Im Wulff-Prozess wird plädiert, die Staatsanwaltschaft möchte das Verfahren aber gerne fortsetzen. Außerdem in der Presseschau: Minderheitenschutz für Homophobe, BVerfG zum Rückwirkungsverbot, Deutsche Bank und Kirch-Erben vergleichen sich in Millionenhöhe, Stefan Mappus gegen den Landtag, Friedrich und das Dienstrecht und dienstfrei zum Karneval.
Thema des Tages
Christian Wulff: Der vor dem Landgericht Hannover laufende Prozess gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) wegen des Vorwurfs der Vorteilsgewährung und -annahme neigt sich dem Ende zu. Die Plädoyers sahen dabei statt fein ziselierter juristischer Argumentation eine Auseinandersetzung "mit Säbeln, bisweilen auch mit der Dachlatte", so spiegel.de (Gisela Friedrichsen), bzw. einen "ganz außergewöhnlichen Auftritt des Staatsanwalts," so die SZ (Annette Ramelsberger). Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer habe vor allem den Angeklagten selbst angegriffen und ihm und seinen Anwälten "Prozesspropaganda" vorgeworfen. Dass die Anklagebehörde sich zur Durchführung der Hausdurchsuchung mit dem Angeklagten zeitlich verständigt habe, sei von diesem nicht genügend gewürdigt worden. Auf einen Schlussantrag habe der Staatsanwalt verzichtet und stattdessen auf die Fortsetzung der Beweisaufnahme gedrungen, weil das Urteil erst bei noch nicht erreichter Entscheidungsreife gefällt werden dürfe. In der Darstellung der FAZ (Robert von Lucius) soll dieses Vorgehen "den Grund für eine Revision bereiten." Wulff selbst habe sich demgegenüber konziliant gezeigt und die Verantwortung für das Verfahren Generalstaatsanwalt Frank Lüttig gegeben. Die Welt (Ulrich Exner) berichtet ebenfalls ausführlich.
Für Heribert Prantl (SZ) passt das "absolut unübliche" Plädoyer zum Verfahren, das schon lange eine "schmotzige Angelegenheit" geworden sei. Hätte die Staatsanwaltschaft "offener, abwägender, achtsamer und redlicher" ermittelt, dann hätte die "Sache vorab und ohne Auflagen eingestellt werden müssen." Trotz des zu erwartenden Freispruchs bleibe der "Schatten des ungeschickten Umgangs mit Versäumnissen, des Missmanagements und falschen Glamours" noch länger an Wulff haften, meint Reinhard Müller (FAZ). Rüdiger Scheidges (Handelsblatt) schließlich attestiert dem Verfahren, versucht zu haben, "jenen schwer durchschaubaren, nur halböffentlichen Graubereich zu belegen, in dem die guten Sitten" mit wechselnder Strenge oder auch gar nicht beachtet würden. Den demokratischen Entscheidungsprozess zeichne gegenüber dem feudalen aus, dass er "transparenter, offener, nachprüfbarer, eindeutiger" sei; was strafrechtlich noch nicht relevant sei, könne immer noch gegen "Sitte und Anstand" verstoßen.
Rechtspolitik
Abgeordnetenbestechung: Den Regierungsentwurf eines Gesetzes gegen Abgeordnetenbestechung analysiert Sebastian Wolf für lto.de. Der Mitarbeiter von Transparency International Deutschland begrüßt, dass über die geltende Strafbarkeit der Käuflichkeit bei Abstimmungen und Wahlen künftig alle korruptiv beeinflussten Handlungen oder Unterlassungen bei der Wahrnehmung des Mandats bestraft werden sollen, hält aber mehrere Formulierungen des Entwurfs noch für klärungsbedürftig.
Europäische Staatsanwaltschaft: Den Vorschlag zur Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft unterzieht Almut Peters (verfassungsblog.de) einer kritischen Würdigung. So sei zum Beispiel problematisch, dass die geplante Behörde bei ihrer Arbeit Ermittlungskompetenzen verschiedener Mitgliedsstaaten gleich einer "Rosinenpickerei" kombinieren könne und hierdurch den fair trial-Grundsatz gefährde.
Homosexualität und Minderheitenschutz: Ein "Plädoyer für den Schutz einer neuen Minderheit" hält Rechtsprofessor Christian Hillgruber (FAZ) in einem Gastbeitrag für den Staat und Recht-Teil des Blattes. Nachdem es zumindest in Deutschland, Westeuropa und Nordamerika Homosexuellen "dank einer eindrucksvollen Lobbyarbeit" gelungen sei, ihre Agenda der vollständigen Gleichberechtigung zu "einer Agenda der Mehrheitsgesellschaft zu machen", würden jene, die "Homosexualität für moralisch fragwürdig und homosexuelle Praxis für anstößig halten", an der Ausübung ihrer Freiheit, "Homosexualität weiterhin negativ zu bewerten" durch öffentliche Meinung und Gerichte gehindert. Dabei verdiene auch diese Freiheit "nicht weniger Respekt und Schutz."
Frontex: Der Innenausschuss des Europaparlaments hat sich für eine Neufassung der Einsatzregeln der Grenzschutzagentur Frontex ausgesprochen. So sollen künftig Flüchtlingsboote auf offener See nicht mehr abgefangen und zurückgeschickt, sondern nur noch gewarnt und angewiesen werden, nicht in Territorialgewässer eines Mitgliedsstaates einzudringen, schreibt die FAZ (Nikolas Busse).
Eigentum: Ausgehend von dem Vorschlag einer Vermögensabgabe zur Stabilisierung des Euro macht sich Reinhard Müller (FAZ) im Staat und Recht-Teil der Zeitung Gedanken über das Eigentum. In den Worten des früheren Bundesjustizministers Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) charakterisiere nicht zuletzt dieses die Einzigartigkeit des Menschen, nach Müller geht jedoch die grundgesetzlich verankerte Sozialpflichtigkeit des Eigentums "oft unter."
Datenschutz: Reinhard Müller (FAZ) referiert im Zeitgeschehen-Teil der Zeitung Bedenken deutscher Datenschützer wegen der Übernahme des Nachrichten-Programms WhatsApp durch Facebook. Zwar müsse amerikanischen Unternehmen nicht generell misstraut werden, wegen fehlender datenschutzrechtlicher Regulierung in den USA würden diese jedoch gegenüber europäischen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil genießen.
Justiz
BVerfG zum Rückwirkungsverbot: Eine gesetzgeberische "Klarstellung" ist als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot auch dann nichtig, wenn unbeabsichtigte steuerrechtliche Effekte mit Wirkung für die Vergangenheit beseitigt werden sollen. FAZ (Joachim Jahn) im Wirtschafts-Teil und die Badische Zeitung (Christian Rath) berichten über diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. In einem Minderheitsvotum habe Verfassungsrichter Johannes Masing gegen die "gravierende" Verschiebung der Balance von Demokratie und Rechtsstaat zugunsten der Gerichte argumentiert. In einem das Urteil begrüßenden Kommentar meint dagegen Joachim Jahn (FAZ), dass der Bürger so viel Vertrauensschutz "verdient habe." Zu diesem Ergebnis gelangt auch Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) in einer ausführlichen Analyse des Beschlusses.
BGH zu Unterhaltspflicht: Matthias Matussek (Welt) setzt sich in einem Essay aus Anlass des Urteils des Bundesgerichtshofs zur Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber pflegebedürftigen Eltern mit aktuellen Familienkonzeptionen auseinander. Er kommentiert hierzu auch mediale Reaktionen auf die Entscheidung und spannt einen Bogen zum "wohl schönsten Familienfilm aller Zeiten", der Trilogie "Der Pate".
BSG zu Hartz IV: Die SZ (Claus Hulverscheidt) berichtet über eine nun veröffentlichte Entscheidung des Bundessozialgerichts, nach der Hartz IV-Empfänger nicht in jedem Fall dazu gezwungen werden können, ihr Vermögen vor einem Leistungsempfang vollständig aufzubrauchen, etwa in dem sie eine Lebensversicherung auflösen. Vielmehr müssten die Jobcenter in einer Einzelfallprüfung feststellen, ob die Auflösung verhältnismäßig sei oder hierdurch unzumutbare Verluste entstünden.
OLG München – NSU-Prozess: Die taz-Nord (Andreas Speit) berichtet über eine mögliche Zeugenbeeinflussung durch Holger G., einen der Mitangeklagten im Verfahren gegen Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München. G., der als Hauptbelastungszeuge auftrete, sei zumindest ursprünglich dem Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts zugeteilt gewesen, ob dies nach wie vor der Fall sei, habe die Behörde auf Anfrage nicht beantworten wollen.
OLG München zu Kirch: Der jahrelange Rechtsstreit zwischen der Deutschen Bank und den Erben Leo Kirchs ist mit einem vor dem Oberlandesgericht München geschlossenen Vergleich beendet worden. Wie die SZ (Klaus Ott/Andrea Rexer) schreibt, einigten sich die Parteien auf eine vom Geldinstitut zu leistende Zahlung von mehr als 925 Millionen Euro, die nach Informationen der Zeitung auch gleich überwiesen worden seien. Im Gegenzug zögen die Nachkommen Kirchs alle noch anhängigen Klagen gegen die Bank zurück. Auch die FAZ (Joachim Jahn) berichtet und bietet in einem weiteren Beitrag (Hans-Josef Susenburger) die "Chronik eines Debakels für Banker und ihre Juristen."
Marc Beise (SZ) kommentiert, dass die Dauer des Verfahrens auch der juristischen Vertretung der Bank geschuldet sei: "sonst extrem selbstbewusste Manager" hätten "viel zu lange" der Argumentation ihrer Anwälte, nach der eine Einigung Aktionärsklagen nach sich ziehen könnten, vertraut. Die gefundene Lösung bedeute dagegen die Rückkehr unternehmerischer Vernunft.
VG Stuttgart – Stefan Mappus: Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat beim Verwaltungsgericht Stuttgart eine gegen den Landtag gerichtete Klage eingereicht, in der ein unzureichendes Frage- und Beweisantragsrecht im EnBW-Untersuchungsausschuss gerügt wird, schreibt die FAZ (Rüdiger Soldt). "Intellektueller Kopf" der juristischen Strategie des Ministerpräsidenten a.D., zu der auch eine Klage gegen die Kanzlei Gleiss Lutz gehöre, sei der Strafrechtler Bernd Schünemann. Dessen wortgewaltige Empörung über die Arbeit des Ausschusses ließe "ernsthafte Einwände" etwas untergehen, so sei etwa problematisch, dass Unterlagen aus dem parallel laufenden Ermittlungsverfahren wegen des umstrittenen EnBW-Rückkaufs in den Ausschuss gelangten und von dieser öffentlichen Bühne aus die nichtöffentlichen Ermittlungen beeinflussten.
AG Tiergarten zu Bushido: Vor dem Amtsgericht Tiergarten von Berlin ist der Musiker Bushido vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen worden. Wie die FAZ (Mechthild Küpper) schreibt, verzichtete das vermeintliche Opfer eines Schlages mit dem Schuh des Rappers vor Gericht auf eine Aussage.
Edathy – Friedrich: Rechtsprofessor Friedrich Schoch (FAZ) unterzieht in einem Gastbeitrag für den Staat und Recht-Teil der Zeitung die "juristisch heikle" Informationsweitergabe im Fall des ehemaligen Bundestags-Abgeordneten Sebastian Edathy durch den vormaligen Minister Hans-Peter Friedrich (CSU) an Sigmar Gabriel (SPD) einer auf das Dienstrecht konzentrierten Analyse. Weil dieser in seiner Eigenschaft als Parteichef und nicht etwa als Abgeordneter über die Ermittlungen informiert worden sei, sei Friedrich eine Verletzung der im Bundesministergesetz normierten Verschwiegenheitspflicht anzulasten, für die das Gesetz aber eine Disziplinarmaßnahme nicht vorsehe. Der von der Rechtsordnung vorgezeichnete Weg wäre allerdings die Information der Bundeskanzlerin gewesen. Das Verhalten der beteiligten SPD-Funktionäre hinsichtlich der Informationsweitergabe sei dagegen "soweit die Fakten bekannt sind" nicht zu beanstanden. Auch die Anfrage des Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann beim BKA-Chef Jörg Ziercke könne als Anfrage aus dem Informationsfreiheitsgesetz qualifiziert werden.
KZ-Wachmänner: Die FAZ (Rüdiger Soldt, erweiterte Online-Version) berichtet über Durchsuchungen bei ehemaligen, mutmaßlichen Wachmännern des KZ Auschwitz. Die früheren SS-Mitglieder stünden aufgrund von Vorermittlungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg im Verdacht, an der Tötung von KZ-Häftlingen beteiligt gewesen zu sein. Drei Männer seien vorläufig festgenommen worden.
Datenschutz und Clouds: In Fortsetzung seiner Themenwoche "Anwalt & Technik" beschäftigt sich lto.de (Daniel Grosse) mit den Möglichkeiten, Kanzlei-Dateien auf virtuellen Speicherplätzen, den sogenannten Clouds, zu sichern.
Recht in der Welt
Großbritannien – Ecclestone: Vor dem High Court in Großbritannien ist eine Entschädigungsklage in Millionenhöhe gegen Formel 1-Chef Bernie Ecclestone abgewiesen worden. Wie die FAZ (Henning Peitsmeier) in ihrem Unternehmens-Teil schreibt, hätte die klagende Münchner Filmfirma nicht nachweisen können, dass ihr bei dem Geschäft von Ecclestone und dem früheren BayernLB-Manager Gerhard Gribkowsky ein Schaden entstanden sei. Dieser Verkauf von Anteilen der Rennserie sei nach Ansicht des Gerichts allerdings sehr wohl als "korrupte Vereinbarung" einzustufen, der Beklagte zudem weder verlässlich noch vertrauenswürdig.
Großbritannien – News of the World: Über den Prozess gegen Rebekah Brooks und andere mutmaßlich Verantwortliche für Abhöraktionen im Dienste der inzwischen eingestellten Zeitung "News of the World" berichtet die FAZ (Henning Peitsmeier) im Feuilleton. Ein besonders grelles Licht auf "das enge Flechtwerk von Politik und Journalismus" habe eine im Verfahren veröffentlichte Mail des früheren Premierministers Tony Blair an Brooks geworfen, in der er auf dem Höhepunkt des Skandals der Journalistin seine Unterstützung angeboten habe. Spiegel.de (Carsten Volkery) schreibt über die Aussage der Journalistin vor Gericht.
Ukraine – Janukowitsch: In einem Kommentar zur Lage in der Ukraine fordert Torsten Krauel (Welt), Wiktor Janukowitsch, den Präsidenten des Landes, dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag/Niederlande zu überstellen. In Europa schieße man nicht auf Demonstranten, "auch nicht auf solche mit Molotow-Cocktails."
Sonstiges
NSU-Film: Die FAZ (Michael Hanfeld) berichtet über Pläne der ARD, in einem dreiteiligen Fernsehfilm und einer von Stefan Aust erstellten Dokumentation die Geschichte der Terror-Vereinigung NSU zu erzählen.
Di Fabio: Udo Di Fabio, früherer Richter am Bundesverfassungsgericht und Katholik, ist zum neuen Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats für das Lutherjubiläum im Jahr 2017 gewählt worden, berichtet die Welt (Matthias Kamann).
Das Letzte zum Schluss
Dienstfrei: Mit der zumindest in einigen Teilen des Landes elementar wichtigen Frage, ob an den närrischen Tagen rund um den Karneval gearbeitet werden muss, befasst sich Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder (kanzlei-blaufelder.com). Wo Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarungen keine Regelungen treffen, müssten sich feierwütige Arbeitnehmer auf eine entsprechende betriebliche Übung berufen. Dies sei aber dann nicht erfolgversprechend, wenn die Arbeitsbefreiung alljährlich unter Vorbehalt erfolgt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. Februar 2014: Harte Worte in Hannover – Teurer Vergleich – BVerfG zum Rückwirkungsverbot . In: Legal Tribune Online, 21.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11119/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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