Am heutigen Montag beginnt der Strafprozess gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD). Außerdem in der Presseschau: Vorschlag der Bundesregierung zum Recht auf Vergessenwerden, hessischer Verfassungsschutz und die NSU-Morde, Ermittlungen gegen Celler Generalstaatsanwalt und warum Tiere vor der Tötung einst einen fairen Prozess bekamen.
Thema des Tages
LG Verden – Edathy: Am heutigen Montag beginnt vor dem Landgericht Verden der Prozess gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy, dem der Besitz von kinderpornografischem Material zur Last gelegt wird. Die Montags-Welt (Uwe Schmitt/Manuel Bewarder) und zeit.de (Lisa Caspari) erläutern in ausführlichen Vorberichten die Vorwürfe und die Beweislage gegen Edathy. Die Montags-FAZ (Reinhard Bingener/Eckart Lohse) rekonstruiert den Verlauf der Ermittlungen und die sich im Zuge dessen entwickelte Edathy-Affäre, die parallel von einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt wird. Die Samstags-taz (Tobias Schulze) befasst sich in einem Frage-Antwort-Beitrag mit den offenen Fragen des anstehenden Prozesses und dessen Verhältnis zum Untersuchungsausschuss.
Heribert Prantl (Samstags-SZ) kommentiert: "Es ist dies eine Verhandlung, die es eigentlich gar nicht geben dürfte - weil erstens die Ermittlungen auf suspekte Weise geführt wurden" und weil eine öffentliche Vorverurteilung stattgefunden habe.
Rechtspolitik
Recht auf Vergessenwerden: Nach Informationen der taz (Christian Rath) hat der Innenminister Thomas de Mazière in der Diskussion zur neuen Datenschutzgrundverordnung einen Vorschlag zur Umsetzung des EuGH-Urteils zum Recht auf Vergessenwerden eingebracht. Mit einem neuen Artikel 17 c soll ein Ausgleich zwischen den Grundrechten der bei der Suchmaschinen ungewollt gelisteten Privatpersonen und der Meinungs- und Pressefreiheit der Urheber der Texte erreicht werden. So sollen die Urheber nicht nur benachrichtig werden können, sondern auch zu einer Stellungnahme zum Löschantrag berechtigt sein. Bei Unstimmigkeiten soll eine unabhängige Schlichtungsstelle eingesetzt werden können.
Tarifeinheit: In einem Gastbeitrag in der FAS befasst sich der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio mit dem geplanten Gesetz zur Tarifeinheit. Seiner Ansicht nach ist eine staatliche Einmischung erst vonnöten, wenn "die Konkurrenz der Gewerkschaften zerstörerisch wird" und keine tariflichen Lösungen gefunden werden können. Die Verfassung gehe nicht von harmonischen Gerechtigkeitsvorstellungen aus, sondern weise "einen prozeduralen Weg, ein Lohnfindungsverfahren mit Elementen des Kampfes, des Arbeitskampfes".
Schlichtung Tarifstreitigkeiten: Nach Streikdrohungen der Lokführer-Gewerkschaft GDL werden erneut Modelle der Zwangsschlichtung von Tarifstreitigkeiten diskutiert, berichtet die Samstags-FAZ (Kerstin Schwenn/Joachim Jahn). So hätte etwa der Fahrgastverband Pro Bahn eine "Mediation oder Moderation" der Auseinandersetzungen gefordert; ein Gesetzvorhaben zur Zwangsschlichtung sei beim Arbeitsministerium jedoch nicht in Planung. Arbeitsrechtler Gregor Thüsing und Martin Fransen haben dagegen einen Gesetzesvorschlag zur Streikschlichtung im Bereich der Daseinsvorsorge erarbeitet. Hier sollen Streiks erst nach vorheriger Ankündigung rechtmäßig sein; zudem könne eine Schlichtungsstelle angerufen werden.
Frauenquote: Ab 2016 soll unter anderem für die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen eine Frauenquote von 30 Prozent gelten, für mittelgroße Unternehmen eine Flexiquote. Am heutigen Montag findet eine Sachverständigenanhörung vor den Fachausschüssen des Bundestages zur geplanten Quote statt, berichtet die Montags-taz (Simone Schmollack). Die Montags-FAZ (Dietrich Creutzburg/Joachim Jahn) fasst die Gutachten der geladenen Sachverständigen zusammen, die den Gesetzentwurf zum Teil für verfassungswidrig halten.
Freihandelsabkommen: Nach Berichten der Montags-FAZ (Henrike Roßbach) und der Montags-taz (Tobias Schulze) hat sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit Sozialdemokraten anderer EU-Länder auf die Forderung geeinigt, im Zusammenhang mit dem Ceta-Abkommen einen internationalen Investitionsgerichtshof zu schaffen. Die beklagten Staaten sollen Berufung einlegen können und Unternehmen zudem nicht mehr bei Gesetzesänderungen klagen können. Die Montags-SZ (Michael Bauchmüller) stellt die UN-Transpranzregeln für Schiedsgerichtsverfahren vor, die bei neuen Handelsverträgen gelten sollen. Um die Transparenzregeln bereits auf bestehende Verträge anwenden zu können, plane die Bundesregierung am Mittwoch die Mauritius-Konvention zu unterzeichnen.
Justiz
OLG München – NSU: Im vierseitigen Titelthema schildert die WAS (Stefan Aust u.a.) aktuelle Beweisanträge der Nebenklagevertreter, die den beim Mord an Halit Yozgat im Jahr 2006 in Kassel anwesenden Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme betreffen. Aus bisher unveröffentlichten Abhöraufnahmen der damals ermittelenden Mordkommission gehe hervor, dass der Verfassungsschützer konkrete Kenntnisse von der Tat gehabt haben könnte. Der Beitrag rekonstruiert den Tagesablauf Temmes und seine Telefonate mit Vorgesetzten und dem von ihm geführten V-Mann, der dem NSU-Umfeld zugerechnet wird. Auch die Montags-taz (Astrid Geisler) und spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichten.
StA Göttingen –Generalstaatsanwalt Celle: Bei den Ermittlungen gegen Christian Wulff (CDU) und Sebastian Edathy (SPD) gerieten jeweils brisante Ermittlungsdetails an die Öffentlichkeit. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Göttingen gegen den Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Frank Lüttig, wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen in acht Fällen. Die Samstags-FAZ (Reinhard Bingener), die Montags-SZ (Hans Leyendecker) die Samstags-taz (Andreas Wyputta) und der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) berichten ausführlich über die am vergangenen Freitag bekannt gegebenen Vorwürfe. Die Ermittlungen gegen eine weitere Person könnten sich gegen den ehemaligen Landesjustizminister Bernd Busemann richten, der ein konfliktgeladenes Verhältnis zu Christian Wulff gehabt habe.
Reinhard Müller (Samstags-FAZ) begrüßt die Ermittlungen, die die Unabhängigkeit der Göttinger Staatsanwaltschaft beweise würden. Heribert Prantl (Montags-SZ) befürchtet, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft insgesamt schaden könnten, wenn sie sich bestätigten; doch gelte auch für den Generalstaatsanwalt die Unschuldsvermutung.
EGMR zur Unschuldsvermutung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland wegen Verstoßes gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" aus Art. 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verurteilt. Das Landgericht Münster hatte den Beschwerdeführer Ludger C. vom Vorwurf des Missbrauchs an seiner Tochter zwar freigesprochen, jedoch im Urteil festgehalten, dass die Aussagen der Tochter einen realen Hintergrund gehabt haben müssen. Der EGMR entschied, dass bestehende Zweifel zwar geäußert werden dürfen, im konkreten Fall habe das Gericht mit der Formulierung aber die Unschuldsvermutung verletzt. Der Spiegel (Gisela Friedrichsen) schildert den Fall des ausführlich und stellt auch die Schadensersatzklage gegen die Gutachterin im Strafprozess dar.
BVerwG zu Raubkunst-Datenbank: Vergangenen Freitag hat das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil zur Frage gefällt, unter welchen Voraussetzungen ein Kunstwerk aus der Datenbank Lost-Art gelöscht werden muss. Die Datenbank listet NS-Raubkunst und soll einen Ausgleich zwischen den Enteigneten und aktuellen Eigentümern fördern. lto.de (Anne Christine-Herr) stellt den konkreten Fall und das Urteil des BVerwG eingehend dar.
BAG zu Arbeitnehmer-Aufnahmen: Rechtsanwalt Christian Oberwetter bespricht auf lto.de ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Nutzung von Filmaufnahmen eines ausgeschiedenen Arbeitnehmers im Werbevideo des Unternehmens. Der Arbeitnehmer habe ursprünglich die Einwilligung zur Nutzung erteilt, diese jedoch widerrufen, nachdem er aus dem Unternehmen ausgeschieden sei und habe die Entfernung des Videos von der Homepage verlangt. Das BAG habe nun entschieden, dass die Nutzungsbefugnis nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ende und der Widerruf der Einwilligung eines plausiblen Grundes bedarf.
LG Wiesbaden – Kunstfälscherring: Die Samstags-SZ (Catrin Lorch) bringt einen ausführlichen Prozessbericht zum Verfahren vor dem Landgericht Wiesbaden gegen die Betreiber der Wiesbadener SNZ-Galerie, denen banden- und gewerbsmäßiger Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen wird. Die Ermittler hätten mehr als 1.500 verdächtige Werke sichergestellt.
JVA Oldenburg: Der Journalist Toni Schmitt hat sich als Häftling in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg einschließen lassen und berichtet in der Montags-taz von seinen Erfahrungen im Alltag der JVA und den Schicksalen der Häftlinge, die er dort sprechen konnte.
Recht in der Welt
Spanien – Tote von Ceuta: Vor etwa einem Jahr starben 15 Menschen an der spanisch-marokkanischen Grenze, als eine Flüchtlingsgruppe versuchte die Grenze zum spanischen Ort Ceuta zu überqueren und die Polizeieinheit Guardia Civil Gummigeschosse und Tränengas gegen sie einsetzte um sie zurückzutreiben. Wegen des Vorfalls soll nun Klage gegen 16 Beamte der Guardia Civil vor einem spanischen Gericht erhoben werden, bei der die deutsche Organisation ECCHR einen Zeugen rechtlich unterstützt. Die Montags-SZ (Stefan Klein) bringt ein ausführliches Porträt des Zeugen, der den Vorfall überlebt hat und stellt die Vorwürfe gegen die Beamten dar.
Russland – Alexei Nawalny: Die Montags-taz (Klaus-Helge Donath) beleuchtet die Gerichtsurteile gegen den russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. Der bereits wegen mutmaßlichen Betrugs zur Bewährungsstrafe verurteilte Putin-Kritiker sei am vergangenen Donnerstag zu 15 Tagen Haft verurteilt worden, weil er ein Flugblatt mit Demonstrationsaufruf zum ersten März verteilt habe. Es sei zu befürchten, dass nach der Verurteilung auch eine Aufhebung der Bewährung erfolgen könnte.
Sonstiges
Fußballfans: Nach einem Platzsturm durch eine Ultra-Gruppe hat der 1. FC Köln den mutmaßlich an dem Vorfall Beteiligten die Vereins-Mitgliedschaft entzogen, Stadionverbote ausgesprochen und ihre Fotos auf der Vereinshomepage veröffentlicht. Rechtsanwalt Johannes Arnhold erläutert auf lto.de die Rechtsgrundlage und die Problematik der Maßnahmen.
EU-Desintegration: Rechtsprofessor Franz C. Mayer setzt sich auf verfassungsblog.de mit aktuell diskutierten EU-Desintegrationstheorien auseinander. Er zeigt an einigen Beispielen mögliche Desintegrationsprozesse auf und geht der Frage nach, ob die Prozesse tatsächlich als Desintegration begriffen werden können. Die Europarechtswissenschaft müsse Konzepte entwickeln, "die den tatsächlichen oder gefühlten Desintegrationsprozessen entgegenwirken."
Europapolitik und Gesetzestreue: Reinhard Müller betrachtet in der Montags-FAZ die divergierenden Auffassungen von Deutschland und anderen EU-Staaten zur Regelbefolgung in der EU-Politik. Die deutsche Auffassung, die Streitigkeiten über den Inhalt der EU-Verträge seien anhand der konkreten Norm und der anerkannten Auslegungsmethoden auszutragen und notfalls ein Gericht anzurufen, werde bei Weitem nicht von allen EU-Staaten geteilt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werde trotzdem genau studiert und teilweise auch übernommen.
Hans F. Zacher: Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) verfasst einen Nachruf auf den am letzten Mittwoch verstorbenen Rechtswissenschaftler Hans Zacher. Der Rechtsprofessor und ehemaliger Präsident der Max-Planck Gesellschaft habe entscheidend zur Entwicklung der Sozialrechtswissenschaft beigetragen und das "Sozialrecht in der Wissenschaft gesellschaftsfähig gemacht".
Mitarbeiteraktien: Manche Unternehmer geben ihren Mitarbeitern Aktienoptionen aus, mit denen diese Aktien des Arbeitgebers erwerben können und so eine Mitbeteiligung am Unternehmen erhalten. Welche steuerlichen Auswirkungen die als lohnsteuerpflichtiger geldwerter Vorteil einzustufende Aktiengewährung hat, erläutert der Rechtsanwalt Andreas Patzner in der FAS.
Das Letzte zum Schluss
Tierprozesse: Todesstrafe gegen ein Schwein und Platzverweise gegen Ackerschädlinge? Hat es alles gegeben, konstatiert der Spiegel (Philip Bethge). Zwischen dem 9. und dem 17. Jahrhundert sei es nicht unüblich gewesen, Tiere vor Gericht zu stellen; mehrere Hundert Fälle seien dokumentiert, wie etwa die Verurteilung eines Hahnes wegen Eierlegens aus dem Jahr 1474. Dies sei auch auf eine andere Vorstellung von Recht und Gesetz im Mittelalter zurückzuführen, habe der mit dem Phänomen befasste Philosoph Justin Smith erklärt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. bis 23. Februar 2015: Prozess gegen Edathy – Ermittlungen gegen Celler Generalstaatsanwalt – Verfassungsschutz und NSU . In: Legal Tribune Online, 23.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14765/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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