Das BVerfG gibt heute seine Entscheidung im NPD-Verbotsverfahren bekannt. Außerdem in der Presseschau: Spähender Ex-taz-Redakteur erhält Strafbefehl, wie weiter im Fall Amri, Heinrich Senfft verstorben und eine schiefgegangene Prüfung.
Thema des Tages
BVerfG – NPD-Verbot: Das Bundesverfassungsgericht wird am heutigen Dienstag ab 10 Uhr sein Urteil im NPD-Verbotsverfahren verkünden. Nachdem in der bisherigen Berichterstattung die Prognose eines abweisenden Urteils dominierte, erinnert der Bericht der taz (Christian Rath) daran, dass die bisherigen zwei verfassungsgerichtlichen Verbotsentscheidungen keine konkrete von der Partei ausgehende Gefahr verlangt hatten. Auch deute die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung im vergangenen Jahr darauf hin, dass das Gericht den vom Bundesrat gestellten Verbotsantrag für hinreichend begründet hielt. Nach dem Bericht von zeit.de (Tilman Steffen) sei auch ein zeitlich befristetes Teilverbot oder der Ausschluss von staatlicher Finanzierung möglich. Diese Möglichkeit habe der Prozessbevollmächtigte der Partei, Peter Richter, selbst ins Gespräch gebracht. Weil ein Verbot unmittelbar gelte, hätten sich Bundes- und Landespolizeieinheiten auf mögliche Einsätze vorbereitet. Hierbei würden Parteiräumlichkeiten durchsucht und geschlossen. Verwaltungsgerichte hätten notwendige Durchsuchungsbeschlüsse vorbereitet. Verfahren und Argumentation ist Thema des lto-Podcasts (Michael Reissenberger).
Auch der Kommentar von Christian Bommarius (BerlZ) befasst sich mit den rechtlichen Voraussetzungen eines Parteienverbots, das "in einer Demokratie die absolute Ausnahme sein" müsse. Statt der historischen Voraussetzungen dürfte sich das Gericht nun eher an den strengeren Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte orientieren. Das Straßburger Gericht verlange eine von der betroffenen Partei ausgehende konkrete Umsturzgefahr.
Die FAZ (Reinhard Müller) porträtiert Verfassungsrichter Peter Müller als "harten Frager". Der frühere Ministerpräsident des Saarlands ist als Berichterstatter im Verfahren für das Votum zuständig.
Rechtspolitik
Arzneimittel: Zum Vorhaben von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), den Versandhandel rezeptpflichtiger Arzneien verbieten zu lassen, bahnt sich nach Bericht der FAZ (Andreas Mihm) eine Verständigung mit dem Koalitionspartner an. Die SPD unterstütze ein Gesetz, wenn im Gegenzug chronisch Kranken die Zuzahlungspflicht in Apotheken erlassen werde. In einem separaten Kommentar kritisiert Andreas Mihm (FAZ) die Pläne. Das geplante Verbot sei unzeitgemäß, verhindere Wettbewerb und missachte europäische Freihandelsregeln. Sollte der erzielte Kompromiss Bestand haben, stehe zu befürchten, dass sich betroffene Krankenkassen ihre Kosten von allen Beitragszahlern erstatten ließen.
Sammelklagen: Volker Votsmeier (Hbl) spricht sich in einem Kommentar dagegen aus, "auch in Deutschland Sammelklagen nach US-Vorbild einzuführen". Im US-amerikanischen Rechtssystem sei "einiges aus dem Ruder gelaufen", die dort Klägern und ihren Anwälten zur Verfügung stehenden, in erster Linie geschäftlichen Interessen dienenden "Folterinstrumente" sollten keinesfalls importiert werden. Der aktuelle Entwurf des Bundesjustizministers diene trotz "Nachbesserungsbedarfs" an einigen Stellen dem Schutz von Verbraucherrechten. Dass bei der angekündigten Musterklage "Maß" gehalten wird, hofft Hendrik Wieduwilt (FAZ). Die USA bewiesen, dass "mehr Rechtsansprüche" nicht unbedingt zu mehr Gerechtigkeit führten. Stattdessen profitierten von rechtlichen Herausforderungen für Unternehmen neuartige gewerbliche Zweige wie Legal Tech, Compliance und Litigation PR.
Syndikusanwälte: Ein Jahr nach Schaffung des neuen Berufstitels Syndikusrechtsanwalt besteht nach Darstellung des Hbl (Heike Anger) weiterer Bedarf an gesetzlichen Klarstellungen. Der Deutsche Anwaltverein bemängele umständliche und oft langgezogene Zulassungsprüfungen der regionalen Anwaltskammern, wenn Syndikusanwälte ihre Tätigkeitsbereiche änderten. Bei der Deutschen Rentenversicherung, die über die nun mögliche Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht entscheidet, werde dagegen moniert, dass es vielen Antragstellern nicht gelinge, "eine anschauliche Tätigkeitsbeschreibung abzuliefern".
Justiz
EGMR – Prepaid-Karten: Mittlerweile am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte streitet der Landtagsabgeordnete Patrick Breyer (Piraten) für das Recht, entgegen der Bestimmung von § 111 Telekommunikationsgesetz Prepaid-SIM-Karten auch ohne die Preisgabe persönlicher Daten erwerben zu können. In einer lto.de vorliegenden Stellungnahme hat das Bundesjustizministerium nun dargelegt, dass das Recht auf anonyme Kommunikation bei der anzustellenden Abwägung mit anderen Rechten nachrangig sein könne. Die beanstandete Regelung stünde jedenfalls im Einklang mit dem "relativ weiten Beurteilungsspielraum" des Gesetzgebers.
OLG Hamm TÜV-zertifiziert: Dem Oberlandesgericht Hamm hat der TÜV Nord ein Qualitätsmanagement nach "DIN ISO 9001" attestiert. Die Zertifizierung würdige die Verwaltung des größten deutschen OLG, erläutert die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
KG Berlin – Gina-Lisa Lohfink: Das Kammergericht Berlin hat die Revisionsverhandlung in der Strafsache Gina-Lisa Lohfink auf den 10. Februar terminiert. Nach Angaben ihres Verteidigers sei die Generalstaatsanwaltschaft in wesentlichen Punkten der eingelegten Revision beigetreten. bild.de (Sven Kuschel) berichtet.
LG Bielefeld – Tönnies: Bei der am Landgericht Bielefeld anhängigen innerfamiliären Auseinandersetzung um Firmenanteile des Fleischkonzerns Tönnies haben Zeugen des klagenden Neffen Robert beschrieben, wie dessen beklagter Onkel Clemens bei der Leitung des gemeinsamen Unternehmens Geschäftsentscheidungen auch am Beirat vorbei und ohne Inkenntnissetzung der Familienangehörigen betrieben habe. Dies schreibt das Hbl (Christoph Kapalschinski).
LG Köln – Schickedanz: Im Schadensersatzverfahren zwischen Madeleine Schickedanz und dem Bankhaus Sal. Oppenheim hat das Landgericht Köln den Verkündungstermin abermals, diesmal auf den 7. Februar verschoben. Nach Meldung der FAZ (Brigitte Koch) haben sich die Parteien bereits außergerichtlich geeinigt, dem Gericht jedoch bislang noch nicht die erforderlichen einheitlichen Erklärungen hierüber zukommen lassen.
LG Würzburg – Facebook: Das Hbl (Milena Merten) befragt den Rechtsanwalt Chan-jo Jun. Vor dem Landgericht Würzburg begehrt der Jurist, die Verbreitung eines fremdenfeindlich kommentierten Selfies seines Mandanten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zu untersagen. Im Interview erläutert er seine Motivation.
LG Düsseldorf – Brandlegung: Unter anderem wegen schwerer Brandstiftung sind zwei aus Nordafrika stammende Männer am Landgericht Düsseldorf angeklagt. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft sollen sie aus Ärger darüber, dass während des Ramadan auch tagsüber Essen angeboten wurde, die von ihnen bewohnte Flüchtlingsnotunterkunft in Brand gesetzt haben. Die FAZ (Reiner Burger) berichtet.
AG Berlin-Tiergarten zu taz-Spähaffäre: Wegen unbefugtem Ausspähen von Daten hat das Berliner Amtsgericht Tiergarten gegen einen früheren Redakteur der taz einen Strafbefehl über 160 Tagessätze verhängt. Der Verteidiger des Betroffenen gehe davon aus, dass auf einen Einspruch verzichtet werde, berichtet die taz (Martin Kaul/Sebastian Erb). Für die Staatsanwaltschaft bleibe das Motiv der Tathandlung unklar, die betroffene Redaktion dagegen halte die unternommene Aneignung von Daten und Passwörtern für privat motiviert.
AG Hamburg – Waffen: Vor dem Amtsgericht Hamburg muss sich ein Journalist in einem ungewöhnlichen Verfahren wegen unerlaubten Transports von Waffen verantworten. Der Angeklagte wollte durch die vermeintliche Tathandlung, der Übergabe mehrerer nicht schussbereiter Waffen an die damalige Justizsenatorin, darauf aufmerksam machen, dass eben diese Waffen nach Einziehung in einem anderen Verfahren durch die Staatsanwaltschaft wieder für den Handel freigegeben wurden, schreibt die taz-Nord (Magda Schneider). Hierzu habe nach Ansicht des Angeklagten keine Berechtigung bestanden.
VG Schleswig – Mietpreisbremse: Vor dem Verwaltungsgericht Schleswig wird am heutigen Dienstag zur Klage einer Interessengemeinschaft von Grundstückseigentümern gegen die Mietpreisbremse verhandelt. Dies meldet die taz-Nord.
Heinrich Senfft: Die taz (Bettina Gaus) würdigt in einem Nachruf den jüngst verstorbenen Rechtsanwalt Heinrich Senfft als "Vorkämpfer für den Rechtsstaat" und nennt einige herausragende, vom Verstorbenen betreute Mandate.
Recht in der Welt
Ägypten/Saudi-Arabien – Inseln: Das oberste ägyptische Verwaltungsgericht hat die von Präsident Abdelfattah al-Sisi geplante Rückgabe zweier unbewohnter Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien untersagt. Der Bericht der SZ (Paul-Anton Krüger) informiert auch über die historischen Hintergründe der Territoriumsverschiebung. Ein verfassungsgerichtliches Verfahren sei in der Angelegenheit weiterhin anhängig.
Sonstiges
Fall Amri: Nach dem nun auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorgelegten Bericht von Bundesinnen- und -justizministerium war der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz seit dem Jahr 2015 regelmäßig Thema von Sicherheitsbesprechungen. Einschätzungen kamen sowohl vom Generalbundesanwalt, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als auch von Landesbehörden aus Nordrhein-Westfalen und Berlin, berichtet die FAZ (Reiner Burger/Eckart Lohse). Sie hätten dabei übereingestimmt, dass mit dem "Eintritt eines schädigenden Ereignisses" durch Anis Amri trotz dessen Gefährlichkeit nicht zu rechnen gewesen sei. Bundesbehörden verneinten, dass er für sie als V-Mann tätig war.
Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält in einem Kommentar weitere Aufklärung für nötig. Insbesondere müsse geklärt werden, warum von einer erwogenen Abschiebungsanordnung nach § 58a Aufenthaltsgesetz Abstand genommen wurde. Die Vorschrift sei schließlich eigens geschaffen worden, "um mit ausländischen Terrorplanern kurzen Prozess zu machen". Um wahlkampfbedingten Aufklärungsschwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, schlägt Heribert Prantl (SZ) die Bestellung eines Sonderermittlers vor. Als dessen "Ur-Vorbild" könne Hermann Höcherl gelten. Der CSU-Politiker habe 1978 "konkret und lehrreich" in kürzester Zeit dargelegt, welche Pannen bei der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers passierten.
Social Bots: Der Einsatz von Social Bots, verstanden als technische Instrumente zur massenhaften Verbreitung von Informationen, gefährdet den fairen fairen demokratischen Parteienwettbewerb. Zu diesem Ergebnis gelangt eine ausführliche Analyse von Lucas Gasser und Matthias Kraatz auf verfassungsblog.de. Die Autoren, Rechtsreferendar und Doktorand, leiten eine staatliche Schutzpflicht zur Abwehr derartiger Manipulationsversuche her.
Journalisten-Ausschluss: Am kommenden Samstag veranstaltet die ENF-Fraktion des Europäischen Parlaments, zu der Marcus Pretzell als nordrhein-westfälischer Landesvorsitzender der AfD gehört, ihren Wahlkampfauftakt in Koblenz. Dass von der Veranstaltung zahlreiche Journalisten ausgeschlossen sind, verstößt nach Einschätzung der betroffenen FAZ (Helene Bubrowski) gegen geltendes Recht. Die Veranstalterin könne sich zwar auf ihr Hausrecht berufen, hierbei jedoch nicht willkürlich, etwa wegen kritischer Berichterstattung, vorgehen. Ob Fraktionen des Europaparlaments an die Europäische Grundrechte-Charta gebunden sind, sei allerdings noch nicht höchstrichterlich geklärt.
Fraktionslose Abgeordnete: Aus Anlass des Falls der soeben aus der Unionsfaktion im Bundestag ausgetretenen Abgeordneten Erika Steinbach befasst sich die FAZ (Günter Bannas) vertieft mit den Rechten fraktionsloser Abgeordneter. Für diese erstritt Thomas Wüppesahl nach seinem Austritt aus der Grünen-Fraktion 1989 vor dem Bundesverfassungsgericht das Recht, an Ausschüssen teilzunehmen und in diesen zwar nicht abstimmen, aber reden zu können.
Das Letzte zum Schluss
Prüfungs-Schock: Studenten der Université du Luxembourg erlebten bei ihrer Examensprüfung im Europarecht zunächst eine angenehme Überraschung, dann aber wohl einen einigermaßen großen Schock. Nach Meldung von iurratio.de (Jannina Schäfer) wurden ihnen neben der Examensaufgabe auch gleich die dazugehörigen Lösungen ausgeteilt. Der Fehler wurde alsbald bemerkt, die Prüfung daraufhin abgebrochen. Der nun ins Auge gefasste Nachholtermin im kommenden Monat dürfte zahlreichen Studenten, die vor Auslandssemestern stehen, erhebliche Schwierigkeiten bereiten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. Januar 2017: NPD-Verbotsverfahren / Strafbefehl für taz-Späher / Aufklärung zu Amri . In: Legal Tribune Online, 17.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21787/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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