Ministerpräsident Seehofer verliert vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof. Außerdem in der Presseschau: Die neue Datenbank Richterscore, BGH-Entscheidung im Fall Snowden, das Landgericht Wuppertal spricht "Scharia-Polizisten" frei.
Thema des Tages
BayVerfGH zu Volksbefragungen: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat die im Februar in Bayern eingeführte Möglichkeit zu konsultativen Volksbefragungen für nichtig erklärt. Auch eine unverbindliche Volksbefragung sei ein Akt der "Staatswillensbildung". Wenn der Gesetzgeber neben Volksbegehren und Volksentscheiden neue plebiszitäre Elemente der Staatswillensbildung einführe, sei dafür eine Grundlage in der Landesverfassung erforderlich, die jedoch fehle. Eine Änderung der Landesverfassung wäre auch erforderlich gewesen, weil die Volksbefragung das austarierte verfassungsrechtliche System zulasten der repräsentativen Demokratie verschiebe. Geklagt hatten die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen. Sie hatten vor allem kritisiert, dass nur die Regierung, nicht aber die Opposition, eine Volksbefragung hätte ansetzen können. Daran übte der Verfassungsgerichtshof aber keine Kritik. Es berichtet die SZ (Wolfgang Wittl).
Heribert Prantl (SZ) freut sich über das Urteil: "Diese unverbindliche Volksbefragung ist nur ein vermeintlich bürgerfreundliches Instrument: Es missbraucht in Wahrheit den Bürger zur politischen Selbstbefriedigung des Regierungschefs." Jost Müller-Neuhof (Tsp) teilt auch die juristische Einschätzung der Richter: "Unverbindliche Bürgervoten sind eine Illusion im demokratischen Verfassungsstaat. Jede förmliche Abstimmung erzeugt Druck auf und Erwartungen an das politische Personal. Solche Eingriffe in das System bedürfen einer Grundlage im System selbst." Nun müsse neu darüber diskutiert werden, ob überhaupt zusätzliche plebiszitäre Elemente erforderlich seien.
Rechtspolitik
Bundeskartellamt: Nun beschreiben auch die SZ (Kristiana Ludwig) und die taz die von der großen Koalition geplante Erweiterung der Aufgaben des Bundeskartellamts um den Verbraucherschutz bei Internetfirmen. Das Amt solle hierfür 50 bis 100 neue Stellen erhalten.
Justiz
Richterscore: Die FAZ (Marcus Jung) stellt das kommerzielle Projekt Richterscore vor – eine von Anwälten gespeiste Datenbank über die Eigenschaften von Richtern. Sie soll Anwälten eine optimale Vorbereitung auf Gerichtsprozesse erlauben. Der Deutsche Richterbund lehne das Projekt ab.
BGH zu Snowden: Die generelle Ablehnung des NSA-Untersuchungsausschusses, Edward Snowden als Zeugen nach Berlin zu laden, verletzte die Rechte der Ausschussminderheit von Grünen und Linken, entschied der Bundesgerichtshof. Es sei allerdings zu erwarten, dass die Bundesregierung wie bisher die Amtshilfe für die Vernehmung Snowdens in Deutschland wegen eines drohenden außenpolitischen Schadens verweigere, schreiben die SZ (Wolfgang Janisch) und deutschlandfunk.de (Gudula Geuther).
OLG Stuttgart zu Islamist: Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte einen 20-Jährigen aus Waldshut-Tiengen wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS zu einer zweijährigen Jugendstrafe auf Bewährung. Der junge Mann sei aufgrund einer Persönlichkeitsstörung anfällig für eine Radikalisierung gewesen. Außerdem sei er vor seinem ersten Kampfeinsatz in Syrien dem IS entflohen. Es berichtet die StZ (George Stavrakis).
LG Wuppertal zu Scharia-"Polizei": Das Landgericht hat sieben Islamisten, die 2014 in orangen Warnwesten mit der Aufschrift "Sharia Police" durch Wuppertal marschierten, vom Vorwurf freigesprochen, sie hätten gegen das Uniformverbot im Versammlungsgesetz verstoßen. Laut spiegel.de will die Staatsanwaltschaft Revision einlegen, über die dann der BGH entscheiden müsste und nicht das OLG Düsseldorf, das den Prozess gegen den Willen der Wuppertaler Richter erzwungen hatte.
"Der Freispruch des Landgerichts ist ein angenehm unpolitisches Pendant zu den überzogenen Reaktionen auf den clownesken Streifzug", kommentiert Jost Müller-Neuhof (Tsp). Dagegen warnt Reinhard Müller (FAZ): "ein harmloses Happening war der Aufzug der Salafisten nicht. Hier geht es um die öffentliche Wehrhaftigkeit des Gemeinwesens. Seine Gegner nutzen jede Schwäche gezielt und oft im rechtsstaatlichen Rahmen aus."
AG Verden zu Holocaust-Leugnerin: Das Amtsgericht Verden hat die 88-jährige Holocaust-Leugnerin Ursula Haverkamp zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Volksverhetzung verurteilt. Zur Begründung für die harte Strafe hieß es, die Frau sei "uneinsichtig", berichtet zeit.de.
LG Traunstein – Zugunglück: Im Verfahren um das Zugunglück von Bad Aibling hörte das Landgericht Traunstein einen sachverständigen Zeugen vom Eisenbahnbundesamt. Er schilderte, dass das Stellwerk im Bahnhof Bad Aibling einige Fehler aufweise und die Dienstanweisungen für Fahrdienstleiter teilweise unverständlich seien. Letztlich sei aber doch der durch ein Handyspiel abgelenkte Fahrdienstleiter für den Unfall verantwortlich gewesen, schreiben die SZ (Annette Ramelsberger) und die Welt (Gisela Friedrichsen).
BVerfG zur Selektorenliste: Die Juniorprofessorin Jelena von Achenbach und Ex-BGH-Richter/Ex-MdB Wolfgang Neskovic kritisieren auf verfassungsblog.de ausführlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus der vergangenen Woche zur Verweigerung der NSA-Selektorenliste gegenüber dem NSA-Untersuchungsausschuss. Hier werde die Gewaltenteilung zu einem teilweise anti-parlamentarischen, anti-demokratischen Prinzip ausgeformt.
Recht in der Welt
Israel – Muezzinrufe: Die SZ (Peter Münch) schildert den Streit über ein von der israelischen Regierung geplantes Gesetz, das Muezzin-Rufe verbietet. Angeblich gehe es um Lärmschutz.
Türkei – Kindesmissbrauch: In der Türkei hat die Regierungspartei AKP einen Vorschlag eingebracht, mit dem Kindesmissbrauch rückwirkend straffrei gestellt werden soll, wenn die sexuelle Handlung nicht erzwungen wurde und der Täter das Opfer heiratet. Damit sollen die Interessen junger Mädchen gewahrt werden, die von ihren Familien in Unkenntnis der Gesetzeslage minderjährig verheiratet wurden und deren Ehemänner deshalb im Gefängnis sitzen. Die Opposition warf der Regierung vor, damit Kindesmissbrauch zu decken. Es berichten zeit.de (Susanne Güsten) und die Welt (Deniz Yücel).
EGMR – Türkei: Der türkische Assistenzprofessor Ulas Karan schildert auf verfassungsblog.de die Folgen eines Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von vergangener Woche, der immer noch die Ausschöpfung des Rechtswegs zum türkischen Verfassungsgericht forderte. Das Verfassungsgericht habe seit dem Putschversuch bereits rund 40.000 Verfassungsklagen erhalten, mehr als doppel soviel wie sonst in einem Jahr. Selbst wenn es schnell entscheide, sei fraglich, ob seine Urteile befolgt werden.
IStGH: Die Krise des Internationalen Strafgerichtshofs, nachdem sich immer mehr Staaten von ihm abwenden, schildern spiegel.de (Thomas Darnstädt) und KStA (Christian Rath). Zu diesem Thema kommentiert Christian Bommarius (BerlZ): "Nicht die fehlende Effizienz des ICC verursacht den Exodus der Mitgliedsstaaten, sondern im Gegenteil die Angst der Staatsverbrecher vor seiner Effizienz."
Sonstiges
Menschenwürde: Die FAZ (Florian Meinel) bespricht ein Buch, das der Staatsrechtler Manfred Baldus über die Interpretationsgeschichte der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes geschrieben hat. Baldus plädiere für einen Verzicht auf alle Theologie, Philosophie und Soziologie der Würde und dafür, den Satz von der Menschenwürde "mit einer juristisch-rationalen Methode" in "konkrete Verbotstatbestände" zu übersetzen.
DNA-Tests: Die BadZ (Christian Rath) beschreibt, wie die Polizei nach dem Mord an einer Studentin freiwillig abgegebene Speichelproben sammelt und dabei die Regeln für DNA-Reihenuntersuchungen nicht anwendet.
Haftbefehle: Die SZ (Toni Wölfl) schildert in ihrem Bayern-Teil, dass in Bayern rund 25.000 Haftbefehle offen seien, weil die Sicherheitsbehörden zu wenig Personal hätten. Sorgen um die Sicherheit mache sich vor allem die SPD-Opposition.
Das Letzte zum Schluss
LAG Düsseldorf – Kündigung von Autoverkäufer: Durfte ein Autohändler fristlos gekündigt werden, nachdem er betrunken und ohne Führerschein mit überhöhter Geschwindigkeit auf einem Renn-Quad nachts durch Düsseldorf gefahren war? Dessen Argument, er musste seinen Lamborghini verfolgen, der vor seinen Augen gestohlenen worden war, ließ der Arbeitgeber, ein Autohaus, nicht gelten, es zweifle an seiner Zuverlässigkeit im Umgang mit schnellen Autos. Über den Fall, den das Landesarbeitsgericht Düsseldorf verhandelte, berichtet community.beck.de (Markus Stoffels).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. November 2016: Volksbefragungen sind unzulässig / Richterdatenbank hilft Anwälten / Scharia-Polizei bleibt straflos . In: Legal Tribune Online, 22.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21223/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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