKW-Maut-Systems Toll Collect laufende Schiedsverfahren hat nach Ansicht von Michael Bauchmüller (SZ) bislang nur den Nachweis "für die Untauglichkeit eines Schiedsgerichts in öffentlich-privaten Partnerschaften" erbracht. Die beteiligten Unternehmen profitierten von der Dauer des Verfahrens durch die steuerliche Geltendmachung drohender Verluste. Steuerzahler dagegen blieben von Informationen zum Verfahrensstand ausgeschlossen.
Recht in der Welt
Frankreich – Geheimdienstgesetz: Ein neues französisches Gesetz zu Abhörbefugnissen des Geheimdienstes, über dessen Verabschiedung in dieser Woche beraten wird, hat kurz zuvor eine erhebliche Verschärfung erfahren. Wie das Handelsblatt (Thomas Hanke) schreibt, ist auf Betreiben eines engen Vertrauten von Premierminister Manuel Valls ein Absatz eingefügt worden, nach dem "jede technisch mögliche Art des Ausspähens" von Ausländern und nicht permanent in Frankreich Lebenden nur von der Genehmigung des Regierungschefs abhängen soll.
Nicht zuletzt diese Bestimmung macht aus dem Vorhaben in den Worten von Rudolf Balmer (taz) "einen 'Patriot Act' á la française". Mangelndes Interesse vieler Bürger an der Einschränkung von Freiheitsrechten im Namen der Terrorbekämpfung spiegele sich in der offiziösen Argumentation, mit dem neuen Gesetz würde nurmehr eine bereits existierende Praxis legalisiert.
Spanien – Frank Hanebuth: Der deutsche Hells Angel-Funktionär Frank Hanebuth bleibt nach Entscheidung eines Madrider Gerichts weiterhin in Untersuchungshaft. Auf ihn warte ein Verfahren wegen u.a. Bildung einer kriminellen Vereinigung und Menschenhandel, schreibt spiegel.de (Jörg Diehl/Claas Meyer-Heuer).
USA – Homo-Ehe: Der Supreme Court der USA entscheidet in den kommenden Tagen, ob Bundesstaaten das Recht haben, gleichgeschlechtliche Ehen zu verbieten oder ob sie sogar verpflichtet sein können, derartige Ehen anzuerkennen. Der Bericht von spiegel.de (Marc Pitzke) stellt den zugrundeliegenden Fall vor und mutmaßt "eine der folgenschwersten Entscheidungen" in der Geschichte des Gerichts, vergleichbar vielleicht mit jener zur Legalisierung von Abtreibungen aus dem Jahr 1973.
USA – Fracking: Ein Stamm US-amerikanischer Ureinwohner aus dem Südwesten des Landes verklagt das Innenministerium wegen Verschärfungen, die dieses zur Ölfördermethode Fracking verfügt hat. Die Southern Ute-Indianer sehen in den Regeln einen ungerechtfertigten Eingriff in das ihnen durch den Indian Mineral Leasing Act eingeräumte Recht, über Bodennutzung selbst zu entscheiden, schreibt die SZ (Kathrin Werner).
Sonstiges
NS-Gedenken: Im Münchner Stadtrat steht eine Abstimmung zu der angemessenen Form des individuellen Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus bevor. Wie Martin Bernstein (SZ) schreibt, sollen nach den Vorstellungen der rot-schwarzen Mehrheit die bundesweit bekannten Stolpersteine zwar nach wie vor verboten bleiben. Dagegen sollten jedoch auf Wunsch von Angehörigen an Hauswänden Gedenkplaketten für NS-Opfer angebracht werden.
Das Letzte zum Schluss
Gesundheitsgefahr: Tätowierungen gelten schon länger nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal von Matrosen und Häftlingen, können aber trotzdem immer noch Ärger verursachen. In einem australischen Sorgerechtsstreit entschied das Gericht zwar zugunsten einer jungen Mutter, verbot ihr aber gleichzeitig, ihr Kind zu stillen. Beim Anfertigen ihrer Tätowierungen hätte sie sich schließlich anstecken können, so das Gericht. justillon.de (Andreas Stephan) berichtet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Juni 2015: Zschäpe gegen Verteidigung - Mansour frei - Überwachung auf französisch . In: Legal Tribune Online, 23.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15957/ (abgerufen am: 20.05.2024 )
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